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Das verlängerte Wohnzimmer
Der Standard

Wem gehört die Stadt? Was ist erlaubt? Und was ist verboten? Den Urban Hackern ist das egal. Sie nehmen in Anspruch, was ihnen gebührt. Recht so.

12. September 2009 - Wojciech Czaja
Grand Central Station, New York. Hektisch bewegt sich die halbe Stadt durch den Bahnhof, den Kaffeebecher in der einen Hand, die Tasche in der anderen, das Handy am Ohr. Lautsprecherdurchsagen, quietschende Räder, quatschender Lärm. Und plötzlich, als hätte jemand auf den Stand-by-Knopf gedrückt, erstarrt ein Teil des Publikums - und Stille.

Fünf Minuten lang stehen die Menschen reglos im Stechschritt, beim Telefonieren oder mit der frisch geschälten Banane im Mund. Etwas bang ob der entrischen Situation schleichen die Uneingeweihten zwischen den toten Menschenskulpturen umher, checken den Ernst der Lage, piksen den Pendlerkollegen zaghaft in die Schulter. Und dann, klick, wie von Zauberhand, nimmt das Treiben seinen Lauf, als wäre nie etwas gewesen. Applaus.

Die ersten Flashmobs (siehe Interview) gab es 2003. Sie sind der kurzlebige Versuch, den öffentlichen Raum, der allen und niemandem zugleich gehört, in Besitz zu nehmen und zum Wohnzimmer der Nation zu erklären. Wenn's sein muss, auch illegal.

Das derzeit in Wien stattfindende Festival paraflows 09 widmet sich ebendiesem Thema, dem sogenannten Urban Hacking. „Der Begriff Hacken hat seit den Hollywood-Filmen einen fahlen Beigeschmack“, sagt Festivalleiter Günther Friesinger, „ursprünglich war ein Hack nichts anderes als der Ausdruck für journalistisches Arbeiten mit ungewöhnlichen, unorthodoxen Mitteln. Genau darum geht es beim Urban Hacking. Um das Aufbrechen der Konventionen im städtischen Raum - und zwar ganz ohne bösen Hintergedanken.“

Wem gehört das Blumenbeet?

Friesingers Lieblingsprojekt im Rahmen des Festivals trägt den unscheinbaren Titel Interception. Dabei knackt der gebürtige Pole Roch Forowicz in einer U-Bahn-Station den Code einer Überwachungskamera und projiziert die Bilder, statt sie in die Wachstube zu schicken, direkt auf die gegenüberliegende Wand.

Doch man muss nicht unbedingt MacGyver sein. Der Wiener Künstler Bernhard Hosa beispielsweise schnappt sich Kübel, Schwamm und Seifenlauge und begibt sich damit in den Park. Mit beispielloser Hingabe macht er sich an einen städtischen Mistkübel heran, entleert ihn bis zum letzten pickigen Kaugummi und poliert das blecherne Ungetüm leidenschaftlich auf Hochglanz. Danke im Namen der Stadt.

Nützlich sind auch die Aktionen im Rahmen des sogenannten Guerilla Gardenings. Dabei werden unter anderem unhübsche, von städtischen Behörden überaus fantasielos gestaltete Blumenbeete umgeharkt und neu bepflanzt. Manchmal kommt es vor, dass aus dem Briefkastenschlitz eine unschuldige Primel ihre Blütenblätter reckt.

Niemand, aber auch wirklich niemand eignet sich die Stadt jedoch so flott und so fesch an wie die Traceure. In der vom Franzosen David Belle begründeten Sportart Le Parkour geht es um die Zurücklegung einer Wegestrecke von A nach B - und zwar auf die kürzeste und schnellstmögliche Weise. Im Idealfall handelt es sich dabei um die Luftlinie. Unbeeindruckt ob der baulichen Hindernisse, die sich einem immer wieder in den Weg stellen, sprinten die Traceure drauflos, hüpfen von einem Mauervorsprung zum nächsten, schweben schwerelos geschmeidig durch den öffentlichen Raum.

Wer hätte gedacht, dass die größte Parkour-Community dieses Landes in St. Pölten zu Hause ist? Um den Traceuren der Austrian Freestyle Foundation (AFF) angemessene Übungsmöglichkeiten zu bieten, wurde zu Beginn dieses Jahres ein löbliches Projekt ins Leben gerufen. Direkt vor dem Festspielhaus, quasi inmitten der niederösterreichischen Regierungsviertelwüste, sollte eine rund sechs Meter hohe und vielfältig nutzbare Skulptur entstehen. Optik für die einen, Turngerät für die anderen.

Übernächste Woche sollte das schöne Stück der Öffentlichkeit übergeben werden. Doch weil Österreich nun mal Österreich ist, wurde im letzten Moment ein Rückzieher gemacht. „Es war ein tolles und in der Herangehensweise sehr ungewöhnliches Projekt“, sagt Architektin Gabu Heindl, „als Erstes musste ich die unterschiedlichen Bewegungsabläufe einstudieren. Unglaublich, wozu ein menschlicher Körper imstande ist.“

Woran ist das Projekt gescheitert? „An mangelnder Sicherheit“, erklärt Gerhard Tretzmüller, zuständiger Abteilungsleiter für Gebäudeverwaltung in Niederösterreich. „Das größte Problem ist, dass da keine Versicherung mitspielt.“

Urbane Hackkunst, wie sie leibt und lebt: Den Traceuren macht das nichts aus. „Es liegt in der Eigenheit dieses Sports, dass er überall stattfinden kann“, sagen sie, „auch wenn man ihn verbietet.“

Heute, Samstag, 19 Uhr ist im Haupthof des Wiener Museumsquartiers ein MP3-Flashmob geplant. Anweisungen und Informationen dazu gibt es auf www.improveverywhere.com/ missions/the-mp3-experiments/vienna

Das Festival paraflows 09 läuft noch bis 20. September. Weitere Infos unter www.paraflows.at

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