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Erst die Pragmatik, dann die Poesie
Der Standard

Kroatien ist auf dem Balkan die Hochburg zeitgenössischer Architektur

9. Oktober 2009 - Wojciech Czaja
Kein Land Europas wird bezüglich seiner Architektur dermaßen unterschätzt wie Kroatien. Eingeklemmt zwischen Bogdan Bogdanović und Jože Plečnik, zwischen Serbien und Slowenien, entwickelte es sich seit dem Zerfall des Ostblocks zur vielfältigsten Architekturszene des Balkans. Die niederländische Architekturzeitschrift A10 widmete dem Bauen an der kroatischen Küste im Juli 2008 sogar einen eigenen Schwerpunkt. „Ein Faible für Baukultur gab es in Kroatien immer schon“, sagt Marko Dabrović vom Zagreber Architekturbüro 3LHD. „Mit dem serbisch-kroatischen Krieg kam dann der große Bruch. Viele etablierte Büros sind damals von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche verschwunden.“

Und das hieß: Bahn frei für die jungen Wilden, die prompt in die großzügigen Fußstapfen ihrer Vorgänger schlüpften und die Baukultur von innen heraus revolutionierten. Kann man kroatische Architektur charakterisieren? „Zuallererst ist sie pragmatisch, in zweiter Instanz entfaltet sie jedoch eine unglaubliche Poesie“, sagt Dabroviæ und verweist auf ein Projekt seines Landsmannes Nikola Basiæ. Die sogenannte Meeresorgel in Zadar, fertiggestellt 2004, ist auf den ersten Blick nichts anderes als eine elegante, aber unaufregende Ufergestaltung aus hellem Marmor.

Die wahre Schönheit des Projekts vernimmt man mit dem Gehör. Wie bei einer Kirchenorgel befinden sich in den Sitzstufen ausgetüftelte Kanäle, die bei Luftdruck unterschiedliche, aufeinander abgestimmte Töne von sich geben. Mit jedem Wellengang wird Wasser ins Fundament gedrückt. Dieses wiederum verdrängt die Luft, die ihrerseits Musik erzeugt. Das Projekt wurde 2006 mit dem Europäischen Preis für Öffentlichen Freiraum ausgezeichnet.

Eine Hörprobe der ungewöhnlichen Architekturinstallation gibt es unter dem Suchbegriff Sea Organ auf youtube.com

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