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Karstadt in Buxtehude
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Was heißt Ensembleschutz? Das neue „Kaufhaus Tyrol“ und wie es sich zur ehrwürdigen Maria-Theresien-Straße hin artikulieren soll: ein Beispiel aus Innsbruck.

20. Mai 2007 - Christian Kühn
Innsbruck steht vor einer Entscheidung über die Zukunft seiner Innenstadt. Im Jahr 2004 kaufte der Immobilienentwickler René Benko das heruntergewirtschaftete „Kaufhaus Tyrol“, das an der Maria-Theresien-Straße im Zentrum der Stadt liegt. Im angrenzenden Hof soll das Kaufhaus um 20.000 Quadratmeter zu einem Shoppingcenter erweitert werden. Der Investor wollte zwar keinen Wettbewerb ausschreiben, einigte sich mit der Stadt aber auf eine Projektbegleitung durch einen Gestaltungsbeirat, den sich Innsbruck – mangels eines eigenen – aus Salzburg „lieh“. Vorsitzende des Salzburger Beirats ist die aus Tirol stammende Architektin Marta Schreieck, die zusammen mit ihrem Partner Dieter Henke den Innsbrucker Qualitätsmaßstab für zeitgenössisches Bauen im historischen Umfeld gesetzt hat – die 1999 fertiggestellte sozialwissenschaftliche Fakultät.

Das Ergebnis der ersten Projektphase ist ein amöboides Gebilde, das den Hof weitgehend ausfüllen wird. Formal orientiert sich der von Johannes Obermoser entworfene „Blob“ an erfolgreichen Artgenossen wie dem Kunsthaus Graz und dem Selfridges Kaufhaus in Birmingham, die ihre weichen Rundungen ebenfalls in einer kantigen Nachbarschaft ausbreiten dürfen und beim Publikum enormen Zuspruch finden.

Dass die drei bestehenden Gebäude des Kaufhauses zur Maria-Theresien-Straße weder formal noch – aufgrund der Geschoßhöhen – funktionell ein geeigneter Abschluss für diesen Blob sein würden, war offensichtlich. Man einigte sich mit der Stadt darauf, zwei der drei Häuser abzureißen und für deren Ersatz samt Anschluss an den Blob einen Wettbewerb auszuschreiben. Noch während der Ausschreibung wurde bekannt, dass der Leiter der Tiroler Denkmalschutzbehörde, Landeskonservator Franz Caramelle, für die Maria-Theresien-Straße ein Ensembleschutzverfahren eingeleitet hatte und dieser Schutz im September 2006 ausgesprochen worden war.

Man entschied sich, den Wettbewerb trotzdem durchzuführen. Ziel des Ensembleschutzes ist ja der Schutz eines Gesamteindrucks und nicht der jedes einzelnen Elements, das zu diesem Eindruck beiträgt. Angesichts der wechselvollen Baugeschichte der Straße, in der vieles aus dem 20. Jahrhundert stammt, hoffte man auf ein zeitgemäßes Projekt, das den spezifischen Rhythmus der Straße aufnimmt, ohne etwas Bestehendes zu kopieren.

Das Ergebnis des Wettbewerbs war von Anfang an kontroversiell. Das Wiener Architektenteam BEHF hatten eine Art Gletscherwand entworfen, mit großformatigen, rechteckigen Öffnungen und vielen runden Bullaugen, die ein Motiv der Blob-Fassade wiederholen. Die Anbindung an einzelne Linien der Nachbarschaft ist zwar vorhanden, ebenso die Teilung der Fassade in drei durch Knickfalze voneinander abgesetzte Bereiche, insgesamt überwiegt aber der Eindruck einer liegenden Figur. Andere im Wettbewerb favorisierte Projekte wie etwa jenes von Rainer Pirker hatten zurückhaltender auf den Rhythmus des Ensembles reagiert, aber auch sie hätten den Betrachter spüren lassen, dass hinter ihnen etwas für den Ort bisher Unerhörtes liegt, nämlich eine Einkaufswelt von 20.000 Quadratmetern.

Der Aufschrei des Denkmalamts folgte prompt. Der Investor, René Benko, versprach eine Weiterentwicklung des BEHF- Projekts. Parallel dazu wandte sich die Berufungsbehörde an den Denkmalbeirat, ein vom zuständigen Ministerium bestelltes ehrenamtliches Expertengremium, das vor jedem Abbruchbescheid gehört werden muss. Dessen Vorsitzender, Friedmund Hueber, wurde per Schreiben vom 7. Februar 2007 ersucht, ein Gutachten über die „Ensembleverträglichkeit des geplanten Objektes und gegebenenfalls Skizzierung einer Lösungsvariante“ zu erstellen. Am 12. April lag das Gutachten vor, in dem Hueber bereits zu einem neuen Lösungsvorschlag Stellung nehmen konnte, den Benko beim Wiener Architekten Heinz Neumann in Kooperation mit Hueber selbst in Auftrag gegeben hatte. Dass Hueber damit gewissermaßen über sich selbst urteilen durfte, ist vom Denkmalschutzgesetz gedeckt, in dem sogar explizit darauf verwiesen wird, dass Mitglieder des Denkmalbeirats als Konsulenten herangezogen werden können.

Wenn es einen Anlass gebraucht hat, das Gesetz in diesem Punkt zu ändern, ist er jetzt gefunden. „Karstadt in Buxtehude“ gehörte noch zu den harmloseren Kommentaren, die unter Innsbrucker Architekten zirkulierten, als das Projekt vor zwei Wochen öffentlich wurde. Die ganze Lebendigkeit der umgebenden Fassaden ist hier zu einer Ansammlung von Phrasen erstarrt. Das sieht auf den ersten Blick harmlos aus, erzeugt aber bei längerem Hinsehen Depressionen. Die Vergangenheit, auf die Hueber sich hier beruft, war immer schon vergangen und tot, ohne Widersprüche und innere Spannungen. Dieses Phantom eignet sich bestenfalls als Dekor für eine Shoppingwelt, in der auch Atmosphäre, Rituale und räumliche Qualität zur Ware geworden sind.

Ob das Bundesdenkmalamt (BDA) dieser Fassade seinen Segen erteilt hätte, ist unklar: Der Bescheid ist direkt von der zuständigen Ministerin, Claudia Schmied, unterschrieben. Da sich die führenden Beamten des BDA stets gegen jede Art des „Fassadismus“ ausgesprochen haben, also gegen die Praxis, nur die Fassaden historischer Gebäude zu erhalten, sollte das Urteil in diesem Fall klar sein: Ein „Fassadismus“ zweiter Ordnung, der dem Bestand das eigene tiefe Niveau unterstellt und ihn damit herabwürdigt, ist noch weit weniger zu tolerieren.

Der Ball liegt derzeit beim Investor, der ein Danaergeschenk in Händen hält: einen Abbruchbescheid für die beiden Bestandsbauten, der allerdings zwingend an die Errichtung des Neumann/Hueberschen Projekts gebunden ist. Jüngste Ankündigungen lassen vermuten, dass er das den Innsbruckern nicht zumuten will. Von weiteren Verhandlungen mit dem Ministerium und seinen Beamten, von einer grundsätzlichen Diskussion über den Umgang mit dem Ensembleschutz und von einem neuerlichen Wettbewerb mit internationaler Starbesetzung ist die Rede.

Dass es möglich ist, sogar unter noch strikteren Bedingungen anspruchsvolle Projekte im geschützten Ensemble zu realisieren, hat sich vor kurzem in Graz gezeigt. Dort vergrößert das traditionsreiche Kaufhaus Kastner & Öhler seine Verkaufsflächen im Zentrum der Stadt von 30.000 Quadratmeter auf 40.000 Quadratmeter. In Abstimmung mit dem Denkmalamt wurde ein Wettbewerb durchgeführt, den das spanische Team Nieto/Sobejano für sich entscheiden konnte. Kritik gab es auch hier, aber nach einigen Veränderungen, die dem Projekt nicht geschadet haben, kann sich Graz auf eine spannende Bereicherung seiner Dachlandschaft freuen – und das alles mitten im Unesco-Weltkulturerbe der Grazer Altstadt.

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