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Wursteln im Prater
Spectrum

Nächste Woche wird in Ohio mit dem Akron Art Museum von Coop Himmelb(l)au ein neues Wahrzeichen eröffnet. Und Wien rahmt eines seiner alten in eine Kitschkulisse.

7. Juli 2007 - Christian Kühn
Manche Städte träumen vom Bilbao-Effekt. Sie laden die Oberliga unter den Weltarchitekten zu Wettbewerben ein, um ihre Stadt mit einem Projekt im internationalen Städtewettbewerb zu positionieren, so wie es Bilbao mit Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum geglückt ist. Aus Österreich spielt in dieser Liga nur Coop Himmelb(l)au mit: Nächste Woche wird ihr Akron Art Museum in Ohio eröffnet, 2009 das 100 Millionen Euro teure Musée des Confluences in Lyon. Die BMW-Welt in München, die im Oktober 2007 realisiert wird, ist auch ein Coop-Himmelb(l)au-Entwurf, ebenso der für 2011 geplante Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Es sind zwar keine kommunalen Projekte, aber sie werden zum Image ihrer Städte wesentlich beitragen. Durch direkte Vergabe haben die Architekten keinen dieser Aufträge erhalten: Jedem Projekt ging ein erster Platz in einem Wettbewerb voraus, teilweise hart über mehrere Stufen erkämpft.

Wien hatte bisher wenig Lust, sich an diesem architektonischen Städtewettlauf zu beteiligen. Hier begnügt man sich mit dem Ruhm vergangener Jahrhunderte, selbst dann, wenn es gilt, das offizielle Wahrzeichen der Stadt zu ergänzen. Der Riesenradplatz, der den neuen Eingang zum Wurstelprater bilden soll, geisterte als Projekt schon seit einiger Zeit durch die Medien, ein Konglomerat aus historischen Versatzstücken, das den Besucher mit der Storyline „Der Zauberer kehrt zurück“ ins „Wien um 1900“ versetzen soll.
Dass die Stadt bereit ist, Geld zu investieren – immerhin 16 Millionen Euro, zu denen weitere 16 Millionen aus zukünftigen Erträgen kommen sollen –, um den Wurstelprater durch diesen baulichen Auftakt zu erneuern, ist grundsätzlich klug. Die Aufwertung des Gebiets durch die verlängerte U-Bahn-Linie 2 hat eine neue Situation geschaffen, zu der eher ein hochwertiger Vergnügungspark wie der Kopenhagener Tivoli passen würde als der heutige Rummelplatz.
Das aktuelle Projekt, das bis zur EM 2008 fertiggestellt sein soll, könnte den Weg dorthin dauerhaft verbauen. Es stammt von der Firma Explore, vertreten durch den Architekten Martin Valtiner mit einem Büro in Lienz, Osttirol, das sich unter anderem mit Villenentwürfen zwischen Lederhosen- und französischem Landhausstil profiliert hat. Die letzten Mai bekannt gewordenen Pläne für den Riesenradplatz sind auf demselben Niveau, mit dem Unterschied, dass das Ausgangsmaterial aus Fassadenteilen von Schönbrunn und dem Belvedere besteht. Als Valtiner letzte Woche zusammen mit der Mentorin des Projekts, der Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska, den aktuellen Planungsstand vorstellte, gab es im Detail zwar erst ein Stück Wiener Kaffeehaus im selben Stil zu sehen: Die übrigen Teile würden analog dazu erst in Abstimmung mit den einzelnen Pächtern entwickelt. Das ganze Ausmaß des Grauens lässt sich jedoch erahnen, wenn man die Machart des Kaffeehauses auf die Baumassenstudie überträgt, die einen Komplex von immerhin 16.000 Quadratmeter Nutzfläche darstellt. Architekturkritik ist hier sicher fehl am Platz. Dass die Firma Explore in den vergangenen Jahren zwei spektakuläre Flops im Entertainment-Bereich geliefert hat, wird eher das Kontrollamt der Stadt Wien interessieren: Die „Anderswelt“ in Heidenreichstein musste nach wenigen Saisonen und 4,5 Millionen Euro Investment – ein Drittel davon Landesförderung – ihren Betrieb einstellen. Der 5,4 Millionen Euro teure „Blue-Dome“ am Wolfgangsee, im Mai 2005 eröffnet, hatte ein ähnliches Schicksal und wurde nach einer Sperre erst kürzlich, von einem deutschen Büro umgestaltet, neu eröffnet. Die Sorge, dass Wien sich mit einer womöglich auch noch dysfunktionalen Nostalgie-Inszenierung anlässlich der Fußball-EM zum Gespött machen wird, dürfte den verantwortlichen Unternehmen, allesamt 100-Prozent-Töchter der Gemeinde Wien, noch genug schlaflose Nächte bereiten.

Nicht unwidersprochen dürfen aber zwei Aussagen der Vizebürgermeisterin bei der erwähnten Pressekonferenz bleiben: Es handle sich erstens nicht um eine architektonische Aufgabe, sondern „um einen Industriebau mit vorgehängten Kulissen“, weshalb „der Fachbeirat für Stadtgestaltung nicht mit dem Projekt zu befassen sei“. Und zweitens habe die Firma Explore bei einem früheren Wettbewerb einen Preis erhalten, weshalb vom Vergaberecht her nichts gegen die Beauftragung spreche.

Zum Ersten: Wenn ein Projekt dieser Dimension vor dem Wahrzeichen der Stadt nicht vor den Fachbeirat muss, kann man ihn gleich auflösen. Dazu kommt, dass Erlebniswelten heute zu den zentralen Aufgaben der Architektur gehören. Frank Gehry hat für Disney gebaut, die BMW-Welt in München ist nichts anderes als ein automobiler Themenpark. Gut vorbereitet, könnte auf dem Riesenradplatz ein Projekt entstehen, das neue Raum-, Wahrnehmungs- und Erlebnisformen zum Inhalt hat und statt dem „Wien-um-1900“-Image eines entstehen lässt, das im 21. Jahrhundert angekommen ist.

Zum Zweiten: Wie schon ein Kontrollamtsbericht 2006 bestätigte, gab es für den Masterplan zur Entwicklung des Praters nie ein reguläres Verfahren. Zwar befasste sich der Bericht mit dem Auftrag an Emmanuel Mongon, der für sein Praterkonzept – von dem heute nicht viel mehr übrig ist als das Motto „Wien um 1900“ – schließlich 1,35 Millionen Euro plus Spesen kassierte. Dasselbe Erkenntnis gilt aber auch für die Firma Explore, die im damaligen „Ideenfindungsprozess“, in dem es weder Jury und noch klare Beurteilungskriterien gab, einen Geldpreis erhalten hat, auf den man sich jetzt beruft. Der Architekturwettbewerb – zu dem sich die Gemeinde Wien in einer vorbildlichen, im Gemeinderat einstimmig verabschiedeten Leitlinie bekannt hat – ist ein zu wertvolles Instrument, um ihn mit dem Pfusch in einen Topf zu werfen, den sich die Stadt hier geleistet hat.

Dem Vorplatz des Wurstelpraters hilft diese Erkenntnis wenig. Um den zu retten, bräuchte man heute wohl einen echten Zauberer.

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