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Wo schlägt das Herz der Stadt?
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Staatstragende Kulturarchitektur oder Witz und Leichtigkeit kleiner Projekte: Was macht den Reiz einer Stadt aus? Linz09 oder: Wie eine Stadt über sich selbst nachdenkt.

10. Juli 2009 - Christian Kühn
Linz als kulturelles Herz Europas: Das hätte vor 20 Jahren kein Bürgermeister zu träumen gewagt. Anders als Graz, das 2003 so sehr in dieser Rolle aufging, dass es bis heute an den finanziellen Folgen seiner Selbstinszenierung laboriert, vermittelt Linz den Eindruck, als würde es ehrlich darüber nachdenken, wie es sich diesen Titel eigentlich verdient hat. Natürlich gibt es die großen Investitionen in Kulturbauten, von der Erweiterung des Ars Electronica Center über die neue Oper bis hin zur Erweiterung des Schlossmuseums, aber Linz 09 lebt wesentlich von der Vielzahl an Einzelprojekten, die sich der Stadt und ihrem Kulturbegriff aus unterschiedlichen Perspektiven annähern.

Ein winziges Beispiel dafür findet sich auf der Terrasse unter dem neuen „Südflügel“ des Schlossmuseums mit ihrem spektakulären Blick über Stadt und Donautal. Hier ist ein Stadtmodell aus Bronze aufgebaut, das die Stadt im Zustand des 18. Jahrhunderts zeigt. Am äußersten Ende des Modells entdeckt man ein mächtiges Bauwerk, die Wollzeugfabrik, im Kern 1726 nach Plänen des Barockbaumeisters Johann Michael Prunner errichtet. Um 1800 waren für das Unternehmen 49.000 Menschen im Umland tätig, bis es zur Tabakfabrik umgebaut und schließlich als wenig einladendes Wohnheim genutzt wurde. Ende der 1950er-Jahre wollte die Stadt das Gebäude nicht mehr erhalten und lancierte die Alternative, entweder das Stadtschloss oder die Fabrik opfern zu müssen. Wie dieser Kampf zwischen der funktionslosen Herrschaftsarchitektur im Stadtzentrum und der ebenso desolaten, aber noch immer grandiosen Industriearchitektur an der Peripherie ausgehen würde, war abzusehen: 1969 wurde die Fabrik unter Protest der Fachwelt gesprengt, während das Stadtschloss saniert und ab 1966 als Erweiterung des Landesmuseums genutzt wurde.

Der soeben eröffnete neue „Südflügel“ des Stadtschlosses schließt dessen historische Figur, wie sie bis zu einem Brand im Jahr 1800 bestanden hatte. In dem 2006 ausgeschriebenen internationalen Wettbewerb war der Spielraum für die Architekten durch die klare Empfehlung, das ursprüngliche Volumen des Schlosses nach außen nachzuzeichnen, einigermaßen beschränkt. Das Siegerprojekt der unter dem Namen HoG – für Hope of Glory – erst 2006 gegründeten Architektengruppe von Martin Emmerer, Clemenss Luser und Hansjörg Luser hielt sich an diese Vorgabe und überzeugte die Jury durchs ein raffiniertes Erschließungssystem und eine große konstruktive Geste: Statt den Vierkanter des Schlosses blockartig zu schließen, ist der Baukörper als mächtiges Brückenbauwerk ausgebildet, das über der Bastei zu schweben scheint und in seinem letzten Drittel frei auskragt. Dabei überdeckts es die Aussichtsterrasse, auf der das kleine Stadtmodell, von dem oben die Rede war, zu bewundern ist. Diese theatralische Konstruktion hat insofern Berechtigung, als sie neben dem Vortragssaal auch die Techniksammlung des Museums aufnimmt. Von diesem Niveau aus führt eine zarte, verglastes Verbindungsbrücke zum Altbau.

Auf den Niveaus unter der Terrasse liegen – in die Bastei eingegraben – die Dauerausstellung zum Thema Natur und eine große Halle für Wechselausstellungen. Verbunden werden diese Ebenen durch eine verglaste Treppenanlage, die den Hofraum sehr großzügig ins Museum einbezieht. Dass sie auf der obersten Ebene etwas abrupt endet, ist schade und Folge einer etwas unsicheren Geometrie, die hier zu einer freieren, aus der Bewegung heraus entwickelten Form finden müsste. Insgesamt ist die Erweiterung aber überzeugend, sowohl in der Verbindung von Alt und Neu als auch im Angebot attraktiver öffentlicher Räume. Die Terrasse wird sich – vom obligaten Museumsrestaurant gastronomisch versorgt – sicher zu einem neuen Treffpunkt im Herzen der Stadt entwickeln.

Aber liegt dieser Ort eigentlich noch im Herzen der Stadt? Seit Linz sich von der Donau aus immer weiter nach Süden ausgebreistet hat, müsste man dem Schloss eher eine Randlage attestieren. Rein geometrisch liegt der aktuelle Schwerpunkt der Stadt weit im Süden, ungefähr dort, wo ein anderes Projekts von Linz 09 Ende Juni seinen Betrieb aufgenommen hat. Autofahrer, die hier auf der Stadtautobahn unterwegs sind, staunen über ein gelbes Haus, das sich über dem Einfahrtspsortal eines Tunnels erhebt. Die Autobahn verschwindet hier seit 2006 unter einer Platte, sdie die beiden zuvor getrennten Stadtteile Spallerhof und Bindermichl verbindet, ein Gebiet, das nach der dominierenden Wohnsbaugenossenschaft auch WAG-Stadt genannts wird. Für die Anrainer hat dieses Verkehrsbauwerk ein kleines Wunder vollbracht: Wer zuvor einen Balkon zur Autobahn hatte, blickts nun auf einen neun Hektar großen Landschaftspark, der nur in der Mitte von einem etwas monumental und humorlos gestalteten Kreisverkehr unterbrochen wird.

Was der Park für die angrenzenden Stadtteile mit ihren 40.000 Einwohnern bedeutet, muss sich erst herausstellen. Vorerst als wohltuende Ergänzung des Bestands wahrgenomsmen, könnte er sich zur neuen Mitte entwickeln, die letztlich das Selbstverständnis des Stadtteils prägt. Genau an diesem Punkt setzts das Projekt an, das Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper für Linz 09 entwickelt haben. Das gelbe Haus ist gewissermaßen das Schloss am Ende des Landschaftsparks, zwischen dessen zwei weit ausladenden Seitenflügeln eine breite Freitreppe nachs oben und durch das Haus führt, auf eine Terrasse, von der man einen – darf man sagen: prachtvollen? – Blick über die Autobahns hat, eine Reminiszenz an die Zeiten, als genaus diese Situation für viele Anrainer Alltag war.

Das Haus beherbergt ein kleines Restaurant, einen Vortragssaal im Obergeschoß unds darüber drei winzige schwebende Zimmer, die gerade von Anrainern zusammen mit dens Architekten tapeziert werden. In den schmaslen Seitenflügeln liegen Nebenräume und Wohnungen für die „artists in residence“, die als Teil des Gesamtprojekts hier wohnen. Zur Aufgabe der Architekten gehört dabei nicht nur das Haus, dessen Baukosten mit knapp 150.000 Euro gegenüber jenen des Schlossmuseums mit 24,4 Millionen eher bescheiden sind, sondern auch dessen Bespielung mit einsem Rahmenprogramm. Bis das Haus in drei Monaten wieder abgetragen wird, sind hier über 180 Veranstaltungen zu erleben, von Talkshows mit den Anrainern bis zu Workshops und Filmvorführungen.
Ob sich die staatstragende Kulturarchitektur irgendwann vom Witz und der Leichtigkeit solcher Projekte anstecken lässt, wird man sehen. Vom „gelben Herz“ ihres Parks werden sich die Anrainer jedenfalls noch in Jahren, wenn es längst wieder der Wiese Platz gemacht hat, Geschichten erzählen.

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