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„Wir bauen Motoren der Vorstellungskraft“
Der Standard

Die bulgarische Baubranche schwächelt. Zur Sanierung fehlen Geld und Wille, der Neubau wiederum liegt fest in der Hand von Investoren. Architektin Rossitza Bratkova, Geschäftsführerin von Aedes Studio, wird nicht aufgeben, sagte sie zu Wojciech Czaja.

9. Oktober 2009 - Wojciech Czaja
Standard: Bulgarische Architektur vor und nach 1989, was ist anders geworden?

Bratkova: Der Wandel ist eklatant. Bis 1989 hatten die Architekten ausschließlich in staatlichen Planungsbüros gearbeitet. Eine zufriedenstellende Situation kann das nicht gewesen sein, denn sowohl die Architekten als auch die Bauherren und Investoren wurden von oben kontrolliert. Wer bauen wollte, musste sich ans staatliche Planungsbüro wenden. Und da war die Auswahl an Baustoffen sowie an erprobten und praktizierten Bauweisen sehr begrenzt. Nur um ein Beispiel zu nennen: Die staatliche Bauindustrie hatte damals fünf verschiedene Fenstertypen im Programm. Wer gebaut hat, musste aus dieser Palette wählen. Mehr Spielraum gab es nicht.

Standard: Die Bauten aus der Ära von Exdiktator Todor Schiwkow sind bis heute prägend. Wie geht man mit diesem Erbe um?

Bratkova: Das ist eine Frage, die in Bulgarien immer wieder zu politischen Diskussionen führt. Daher sage ich jetzt meine persönliche Meinung ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Viele öffentliche Gebäude weisen eine hohe räumliche Qualität auf und sind architekturgeschichtlich sehr wichtig. Diese Gebäude gehören meines Erachtens erhalten. Leider kümmert sich niemand darum, weil die Auftraggeber in der psychologischen Zwickmühle stecken. Lieber investieren sie in den Neubau. Das ist imagemäßig unverfänglicher.

Standard: Wie sieht es im Wohnbau aus?

Bratkova: Das ist die andere Facette an der Architektur in diesem Land. Wie wir alle wissen, ist das Verfallsdatum von Plattenbauten längst überschritten. Diese Wohntypologie ist heute nicht mehr vertretbar. Ich denke da nur an das Lulin-Viertel im Westen der Stadt. Mehr als 100.000 Menschen, also fast ein Zehntel der Bevölkerung Sofias, leben da. Im Gegensatz zu den öffentlichen Bauten würde ich in diesem Falle plädieren: Komplettsanierung oder sogar Abbruch und Neubau. Das Problem dabei ist, dass ein Großteil des Wohnbaus Eigentum ist. Viele können sich einen dementsprechenden Schritt in Richtung eines besseren Wohnens gar nicht leisten.

Standard: Gerade in Sofia ist der internationale Immobilienmarkt stark präsent. Wie ist die Qualität dieser Bauten?

Bratkova: Es ist paradox! Die Qualität der meisten Investorenprojekte ist miserabel. Aber diese Gebäude sind immer noch besser als diejenigen, die von heimischen Investoren und Architekten realisiert werden. Insofern könnte man sagen, dass die internationalen Investoren Schadensmilderung betreiben und mit vergleichsweise gutem Beispiel vorangehen.

Standard: Woran messen Sie die Qualität dieser Gebäude?

Bratkova: In erster Linie am Städtebau und an der Integration in den Charakter dieser Stadt. Das Problem ist der Maßstab. Im Vergleich zu vielen anderen sozialistischen Städten ist Sofia recht kleinteilig und kompakt. Die Projekte der ausländischen Investoren - oft handelt es sich dabei um riesige Komplexe - haben den Maßstab völlig verändert. Ich habe das Gefühl, sie haben die Kapazität dieser Stadt gesprengt. Die meisten Neubauareale sind dadurch unmenschlich und dementsprechend ausgestorben.

Standard: Viele ausländische Investoren bauen von der Stange. Oder aber der Auftrag geht an einen sogenannten Stararchitekten. Wo bleibt da die heimische Zunft?

Bratkova: Nach 1989 wurde ein Gesetz eingeführt, das besagt: Wenn ein ausländischer Investor in Bulgarien baut, muss er mit einem bulgarischen Architekten kooperieren. Dieser kümmert sich dann um die Anpassung an die lokalen Bauvorschriften. Nachdem in den letzten Jahren enorm viel gebaut wurde, geht es den bulgarischen Architekten gar nicht so schlecht.

Standard: Wie ist die wirtschaftliche Situation in Ihrem Büro?

Bratkova: Für Aedes Studio ist dies ein hartes Jahr. Wir haben sehr viel zu tun. Aber die Zahlungsmoral ist im Augenblick eine Katastrophe. Viele Privatinvestoren ziehen sich von einem Tag auf den anderen zurück, die Zahlungen bleiben damit aus. Bei den öffentlichen Auftraggebern ist es weniger tragisch, denn der Staat investiert eh nichts. Und wenn, dann handelt es sich um mickrige Budgets.

Standard: Ihr Bürohaus Q-Center in der Tsarigradsko-Chaussee steht kurz vor Fertigstellung. Ist die futuristische Architektur dieses Projekts ein Vorgeschmack auf die Zukunft Sofias?

Bratkova: Ja, das wäre natürlich schön! Aber nein, Sofia wird anders aussehen. Die Wahrheit ist, dass derartige Projekte unglaublich viel Kraft und viel Zeit kosten. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Wir haben ja noch genug Energie, aber ich kann gut nachvollziehen, dass viele ältere Architekten längst aufgegeben haben.

Standard: Sie geben nicht auf?

Bratkova: Wir haben eben erst angefangen! Das Büro Aedes Studio gibt es erst seit sechs Jahren. So schnell wird uns das System nicht in die Knie zwingen.

Standard: Was ist Ihr Motor?

Bratkova: Unsere Architektur. Und zwar nicht die naive Sichtweise, dass wir mit unseren Gebäuden das Land verbessern können. Ach wo, das ist eine Illusion! Aber ich bin davon überzeugt, dass wir der Bevölkerung eine Idee davon geben können, was in Bulgarien heutzutage alles möglich ist, wenn man nur will. Wir verwenden unsere Architektur sozusagen als Motor der Vorstellungskraft. Noch ist der Funke nicht übergesprungen. Aber wer weiß, vielleicht schon mit dem nächsten Projekt.

[ Zur Person: Rossitza Bratkova (32) leitet mit ihrem Partner Plamen Bratkov das Architekturbüro Aedes Studio. Das Büro ist spezialisiert auf Projekte im Wohn- und Objektbereich. ]

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