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Tradition und Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung über den Bauhaus-Architekten Franz Ehrlich in Dessau

Eine Retrospektive in Dessau erinnert derzeit an den Architekten Franz Ehrlich. Dieser schuf in der DDR ein umfangreiches Werk, in dem die Ideen des Bauhauses weiterwirkten.

19. Februar 2008 - Jürgen Tietz
Lediglich vierzehn Jahre hatte das Bauhaus (1919–1933) Bestand. Doch diese schmale Zeitspanne reichte aus, um die Kunstschule weltweit zum Synonym für Modernität werden zu lassen. Ihr Ansehen verdankte sie nicht zuletzt ihrem Begründer Walter Gropius und dem neuartigen Ausbildungskonzept, an dem Bauhaus-Meister wie Paul Klee, Lyonel Feininger oder Wassily Kandinsky mitwirkten. Aber ganz im Gegensatz zu ihren berühmten Lehrern sind viele Bauhaus-Absolventen heute nahezu vergessen. Zu Unrecht, denn diese erste und einzige Generation von Bauhaus-Schülern hat die Nachkriegsarchitektur in den beiden deutschen Staaten entscheidend mitgeprägt.

Moderat funktionalistisch

Zu dieser Gruppe einst einflussreicher Bauhäusler gehörten unter anderem der erste Landeskonservator im Westteil Berlins, Hinnerk Scheper, sowie der Mies-van-der-Rohe-Schüler Eduard Ludwig, der an der Hochschule der Künste lehrte. Im Ostteil Berlins arbeiteten dagegen Selman Selmanagic, der an der Kunsthochschule in Weissensee lehrte, sowie Franz Ehrlich (1907–1984). Unter dem Titel «Der moderate Funktionalist» erinnert das Bauhaus in Dessau nun mit einer kleinen Ausstellung im Meisterhaus Schlemmer an Ehrlichs 100. Geburtstag. Dabei ist keine umfassende Werkschau entstanden, die das facettenreiche Werk des Bauhäuslers angemessen ausleuchtet. Vielmehr versteht sich die von Lutz Schöbe und Wolfgang Thöner kuratierte Ausstellung als ein Impuls. Ihr soll ein Forschungsprojekt zu Ehrlichs Werk folgen, dessen Nachlass am Bauhaus verwahrt wird.

Geboren in Leipzig, kam der junge Kommunist Ehrlich 1927 ans Bauhaus. Dort absolvierte er zunächst eine Gesellenprüfung als Tischler und arbeitete später zeitweise im Büro von Gropius. Zu Beginn der dreissiger Jahre entwarf Ehrlich Titelblätter für die vom Bauhaus beeinflusste Zeitschrift «die neue linie» und stellte für Naum Gabo Plastiken nach dessen Entwürfen her. 1934 wurde Ehrlich verhaftet und kam 1937 ins KZ Buchenwald. Aus dieser Zeit zeigt die Dessauer Ausstellung einen Entwurf Ehrlichs für ein Tiergehege, dessen organisch geschwungene Formen die Qualität einer abstrakten Plastik besitzen.

Auch nach 1945 behielt Ehrlich seinen vom Bauhaus vermittelten Ansatz als Generalist bei. So arbeitete er unter anderem als Chefarchitekt der Leipziger Messe, für die er zahlreiche Stände verwirklichte und einen Messeturm entwarf, der jedoch nicht gebaut wurde. Seine Möbelserie «602», die ab 1957 von den Deutschen Werkstätten in Hellerau hergestellt wurde, erhielt Einzug in zahlreiche DDR-Wohnungen. Die ausgewählten Beispiele in der Dessauer Ausstellung zeigen, dass es wunderbar luftig leichte Regale, Kommoden und Stühle waren, die sich in ihrer bewegten Eleganz in nichts von zeitgleichen Arbeiten im Westen Deutschlands unterschieden. Kein Wunder also, dass Ehrlich auch ein gefragter Innenarchitekt war. 1954 richtete er den «Club der Kulturschaffenden Johannes R. Becher» in Berlin ein, den wir leider nur noch von Fotografien her kennen. Für das kriegszerstörte Dresden erstellt Ehrlich einen nicht realisierten Wiederaufbauplan, mit einem abstrakten Karl-Marx-Denkmal auf einer Elbbrücke, das die Form eines hohen Bogens besass.
Vielseitig und harmonisch

Zu Ehrlichs wichtigsten Grossprojekten gehörten das Zentrum des ehemaligen DDR-Rundfunks in der Berliner Nalepastrasse (1951–56, mit Gerhard Probst) und die Klinik für Herz- und Kreislaufforschung in Berlin Buch. Befreit von der Doktrin der «nationalen Tradition» des DDR-Wiederaufbaus mit ihren klassizistischen Anleihen am Werk Karl Friedrich Schinkels, schuf Ehrlich 1954–56 in Buch eine bemerkenswerte Anlage im Duktus des organischen Bauens. Die auf trapezförmigem Grundriss errichteten Bauten ordnete er unter Vermeidung rechter Winkel um einen grossen und einen kleineren Innenhof an. Grosszügige Glasflächen sorgten dafür, dass die Natur auch im Inneren des Hauses unmittelbar erfahrbar blieb. Zusammen mit dem sanft geneigten Schrägdach, den Rundpfeilern, aber auch dank der Verwendung von Schieferplatten und Bruchsteinmauerwerk entstand so ein geradezu zart anmutender Bau, der Tradition und Moderne harmonisch miteinander verband und dabei eine bemerkenswerte Raumerfahrung lieferte. Die in Buch zu beobachtende Aufnahme traditioneller Architekturelemente, denen Ehrlich gleichwohl eine eindeutig moderne Erscheinungsform verlieh, kennzeichnet auch spätere Entwürfe aus den siebziger Jahren, die die Dessauer Ausstellung mit wenigen Fotos und Skizzen vorstellt. Dazu gehören eine geplante Erweiterung des Schiller-Museums in Weimar und die 1972 verwirklichte Auslandvertretung der DDR in Brüssel.

Ehrlichs individuelle Handschrift zeigt dabei, dass er sich – anders als manch einer seiner Kollegen – nicht auf das Niveau eines «Komplexprojektanten» einer industrialisierten DDR-Architektur-Massenproduktion herabstufen liess. Stattdessen stand er als einer der Erben des Bauhauses für einen ganzheitlichen Ansatz von Gestaltung. Zwar wirft die Dessauer Ausstellung nur einen schlaglichtartigen Blick auf das facettenreiche Werk Ehrlichs. Doch sie macht dabei sehr deutlich, wie dringend es geboten ist, das Œuvre dieses Bauhaus-Schülers endlich angemessen aufzuarbeiten.

[ Bis 9. März im Meisterhaus Schlemmer in Dessau. ]

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