Artikel

Kahlenberg mit Schlag
Der Standard

Der schönste Blick auf Wien: 1936 baut Erich Boltenstern hier ein Restaurant. 1964 baut Hermann Kutschera ein Hotel. 2007 wird renoviert. Aber wie! Eine Leidensgeschichte zwischen öffentlichem Interesse und unternehmerischem Tun.

2. Juni 2007 - Wojciech Czaja
Am 28. Juli 2003 kam die Hotelruine auf dem Kahlenberg unter den Hammer. Kein Mensch hatte damals geahnt, welche Ausmaße das neue Projekt rund um Hotel und Tourismusfachschule eines Tages annehmen würde. Vier Jahre später ist die schwelende Furcht schauderhafter Gewissheit gewichen. Großbäcker Leopold Wieninger, der für McDonald's Österreich die Brötchen macht, hob während der Versteigerung im richtigen Moment die Hand und lieferte in der Folge die perfekte Rezeptur für ein elegantes Vorbeischummeln an Flächenwidmungs- und Denkmalschutzbestimmungen. Während das Großprojekt angemengt wurde und zu einer stattlichen Größe aufging, schwieg die Stadt Wien still - und schaute dem längst bewilligten Bau beim Wachsen zu.

Eine große Liebe war dem Restaurant von Erich Boltenstern (1936) und dem Hotelbau von Hermann Kutschera (1964) von Anfang an nicht beschieden. Grundstückseigentümer und Investor Leopold Wieninger konnte sich für die alte Materie nicht so recht begeistern. Sein Interesse galt der Rendite - und somit der Variante Abbruch und Neubau. Schon wenige Monate nach dem Kauf beauftragte Wieninger das Wiener Architekturbüro Neumann+Steiner mit dem Entwurf für ein völlig neues Hotel mitsamt einer Zweigstelle der Hotelfachschule Modul.

„Wir haben einen totalen Abbruch vorgesehen“, erklärt Architekt Eric Steiner gegenüber dem Standard, „natürlich wissen wir, dass es sich da oben um Bauten von Boltenstern und Kutschera handelt, aber unserer Meinung nach war die Originalsubstanz bereits erheblich zerstört.“ Etliche Um- und Zubauten hätten dem Gesamtensemble über Jahrzehnte hinweg schlecht zugesetzt. „Das, was man tatsächlich hätte erhalten können, wäre ein Torso gewesen“, so Steiner, „doch es macht keinen Sinn, von einem Denkmal nur einen kleinen Teil zu konservieren. Und deswegen haben wir uns für die radikale Lösung entschieden.“

Das Projekt wurde eingereicht, die Abbruch- und Baubewilligungen wurden erteilt. Recht spät schaltete sich das Bundesdenkmalamt ein und verlangte den Architekten eine Machbarkeitsstudie ab. Erste Gedanken wurden laut, denen nach das Boltenstern-Restaurant unter Denkmalschutz gestellt werden könnte. „Sollte das Bundesdenkmalamt die Bauteile aus dem Jahr 1934 unter Schutz stellen, ist das gesamte Projekt gestorben“, mokierte sich Wieninger damals, „dann lasse ich es stehen, so wie es ist.“

Die Drohungen des Investors stellten sich als leer heraus. Denn selbst nachdem das Kahlenberg-Restaurant zum Denkmal erklärt worden war, blieb es beim beharrlichen Quadratmeter-Schinden. Die Wiederherstellung der Straßenfassade und des nordwestlichen Einganges werde „den Charakter von 1936 erkennen lassen“, hatte Planungsstadtrat Rudolf Schicker noch im Dezember 2004 prophezeit. Die Ankündigung blieb vage.

Die baulichen Maßnahmen, die unter Wieningers Ägide getroffen wurden, sprengen alle Befürchtungen. Von behutsamer Sanierung keine Spur. Die ehemalige Aussichtsterrasse wurde mit zwei Stockwerken überbaut, neue Portale, gläserne Stiegenhäuser und kreisrunde Fenster in der Fassade lachen dem österreichischen Denkmalschutz ins Gesicht. Der einst so stolze Bau der Moderne schaut drein wie ein zweitklassiges Dorfhotel.

Selbst die so genannte alte Bausubstanz riecht verdächtig nach neuem Stahlbeton und blitzblanken Ziegelsteinen. Ist das alles noch original? Wieninger hat eine Antwort parat: „Ja, es ist alles in Original-Boltenstern-Dimension.“ Die Ziegelmauern seien unstabil gewesen, vielerorts seien statt Ziegeln gar lockere Steinsbrocken in der Mauer gesteckt, und überhaupt hätten manche Wände bereits altersschwach gewackelt. Wie schätzen Sie das Verhältnis von Alt zu Neu? Wieninger: „Fünfzig zu fünfzig.“ Für ein Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, ist das ein jugendlich spritziger Schnitt.

Doch nicht nur die Sanierung des historischen Restaurants, die insgesamt zehn Millionen Euro verschlungen hat, lässt ein Auseinanderklaffen von theoretischer Vorschrift und praktischer Ausführung vermuten. Auch der viergeschoßige Neubau an der Stelle des alten Kutschera-Hotels (Investitionsvolumen 15 Millionen Euro) hat eine eigentümliche Entstehungsgeschichte hinter sich.

„Die größte Schwäche am gesamten Projekt ist wahrscheinlich, dass so ein Grundstück überhaupt in die Hände eines Privaten kommen konnte“, erklärt Architekt Eric Steiner, „ein Areal mit diesem bedeutenden Potenzial müsste eigentlich im Eigentum der Stadt liegen.“ Im Hinblick auf die heutigen Diskussionen rund um Flächenwidmung und Nutzung sei Steiner selbst nicht wahnsinnig unglücklich darüber, dass Wieninger die Zusammenarbeit mit den Architekten bereits vor drei Jahren beendet hatte. Was nur Wenige wissen: Die Architekten Neumann+Steiner haben mit dem Projekt längst nichts mehr zu tun. Seit drei Jahren liegt das Projekt in den Händen der SBC Bauconsulting GmbH, die die gesamten Planungsarbeiten über die Bühne brachten und schließlich den Bau abwickelten.

Worauf spielt Architekt Eric Steiner an, wenn er von Flächenwidmung und Nutzung spricht? Ursprünglich hatte die Flächenwidmung für das prominente Kahlenberg-Grundstück eine gewerbliche Nutzung vorgesehen. Projektentwurf und Einreichung ordneten sich der Flächenwidmungsvorschrift verständlicherweise unter - und sprachen von einem Hotel. Schon bald wechselte der Projektbetreiber Leopold Wieninger sein Wording: Es sei nie die Rede von einem Tageshotel gewesen, vielmehr von einem Apartment-Hotel für „temporäres Wohnen“, also für einen mehrere Monate dauernden Aufenthalt.

Das eine führte zum anderen. Im April 2006 gab's plötzlich die ersten Wohnungsangebote im Internet. Exquisite Luxuswohnungen mit bis zu 340 Quadratmetern und riesengroßen Terrassen warteten da auf betuchte Klientel. Nicht lange. Einige der insgesamt elf Nobelwohnungen sind schon längst verkauft. „Die Apartment-Wohnungen haben den marktüblichen Preis“, erklärte Grundstückseigentümer Wieninger letzte Woche auf Anfrage des Standard, „7000 Euro pro Quadratmeter - oder aber Sie mieten die Wohnungen zum Quadratmeterpreis von 15 Euro.“ Interessanter Aspekt am Rande: Auf Wunsch gibt es die Wohnungen mit Hotelservice.

Geplant war ein touristisches Hotel mit 53 Zimmern. Geworden ist daraus offenbar ein halbes Wohnhaus mit der klingenden Adresse Kahlenberg 1-3. Fragt sich nur: Wie kommt es dazu? „Dieses Finanzierungsmodell ist in der Tourismusbranche üblich“, bemüht sich Immobilienmakler Ernst Thomas. Man nehme eine Wohnung, verkaufe sie einem Privatbauherrn und fordere ihn dazu auf, die Wohnung seinerseits wieder an den Hotelbetreiber zu vermieten. Schließlich sei laut Anzeige ja eine gewerbliche Nutzung vorgesehen. „Wenn ein Käufer sich dann entscheidet, selbst in einem Apartment zu wohnen, kann man ihn daran nicht hindern.“ Das geht runter wie Öl.

Die Stadt Wien steckt den Kopf in den Sand. „Wir haben eine schriftliche Zusage des Eigentümers, dass ein Hotel und eine Hotelfachschule errichtet wird, und gehen davon aus, dass sich Wieninger daran hält“, hieß es im April 2006 aus dem Büro von Stadtrat Rudolf Schicker. Was er heute dazu sagt, wissen wir nicht. Für eine Stellungnahme war er nicht zu gewinnen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: