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Konzept Zukunft
Neue Zürcher Zeitung

Wie umgehen mit den Bauten der sechziger Jahre?

Die Architektur der sechziger Jahre steht unter starkem Druck, noch bevor sie den Weg in die Denkmallisten gefunden hat. Dabei liessen sich diese Bauten mit qualitätvollen Interventionen weiterentwickeln.

26. April 2008 - Jürgen Tietz
Begleitet von viel Lärm und einer gewaltigen Staubwolke, wurde die Sprengung des Dortmunder «Volkswohl Bund»-Hochhauses vergangenen Februar zum medialen Grossereignis. Gerade 35 Jahre waren dem skulpturalen Betonbau von Harald Deilmann beschieden. Der jüngst verstorbene Architekt gehörte zu den wichtigen Vertretern der deutschen Nachkriegsmoderne, und sein «Volkswohl Bund»-Hochhaus hatte Eingang in Ralf Langes 2003 veröffentlichte Dokumentation zu «Architektur und Städtebau der sechziger Jahre» gefunden. Mittlerweile mutet das Buch wie ein Abgesang auf eine ungeliebte Architekturepoche an: Die Bebauung am Brühl in Leipzig verschwindet ebenso wie das Kaufhaus in Suhl oder das expressive Ahornblatt in Berlin. Trotz seiner stadtbildprägenden, markant gestaffelten Fassade stand das Dortmunder Hochhaus nicht unter Denkmalschutz. Die Architektur der sechziger Jahre, so heisst es bei der lokalen Denkmalpflege, sei halt insgesamt noch nicht aufgearbeitet. Dazu fehle es an Personal und an Kriterien. Andernorts ist man schon weiter. Schliesslich gilt in der Denkmalpflege, dass nach etwa dreissig Jahren der Abstand zu den Werken einer abgeschlossenen Epoche ausreichend gross ist, damit ihr Denkmalwert gewürdigt werden kann.

Ästhetischer Generalverdacht

Doch Denkmalwert hin oder her – in der Öffentlichkeit wird die Architektur der sechziger Jahre nicht geliebt: Architektonische Grossformen, Aluminiumverkleidungen und Sichtbeton sind nur begrenzt mehrheitsfähig. Und so widmet sich auch manch ein Denkmalpfleger lieber dem Bauerbe früherer Epochen, statt sich mit der Grossstadtarchitektur seiner eigenen Kindheit auseinanderzusetzen. Die Folge ist eine Umbau- und Abrisswelle, die das Erbe einer ganzen Generation bedroht. Eine Bedrohung, die neben der mangelnden Akzeptanz durch den architektonischen Mainstream auch handfeste Gründe hat: So haben sich die technischen Anforderungen an Büro- und Geschäftshäuser in den letzten vierzig Jahren radikal verändert, eine Nachrüstung ist daher oft teurer als der Neubau. Vor allem entpuppen sich gewisse Sechziger-Jahre-Bauten als wahre Energieschleudern, die nur aufwendig zu sanieren sind. Hinzu kommt die Materialität: Sind doch die Betonstrukturen oft geschwächt und die Wände mitunter mit Asbest verseucht. Ein weiteres Problem stellen die bei der Innenausstattung verwendeten Kunststoffe dar, die spröde werden und brechen. So steht inzwischen eine ganze Epoche unter ökologischem und ästhetischem Generalverdacht. Die Konsequenz daraus sind oft gravierende Veränderungen an den Bauten – bis hin zum Abriss, noch ehe diese überhaupt die Chance hatten, als Denkmale wahrgenommen zu werden.

Dabei gibt es durchaus Strategien, um die Bauten der späten Nachkriegsmoderne baulich und künstlerisch fortzuschreiben oder sie in ihrer Materialität zu erhalten, statt sie zu zerstören. Zu den bekanntesten Beispielen einer kreativen Umformung der letzten Jahre zählt die Münchener Rück. Dem spröden Stahlbetonskelettbau der frühen siebziger Jahre haben Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle neues Leben eingehaucht: Hinter der neuen Glasfassade verbirgt sich nun ein Bürobau mit Niedrigenergiestandard. Noch intensiver haben sich Franz Romero und Markus Schaefle in Zürich sowohl bei Wohn- als auch bei Bürobauten der Architektur der sechziger Jahre angenommen und dabei immer wieder andere Ansätze gesucht: Dem jüngst umgestalteten SIA-Hochhaus von 1970 haben sie mit dem Zitat der endlosen Säule von Constantin Brancusi ein zusätzliches Fassadenrelief verliehen. Anders sind sie dagegen bei dem 1962 von Werner Stücheli errichteten Hochhaus zur Schanze vorgegangen. Dort haben sie sich für einen Eingriff an der schmalen Grenze zwischen Reparatur und Rekonstruktion entschieden: Die Aluminiumbretter der Brüstungen wurden entsprechend den originalen Vorbildern neu hergestellt. Ebenfalls erneuert werden mussten die Fenster, deren Rahmen verzogen waren. Insgesamt aber blieb trotz der zusätzlich eingebrachten Wärmedämmung die ursprüngliche Geometrie des Hauses gewahrt.

Das Hochhaus zur Schanze steht damit gleichsam stellvertretend für die Gretchenfrage bei den Bauten der sechziger Jahre: Wie hältst du es mit der originalen Bausubstanz? Denn sowohl die oft allzu dünnen Betondecken, unter denen die Stahlbewehrung vor sich hin rostet, als auch die verzogenen Aluminiumverkleidungen sowie die hohen Energiekosten der schlecht isolierten Bauten führen dazu, dass nach der Sanierung im besten Fall noch eine optische Ähnlichkeit mit dem Original übrig bleibt. Zu den Meisterwerken, von denen nach ihrer Sanierung noch nennenswerte originale Substanz erhalten blieb, gehört das BMW-Hochhaus in München. Bei der Renovation der an einen Vierzylindermotor erinnernden Architekturikone, die der Wiener Architekt Karl Schwanzer Anfang der siebziger Jahre verwirklichte, ist es dem Hamburger Architekten Peter P. Schweger gelungen, die originalen Aluminiumguss-Elemente der Fassade zu erhalten. Zugleich blieb die Grundstruktur der Grossraumbüros in den vier Kreissegmenten der Zylinder erhalten. Völlig neu sind dagegen die technischen Einbauten, und auch der Flachtrakt mit der ehemaligen EDV-Anlage wurde umgestaltet.

Annäherung an den Bestand

Eine weitere exemplarische Erneuerung wird im unweit von Dortmund gelegenen Lünen mit Hilfe der Ludwigsburger Wüstenrot-Stiftung durchgeführt. Es handelt sich um die Geschwister-Scholl-Schule, die zwischen 1958 und 1962 von Hans Scharoun in aufgelockerter Pavillonbauweise errichtet wurde. Die Schüler verfügen dort über «Klassenwohnungen» mit viel Licht und kleinem Gartenareal. Die Restaurierung des weitgehend im Originalzustand erhaltenen Komplexes durch Oskar Spital-Frenking sieht unter anderem vor, Scharouns innovatives Luftheizungssystem wiederzubeleben, das als «technikgeschichtliches Dokument» gewertet wird. Die behutsam differenzierte Annäherung an den Bestand der Lünener Scharoun-Schule weist den Weg in ein Kapitel der Baugeschichte, mit dem auch die Denkmalpflege Neuland betritt. Es betrifft die Restaurierung einst innovativer Materialien aus Kunststoff ebenso wie die denkmalgerechte Weiterentwicklung der Bauten der späten Moderne. Denn obwohl sie derzeit nur von wenigen geschätzt werden, sind sie als Stadtbausteine und Zeitzeugen unverzichtbar.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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