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Weißbuch der Dächer
Der Standard

Der Treibhauseffekt ließe sich verlangsamen - und zwar mit weißen Dachlandschaften, die die Hitze reflektieren statt absorbieren. Doch Politik und Wirtschaft sind an einer einfachen Lösung nicht interessiert.

19. Februar 2009 - Wojciech Czaja
Vom Flugzeug aus betrachtet hat jede Stadt ihre eigene Farbe. Paris erscheint silbergrau, Rom ist in einen schillernden Ockerton getaucht und die Innenstadt von Graz erstrahlt in einem kräftigen Ziegelrot. Doch die Dachlandschaft von Großstädten hat nicht nur Auswirkungen auf das Ambiente, sondern auch auf das Klima. Was vor einigen Jahrhunderten, als die zahlreichen Palazzi und Palais gebaut wurden, noch keine Rolle spielte, stellt sich nun als wichtiger Klimafaktor heraus: Dunkle Dachflächen beschleunigen den Treibhauseffekt, da sie viel Sonnenenergie absorbieren und dadurch zur Erwärmung der Stadt beitragen.

Die Lösung für das urbane Dilemma bietet eine Studie des Lawrence Berkeley National Laboratory, die im September 2008 im Rahmen der California Climate Change Conference in Sacramento präsentiert wurde. „Paint your roof, save the planet“, lautete der Aufruf von Physiker Hasehm Akbari. Nicht auf bunte Vielfalt hatte er es dabei abgesehen, sondern auf Weiß. Wie auf T-Shirts und Autos vielfach bewiesen, senkt die helle Oberfläche die Temperatur, indem ein Großteil des Lichts reflektiert wird.

Die errechneten Einsparungen sind gigantisch: Ein durchschnittliches Einfamilienhaus mit einer Dachfläche von 100 Quadratmetern könnte im Jahr demnach rund zehn Tonnen Kohlendioxid ausgleichen. Dem nicht genug. Akbari appelliert an die Regierung der USA, in den zehn größten Ballungsräumen des nordamerikanischen Kontinents sämtliche Dächer weiß zu streichen bzw. mit weißen Materialien einzudecken.

Ein ganzer Kontinent in Weiß

Allein durch diese Maßnahme ließen sich in den USA pro Jahr 24 Gigatonnen CO2 einsparen. Das ist rund die Hälfte der weltweiten Kohlendioxid-Mengen, die Jahr für Jahr in die Atmosphäre geschleudert werden. Mit einer Ausweitung der weißen Zone auf andere Kontinente könnten die CO2-Emissionen noch stärker gesenkt werden. „Ich nenne das Win-win-win“, sagt Hasehm Akbari und nennt die drei Vorteile dieses Konzepts: „Man spart Kühlenergie ein, man reduziert den Smog und man verringert die Erderwärmung.“

Die Idee der weißen Dächer hat auch in Europa schon erste Anhänger. So malte etwa das Schweizer Unternehmen Jenni Energietechnik AG vor einiger Zeit das Dach des Verwaltungsgebäudes weiß an. „Wir haben das als PR-Aktion gesehen“, sagt Geschäftsführer Josef Jenni, „außerdem wollten wir die Politik wachrütteln und vorzeigen, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte.“ Allein, die Aktion verpuffte. Mittlerweile ist die weiße Farbe wieder ab. „Herkömmliche Farbe auf dem Dach ist nicht ganz unproblematisch“, wie Jenni betont, „hier ist der Markt gefordert, entsprechende Produkte zu entwickeln.“

Skeptisch wird die Materialfrage auch hierzulande unter die Lupe genommen. „Die Idee ist interessant und ist sicherlich eine gute Grundlage, um auch in Österreich eine derartige Studie durchzuführen“, erklärt Karin Stieldorf von der Arbeitsgruppe für nachhaltiges Bauen an der TU Wien. „Doch die eigentliche Frage lautet: Wie macht man ein Dach weiß, und welche Auswirkungen wird das auf das Stadtbild haben?“

Weiße Dächer wären nicht nur eine Herausforderung für Politik, Tourismus und Denkmalschutz, sondern auch für die gesamte Industrie. Der Großteil der bestehenden Bausubstanz ist mit Dachziegeln gedeckt. Helle Dachsteine gibt es zwar, ein weißer müsste allerdings erst entwickelt werden. Doch das Interesse ist gering. „Da wir von dieser Studie und den darin enthaltenen Überlegungen zum ersten Mal hören“, heißt es etwa seitens des österreichischen Marktführers Wienerberger AG, „können wir seriöserweise keine Aussage treffen.“

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