Artikel

Wohnen mit und ohne Knick
Spectrum

Architektinnen und Architekten werden sich in Zukunft immer öfter mit der Frage konfrontiert sehen, ob es nicht billiger geht. Wenn sie darauf keine Antwort finden, werden sie in einer elitären Marktnische enden. Zur aktuellen Wohnbaudiskussion.

18. Mai 2008 - Christian Kühn
Out there: Architecture Beyond Building“ lautet der Titel der kommenden Architekturbiennale in Venedig. Ihr Direktor, Aaron Betsky, stellte sein Konzept kürzlich im Museum für angewandte Kunst zur Diskussion. Schön wird Betskys Biennale jedenfalls. Im Arsenal wird sie „Rauminstallationen“ zeigen, unter anderem von Diller und Scofidio, Asymptote, Greg Lynn, Massimiliano Fuksas, Zaha Hadid und Coop Himmelb(l)au; und im italienischen Pavillon herrschen die „Masters of Experiment“, zu denen neben Hadid und Himmelb(l)au, die hier einen weiteren Auftritt bekommen, Frank Gehry, Herzog & De Meuron sowie Rem Koolhaas zählen.

Bei aller Schönheit ist dieses Konzept ein Schritt zurück. Es bietet den Besuchern einen Architekturzoo voller wunderbarer Einzelexemplare, statt Architektur als Teil eines Ökosystems zu zeigen, das sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch geändert hat. Die von Richard Burdett 2006 kuratierte Biennale hatte in diese Richtung gewiesen, indem sie den ins Ungeheure wachsenden globalen Bedarf nach so banalen Dingen wie einem Dach über dem Kopf deutlich machte. Statt wieder die Welt jenseits des Bauens zu verklären, hätte man sich zur Abwechslung der Frage stellen können, ob und wo Architektur unter diesen Bedingungen noch eine Rolle spielt.

Dass diese Rolle nicht mehr allein in der Verschönerung der Welt bestehen kann, hat eine aktuelle Diskussion um den heimischen Wohnbau klar gemacht. Ausgelöst wurde sie durch die Äußerung des Obmanns der Vereinigung gemeinnütziger Bauträger Österreichs, Karl Wurm, dass die Wohnbauträger „mehr Spielraum bei der Umsetzung von Architektenplänen“ bräuchten, um weiterhin günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Diese Äußerung einfach als architekturfeindliches Banausentum abzuqualifizieren, geht am Problem vorbei. Denn angesichts steigender Bau- und Bodenpreise und immer höherer Anforderungen, die dem Wohnbau in Hinblick auf minimierten Energieverbrauch, Sicherheitsstandards und „Universal Design“ – also die barrierefreie Nutzbarkeit von Bauten – aufgebürdet werden, ist die Finanzierbarkeit des Wohnens für breitere Bevölkerungsschichten tatsächlich zum Problem geworden.

Architektinnen und Architekten werden sich in Zukunft immer öfter mit der Frage konfrontiert sehen, ob es nicht „anders“, sprich: billiger geht. Wenn sie darauf keine Antwort finden, werden sie in einer elitären Marktnische enden, die nur wenigen Platz bietet. Für die Kultur des Wohnens wäre das ein fataler Rückschritt: Denn die Architektur hat in den vergangenen 100 Jahren echte Alternativen zum Wohnbau als Addition von Schachteln entwickelt. So haltbar das Klischee vom Architekten, der nicht ans Praktische denkt, auch sein mag: Wer sich ein wenig umsieht, wird selbst im sozialen Wohnbau genug Beispiele für hervorragende Grundrisse finden, raffinierte Abstufungen zwischen öffentlichen und privaten Zonen, intensivere Verbindungen zwischen Innen- und Außenraum, gut belichtete Erschließungszonen, die soziale Kontakte fördern. Wenn man dazu noch eine hohe Qualität in räumlicher und formaler Durchbildung und in der Ausführung im Detail vorfindet, hat man das Niveau eingemessen, das Architektur im Wohnbau heute erreichen kann.

Dieses Niveau unter den geänderten Rahmenbedingungen zu halten ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ein Weg besteht darin, günstigere Grundstücke für den Wohnbau zu erschließen. Der Wohnbau in Innsbruck in der Haller Straße, den Georg Pendl für die Immorent entworfen hat, ist ein Beispiel dafür. Das Grundstück ist vom Inn durch eine stark befahrene, vierspurige Straße getrennt. Das städtebauliche Konzept sieht einen zweigeschoßigen Riegel für Büro- und Geschäftsnutzungen zur Straße hin vor, auf dem vier Quertrakte mit Wohnungen auflagern.

Kommerzielle Nutzung und Wohnnutzung sind formal klar differenziert: Im Bürotrakt dominieren orthogonale Geometrien, die Wohntrakte sind beinahe verspielt ausgeformt, mit schrägen Konturen im Grundriss und einer über die Gebäudekontur bis zum Boden gezogenen Dachhülle, die einen organischen Charakter vermittelt. Die leicht geknickten Baukörper erzeugen in der vom Verkehrslärm geschützten Innenzone einen gut geschnittenen Hof mit Blick auf die Berge. Hierher orientieren sich auch die großen Balkone der Wohnungen. Dem Lärmschutz dienen speziell entwickelte, durchlüftete Schleusenräume, die den Wohnungen vorgelagert sind. Die Chance, so trotz „aggressiver“ Umgebung Transparenz herzustellen, blieb in der Ausführung leider ungenutzt: Im Rahmen seines „Spielraums bei der Umsetzung der Architektenpläne“ hat der Bauträger statt verglaster Brüstungen massive ausgeführt. Auch an anderen Stellen bleibt die Detailqualität hinter den Möglichkeiten zurück, was den Gesamteindruck aber nicht schmälert.

Einen systematischer auf Innovation angelegten Ansatz, auf die neuen Anforderungen im Wohnbau zu reagieren, kann man derzeit im steirischen Gleisberg verfolgen. Der internationale „Pilotwettbewerb für zeitgenössische Wohnarchitektur“, über den bereits berichtet wurde („Spectrum“ vom 8. September 2007), ist inzwischen entschieden. Das Siegerprojekt von Manfred Wolff-Plottegg ordnet die rund 70 geforderten Wohnungen in einem flexibel bespielbaren Raster auf drei Geschoßen an. Das Projekt überzeugt durch eine im besten Sinn pragmatische Herangehensweise, die auf visuelle Opulenz verzichtet und stattdessen Großzügigkeit auf anderer Ebene bietet, etwa mit umlaufenden Laubenzonen, deren Schatten spendende Begrünung die Baukörper einhüllen wird. Auch den Dachgärten – einem Element, das oft dem Sparzwang zum Opfer fällt – wünscht man hier ganz besonders eine Realisierung: Als schwebende Parklandschaft mit halböffentlicher Nutzung könnten sie den Bewohnern so manche Fahrt ins noch Grünere ersparen. Und jeder nicht gefahrene Kilometer ist ein positiver Beitrag zur Ökobilanz.

Projekte dieser Art könnten den Wohnbau davor bewahren, sich auf die Produktion gut gedämmter Schachteln zu reduzieren. Die aktuelle Debatte zu diesem Thema wird sich zumindest im österreichischen Pavillon auf der Biennale fortsetzen: „Wohnen als Anlass“ lautet der Titel des von Bettina Götz verantworteten Beitrags, der kritische Positionen zum Thema dokumentieren und mit einem international besetzten Symposium zur Diskussion stellen wird.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: