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Frischekur für die Kemenate
Der Standard

Manchmal passiert es, dass man wieder im alten Mädchenzimmer sitzt und wunderlich um sich blickt. Dann ist die Zeit zum Handeln reif. Einer Baufrau mit wenig Budget schuf das Architekturbüro projekt.cc ein neues Refugium im Dach des elterlichen Hauses.

4. August 2007 - Isabella Marboe
Am nördlichen Stadtrand von Pinkafeld gibt es eine homogene Einfamilienhaussiedlung, die nach dem Krieg mit viel Fleiß und hohem Selbstbauanteil errichtet wurde. Schmucke Gärten säumen die rechteckigen und quadratischen Siedlungshäuser. In einem dieser Gebäude ist die Baufrau aufgewachsen. Viel Zeit und harte Arbeit hatte die Familie einst in den Bau investiert. Straße und Küche liegen im Westen, der Wohnraum im Süden, ein Zimmer mit Bad im Osten. Unter der charakteristischen Schleppgaupe im Norden führte bis vor Kurzem die Stiege aufs steile Satteldach.

Die Jahre zogen ins Haus, und mit ihnen kehrte auch die Baufrau mitsamt ihren Kindern wieder in ihre alte Dachkemenate zurück. Glücklich machte sie das allerdings nicht. „Als ich da in meinem Mädchenzimmer mit dem alten Spannteppich saß, wurde mir klar, dass etwas passieren musste.“ Eine Neuerung war längst überfällig, denn in bauphysikalischer Hinsicht war das Haus eine Ruine. Das Dach war undicht, mit trotzendem Eternit war lediglich die Wetterseite verkleidet und - der gewichtigste Nachteil - die Beheizung der bescheidenen 70 Quadratmeter verschlang Jahr für Jahr weit über 3000 Liter an Heizöl. Eine derartige Ressourcenverschwendung ist nicht nur teuer, sondern auch ökologisch bedenklich.

Also suchte die Baufrau um Förderung zur Althaussanierung an. Christian Tabernig und Harald Kloiber vom Architekturbüro projekt.cc bauten ihr im Zuge der Sanierung das Dach zum neuen Refugium mit eigenem Bad aus. Das Platzangebot ist beachtlich, der Weitblick durchs Panoramaglas enorm.

Eine Erschwernis gab es obendrauf. Da die Baufrau Lehrerin ist, musste das gesamte Haus über die Ferien fertiggestellt sein. Bis dahin hauste sie im Wohnwagen im Garten. Da die Zeit knapp war, wurde das alte Dach abgerissen und durch einen Aufbau aus vorgefertigten Holzbauteilen ersetzt. „Alles musste wie am Schnürchen funktionieren“, blickt Christian Tabernig zurück, „wir ließen deshalb nur die Giebelwände stehen. Um den neuen Dachstuhl aufsetzen zu können, betonierte der Baumeister dann einen umlaufenden Rost.“

Trick mit Dachneigung

Das gesamte Dach besteht aus statisch wirksamen KLH-Platten (Kreuzlagenholz), die ein selbsttragendes Faltwerk bilden. Außen ist das Dach mit Zinkblech verkleidet. Um möglichst viel nutzbaren Raum zu schaffen, sind die Seitenwände über die Gesamtlänge bis auf Raumhöhe hinaufgezogen. Darüber verläuft das Dach wieder in gewohnter Manier und spitzt sich in der alten Neigung auf 45 Grad zu.

Eine schlichte Betonmauer zwackt dem Garten an der Straße einen Parkplatz ab, dahinter führt ein neuer Schotterweg zum neuen Windfang. Man steigt zwei Stufen hinauf Das Entree liegt unter einer weißen Lkw-Plane. Und dann rein ins Haus. Man huscht an Mutterns Wohnküche vorbei, steigt die Stiegen hinauf, wo sich im Nordwesteck noch ein Zimmer für den Sohn ausging, und landet schließlich im neuen Reich.

Das weiße Bad mit der türkis verkachelten Dusche hat Gartenblick. Eine Tür führt in die weiße Schlafnische der Baufrau. Sie wird von einer flexiblen, beidseitig zu öffnenden Kastenwand aus weiß lackierten MDF-Platten umschlossen. Eine Leiter führt auf die Galerie unterm spitzen Dachgiebel, wo Platz für Bücher und Gäste ist.

Gewohnt wird im langen Einraum. Hier blickt man weit über die nachbarlichen Siedlergärten bis zum Kirchturm. „Früher bin ich nicht gern nach Hause gekommen“, sagt die Baufrau, „doch das ist nun vorbei. Die Lebensqualität hat sich so stark verbessert - das lässt sich nicht beschreiben.“

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