Artikel

Sieht so Schule aus?
Spectrum

Der lange Gang, gesäumt von Klassenzimmern, ist ein Modell des 19. Jahrhunderts. Zeitgemäßer Schulbau sieht völlig anders aus. Ein Blick nach Kopenhagen.

16. Mai 2009 - Christian Kühn
Stillstand auf Pump: So muss man die Taktik bezeichnen, mit der sich die Große Koalition im jüngsten Konflikt um die Finanzierung des Schulsystems aus der Affäre gezogen hat. Die Bundesschulen bekommen ein paarJahre lang ihre Miete gestundet, die Ruhe in den Konferenzzimmern ist wiederhergestellt, nur die Bundesimmobiliengesellschaft muss hoffen, dass die Regierung diese Schlaraffenlandlösung nicht auch anderen öffentlichen Einrichtungen in Geldnöten, wie zum Beispiel den Universitäten, anbietet.

Im aktuellen Konflikt zwischen Lehrergewerkschaft und Regierung ging es aber nur vordergründig um die Verteilung von Arbeitszeit und Geld. Im Hintergrund steht die Frage, wie viel Reform sich die Institution Schule in Österreich zumuten möchte. Dass diese Reform nötig ist, wird kaum mehr bestritten, spätestens seit die PISA-Studie gezeigt hat, dass das österreichische Schulsystem viel zu wenig aus der vorhandenen Begabung einer viel zu großen Anzahl seiner Schützlinge herausholt. Auch über die nötigen Veränderungen besteht im Wesentlichen Konsens, ganz gleich, ob die Konzepte von der Industriellenvereinigung, von Bildungswissenschaftlern oder von Praktikern kommen. Sie betreffen zum einen den organisatorischen Rahmen: verpflichtende Vorschule zur Frühförderung sowie spätere Weichenstellung in der Bildungskarriere durch ein – unter welchem Namen auch immer implementiertes – Gesamtschulmodell. Zum Zweiten geht es um eine Reform pädagogischer Prinzipien: Förderung statt Selektion als primärer Auftrag, mehr Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler, mehr fächerübergreifende Kooperation unter Einbeziehung der aktuellen Informations-und Kommunikationstechnologien.

Dass dieser veränderte Unterricht am besten in Räumen stattfindet, die mit der Schule, so wie wir sie kennen, nur noch wenig zu tun haben, zeichnet sich international immer deutlicher ab. Die Schule als Aneinanderreihung von Klassen an einem langen Gang, ergänzt um Sonderunterrichtsräume für den Kunstunterricht und die Naturwissenschaften, ist ein Modell des 19. Jahrhunderts. Die damals entstehende Massengesellschaft brachte mit der Gangschule einen Bautypus hervor, in dem Arbeitskräfte für eine neue, von der industriellen Revolution geprägte Arbeitswelt ausgebildet werden sollten. Diese Schulen waren im Wesentlichen Disziplinierungsanstalten, deren Absolventen möglichst gleichartig funktionieren sollten. Um junge Menschen für die Anforderungen einer globalisierten Wissensgesellschaft fit zu machen, sind solche Räume alles andere als ideal.

Vor allem in skandinavischen Ländern wird der Raum als „dritter Pädagoge“ (neben den Lehrern und den anderen Schülern) betrachtet und versucht, neue pädagogische Konzepte räumlich umzusetzen. Ein Trend dabei ist die Kreuzung von Hallenschule und offener Großraumschule, zwei Schultypen, die bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren populär waren. Klassenzimmer im üblichen Sinn kennen diese Schulen nicht mehr, einige – wie die Hellerup-Schule im Kopenhagener Vorort Gentofte, geplant von arkitema – kommen überhaupt ohne geschlossene Räume aus, wenn man von Turnsaal und Werkstätten absieht. Die 2003 eröffnete Hellerup-Schule bietet Platz für 750 Kinder im Alter von fünf bis 14 Jahren, also von der Vorschule bis zum Einstieg in die Oberstufe des Gymnasiums. Organisatorisch gibt es in dieser Schule nach wie vor Stammklassen, denen allerdings kein eigenerRaum zugeordnet ist. Stattdessen gibt es kleine sechseckige Paravents, die rund 25 Kinder für Phasen konzentrierten Zuhörens aufnehmen können. Drei solcher Gruppen teilen sich altersgemischt eine größere Lernzone mit frei aufgestellten Tischen und PC-Arbeitsplätzen, einer offenen Küche und einem eigenen Lehrerarbeitsraum. Gelernt wird hier in einer planvollen Abfolge von Instruktions- und selbständigen Arbeitsphasen, ohne Schulglocke, aber mit klaren Vereinbarungen.

Wer einen Vormittag an der Hellerup-Schule verbringt, ist vor allem überrascht von der ruhigen und konzentrierten Atmosphäre, in der kein lautes Wort fällt und auch der Umgang unter den Kindern entspannter ist, als man es aus konventionellen Schulen gewohnt ist. Entwickelt wurde das Konzept in einem langen Planungsprozess gemeinsam von Lehrern und Pädagogen im Auftrag der Gemeinde, die eine neue öffentliche Schule für ein Stadterweiterungsgebiet errichten musste. Betreut von einem Konsulententeam, Hanna Bohn Vinkel und Jens Guldbaek, hat die Gemeinde Gentofte inzwischen auch bestehende Schulen nach denselben Prinzipien saniert.

Dass sich das Konzept der offenen Hallenschule auch für Gymnasien eignet, hat die Stadt Kopenhagen mit dem Örestad-Gymnasium bewiesen, einer Schule für 15- bis 18-Jährige, die 2007 eröffnet wurde. Hier gibtes unterschiedlich große Vortrags- und Laborräume, die um die zentrale Halle mit offenen Arbeitszonen herum angeordnet sind. Die Ausschreibung für den Wettbewerb, zu dem unter anderem Toyo Ito und Dominique Perrault geladen waren, enthielt an quantitativen Vorgaben nur Gesamtkosten, Nutzfläche und die Anzahl der Schüler und Lehrer, dafür ein 50 Seiten starkes pädagogisches Konzept. Gewonnen hat den Wettbewerb Kim Herforth Nielsen von 3XN Architekten mit einem geometrisch raffinierten und räumlich beeindruckenden Projekt, dem man aber etwas mehr echte Rückzugsräume wünschen würde. Denn die „Lounges“ für die Schüler sind zwar bequem, aber von allen Seiten einsehbar. Die Baukosten der Schule lagen, ebenso wie bei der Hellerup-Schule, im üblichen Bereich, da durch den Wegfall der Gänge ein höherer Nutzflächenanteil erzielt werden konnte.

Auch wenn diese Beispiele heute noch extrem aussehen, stellen sie mit großer Wahrscheinlichkeit den Typus für die Schule des 21. Jahrhunderts dar. Es wird sie in unterschiedlichen Größen und Formen geben und in Kombination mit anderen Nutzungen, wie das heute etwa in Holland im Konzept der „Breiten Schule“ praktiziert wird, die mit Bibliotheken, Büros der öffentlichen Verwaltung und Wohnbau gekoppelt ist. Die Frage, auf die sich die Bildungsdebatte in Österreich zuletzt reduziert hat – zwei Stunden mehr in der Klasse oder nicht –, stellt sich in solchen Schulen nicht mehr. Nicht nur, weil es keine Klassen gibt, sondern vor allem, weil diese Schulen Orte sind, an denen man sich gern aufhält. Wenn Pädagogen, Schulverwaltung und Architekten an einem Strang ziehen, sollte das auch in Österreich möglich sein.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: