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Wenn Stümper Städte bauen
Spectrum

Ein neuer Stadtteil. Ein Architekturwettbewerb dafür. Ein eindeutiger Sieger. Aber bauen wird ein anderer. Schwaz in Tirol: Ein Skandal nimmt seinen Lauf.

4. Oktober 2008 - Christian Kühn
In alten Bergbaustädten lebt oft ein besonderer, leicht melancholischer Genius Loci, Erinnerung an große Zeiten, die diese Städte schon lange hinter sich haben. Schwaz in Tirol ist so ein Ort: in den Zeiten des Silberbergbaus im 15. Und 16. Jahrhundert größte Bergbaumetropole Europas mit 20.000 Einwohnern und – nach Wien – zweitgrößte Stadt im Reich der Habsburger. Heute hat Schwaz 13.000 Einwohner, und seine Gegenwart ist von Strukturproblemen geprägt, mit denen viele österreichische Kleinstädte zu kämpfen haben. Eines dieser Probleme ist die Verödung der alten Zentren durch Entwicklungen an der Peripherie, wo die Parkplätze billiger, die Shops bunter und die Kinos größer sind als im Zentrum.

In Tirol gibt es seit 2005 ein Raumordnungsgesetz, das diese Entwicklung eindämmen soll. Neue Shopping-Malls auf der „grünen Wiese“ sind seither kaum mehr möglich, womit Einkaufszentren in den Kernzonen wieder zum Thema werden. Schwaz hat dafür am Rand des historischen Stadtzentrums eine große Fläche anzubieten, das ehemalige Areal der Austria Tabakwerke, ein das Ufer des Inns begleitendes Grundstück von 15.000 Quadratmetern.

Als der Verkauf dieses Areals anstand, begann die Stadtverwaltung Visionen für dessen zukünftige Nutzung zu entwickeln. Das Ergebnis war zwar etwas vage, aber in der Grundtendenz eindeutig: Hier sollte ein multifunktionaler, lebendiger Stadtteil entstehen, 35.000 Quadratmeter Nutzfläche, die sich zur Hälfte auf Geschäfte, zur anderen Hälfte auf Wohnungen, ein Hotel, Büros und einen Stadtsaal für die Gemeinde aufteilen sollten. Höchste architektonische Qualität sollte durch einen Wettbewerb gesichert werden, an dessen Kosten sich die Gemeinde zu 50 Prozent zu beteiligen versprach.

Dass schließlich kein internationaler Investor, sondern ein angesehener ortsansässiger Unternehmer, Günther Berghofer, das Areal erwarb, erschien der Gemeinde als positive Entwicklung. Der neue Eigentümer verpflichtete sich, den Architekturwettbewerb durchzuführen. Unter den sechs geladenen Büros befanden sich Rüdiger Lainer, Delugan-Meissl und Henke Schreieck, in der Jury wirkten Hans Gangoly als Vorsitzender und Much Untertrifaller mit. Die Ausschreibung enthielt allerdings im Detail ein paar wenig erfreuliche Passagen: So fehlte jede Verpflichtung des Auslobers, einen Sieger tatsächlich zu beauftragen, und die Urheberrechte waren nur in Bezug auf den Entwurf als Ganzes geschützt, während einzelne Teile vom Auslober ohne weitere Abgeltung verwendet werden durften. Unter diesen Bedingungen überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen, setzt bei den Architekten hohes Vertrauen in die Seriosität des Auslobers voraus. Gefordert war nämlich nicht nur ein städtebaulicher Rahmenplan, sondern eine weitgehende Ausarbeitung der einzelnen Nutzungen auch im Grundriss. Die einzig sichere Gegenleistung dafür bestand in 7000 Euro Aufwandsentschädigung pro Teilnehmer – ein üblicher Betrag, wenn einem von ihnen am Ende der Auftrag zufällt; mit einer unverbindlichen Absichtserklärung wie in diesem Fall bewegt sich der Auslober aber hart an der Grenze zur Sittenwidrigkeit.

An den „worst case“ wollte aber vorerst niemand denken. Im Gegenteil. Der Wettbewerb endete im Frühjahr 2007 mit einem ersten und zwei dritten Preisen. Das Projekt von Marta Schreieck und Dieter Henke hatte die Jury sogar derart überzeugt, dass man auf die geplante Überarbeitungsphase verzichtete. Städtebaulich haben die Architekten tatsächlich so etwas wie eine „Ideallinie“ gefunden, indem sie die Bewegungsenergien aus dem Ortskern Richtung Inn weiterlenken, geschickt auf eine Stadtterrasse hinauf- und in eine glasüberdachte Straße mit Geschäften hineinführen. Mehrgeschoßige Baukörper sitzen auf diesem kompakten Sockel und bilden eine signifikante Stadtkante zum Fluss, die aber durch Material und Proportion der Baukörper in sich differenziert ist. Selbst in den nur ansatzweise im Detail entwickelten Schaubildern zeigen Henke und Schreieck, dass sie imstande wären, hier tatsächlich die architektonischen Maßstäbe zu erreichen, die sich die Gemeinde in ihren Visionen gesetzt hatte.

Die Freude währte nur kurz. Im Herbst 2007 kam es zu einem Konflikt mit der Gemeinde. Der Projektbetreiber warf dem Schwazer Bürgermeister, Hans Lintner, vor, durch Widmungen an anderen Standorten seine Kalkulationen über den Haufen zu werfen. Anlass war die Widmung für ein anderes Hotel gerade zu der Zeit, als er selbst Verhandlungen mit einem Hotelbetreiber führte. Marta Schreieck wurde zu einer öffentlichen Diskussion nach Schwaz geladen, in der sie die Verantwortung der Stadt nachdrücklich einforderte und sich damit beim Bürgermeister nicht unbedingt beliebt machte.

Beauftragt waren die Architekten zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht. Zwar fanden Planungsgespräche über Teilbereiche der Geschäftszonen statt, die von den Architekten geforderte generelle Präzisierung des Raumprogramms gab es aber ebenso wenig wie einen Architektenvertrag. Dieser Schwebezustand zog sich ein knappes Jahr hin, bis die Architekten schließlich vor einem Monat aus der Lokalzeitung erfuhren, dass nicht sie, sondern ein anderer Architekt, ein Wiener Spezialist für Shopping-Centers – dessen Homepage der Slogan „Gelungene Architektur ist objektiv messbar“ ziert – den Auftrag erhalten habe.

Auf Nachfrage erklärt der Vertreter des Bauherrn treuherzig, man habe eben kein Vertrauen zu Henke und Schreieck entwickelt. Der Bürgermeister bestätigt, die Anfrage des Bauherrn, ob die Gemeinde ein Problem damit hätte, wenn andere Architekten zum Zug kämen, mit der Aussage beantwortet zu haben, das sei kein Problem, solange die Qualität erhalten bleibe – ohne jede Rückfrage bei Henke und Schreieck und ohne den geringsten Versuch einer Moderation. Immerhin wäre es darum gegangen, zwei der besten österreichischen Architekten – die vor drei Wochen mit dem Hauptquartier der Erste Bank das Wiener Renommierprojekt des Jahrzehnts mit einer Bausumme von 200 Millionen Euro ans Land ziehen konnten – doch noch für Schwaz zu gewinnen. Deren einziger Fehler dürfte gewesen sein, auf einem angemessen Honorar zu bestehen und das Prinzip des „Wer zahlt, schafft an“ nicht bedingungslos anzuerkennen.

Und so soll in ein paar Wochen ein neues Projekt vorgestellt werden. Vielleicht gelingt es ja tatsächlich, die Qualität zu halten. Viel wahrscheinlicher ist, dass Schwaz um seine Vision betrogen wurde und mit einer konventionellen Shopping-Mall mit angeschlossenem Stadtsaal abgespeist wird. In alten Bergbaustädten geht es am Ende eben doch nur ums Silber.

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