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Die Guten, die Bösen und die Dummen
Spectrum

Projekte, Proteste und weit und breit kein Konzept: Der Augartenspitz soll bebaut werden, nur wie? Die jüngsten Pläne lassen nichts Gutes erwarten.

30. März 2007 - Christian Kühn
An Unfälle solcher Art hat man sich inzwischen gewöhnt: Architektur, die aussieht, als wäre sie aus einem Zusammenprall entstanden, voller schräger Durchblicke und dramatischer Zuspitzungen. Das Projekt, mit dem die Wiener Sängerknaben sich im Augarten endlich eine eigene Spielstätte schaffen wollen, fällt in diese Kategorie. Johannes Kraus vom Atelier archipel, von dem der Entwurf für den kleinen, zur Hälfte unter die Erde abgesenkten Konzertsaal für 430 Plätze stammt, hat bei Coop Himmelb(l)au gearbeitet, unter anderem am Dresdner UFA-Palast. Dass er auch bei Hans Hollein studiert und assistiert hat, merkt man seinem Entwurf dort an, wo er die Zackigkeit mit ein wenig Zuckerguss garniert, etwa an der Eingangslösung mit dem kleinen versenkten Wasserbecken, das den äußersten Augartenspitz markiert.

Für die Wiener Sängerknaben wäre dieses Projekt eine Revolution, wenn es denn tatsächlich ihren Aufbruch zu einem neuen Selbstbild jenseits des klassischen Repertoires bedeuten würde. Das scheint zwar so wahrscheinlich wie Lipizzaner, die nach einer Choreografie von Pina Bausch tanzen, aber umso mehr würde man diesem Denkmal der österreichischen Identität einen innovativen Schub wünschen.

Wirklich froh kann man mit dem Projekt trotzdem nicht werden. Es zwängt sich zu sehr auf sein Eckgrundstück und hat kein angemessenes Vorfeld. Dazu kommt ein städtebauliches Problem. In Kürze wird in unmittelbarer Nähe eine Station der verlängerten U-Bahn-Linie U2 eröffnet. Das ist optimal für die Erreichbarkeit, zugleich würde sich aber an dieser Stelle ein logischer neuer Zugang in den Augarten ergeben. Eine Baumasse genau hier ist ein falsches Signal, auch wenn das Projekt einen seitlichen Zugang am Saaleingang vorbei vorsieht. Die städtebaulich sinnvollere Lösung liegt auf der Hand: Der Spitz bleibt frei, somit auch der Blick in den Park und auf ein gründerzeitliches Gebäude, das mit seinem Turm und schrägem Baukörperzuschnitt genau auf diese Situation reagiert. Und der Saal wird in den Augarten zurückversetzt, immer noch nahe genug zur U-Bahn, aber dann mit einem angemessenen Vorfeld und eingebettet in die Gartenlandschaft.

Dass diese Lösung nicht gewählt wurde, kann man allerdings nicht den Architekten vorwerfen. Denn die Geschichte des Projekts ist eine Schleuderfahrt, die seit dem Jahr 2000 andauert und bei der schon so viele Akteure ins Lenkrad gegriffen haben, dass es schwerfällt, die Übersicht zu behalten. Im Zeitraffer: Eine von den Gartenarchitekten Maria Auböck und Janos Kárász im Jahr 2000 für den Bereich des Augartenspitzes verfasste Studie schlägt vor, anstelle der bestehenden Flächenwidmung, die hier die Errichtung eines viergeschoßigen Schulbaus gestattet hätte, eine Bebauung von 30 Prozent der Fläche zuzulassen, allerdings mit einer deutlichen Beschränkung der Bauhöhe. Das ist vom historischen Bestand her durchaus legitim, befanden sich hier doch bis in die 1970er-Jahre die ehemaligen Gesindehöfe des Augartenpalais. Eine entsprechende Widmung wird 2002 im Gemeinderat beschlossen.

Als voraussichtlicher Nutzer sieht sich das Filmarchiv Austria, das in den straßenseitigen Gesindetrakten untergebracht ist und einen eigenen Kinosaal und Ausstellungsflächen zu errichten plant. Sein Direktor, Ernst Kieninger, beginnt mit dem ArchitektenteamFasch und Fuchs ein entsprechendes Projektzu entwickeln. Dafür gibt es aber nach dem Regierungswechsel im Jahr 2000 kein Geld mehr vom Bund, und die Stadt Wien möchte nicht als Alleinfinanzier auftreten. Vier Jahre später tritt ein anderer Interessent auf den Plan. Die Wiener Sängerknaben haben in Peter Pühringers POK Privatstiftung einen Sponsor gefunden, der zuerst die Sanierung des Augartenpalais unterstützt und dann einen kompletten neuen Konzertsaal zu finanzieren bereit ist. Ein erstes Projekt, den Saal direkt vor dem Palais unter die Erde zu verlegen, scheitert an zu hohen Kosten. Die Idee, die bestehende Widmung am Spitz zu nutzen, ist nahe liegend. Denn der Eigentümer ist auch dort der Bund, der den Park über die Burghauptmannschaft und über das Bundesgartenamt verwaltet.

Die POK beauftragt die Architekten von archipel, Vorstudien für zwei Standorte zu entwickeln, einerseits auf den Flächen der ehemaligen Gesindetrakte, andererseits am Augartenspitz. Die Gesprächsbasis mit dem Filmarchiv ist anfangs gut, beide Partner lassen von ihren Architektenteams Studien ausarbeiten, wie eine gemeinsame Realisierung ihrer Vorhaben aussehen könnte. Fasch und Fuchs erweitern im Auftrag Kieningers ihr Projekt um einen Saal für die Sängerknaben, wobei allerdings die vorgeschriebene 30-Prozent-Grenze überschritten wird. Archipel schlagen 2005 ein durchaus attraktives Landschaftsrelief mit aufgefalteten Ebenen im Garten vor, das beide Nutzungen parallel zum derzeitigen Filmarchiv unterbringt.

Dass in diesen Projekten die Erwartungen der jeweils anderen Seite auf dem knappen Grundstück nicht ohne Abstriche befriedigt werden, ist nicht weiter verwunderlich und hätte eine vermittelnde Moderation gebraucht. Grund für den bald erfolgten Abbruch der gemeinsamen Projektentwicklung ist letztlich die Tatsache, dass das Filmarchiv kein Budget für einen Zubau hat und die POK nicht daran interessiert ist, zusätzlich zum Saal für die Sängerknaben eine Erweiterung des Filmarchivs zu finanzieren. Am 16. Februar 2002 findet eine Sitzung mit Vertretern des Bundes, der Stadt, des Denkmalamts und der Bundesgärten statt, bei der sich Gregor Rizzi und Brigitte Mang, die Vertreter von Denkmalamt und Bundesgärten, strikt gegen eine Verbauung im Park aussprechen und nur den Standort am Spitz akzeptieren. Auf dieser Basis verfolgt die POK das Projekt weiter.

Mit der Konkretisierung des Projekts wächst auch der Unmut der Bürgerinitiativen in der Umgebung, die schon lange vergeblich ein Augartenkonzept gefordert haben, in dem Bund, Stadt und Bezirk deklarieren, wie eine verstärkte Öffnung des Augartens für die Anrainer aussehen könnte. Dem „bösen“ Investor Pühringer, der die Halle, die nach 67 Jahren ins Eigentum des Bundes übergehen wird, mit elf Millionen Euro finanziert, wird unterstellt, privatwirtschaftliche Interessen mit dem Projekt zu verfolgen. Er wolle hier einen Konzertbetrieb aufziehen und damit massiven zusätzlichen Verkehr in den Bezirk bringen. Die Initiative Baustopp will daher jede Verbauung des Areals verhindern. – Parallel dazu erwacht allerdings das Projekt des Filmarchivs in einer Allianz mit der Viennale und dem Stadtkino zu neuem Leben. Ernst Kieninger erhält zuerst in Gesprächen mit den Stadträten Mailath und Schicker und im Juni 2006 mit Bürgermeister Häupl Signale, dass die Stadt das Projekt unterstützt, und lässt von zwei weiteren Architektenteams, Delugan-Meissl und Oskar Leo Kaufmann, Vorschläge ausarbeiten. Den spektakulären, 25 Meter hohen Gerüstturm mit minimalem Parkverbrauch, den Kaufmann vorschlägt, wagt Kieninger der Öffentlichkeit gar nicht vorzustellen. Für das Projekt von Delugan-Meissl, eine sanfte Faltung, die dem Landschaftsrelief von archipel nicht unähnlich ist, gelingt es ihm aber sogar, die Unterschriften der Bürgerinitiativen in der Umgebung zu bekommen.

Womit die Situation einigermaßen verfahren scheint. Der Bürgermeister hat in der „Kronen Zeitung“ inzwischen erklärt, dass „der Platz für die Sängerknaben“ ist. Einen Plan, steuernd einzugreifen, hatte die Stadt in der Sache offenbar nie. Einen städtebaulichen Plan auch nicht, sonst hätte sie ihre Beamten, die eine Bebauung des Spitzes für eine schlechte Lösung halten, nicht aus Angst vor Bürgerprotesten daran gehindert, klar für eine ebenfalls widmungskonforme Bebauung im Park zu plädieren, statt der starren Haltung von Denkmalamt und Bundesgärten kampflos das Feld zu überlassen.

Die jüngst erfolgte Erklärung der Sängerknaben, ihr Projekt mit Rücksicht auf das Denkmalamt noch einmal überarbeiten und damit verharmlosen zu lassen, lässt nichts Gutes erwarten, genauso wenig wie die angelaufene Kampagne, das „gute“ Filmarchiv gegen die „bösen“ Sängerknaben und ihren reichen Sponsor auszuspielen. Die Projektbetreiber sollten sich nicht in eine Konfrontation jagen lassen, sondern von der öffentlichen Hand, also von Bund und Stadt gemeinsam, verlangen, was schon seit Jahren deren Aufgabe wäre: die öffentliche Sache zu vertreten und sich dabei weder von der lautesten Bürgerinitiative noch von der großzügigsten privaten Spende die Verantwortung abnehmen zu lassen.

Das verlangt professionelle Verfahren, auch einen nach den von der Fachwelt anerkannten Regeln durchgeführten Architekturwettbewerb, den es trotz der vielen Projekte hier bisher nicht gab. Die Gefahr, dass die Möglichkeiten, die dieser Ort für die Stadt und den Bezirk bietet, überhaupt nicht genutzt werden, ist groß. Die Dummen, das wären am Ende wir alle.

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