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Das Asyl im Nirgendwo
Spectrum

Warum die geplante Erstaufnahmestelle im burgenländischen Eberau miserable Architektur werden musste.

23. Januar 2010 - Christian Kühn
Auf die Architektur, erklären die verantwortlichen Beamten und ihre Planer unisono, kommt es bei diesem Projekt wohl am wenigsten an. Wer die Diskussion der letzten Wochen verfolgt hat, ist versucht, ihnen recht zu geben. Wie sich hier Landes- und Bundespolitiker, Bürgermeister und Beamte monatelang, die Landtagswahlen vor Augen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegenseitig zu überlisten versucht haben, spottet jeder Beschreibung. Als sich Anfang 2009 Gerüchte über Pläne des Innenministeriums verdichteten, eine – laut Koalitionspakt „im Süden Österreichs“ zu errichtende – zusätzliche Erstaufnahmestelle für Asylwerber ins südliche Burgenland zu legen, brach am rechten politischen Rand stille Freude aus. Korrekt vorbereitet, geplant und abgewickelt, würde ein solches Projekt 2010 ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gelangen. Das Thema Asyl zeitgerecht in die Vorwahlzeit geliefert zu bekommen war aus rechter Perspektive ein Geschenk.

Da weder von der SPÖ noch von der ÖVP, die im Burgenland gemeinsam die Landesregierung bilden, eine offizielle Unterstützung für das Projekt zu erhalten war, begann das Ministerium, auf der Ebene der Gemeinden Werbung zu machen und ohne Einbindung der Landesregierung nach einem Standort zu suchen. Als das auf Landesebene bekannt wurde, reagierte die SPÖ im Herbst 2009 mit einem Antrag auf Änderung des burgenländischen Raumordnungsgesetzes, um für die Errichtung von Erstaufnahmestellen eine Sonderwidmung durch das Land zur Voraussetzung zu machen. Am 28. Oktober 2009 beschloss der von der SPÖ mit absoluter Mehrheit dominierte Landtag diese Änderung. Die achtwöchige Frist bis zu deren Inkrafttreten nutzte das Innenministerium seinerseits für eine geheime Kommandoaktion. Es fand im Bürgermeister von Eberau einen Partner, der bereit war, innerhalb dieses Zeitfensters eine Baubewilligung für die gewünschte Nutzung zu erteilen. Ein privater Mittelsmann, der als Grundstückskäufer und Bauwerber in das Unternehmen einstieg, war ebenfalls rasch gefunden. Was noch fehlte, war ein Planer, der in nur drei Wochen einen Einreichplan für das Projekt mit knapp über 10.000 Quadratmeter Nutzfläche erstellen konnte. Ein befugter Architekt fand sich dafür nicht, aber ein Salzburger Innenarchitekt, der im Burgenland schonmit dem Magna Verwaltungszentrum in Oberwaltersdorf Spuren hinterlassen hat, traute sich die Aufgabe offenbar zu. In Arbeitsgemeinschaft mit einem Ingenieurkonsulenten für Bauwesen entwickelte er ein möglichst unscheinbares Projekt im „burgenländischen Stil“, auf expliziten Wunsch des Eberauer Bürgermeisters, wie auf Nachfrage betont wird. Am 18. Dezember 2009 wurde die Baubewilligung für das Projekt erteilt.

In einem offenen Brief an die Innenministerin haben die führenden Vertreter der österreichischen Architekten- und Ingenieurkammer, Georg Pendl und Walter Stelzhammer, darauf hingewiesen, dass eine solche Vorgehensweise den Mindeststandards einer guten Planung eklatant widerspricht. Schon aus der Perspektive der Raumplanung führe keine Camouflage als „burgenländische Architektur“ an der Frage vorbei, wie eine solche überall ortsuntypische Nutzung in die bestehenden Siedlungsstrukturen, aber auch in die „mentalen Landkarten“ der Bürger einzugliedern wäre. Die weiteren Schritte im Genehmigungs- und Bauverfahren mit Tricks zu umschiffen sei widersinnig, weil sie der Qualitätssicherung und der Einbindung der betroffenen Öffentlichkeit dienten. Schließlich sei auch das architektonische Ergebnis des planerischen Eilverfahrens, das man nur als dumpf-dreiste Anlage mit formalen Ähnlichkeiten zur Lagerarchitektur autoritärer Systeme bezeichnen könne, nicht der Aufgabe angemessen, Flüchtlingen eine würdige Behausung zu geben. – Tatsächlich ist die scheinbare Unscheinbarkeit des Entwurfs höchst signifikant. Die Aufgabe ist ja alles andere als simpel. Funktional umfasst sie einen behördlichen Teil mit Polizeistation, Räumen für die medizinische Versorgung und für die Asylbehörden sowie einen Wohnteil, in dem bis zu 300 Asylwerber unterschiedlicher Nationen, Kulturen und Altersgruppen für einige Wochen unterzubringen sind. Diese Bewohner haben in der Regel eine strapaziöse Reise hinter sich, für die oft sie ihre Ersparnisse in einen Schlepper investiert haben, und sind in den meisten Fällen traumatisiert. Kasernenatmosphäre ist das Letzte, was diese Menschen brauchen. Dass der Entwurf für Eberau mit seinem Appellplatz, dem kleinen Wächterhäuschen und der Blut-und-Boden-Architektur frappant an die Mannschaftsquartiere von NS-Lagern erinnert, mag ein trauriger Zufall sein. Dass sich hinter solchen Fassaden aber keine Räume befinden, die es Menschen erleichtern, den Boden unter den Füßen wiederzufinden, ist aber ebenso offen- wie absichtlich.

Das Innenministerium hat mit dem Bundesjustizzentrum in Leoben, einer Kombination aus Gericht und Strafvollzugsanstalt, bewiesen, dass es für solche Aufgaben neue Wege beschreiten kann, und dafür auch international Anerkennung erhalten. Auch das Leobener Gefängnis sperrt ein, aber die Architektur ist dort keine Strafe, sondern ein Medium der Resozialisation. Um wie viel mehr müsste sich eine neu geplante Erstaufnahmestelle, die eben kein Gefängnis ist, selbst wenn die Innenministerin schließlich doch einen Zaun rundherum errichten will, vom Bautypus der Kaserne abheben.

Das würde allerdings voraussetzen, dass man auf die Art, wie Österreich Asyl gewährt, auch stolz sein will. Nach dem Ungarnaufstand 1956 und dem Prager Frühling 1968 war das kein Problem. Auch heute könnte man darauf verweisen, dass Österreich etwa 2008, gemessen an der Bevölkerungszahl, mehr Flüchtlingen Asyl gewährt hat als jedes andere europäische Land und dafür auch viel Geld aufwendet. Und dass eine neue Erstaufnahmestelle nicht nur die österreichischen Bewohner von Traiskirchen entlastet, sondern auch die Situation der Asylwerber verbessert. Das Argument, niemand dürfe in Österreich Asyl erhalten, solange es noch einen einzigen Obdachlosen mit österreichischem Pass gebe, müsste man dann jedoch den Populisten am Rand des politischen Spektrums überlassen.

Wäre das ein Verlust? Ein neues Erstaufnahmezentrum könnte ein Symbol für eine intelligente, humane und treffsichere Asylpraxis werden. Das zumindest vorerst gescheiterte Projekt in Eberau ist schon heute ein Symbol: für einen armseligen Populismus der Mitte, der in Wirklichkeit nur den Rechten in die Hände arbeitet.
[ Am 10. Februar, 19 Uhr, veranstaltet der Verein„Orte“ in St. Pölten, Bene AG, Josefstraße 46 a, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Bauen für Asylsuchende“. Moderation: Peter Huemer. Infos siehe Link. ]

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