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Utopien im Aufwind
Der Standard

Vor einer Woche wurde der üppig ausstaffierte Zumtobel Group Award vergeben. Preisträger sind ein innovatives Hochhaus in San Francisco und die konkrete Utopie eines neuartigen Kraftwerks.

22. September 2007 - Wojciech Czaja
Der Mann hat Ausdauer. Seit 25 Jahren arbeitet er immer wieder am gleichen Projekt. Rechnet, entwirft, optimiert. Unentwegt tritt er mit Verantwortlichen in Kontakt, unterbreitet ihnen die Sinnhaftigkeit seiner Ideen, bemüht sich um ihre Zustimmung. Doch ohne Erfolg. Die Politik hat kein Interesse an effizienter Stromerzeugung in der Dritten Welt, mehr als trockene Lorbeeren lassen sich damit nicht ernten. Wer will dafür schon in die Bresche springen? „Die Minister reisen alle auf Klimakonferenzen, aber wenn es darauf ankommt, dann ziehen sie den Schwanz ein“, sagt er.

Vor ein paar Tagen war alles anders. Plötzlich stand der deutsche Architekt Jörg Schlaich im Rampenlicht, trat auf die Bühne des Kunsthauses Bregenz und nahm unter tosendem Applaus den Zumtobel Group Award in der Kategorie „Research and Initiative“ entgegen. Der herrschaftlich dotierte Geldpreis - 60.000 Euro sind kein Lercherl - gilt der jahrelangen und stetig weiterentwickelten Erfindung des so genannten Aufwindkraftwerks. Es ist ein solares Kraftwerk, das eigens für die sonnenreichen und ressourcenarmen Gegenden der Erde entwickelt wurde - beispielsweise für wüstenreiche Staaten und Länder der Dritten Welt. Die notwendigen Baumaterialien Beton, Stahl und Glas sind weltweit verfügbar.

Das System könnte einfacher nicht sein: Unter einem riesigen Kollektordach wird die Sonne wie in einem Glashaus erhitzt. Da das Dach zur Mitte hin leicht ansteigt, strömt die heiße Luft zum höchsten Punkt, kühle Luft strömt in der Zwischenzeit von den Rändern nach. In der Mitte staut sich's dann. Unter einem enormen Druck versucht die zusammengestauchte Luft zu entweichen und wird nach oben gepresst. Die Sogwirkung des Kamins verstärkt diesen Effekt. Eine eingebaute Turbine dient als Generator und erzeugt auf diese Weise Strom.

„Es ist eine unglaublich einfache Funktionsweise“, sagt Schlaich, „und weil es so einfach ist, können sich viele gar nicht vorstellen, dass es funktioniert.“ Doch während manche noch zweifeln, ist das Konzept zu einem komplexen und vielschichtigen Allzweck-Kraftwerk herangereift. Zusätzlich eingebaute Wasserschläuche unter den Kollektoren speichern untertags die Hitze und geben sie erst in der Nacht wieder ab. Paradoxerweise funktioniert das solare Kraftwerk also rund um die Uhr. Jörg Schlaich und sein Partner Rudolf Bergermann haben alles parat. In aufwändigen Kalkulationsprogrammen rechneten sie sich die Effizienz des Kraftwerks aus. Eine einzelne Turbine könne für 100 bis 200 Megawatt Leistung ausgelegt werden. Damit ließe sich bereits ein großes Kernkraftwerk ersetzen. Doch der tatsächliche Trumpf im Ärmel soll erst folgen: Eine Kilowattstunde Strom würde in der Produktion - langfristig ausgelegt - zwischen fünf und sieben Cent kosten. „Vor einigen Jahren noch hätte man das für abstrus gehalten und hätte sich darüber lustig gemacht“, sagt Schlaich, „doch um damit wirklich handlungsfähig zu sein, ist das Öl offensichtlich noch viel zu billig.“

Warum sich die hochkarätig besetzte Jury aus Stefan Behnisch, Yung Ho Chang, Colin Fournier, Peter Head, Enrique Norton, Sejima Kazuyo, Peter Sloterdijk, Anna Kajumulo Tibaijuka und Zumtobel-Group-Geschäftsführer Andreas Ludwig für das Kraftwerksprojekt entschieden hat, ist leicht gesagt: „Sinnvolle Technologien für die breite Nutzung erneuerbarer Energien müssen einfach, verlässlich und auch für weniger entwickelte Länder zugänglich sein. Das Aufwindkraftwerk erfüllt alle diese Bedingungen.“ Dass es in der Praxis tatsächlich funktioniert, ist ebenfalls belegt. Zwischen 1982 und 1988 wurde in Spanien eine Versuchsanlage installiert. Gegenwärtig planen Schlaich Bergermann Solar ein Aufwindkraftwerk in Fuente el Fresno, Spanien. Mit 750 Metern Turmhöhe und drei Kilometern Kollektordurchmesser wird das Kraftwerk eine Kapazität von 30 Megawatt haben.

Doch weil sich mit Träumen allein kein Aufsehen erregender Award auf die Beine stellen lässt - zum ersten Mal schlägt Zumtobel diesen Weg ein -, sei man nicht umhin gekommen, auch ein bereits realisiertes Projekt auszuzeichnen. „Wir möchten versuchen, den Zumtobel Award in den nächsten Jahren in der Architekturwelt zu einem anerkannten Preis zu machen“, erklärt Geschäftsführer Ludwig, „da der Award für uns in weitester Linie ein Marketingsinstrument ist, das an die Architekten gerichtet ist, darf unter den Auszeichnungen innovative und moderne Architektur nicht fehlen.“ Klare Worte.

Während man sich die Kategorie „Research and Initiative“ 60.000 Euro kosten ließ, wurde die Kategorie „Built Environment“ sogar noch höher beziffert. Für sein Federal Building in San Francisco wurden an Thom Mayne vom Architekturbüro Morphosis wohlfeile 80.000 Euro überreicht. „Wir haben uns zu diesem Projekt schweren Herzens durchgerungen. Keiner würde auf Anhieb verstehen, warum wir beispielsweise nicht eine selbst gebaute Lehmschule in Bangladesh auszeichnen“, sagt der Juror und Architekt Stefan Behnisch, „doch wir kamen zu der Überzeugung, dass es eines zeichenhaften Projekts in der westlichen Welt, in den großen Metropolen bedarf.“ Es seien die industrialisierten Länder, die für den Klimawandel hauptverantwortlich sind. „Das Projekt von Thom Mayne zeigt, wozu Architektur imstande ist und wie sie sich in punkto Nachhaltigkeit positionieren kann. Viele Kolleginnen und Kollegen bekennen sich nicht dazu.“

Thom Maynes Federal Building ist das erste Bürohochhaus in den Vereinigten Staaten, in dem man bewusst auf natürliche Belüftung gesetzt hat. 70 Prozent des Gebäudes werden natürlich belüftet, 90 Prozent der Arbeitsplätze verfügen über Tageslicht und über manuell öffenbare Fenster, Klimaanlagen tun ihre Dienste nur in den hintersten Ecken des Hauses. Das gefaltete Metallkleid im Süden spendet Schatten, bewegliche Paneele passen sich den täglichen und jahreszeitlichen Klimaschwankungen an. Hinzu kommen so genannte Skip-Stop-Aufzüge, die nur in jeder dritten Etage halten - „die gestiegene Mobilität der Menschen verleiht dem Turm die Lebendigkeit einer Straße“, heißt es im Juryprotokoll. In Summe ist es gelungen, den Energieverbrauch auf ein Minimum zu reduzieren, der Lichtbedarf ist gar auf die Hälfte gesunken. „Es hat etwas Humorvolles, dass Zumtobel ein Gebäude auszeichnet, in dem nur die Hälfte des Kunstlichts benötigt wird“, sagt Mayne, „mit jedem anderen Architekten hätte die Zumtobel Group an diesem Projekt den doppelten Umsatz gemacht.“

Werden die USA nun grün? „Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Wichtigkeit ein solches Projekt in einem republikanisch geführten Land hat“, meint Mayne, „und es ist kein Wunder, dass so ein Projekt gerade im nachhaltig orientierten Kalifornien realisiert werden konnte.“ Thom Mayne bekennt sich zum Optimismus: „Bush bleibt mit seiner Erdöl-Mentalität nicht ewig an der Macht. Schon die nächste Generation wird von Grund auf wissen, was Nachhaltigkeit alles bedeutet - nämlich ein Zusammenspiel aus Politik, Wirtschaftlichkeit, Ökologie und integrativem Sozialleben.“

Mit dem Zumtobel Group Award hat der Vorarlberger Lichtplaner und Leuchtenhersteller Zumtobel nicht nur ein Statement gemacht, sondern auch kräftig die Werbetrommel gerührt. Eine Werbekampagne mit soziopolitischem Hintergrund, die als Anstachelung an die Industrienationen gedacht ist - das ist mehr als legitim. Der Stolz der beiden Büros Morphosis und Schlaich Bergermann Solar ist ungebremst. Thom Mayne wird sein Preisgeld an die NGO Global Green USA spenden, Jörg Schlaich möchte seinen Betrag für weitere Forschungsarbeit aufwenden. Das Aufwindkraftwerk müsse endlich konkret werden. „Eines Tages wird man Aufwindkraftwerke bauen. Aber ob ich das noch erleben werde, ist fraglich.“

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