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9½ Quadratmeter
Der Standard

Wie baut man ein Gefängnis? Die Wiener Architektin Andrea Seelich stellte sich diese verzwickte Frage und liefert die Antworten nun in einem Buch. Ein Gespräch mit der Autorin.

30. Januar 2010 - Wojciech Czaja
Standard: Gefängnisse. Warum Gefängnisse?

Seelich: Ich bin in Prag geboren. Die Gefangenschaft innerhalb des Eisernen Vorhangs war mir schon als Kind suspekt. Bei meiner Diplomarbeit an der Akademie der bildenden Künste in Prag habe ich nicht so wie die anderen Studenten eine postkommunistische Luxusvilla entworfen, sondern ein Gefängnis. Die größte Schwierigkeit an dieser Materie hat sich schon damals gezeigt: Weder in Tschechien noch in Österreich gibt es irgendwelche Unterlagen beziehungsweise Vorschriften zur architektonischen Gestaltung dieser Bauten. Auch sonst wird das Thema totgeschwiegen. Auf den Architekturschulen ist der Strafvollzugsbau schon vor mehr als 150 Jahren aus dem Lehrplan gestrichen worden.

Standard: Es gibt in Österreich 28 Justizanstalten. Wie viele davon kennen Sie von innen?

Seelich: Ich schaue mir Strafvollzugsanstalten an, wo es nur geht. In der Tschechischen Republik, wo sie ja großteils das bauliche Erbe der Monarchie sind, habe ich alle 35 Anstalten besichtigt und analysiert. Von den 28 Gefängnissen in Österreich kenne ich fast alle.

Standard: Wie fällt Ihr Urteil aus?

Seelich: Ich fange mal mit der Software an. Ein grundlegendes Verständnis für einen humaneren Strafvollzug ist in den österreichischen Gesetzesgrundlagen definitiv vorhanden - und zwar mehr als in anderen europäischen Ländern. Das liegt vor allem an der Forensischen Psychologie, die in Österreich einen großen Stellenwert einnimmt. Die Erkenntnisse haben ihren Weg bis in die kleinsten Bereiche gefunden. Nur ein Beispiel: Die Dienstkleidung der Justizwache in den tschechischen Gefängnissen ist aus Polyester, die österreichische Justizwache trägt Baumwolle.

Standard: Und in puncto Architektur?

Seelich: Die Architektur hinkt den Erkenntnissen der forensischen Disziplinen zwar weit hinterher, aber im internationalen Vergleich betrachtet sind die Gefängnisanstalten in Österreich ganz passabel. In diesem Zusammenhang möchte ich aber betonen, dass die Qualität nichts damit zu tun hat, ob es sich um einen Altbau oder um einen Neubau handelt. Alte Gefängnisse funktionieren oft besser als neue.

Standard: Was macht die Qualität eines Gefängnisses aus?

Seelich: Ein Gefängnis beinhaltet zwei große Personengruppen, deren Bedürfnisse und Vorstellungen einander auf den ersten Blick stark widersprechen. Die Insassen wollen hinaus, das Personal hindert sie daran. Die Aufgabe des Architekten ist es, derartige Widersprüche unter Beachtung sämtlicher Sicherheitsaspekte baulich unter einen Hut zu bringen. Das Wichtigste ist jedoch, den Häftlingen und dem Personal eine würdevolle und angenehme Architektur zu bieten.

Standard: Konkreter bitte!

Seelich: Die heutigen Gefängniszellen sind mit bestimmten Möbeln, Sanitärgegenständen, Freizeit-Utensilien und vielen persönlichen Gegenständen ausgestattet. Für all diese Gegenstände und deren Nutzung braucht man eine gewisse Mindestgröße. Im Zuge einer Studie für das Bundesministerium für Justiz bin ich zum Schluss gekommen, dass ein Haftraum zwischen 9,5 und zwölf Quadratmetern groß sein sollte.

Standard: Kinderzimmer im sozialen Wohnbau haben 11 bis 14 Quadratmeter. Ein Erwachsener, der 23 Stunden am Tag in seiner Zelle sitzt, soll mit weniger auskommen?

Seelich: Es wäre schön, wenn man den Gefängnisbau mit sozialem Wohnbau vergleichen könnte, aber das ist leider utopisch. Sie dürfen nicht vergessen, von welcher Ausgangsbasis wir hier ausgehen! In den meisten Gefängnissen in Europa, die heute immer noch in Betrieb sind, sind die Zellen nicht größer als sechs bis acht Quadratmeter. Jedes Alzerl mehr ist ein großer Gewinn. Trotzdem: Viel wichtiger wäre es, die Insassen aus den Zellen hinauszuholen und ihnen sinnvolle Tätigkeiten zu ermöglichen.

Standard: Welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es sonst noch?

Seelich: Die Menschen brauchen genügend Tageslicht, frische Luft, Freiraum und Privatsphäre. Eine Diskussion, die schon sehr lange währt, betrifft die Duschen: Einzeldusche oder Gemeinschaftsdusche? Unter dem Vorwand der Wirtschaftlichkeit wird in vielen Anstalten für die Gruppendusche plädiert. Das geht natürlich auf Kosten der Privatsphäre. Offenbar hat sich noch nicht herumgesprochen, dass es zig technische und organisatorische Möglichkeiten gibt, um auch in einer Einzeldusche ressourcenschonend und wirtschaftlich mit Wasser umzugehen.

Standard: Stichwort Komfort: In einigen Justizanstalten in den USA kriegt man gegen Aufpreis feine Bettwäsche, Fernsehen und Freigang. Wie stehen Sie zu diesem Pay-to-stay-Modell?

Seelich: Dinge wie Fernsehen, Benützung von Privatgegenständen und Sportartikeln, aber auch Ausgänge gelten in Österreich als Vergünstigungen und können nur aufgrund des Verhaltens beeinflusst werden. Zwischen armen und reichen Insassen wird also nicht unterschieden. Das Strafvollzugssystem in den USA ist anders aufgebaut. Es basiert auf einer gewissen immanenten Brutalität, wie man sie aus diversen Blockbuster-Filmen kennt. Das entspricht der Realität! Die Einführung einer Zweiklassengesellschaft begünstigt dieses brutale System. Die Folge sind soziale Spannung, Korruption und Gewalt. Von Resozialisierung keine Spur. Eine Katastrophe.

Standard: Darf und soll eine Strafanstalt ein Ort des Wohlfühlens sein?

Seelich: Es darf, es soll und ja, es muss! Es ist mittlerweile belegt, dass sich schlechte Architektur auf die Aggression von Insassen und Personal auswirkt, in Folge auch auf die Anzahl der Krankenstandstage des Personals. Es ist weder den Menschen in den Gefängnissen noch den Menschen außerhalb der Gefängnisse geholfen, wenn nach fünf, zehn oder 20 Jahren ein Mensch in die Freiheit entlassen wird, der traumatisiert, psychisch krank oder rückfällig ist. Unterm Strich ist jede Investition in den Strafvollzug gelebter Opferschutz.

Standard: Als 2004 die Justizanstalt Leoben von Architekt Josef Hohensinn fertiggestellt wurde, hagelte es Freude und Kritik. Die Rede war von „Designerhäfen“, „Architektenknast“ und „Fünfsternehotel“. Das widerspricht Ihrer Aussage völlig.

Seelich: Die meisten Menschen in Österreich verstehen nicht, dass man für einen Gefangenen auch nur einen Cent ausgibt. Sie denken kurzfristig und empfinden Angst und Ärger. Jeder einzelne Neubau ist in deren Augen rausgeschmissenes Geld. Hier bedarf es massiver Aufklärung.

Standard: Die wie aussehen könnte?

Seelich: Pro Jahr werden in Österreich 320 Millionen Euro für den operativen Strafvollzug ausgegeben. Ein Gefängnisneubau kostet rund 50 Millionen Euro. Solche Relationen sollte man der Öffentlichkeit anschaulich machen.

Standard: Mit Leoben wurde ein Stein ins Rollen gebracht. Entspricht das dem Knast von morgen?

Seelich: Ich habe eine Studie dazu gemacht und unterliege aus diesem Grund der Verschwiegenheitspflicht. Ich kann nur so viel verraten: Vom Prinzip her ist Leoben das mit Abstand innovativste Projekt der letzten Jahre. Ähnlich innovative Anstalten in Innsbruck, Eisenstadt und Berlin sind bereits fertiggestellt beziehungsweise befinden sich gerade in Entwicklung. Ich denke, dass sich anhand dieser Bauvorhaben eine gewisse Tendenz ablesen lässt.

Standard: Die Innenpolitik gibt derzeit aber einen ganz anderen Tonfall vor. Innenministerin Fekter will sogar eine Anwesenheitspflicht für Asylanten einführen. Stichwort Eberau. Das klingt alles andere als innovativ.

Seelich: Die derzeitige Regierung sagt: „Lieber Österreicher, du hast Angst vor diesem Fremden? Na gut, wir sperren ihn weg.“ Stattdessen sollte sie aber sagen: „Du hast Angst vor Sinti, Roma, Rumänen, Pakistani und Nigerianern? Warum eigentlich?“ Das Ziel muss sein, die Angst zu schmälern und nicht zu stärken, indem man Menschen einsperrt, die um Asyl, also um Hilfe bitten. Zur völligen Vermischung von Asylheimen, Gefängnissen und Schubhaftanstalten wäre es dann nur noch ein kleiner Schritt. Noch inhumaner für alle Beteiligten geht's wohl kaum.

[ Buchtipp: Andrea Seelich, „Handbuch Strafvollzugsarchitektur. Parameter zeitgemäßer Gefängnisplanung“. EUR 69,95 / 312 Seiten. Springer Verlag, Wien / New York 2009 ]

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