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Verwertungslogik und Inspiration
Verwertungslogik und Inspiration © Eurogate Vienna
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Auratisches Objekt oder schlicht veredelte Infrastruktur? Seit man die Künste in schöne und nützliche einteilt, führt die Architektur ein seltsames Zwitterdasein. Extreme Positionen beziehen in dieser Frage Sir Norman Foster und Daniel Libeskind. Zwei Markenartikel im Vergleichstest.

1. April 2000 - Christian Kühn
Seit man die Künste in schöne und nützliche einteilt, führt die Architektur ein seltsames Zwitterdasein. Zwar ist sie durch den Zwang zur Nützlichkeit belastet, zugleich jedoch dadurch ausgezeichnet, daß, im Gegensatz zu den anderen schönen Künsten, niemand ohne sie auskommen kann. Adolf Loos hat mit seiner Feststellung, daß außer dem Denkmal und dem Grabmal kein Bauwerk zur Kunst gezählt werden dürfe, die Demarkationslinie zwischen Kunst und Architektur zu bestimmen versucht. Das ist lange her. Kein Künstler kümmert sich heute mehr um Grenzen dieser Art, außer um sie zu verwischen.
Trotzdem - die Spannung zwischen Schönheit und Nützlichkeit verfolgt die Architektur noch immer. Während andere Kunstformen die Nützlichkeit für ihre Zwecke umformen können - wie etwa jene österreichischen Beiträge bei der letzten Kunstbiennale in Venedig, die sich als Sozialprojekte ausgaben -, hat die Architektur nach wie vor keine andere Wahl, als nützlich zu sein. Liegt ihre aktuelle Bestimmung vielleicht darin, das Nützliche zur Kunst zu erheben?

Kürzlich konnte man in Wien an zwei aufeinanderfolgenden Abenden die Vorträge zweier Architekten hören, die extreme Positionen zu dieser Frage markieren. Beide zählen zu den renommiertesten Figuren der internationalen Architekturszene: Sir Norman Foster, der nach Wien gekommen war, um einem Immobilienprojekt am Landstraßer Gürtel ein wenig Glanz zu verleihen, sprach im Rathaus vor angeblich 2000 geladenen Gästen. Daniel Libeskind hielt seinen Vortrag vor 600 zahlenden Hörern im Museum für angewandte Kunst, das einige Zeichnungen des Architekten besitzt und kürzlich Modelle für Libeskinds jüdisches Museum in Berlin in seine Schausammlung aufgenommen hat.

„Is it infrastructure or is it architecture?“ war die rhetorische Frage, die Norman Forster mehrmals in seinem Vortrag stellte, als hinter ihm Bilder des Stansted-Flughafens, des Funkturms in Barcelona oder der U-Bahn von Bilbao erschienen.
Der Unterschied hätte sich erledigt, ist Fosters implizite Antwort, mit der er die klassische Theorie des Schönen auf den Kopf stellt. Sein Leitmotiv, die Veredelung der Infrastruktur, muß vor dem Hintergrund eines „Angriffs auf die Welt der akademischen Architektur“ gesehen werden, den er - wie Martin Pawley im jüngst erschienenen Werkbuch mit dem Titel „Norman Foster - A Global Architecture“ schreibt - seit den sechziger Jahren unternimmt. Es handelt sich, so Pawley, um eine selbstbewußt „unkreative Architektur“, die das Nützliche so lange zur Perfektion treibt, bis es jede spezifische künstlerische Äußerung überstrahlt. Diese Architektur ohne Ideen läßt sich nur scheinbar leicht imitieren: Qualitätsmaßstab ist die Konsequenz der Umsetzung, und darin ist Foster seiner Konkurrenz immer um Jahre voraus.

Im Vortrag hört man viel über den Einfluß Richard Buckminster Fullers, eines der schärfsten Kritiker des architektonischen Establishments. Dessen Rolle eines Weltingenieurs versucht Foster heute weiterzuspielen, freilich längst aus dem innersten Zirkel der Disziplin heraus. Andere, weniger technologiegläubige Repräsentanten der Anti-Architektur vergißt er zu erwähnen: Cedric Price etwa oder Walter Segal, der in den fünfziger Jahren Hochhäuser mit hängenden Gärten entwarf, aber sich schließlich darauf beschränkte, für seine Kunden Selbstbau-Häuser zu entwickeln, die billig aus den Halbfertigprodukten der Bauindustrie gezimmert werden konnten.

Fosters größter Coup als Angriff auf die akademische Architektur ist das Sainsbury Center for the Visual Arts in Norwich, ein aluminiumverkleideter „Flugzeughangar“, der sich im Vergleich zum expressiven Kraftakt des Centre Pompidou in Paris auf eine glänzende, tragende und versorgende Hülle beschränkt. Die globale Ästhetik perfekter Nützlichkeit eroberte sich hier die letzte Bastion der „schönen Baukunst“, den Museumsbau. Der Erfolg scheint Foster recht zu geben. Foster Associates beschäftigt knapp 500 Mitarbeiter und hat in den letzten vierzig Jahren über tausend Projekte bearbeitet. Der so erworbene Markenname ist denn auch der eigentliche Grund für Fosters Besuch in Wien. Für die Aspanggründe, ein Areal am Landstraßer Gürtel, haben Foster Associates im Auftrag einer Investorengruppe im vergangenen Jahr eine Studie vorgelegt - zur Überraschung der Wiener Stadtplanung und des Bezirks, die nichts davon wußten, daß hier abseits der Stadtentwicklungsachsen und der Brennpunkte des öffentlichen Verkehrs ein neues Zentrum mit Hochhäusern um einen künstlichen Teich herum entstehen soll.

Städtebaulich ist das Projekt mehr als fragwürdig: Vielleicht hätte man in Linz nachfragen sollen, wo Roland Rainers Konzept für die Solar City Pichling nicht zuletzt unter Fosters Einfluß zu einem seichten Allerweltsprojekt geworden ist. Aber hier wie dort geht es nicht um Qualität, sondern um die Erfüllung einer Verwertungslogik, in Wien konkret um die Kompensation von Spätfolgen des verunglückten Expo-Projekts. Auf dem Grundstück am Gürtel sollte ursprünglich die Maschinenbaufakultät der TU-Wien entstehen. Ein Wettbewerb war entschieden und die Planung bereits weit fortgeschritten, als man sich - gegen die Interesse der zukünftigen Nutzer - entschloß, das Projekt und die damit verbundene Investition in die Donau-City umzulenken. Daß die Bundesimmobiliengesellschaft die Kosten für diese aufwendige Rochade wieder einbringen muß, ist klar, und so tritt sie jetzt zusammen mit der Donau-City-Entwicklungsgesellschaft WED, der Bank Austria und den ÖBB als Betreiber eines Projekts auf, das zumindest den Buchwert der Aspanggründe etwas freundlicher aussehen lassen soll. Foster wird seine Studie jetzt zum Vorprojekt ausarbeiten: Städtebau, wie er heute überall auf der Welt als Liegenschaftsverwertung betrieben wird, freilich mit dem nicht unbedeutenden Unterschied, daß die Investoren in Wien großteils aus dem öffentlichen Sektor kommen und daher die Renditen nicht das primäre Ziel sein müßten.

Daniel Libeskind könnte sich im Schlußsatz seines Vortrags auf diesen Fall bezogen haben: Der Boden der Stadt sei heute tatsächlich nichts anderes mehr als eine der Verwertungslogik der Investoren ausgelieferte Ansammlung von Liegenschaften. Die Fundamente seiner Architektur befänden sich freilich immer „einen Zentimeter über oder unter dieser Ebene“.

Noch vor ein paar Jahren hätten Großarchitekten wie Foster über solche esoterischen Sprüche eines Architekturprofessors, dessen Werk nur aus Zeichnungen und Modellen besteht, milde lächeln können. 1989 gewann Libeskind jedoch den Wettbewerb für das jüdische Museum in Berlin.

Mit diesem Projekt konnte er beweisen, daß seine Visionen realisierbar sind und daß er fähig ist, sie auch unter komplexesten Bedingungen umzusetzen: Das jüdische Museum hat ein halbes Dutzend Kultursenatoren und Museumsdirektoren und immer neue inhaltliche Konzepte erlebt, ohne an Qualität zu verlieren. Trotzdem blieben die Baukosten um 15 Prozent unter dem veranschlagten Budget. Heute ist Libeskind verantwortlich für eine ganze Reihe großer Kulturbauten, unter anderem für das Musicon in Bremen, das Imperial War Museum in Manchester und den Erweiterungsbau für das Victoria & Albert Museum in London.

Libeskind vertritt in jeder Hinsicht die Antithese zu den Produkten von Foster Associates: Er predigt Architektur als spezifisches Kunstwerk, als auratisches, bedeutungsvolles Objekt, das die Geschichte eines Orts vermittelt und zugleich eine eigene erzählt. Beim Imperial War Museum in Manchester ist diese Geschichte simpel und plakativ: Eine zerbrochene Weltkugel, deren Scherben zu einer Großskulptur aufgehäuft sind. Im Inneren realisiert Libes- kind ein Museumskonzept, das vor allem von projizierten Bildern getragen wird und militärisches Gerät nur sehr sparsam einsetzt. Die Dynamik neuer Medien in den architektonischen Raum zu integrieren ist seit Le Corbusiers Philips-Pavillon bei der Brüsseler Weltausstellung Ende der fünfziger Jahre kaum in dieser Konsequenz versucht worden.

Noch spektakulärer ist Libeskinds Entwurf für den Zubau zum Victoria & Albert Museum in London. Ein mit Keramikplatten verkleidetes, spiralförmig geknicktes Band windet sich zwischen denkmalgeschützten Altbauten in die Höhe und kragt weit über die Dächer des Bestands aus. Trotz dieser abstrakten Grundidee ist die innere Logik des Gebäudes bestechend: Die Erschließung ist selbstverständlich und klug geführt, die Räume sind geeignet, konventionelle Objekte zu präsentieren, wenn sie auch mehr auf eine Kunst neugierig machen, die erst im Entstehen begriffen ist.

Daß es Libeskind gelungen ist, die konservativen Kräfte in London von seinem Projekt zu überzeugen, ist eine besondere Leistung. Ausschlaggebend dafür war, daß Libeskind sich nicht auf die arrogante Position einer überlegenen Moderne zurückgezogen hat, sondern sein Projekt als „Verbindung von Inspiration und Wissen in der Tradition der großen viktorianischen Denker“ darzustellen verstand.

Die Eröffnung des Zubaus ist für 2003 geplant. „The Spiral“ - so der offizielle Name des Erweiterungsbaus - hat das Potential, zum ersten Gebäude des 21. Jahrhunderts werden.
Schade, daß es in London stehen wird, denkt man sich, nach dem Vortrag am Ronacher vorbeigehend, wo Coop Himmelb(l)au vor 13 Jahren knapp daran waren, das Millennium vorzufeiern.

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