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Mehr Sturm, weniger Ruhe bitte!
Mehr Sturm, weniger Ruhe bitte!, Foto: Pez Hejduk
Spectrum

In Wien allein gibt es mehr Avantgarde-Architekturbüros als in den ganzen Niederlanden. Freilich: Nach dem dritten Geschäftslokal den Sprung zur nächstgrößeren Dimension zu schaffen, das wird nur wenigen gelingen. Über junge und etablierte Szene – und mangelnde Debattenkultur.

20. Oktober 2001 - Christian Kühn
Auf dem Plakat steht: „Sturm der Ruhe“. Und: „What is architecture?“ Das „Architekturzentrum Wien“, kurz AzW, schon in den ehemaligen Hofstallungen angesiedelt, als es dort außer heruntergekommenem Barock, ein paar Messehallen und dem Glacis-Beisel keinerlei Attraktionen gab, liegt heute im Zentrum eines Kulturbezirks, der sich zu den zehn größten der Welt rechnet.

Entsprechend hoch hat sich das AzW die Latte für seine Eröffnungsausstellung nach der jüngsten Renovierung und Erweiterung gelegt. Warum die Frage, was Architektur ist, auf englisch gestellt werden muß, bleibt unklar. Die Antwort findet sich in der Ausstellung jedenfalls auf deutsch: „Wenn wir im walde einen hügel finden, sechs schuh lang und drei schuh breit, mit der schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst und es sagt etwas in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist architektur.“ Direkt neben diesem Zitat von Adolf Loos wird dessen Skizze für das eigene Grab präsentiert, ein Würfel aus grauem Granit.

Ewigkeit überall:„Zu den Gebirgsformationen, die sich nicht mehr aus dem Gedächtnis drängen lassen, gehört der Dachstein“, wird Laurids Ortner mit einer Inspiration zitiert, der wir den benachbarten Basaltblock des „Museums Moderner Kunst“ zu verdanken haben.

Architektur mit Ewigkeitsanspruch auch bei Raimund Abraham: „Elementare Architektur“, das Buch mit Photographien anonymer Bauten von Josef Dapra, erschienen 1963.

Ein Stück Außenwand es Kunstmuseums Liechtenstein in Vaduz: Spiegel und polierter, grünlich-schwarzer Beton. Als Gegenpol dazu das Alltägliche und Ephemere: David Franck photographiert von Kindern im Wal errichtete Hütten, Bas Princen Wohnungsinterieurs mit kunstvoll beiläufig arrangiertem Hausrat in einem Wohnbau von Riegler Riewe. Eine Vitrine dokumentiert Thomas Bernhards Bauernhof in Ohlsdorf, daneben findet sich eine Photoserie über den minimalistischen Umbau einer Farm in Essex von John Pawson. Videos zeigen unter anderem Donald Judds „Chinati Foundation“ und die „Tate Modern Gallery“ in London von Herzog und de Meuron.

Für wen diese in der Präsentation unscheinbar wirkende Ausstellung gemacht ist, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Kuratoren. Auch der Katalog – eine unkommentierte Anthologie von Texten über Körper, Raum und Subjekt – hilft nicht weiter: Wie die Auswahl zustande gekommen ist, kann mangels eines Vorworts nur geraten werden.

Hinter dieser Ungenießbarkeit blitzt jedoch die Andeutung hervor, daß die Ausstellung sehr wohl weiß, wogegen sie auftreten möchte: gegen die fortschreitende Einbindung der Architektur in die Mechanismen der Kulturindustrie, gegen die Reflexionsverweigerung jener, die Architektur auf die Formel Hochbau plus Haustechnik reduzieren möchten, gegen die Propheten der radikalen Beschleunigung.

Für das breitere Publikum sind diese Themen aber kaum nachvollziehbar, weil es in der Ausstellung nirgendwo dem angekündigten „Sturm der Ruhe“ begegnet, sondern nur einer Anzahl von Fragmenten. (Am ehesten vermag noch das Restaurant des AzW – von den französischen Architekten Lacaton/ Vassal gestaltet – diesen Eindruck zu vermitteln.) Aus demselben Grund fehlt der Ausstellung aber auch die Kraft, die potentiell höchst spannende fachinterne Debatte über diese Themen zu provozieren.

Gerade die Wiener Szene könnte von dieser Debatte profitieren. Am selben Abend, an dem im AzW die Etablierten zum obligaten Pre-Opening – Dinner geladen waren, präsentierte der Verein „Architektur in Progress“ im „Semper Depot“ ein Buch, in dem je drei Projekte von 20 „jungen österreichischen Architekten“ im Alter zwischen 30 und 50 Jahren vorgestellt werden.

Auch das Az W kümmert sich seit vergangenem Jahr um dieses Thema (die aktuelle Auflage von „Emerging Architecture“ wird derzeit in Budapest gezeigt), aber es ist bemerkenswert, mit welcher Energie die Szene selbst daran arbeitet, ihr „Sichtbarkeitsproblem“ zu lösen. Eine ähnliche Initiative ist die Ausstellung über die „innere szene wien“, die vom Verein „podroom“ initiiert und unter anderem in St.Petersburg gezeigt wurde. Als offene Plattform konzipiert, in die auch andere künstlerische Disziplinen einbezogen sind, produziert „podroom“ eine CD mit einer Projektauswahl von 44 jungen Büros, die Anfang nächsten Jahres der Zeitschrift „Wohnen “ mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren beigelegt wird. So wichtig Sichtbarkeit und Marketing sind, so können sie doch allein keine strukturellen Probleme lösen. In Wien gibt es mehr Avantgardebüros, die eine Karriere nach dem Modell von Coop Himmelb(l)au anstreben, als in den ganzen Niederlanden. Nach dem dritten Geschäftslokal den Sprung zur nächstgrößeren Dimension zu machen wird aber nur wenigen gelingen, weil die Netzwerke dafür fehlen.

Sich als Altersgruppe zu formieren, ist dafür nicht genug. Eine Debatte, in der die Jungen inhaltlich – und damit zwangsläufig auch gegeneinander – Position beziehen, könnte der Szene jedenfalls weit mehr Profil und Struktur geben. Voraussetzung für den Erfolg sind inhaltliche Konzepte, fachliche Kompetenz und geeignete Netzwerke, die weit über die eigene Berufsgruppe hinausgehen. Fehlt einer dieser Faktoren, nützt auch die beste Öffentlichkeitsarbeit nichts.

Das „Haus der Architektur Graz “hat mit seinem aktuellen Programm unter dem etwas kryptischen Titel „HDAX “– einer Anspielung auf den deutschen Aktienindex – versucht, eine Diskussion in diese Richtung auszulösen. In der soeben erschienen Publikation mit Reflexionen über den „Mehrwert“ der Architektur empfiehlt der Developer Ludwig Morasch den Architekten, sich aufs Design von Hüllen zu beschränken, der Hamburger Großarchitekt Hadi Teherani spricht vom Haus als „ganzheitlich zu gestaltender Marke“, während Joost Meuwissen die Idee des Mehrwerts künstlerischer Produktion zuerst auf John Ruskins „Politische Ökonomie der Kunst“ zurückverfolgt und dann auf den Kopf stellt: Nicht die „perfekt gelösten“ Stellen des Entwurfs, sondern die offen gebliebenen, ungelösten seien heute die wertvollen.

Mit derart kontroversiellen Debatten ist der Architektur mehr gedient als mit er Nabelschau alternder Nachwuchsarchitekten. Als Anlaß für eine solche Debatte genommen, könnte auch die Ausstellung im „Architekturzentrum Wien “– trotz aller Defizite – noch Folgen haben. Mehr Sturm, weniger Ruhe ist gefragt.

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