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Wie man das Neue organisiert
Spectrum

Visionen für die Zukunft hat man bald einmal. Die Schwierigkeit liegt in der Umsetzung. Über alltägliche Innovationen und die Wege dorthin. Am Beispiel Architekturwettbewerb.

9. September 2007 - Christian Kühn
Hochhäuser in Form von exotischem Gemüse, das aus einemFeuchtbiotop hervorwächst: Mussman sich so die Stadt des 21. Jahrhunderts vorstellen? Der südkoreanische Architekt Minsuk Cho hat diesen Vorschlag kürzlich bei einem Symposium an der Wiener Universität für Angewandte Kunst präsentiert. Wie ernst diese Provokation aller formalen Codes der „modernen Architektur“ gemeint ist, sei dahingestellt. Auch an ihrem Neuigkeitswert kann man Zweifel anmelden, lässt sich die Anlage doch als rund gedrechselte Version des Wohnparks Alt Erlaa mit seinen hängenden Gärten und der anämischen Parklandschaft rundum interpretieren. Vielleicht will Minsuk Cho, der brillanteste unter den jungen Architekten Südkoreas, in dessen tatsächlich ausgeführten Hochhäusern keinerlei Anleihen am Gemüsegarten vorkommen, hier aber eher einen Kommentar zu unserer gegenwärtigen Situation abgeben: Fortschreitender Naturverlust, der durch Ersatzgrün kompensiert wird; eine individualisierte Gesellschaft, deren ideale Wohnform die Einzelzelle ist, an die sich halböffentliche Zonen für die Aktivitäten der Patchworkfamilie andocken; und eine zunehmende Verdrängung ästhetischer Fragen durch ökologische Parameter, die sich formal in einem dumpfen Biologismus niederschlagen, sofern sie Form überhaupt noch als Thema gelten lassen.

Dass die Zukunft des Wohnens nicht genau so aussehen wird wie in Chos Vision, kann als sicher gelten. Aber welche Elementedavon werden wir in unseren Städten tatsächlich finden? Und wie können wir schon heute die Möglichkeiten ausloten, auf die genannten Entwicklungen zu reagieren? Die Entstehung von Neuem in der Architektur ist ein heikles Thema, bestehen doch 99 Prozentdes Bauens aus der Abwandlung bekannter Lösungen. Innovation steckt in der Organisation des restlichen Prozents. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Architekturwettbewerb zu. In seiner heutigen Form gibt es ihn seit der Renaissance, als Bauherren begannen, ihre Entscheidungsmacht an Gremien von Fachleuten zu delegieren. Verbunden damit, setzte sich die Trennung zwischen dem ausführenden Handwerk und dem architektonischen Entwurf als einer künstlerischen Tätigkeit durch. Das versprach sozialen Aufstieg, allerdings zum Preiseiner über weite Strecken prekären wirtschaftlichen Situation, von der bis heute alle Architekten, die ihre Karriere auf Wettbewerbe aufgebaut haben, berichten können.

Trotzdem ist der Architekturwettbewerb eine erstaunlich robuste Institution. Gab es vor einigen Jahren noch eine Diskussion darüber, ob man nicht überhaupt auf ihn verzichten könnte, nimmt die Zahl der Verfahren heute wieder zu. Über das Prinzip, dass es nicht um die billigste Planungsleistung, sondern um das beste Projekt geht, herrscht weitgehend Konsens. Nur so können derartige Verfahren tatsächlich zur Innovationsförderung im alltäglichen Baugeschehen beitragen. Ihr Erfolg hängt dabei wesentlich von der Qualität der Organisation ab, von der Formulierung der Aufgabenstellung über die Auswahlkriterien der Teilnehmer bis hin zur Höhe der Preisgelder.

Seit die Wettbewerbsordnung der Architektenkammer abgeschafft wurde, um dem EU-Druck zur Deregulierung nachzukommen, gibt es dafür allerdings eine beachtliche Bandbreite. Auf der einen Seite finden sich aufwendig gestaltete Wettbewerbe, begleitet von Forschungsprogrammen und Veranstaltungen, in denen die Anliegen des Wettbewerbs öffentlich diskutiert werden. Ein vorbildliches Beispiel dafür ist derzeit im Steirischen Gleisdorf zu beobachten. Unter dem Titel „Generationen Wohnen“ ist hier ein Wettbewerb für rund 80 Wohneinheiten in zentraler Lage ausgeschrieben. Das Projekt, initiiert vom Verein ARTIMAGE und der Wohnbauabteilung des Landes Steiermark, versteht sich als Prototyp für die Revitalisierung von Ortskernen, die durch die Verlagerung von Einkaufsmöglichkeiten an die Peripherie zunehmend ihre zentrale Funktion verlieren. Speziell für Wohnbedürfnisse außerhalb der klassischen Kleinfamilie wie Seniorengemeinschaften, Alleinerziehende und Singles, und für betreutes Wohnen sollen hier Angebote geschaffen werden. Der zweite Innovationsaspekt betrifft die Ökologie, für die ein integratives Konzept zu entwickeln ist, das vom Wohnklima bis zu langfristigen Betrachtungen der Energieeffizienz reicht. In diesem Aspekt wird das Projekt von Brian Cody von der Technischen Universität Graz in einem eigenständigen Forschungsprojekt begleitet, das am 11. September in Gleisdorf in einer Fachtagung über „Innovative Konzepte der Energieeffizienz“ vorgestellt wird, Im Dezember folgt eine weitere über „Innovative Wohnformen“. Die Ähnlichkeit dieses Prozederes mit dem EUROPAN-Wettbewerb, der alle zwei Jahre europaweit ausgeschrieben wird, ist kein Zufall: Bernd Vlay, Geschäftsführer von EUROPAN Österreich wirkt in Gleisdorf an Konzept und Organisation mit.

So viel Aufwand ist sicher nicht bei jedem Wettbewerb gerechtfertigt. Am anderen Ende des Spektrums finden sich allerdings – vor allem im öffentlichen Bereich, wo Konkurrenzverfahren vom Bundesvergabegesetz vorgeschrieben, von manchen Auftraggebern aber als lästige Pflicht gesehen werden – Verhandlungsverfahren, bei denen Planungen im Wesentlichen über den Preis vergeben werden. Das Hochbauamt Wiener Neustadt lädt gerade zu einem Verhandlungsverfahren für den Neubau einer Schule, bei dem aus Bewerbungen drei Teilnehmer ausgewählt werden, die in der zweiten Stufe ihrem finanziellen Anbot „Skizzen“ eines Entwurfs beilegen sollen. Ein Preisgeld oder eine Entschädigung für den Aufwand dieser Ausarbeitungen ist nicht vorgesehen. In Niederösterreich – das andererseits vor Kurzem sehr erfolgreich eine Wettbewerbspflicht für alle größeren Wohnbauten eingeführt hat, die Förderungen erhalten – ist das kein Einzelfall. Innovative Ergebnisse darf sich bei solchen Verfahren freilich niemand erwarten.

Der Trend geht aber in die andere Richtung. Die Architektenkammer hat in jüngster Zeit mit wichtigen öffentlichen Auftraggebern wie der Gemeinde Wien und der Bundesimmobiliengesellschaft Vereinbarungen getroffen, wie im Rahmen des Bundesvergabegesetzes faire und effektive Verfahren zu gestalten sind. Im Internet findet man seit Kurzem eine von der Kammer besorgte Dokumentation des gesamten österreichischen Wettbewerbsgeschehens. Verfahren, die außerhalb der Spielregeln durchgeführt wurden, sind dort speziell markiert. Die Ergebnisse sprechen für sich.

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