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Schlussstein ohne Esprit
Neue Zürcher Zeitung

Die «kritische Rekonstruktion» des Pariser Platzes in Berlin ist vollendet

Vor wenigen Tagen wurde mit dem Neubau der amerikanischen Botschaft die letzte Baulücke am Pariser Platz geschlossen. Seine «kritische Rekonstruktion» ist damit knapp zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer vollendet. Das Resultat vermag nicht recht zu überzeugen.

18. Juli 2008 - Jürgen Tietz
Gelegentlich erweist sich die Dramaturgie der Geschichte als bestechend. Zum Beispiel am Pariser Platz in Berlin. Dort hielt Ronald Reagan 1987 jene Rede, die inzwischen zu den legendären Ansprachen amerikanischer Präsidenten in der geteilten Stadt zählt. Den Platz mit dem Brandenburger Tor in seinem Rücken, forderte Reagan seinen sowjetischen Gegenspieler auf: «Mr. Gorbatschew: open this gate.» Wohl kaum einer der Zuhörer glaubte damals ernsthaft daran, dass der Eiserne Vorhang zwei Jahre später fallen würde. Doch mit der Öffnung des Brandenburger Tors wandelte sich das Symbol der deutschen Teilung zum Symbol der deutschen Wiedervereinigung. Vor wenigen Tagen nun setzten die USA mit der Einweihung ihrer Botschaft am historischen Standort erneut ein Zeichen. Schliesst diese doch die Randbebauung des Pariser Platzes.

Berlins «gute Stube»

Im Jahre 1931 hatten die Amerikaner an der Südwestecke des Platzes für ihre Botschaft das «Palais Blücher» erworben. Ein prominenter Standort – nicht nur weil die Franzosen bereits mit ihrer Vertretung am Platz zugegen waren. Auch der Reichstag und die Ministerien an der alten «Preussischen Regierungsmeile», der Wilhelmstrasse, lagen in der Nähe. Doch noch ehe die amerikanische Botschaft die Arbeit in ihren neuen Räumen aufnehmen konnte, brannte das Palais aus. Ab 1939 diente es dann doch noch als Botschaft, allerdings nur bis zum kriegsbedingten Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Nach dem Zweiten Weltkrieg erging es der Botschaftsruine wie allen übrigen Gebäuden am Pariser Platz – sie wurden abgeräumt, denn das Gelände zu Seiten des Brandenburger Tores lag im Grenzgebiet der geteilten Stadt.

Mit der deutschen Wiedervereinigung setzte eine heftige Diskussion über die Zukunft des Pariser Platzes ein, der zum Laboratorium für die von Hans Stimmann propagierte «kritische Rekonstruktion» des steinernen Berlin aufstieg. Der Senat erliess eine kleinteilige Gestaltungssatzung für die «gute Stube» der Stadt am Ende der Strasse Unter den Linden, in der die Bauhöhen und steinernen Fassadenverkleidungen festgelegt waren. Dabei war Anfang der 1990er Jahre noch nicht einmal klar, ob das Brandenburger Tor wieder «eingebaut» werden sollte – schliesslich gab es auch Vorschläge, das Tor frei stehen zu lassen und es damit hervorzuheben. Keine ganz neue Idee, war doch im 20. Jahrhundert mehrfach erwogen worden, das Tor frei zu stellen.

Doch es kam anders: Inzwischen ist das Tor wieder wie vor dem Krieg von den Häusern Sommer und Liebermann eingefasst. Josef Paul Kleihues (1933–2004), der als Vater der «kritischen Rekonstruktion» gilt, verlieh ihnen ein frei interpretiertes, klassizistisch angehauchtes Fassadengewand, das eine entfernte Erinnerung an die zerstörten Vorgängerbauten wachhält. Im Blickpunkt aber steht vor allem das frühklassizistische Brandenburger Tor mit der es bekrönenden Quadriga, ein Nationalsymbol mit Werbekraft. Ob Silvesterparty oder Fussballfest – mit schöner Regelmässigkeit wird das Tor zur Hintergrundsfolie von Grossveranstaltungen degradiert. Denn das Brandenburger Tor überstrahlt alle anderen Bauten am Pariser Platz. Dabei wirbt Christian de Portzamparcs französische Botschaft mit betongrauem Sockel, ungewöhnlichen Fensterformaten und wehender Tricolore um Aufmerksamkeit, während die historisierende Aussenhülle des neuen alten Hotels Adlon so tut, als hätte sie das 20. Jahrhundert ohne jeden Schaden überstanden. Doch das «Adlon» ist ebenso ein Neubau wie die angrenzende Akademie der Künste von Günther Behnisch und Werner Durth, in deren dunkler Glasfassade sich die anderen Bauten des Platzes spiegeln. Die Akademie ist der einzige Bau, der sich dem Diktat der Gestaltungssatzung erfolgreich widersetzt hat. Das führte zwar nicht zu einer herausragenden Architektur, jedoch zu einer gewissen Belebung der sonst allzu steinernen Platzwelt.

Grenzen der Offenheit

Nach der Vollendung des Akademie-Neubaus wartete einzig die Südwestecke des Pariser Platzes noch auf Vollendung. Zwar hatten sich die Amerikaner schon früh dafür entschieden, den alten Botschaftsstandort wieder zu nutzen, und 1996 den Entwurf des kalifornischen Architekturbüros Moore, Ruble und Yudell für die neue Botschaft ausgewählt. Doch dann kam der 11. September, der sich auch für die neue Berliner Botschaftsarchitektur als Desaster erwies. Statt auf jene freundliche Offenheit für das Publikum, die aus manchem Botschaftsentwurf sprach, setzte man nun auf Sicherheit. Zur Verbunkerung der Botschaften kamen die Polizeiaufgebote und die Strassenpoller. Einen Steinwurf vom Pariser Platz entfernt wurde die Wilhelmstrasse vor der britischen Botschaft unpassierbar gemacht. Und auch um die amerikanische Botschaft entstand ein jahrelanges Tauziehen wegen der Sicherheitsbedenken, die letztlich nicht gerade zur Verbesserung des ohnehin schon etwas muffig-postmodern anmutenden Entwurfs der aus Santa Monica stammenden Architekten beitrugen.

Streng bewacht und umzäunt, springt der Neubau der US-Botschaft auf der Tiergarten-Seite ein Stück zurück und lässt dabei sogar vom benachbarten Haus Sommer ein Stück Brandwand frei stehen. Am Pariser Platz dagegen zeichnet sich das Bauwerk durch einen wohl als keck gemeinten Schlitz in seinem steinernen Fassadenkleid aus, vor dem sich ein albernes Glasvordach in Wellenform auf und ab schwingt. Es besitzt den gleichen vorstädtischen Charme wie der aufgepfropfte Glaszylinder des Sitzungssaals auf dem Dach, der in die nächtliche Stadt hineinleuchtet. Schon vor seiner Eröffnung hat das Botschaftsgebäude für viel Häme gesorgt – daran konnten auch die ungewöhnlichen Fensterteilungen wenig ändern. Stünde das Haus irgendwo am Rand Berlins, würde man wohl achselzuckend an ihm vorbeigehen. An diesem höchst prominenten Ort aber fragt man sich, welche Botschaft die Botschaft wohl vermitteln will – ausser jene der ausgeprägten Sicherheitsvorkehrungen. Dabei sind doch gerade in den vergangenen Jahren etliche interessante neue Botschaften in Berlin entstanden. Allen voran die nordischen Botschaften am Rand des Tiergartens mit ihrem grünen Lamellenband oder die ihnen benachbarte mexikanische Botschaft, deren marmorne Pfeilerreihen wie Dominosteine umzukippen scheinen.

Dagegen versucht die neue amerikanische Botschaft gar nicht erst, dem steinernen Mittelmass des Pariser Platzes ein architektonisches Zeichen entgegenzusetzen, worum sich die französische Botschaft so standhaft bemüht. Dieser Mangel würde wahrscheinlich gar nicht auffallen, hätte nicht gleich neben der US-Botschaft ausgerechnet ein Amerikaner bewiesen, wie man trotz engen Gestaltungsvorgaben eben doch eine interessante, längst zur Touristenattraktion avancierte Architektur verwirklichen kann. Mit ihrem strengen steinernen Raster und den grossen, sprossenlosen Fensteröffnungen beweist Frank Gehrys DZ-Bank eine gelassene, fast schon klassizistische Ruhe, um sich dann im Inneren einem exaltierten Dekonstruktivismus hinzugeben. Mit diesem einzigen Meisterwerk im Schatten des Brandenburger Tors vermag der Bau von Moore, Ruble, Yudell nicht zu konkurrieren. Zwar erhielt der Pariser Platz erst mit der amerikanischen Botschaft seinen Schlussstein. Doch die architektonische Krone hatte ihm Jahre zuvor schon Gehrys Bankneubau aufgesetzt. Manchmal neigt die Dramaturgie der Architekturgeschichte eben auch zum Treppenwitz.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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