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Auftauchen und Luft holen!
Spectrum

Schon wieder soll es einem Werk Roland Rainers an die Substanz gehen: dem Wiener Stadthallenbad. Wird die Sanierung dem bedeutenden Bau gerecht werden?

28. November 2009 - Christian Kühn
Der Aufruhr in der Szene ist groß: Schon wieder soll es einem Werk Roland Rainers an die Substanz gehen. Nach dem ORF-Zentrum am Küniglberg, dessen Zukunft unklar ist, steht als Nächstes die Sanierung des Wiener Stadthallenbades an, das praktisch zeitgleichmit dem ORF-Zentrum in den Jahren von 1971 bis 1974 realisiert wurde.

Geplant wurde am Stadthallenbad weit länger, der erste Entwurf stammt aus dem Jahr 1962, gut zehn Jahre vor dem ersten „Ölschock“, und so fehlte es dem Bad – wie vielen Bauten aus dieser Zeit – an Wärmedämmung und Isolierverglasung. Dafür war es eines von Rainers schönsten Projekten, nicht so spektakulär wie seine frühen Hallen, aber unglaublich raffiniert in Konzept und Detail. Die schräg geneigten Träger, die sich aus der Höhenstaffelung der Halle Richtung Sprungturm ableiten, geben dem Raum eine besondere Dynamik. Auch der Grundriss, an sich ein einfaches Rechteck, das der Kontur der beiden Schwimmbecken folgt, wird durch das „störende“ Element des Sprungturms in Bewegung gebracht: Die Verglasung weicht ihm in mehreren, mit der Neigung der Dachträger synchronisierten Stufen aus, während die Wettkampftribünen leicht schräg in den Raum gestellt sind, um die Blicke der Zuschauer auf die Springer zu fokussieren. Das Ergebnis ist ein pulsierender Hochleistungsraum, weder Spaßbad noch Wellness-Oase, aber seinem ursprünglichen Zweck, als Trainingsanlage für den Spitzensport zu dienen, in jeder Hinsicht angemessen.

Die architektonischen Qualitäten des Bades wurden über die Jahre in vielen Punkten beschädigt, am massivsten durch eine unglückliche Sanierung Ende der 1980er-Jahre, als die Sichtbetonteile in Vollwärmeschutz verpackt und die Verglasung durch neue Profile und Isolierglas ersetzt wurde. Dazu kommen viele weitere Veränderungen, halb zugemauerte Fenster, abgeklebte Scheiben, Anstriche, die das ursprüngliche Farbkonzept – Rot für die tragenden Stahlteile und Edelstahl für die technische Versorgung – ignorierten, und plumpe Überläufe am Hauptbecken. Jede dieser Maßnahmen mag für sich einen guten Anlass gehabt haben, vom exorbitanten Energieverbrauch bis zu neuen hygienischen Vorschriften. Trotzdem steht man heute vor einem Totalschaden, der laut einem Gemeinderatsbeschluss nun mit einem Aufwand von rund 17 Millionen Euro behoben werden soll. Die Zeit drängt: Die nächste Olympiade findet 2012 statt, und die 50-Meter-Bahnen des Stadthallenbades sind die einzigen, die unserer Schwimmerelite in Wien zur Verfügung stehen.

Als vor wenigen Wochen die Generalplanung für die Sanierung ausgeschrieben wurde, stellte sich heraus, dass keineswegs nach einer Expertise gesucht wurde, dieses Bauwerk entsprechend seinem architekturhistorischen Rang instand zu setzen. Vielmehr lag der Ausschreibung bereits ein Vorprojekt eines Ingenieurbüros zugrunde, das weitreichende Veränderungen, von einer Hebung des Hallenbodens bis zu einer Verlegung des Eingangs vorsieht. Gegenstand der Ausschreibung war dessen technische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme aus baukünstlerischer Sicht, um das Potenzial der Substanz auf Veränderung auszuloten, war nicht gefragt und auch davor, trotz umfangreicher Analysen der technischen Bedingungen, nicht erfolgt.

Dass die Verantwortlichen auf der Nutzerseite, das Sportamt der Stadt Wien, das hässliche, kaputte Bad so schnell wie möglich repariert haben wollen, ist verständlich, auch wenn Körper- und Baukultur vielleicht enger verwandt sind, als dort vermutet wird. Wie es aber so weit kommen konnte, dass die Gemeinde Wien mit ihren vielen Bau- und Kulturabteilungen erst fünf vor zwölf zu überlegen beginnt, wie man mit einem der Hauptwerke eines der wichtigsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts angemessen umgeht, ist unverständlich.

An Gelegenheiten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen, hätte es in Wien nicht gefehlt. Die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA), die Gesellschaft für Denkmalpflege der Moderne und das Architekturzentrum Wien (AzW) haben in den letzten Jahren zahlreiche Veranstaltungen organisiert, in denen die Erhaltung von prekären Bauten der Moderne zur Debatte stand. ZumKongress im AzW im Vorjahr existiert eineunter dem Titel „Schadensbilder“ im Heft 39der Zeitschrift „Hintergrund“ erschienene Publikation, in der Bruno Reichlin, einer der kompetentesten Architekturhistoriker auf diesem Gebiet, die Grundzüge eines angemessenen Umgangs mit der jüngeren Moderne darstellt. Am Anfang steht die Bereitschaft, aus dem Meer an Vorurteilen gegenüber einer für viele nach wie vor ungewohnten Ästhetik aufzutauchen, Luft zu holen, wirklich hinzusehen und in Ruhe das Potenzial solcher Bauwerke zu entdecken. Dazu gehört auch, sich mit manchen Dingen zu versöhnen, die den heutigen Anforderungennicht mehr entsprechen. Dabei geht es nicht nur ums Bewahren: Das Erbe, schreibt Reichlin „ist ein Projekt, das sich mit uns verändert“. Gerade die Moderne gelte es nicht einzumotten, sondern zu aktivieren, immer ausgehend von der Substanz, aber mit Bezug auf die Gegenwart, um das Neue ins Alte einzuschmelzen und nicht, wie es die klassische Denkmalpflege vorzieht, durch eine Fuge voneinander zu trennen.

Im Moment scheint die unmittelbare Gefahr für das Stadthallenbad gebannt. Der Aufruhr hat bewirkt, dass die Ausschreibung für die Generalplanerleistung modifiziert wurde. Ohne einschlägige architektonische Expertise und entsprechenden Entwurf für den Umbau sollte kein Konsortium mehr zum Zug kommen können. – Bruno Reichlin und andere Experten zur Denkmalpflege der Moderne sind heute bei einem von ÖGFAveranstalteten, international besetzten Kongress an der Technischen Universität Wien zu hören, der am Abend von einer Podiumsdiskussion mit Stadtrat Rudolf Schicker und dem obersten Denkmalpfleger der Stadt Wien, Friedrich Dahm, abgeschlossen wird. Ob das Sportamt im Publikum sitzt?

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