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Ein Gehry nach dem Sturm
Der Standard

„Katrina“ und ihre Folgen: Im Rahmen der Spendenaktion „Make It Right“ erhalten die Bewohner des Lower Ninth Ward im Osten von New Orleans ihre Häuser zurück - und was für welche! Eine Zwischenbilanz.

6. Februar 2010 - Wojciech Czaja
29. August 2005. „Katrina“ war der kostspieligste Atlantik-Hurrikan aller Zeiten. Der Gesamtschaden betrug rund 125 Milliarden Dollar. „Als ich das erste Mal nach der Naturkatastrophe in New Orleans war“, sagte Brad Pitt im Interview mit der amerikanischen Zeitschrift Architectural Digest, „konnte ich kaum fassen, dass innerhalb eines halben Jahres noch immer nichts geschehen war, ich konnte nicht fassen, dass das unser Amerika sein sollte.“

Das Bild, das sich dem Schönling einprägte, war Startschuss für einen außergewöhnlichen „fight club“, nicht im Film, sondern in Wirklichkeit. Losgelöst von Regierung und Stadtverwaltung trommelte Herr P. seine engsten Freunde und Architekten zusammen, darunter auch das Berliner Schicki-Büro Graft, und gründete eine Foundation zum Wiederaufbau des unter dem Meeresspiegel liegenden und somit völlig zerstörten Viertels Lower Ninth Ward im Osten der Stadt. Der Titel seiner Stiftung, die es auf die Lukrierung von Spendengeldern und in weiterer Folge auf den Wiederaufbau von 150 Wohnhäusern abgesehen hat, zeigt den USA den Stinkefinger: Make It Right.

Erstmals ist das Projekt in einer kleinen, überschaubaren, aber informativen Ausstellung in Österreich zu sehen. Im Gegensatz zu den bisherigen medialen und öffentlichen Ereignissen rund um Make It Right steht diesmal jedoch nicht die halbe Brangelina im Rampenlicht, sondern die Architektur. „Nein, Brad Pitt ließ sich entschuldigen und war bei der Eröffnung leider nicht anwesend“, witzelt Matthias Böttger, Kurator der Ausstellung und interimistischer Leiter des Innsbrucker Architekturhauses aut, „wir konzentrieren uns lieber auf die architektonischen Inhalte und auf die Dokumentation des bisherigen Projektfortschritts.“

Der da wäre: Von den 150 Einfamilien- und Duplexhäusern, die im Lower Ninth Ward in den kommenden Jahren realisiert werden sollen, sind rund 20 Stück fertiggestellt und längst bewohnt. Weitere 20 befinden sich derzeit in Bau. Die Entwürfe für die Häuser stammen nicht etwa vom Baumeister ums Eck, sondern von namhaften lokalen, nationalen und internationalen Architekturbüros wie etwa Frank Gehry, Thom Mayne, David Adjaye, Hitoshi Abe, Shigeru Ban und MVRDV. „Die Mischung der Architekten basiert auf einem Auswahlverfahren“, sagt Graft-Architekt Lars Krückeberg im Gespräch mit dem Standard, „in der ersten Runde im Jahr 2006 wurden 14 Büros ausgesucht, in der zweiten Runde, die wir letztes Jahr gestartet haben, sind nun weitere sieben mit dabei.“

Die vorgegebenen Baukosten, an die sich die Architekten zu halten haben, liegen bei 100 Dollar pro Square Foot, das sind rund 790 Euro pro Quadratmeter. Die Tatsache, dass sämtliche Häuser wegen der permanenten Hochwassergefahr um fünf bis acht Fuß aufgeständert werden und über einen eigenen Fluchtdachboden mitsamt Ausstiegsluke für den Notfall verfügen müssen, macht die Sache nicht einfacher.

„120.000 Euro für ein 150-Quadratmeter-Haus, das ist nicht nur schlank, sondern ausgesprochen dürr“, meint Krückeberg. Für einen Architekten, der es sonst womöglich gewöhnt ist, um die vier- bis fünffache Summe bauen, sei das eine ziemliche Herausforderung. „Es ist ein ununterbrochenes Learning by Doing. Beim zweiten, dritten Haus sind wir budgetmäßig dann meist dort angelangt, wo wir auch hinmüssen.“

Schwimmen gegen die Flut

Trotz niedriger Baukosten sind die Häuser alles andere als langweilig. Ganz im Gegenteil. Das Spektrum reicht vom klassischen Shotgun-Typus, in dem die Zimmer, den schmalen und langen Grundstücken folgend, hintereinander aufgefädelt werden, übers japanische Atriumhaus mit hübscher Zypresse in der Mitte bis hin zum schwimmenden Ponton vom kalifornischen Architekten Thom Mayne. Als einziger Planer entging er der Vorschrift, das Haus um ein Geschoß anzuheben, indem er es einfach auf einen wasserdichten Stahlkoffer stellte. Kommt die Flut, beugt sich das Haus den physikalischen Gesetzen und mutiert zum Schiff. Sämtliche Zuleitungen und Verkabelungen sind flexibel verlegt und machen mit, was das Wasser befiehlt. Eine integrierte Führungsschiene sorgt dafür, dass das Haus nicht davontreibt.

„Das Angebot ist attraktiv, und die Projekte sind sehr innovativ“, sagt Krückeberg, „vor allem in den USA ist diese Form des suburbanen Siedlungsbaus eine absolute Neuheit.“ Jedes einzelne Haus ist mit Fotovoltaikanlage und Regenwasserzisterne ausgestattet. Außerdem wurde darauf Wert gelegt, zum größten Teil mit recycelbaren beziehungsweise bereits recycelten Materialien zu bauen. Das Ergebnis ist nicht nur eine Green Certification, die an der Hausmauer klebt, sondern auch eine Strom- und Gasrechnung mit weniger als zehn Dollar im Monat.

„Das Wichtigste sei es doch, den Lower Ninth Ward so schnell wie möglich wiederaufzubauen, haben wir von den Behörden und Medien immer wieder zu hören bekommen. Wozu dann die ganze Ökologie! Poor people don't give a shit about green tech!“ Das sei der Tenor auf den Ämtern gewesen, erinnert sich der Architekt. „Die Wahrheit ist doch, dass es gerade die Armen sind, die in ihrem Alltag von einer solchen ressourcenschonenden und kostensparenden Maßnahme am meisten profitieren. Wo sonst macht es Sinn, ein Exempel zu statuieren, wenn nicht hier in dieser Gegend?“

Abschließende Frage: Wie werden die 150 Einfamilienhäuser finanziert? „Das ist ein kompliziertes Procedere“, antwortet Thomas Willemeit, Architekturpartner bei Graft, "in vielen Fällen sind die Versicherungsbelege und Wertpapiere durch „Katrina“ nämlich spurlos verschwunden. Manchmal handelt es sich dabei um jahrzehntealte Dokumente, die nicht einmal noch digitalisiert waren."

Eine eigene Abteilung bei Make It Right kümmert sich darum, dass die Leute zu jenen Versicherungsausschüttungen und staatlichen Katastrophenfonds gelangen, die ihnen per Gesetz und Vertrag auch zustehen. „Im besten Falle schaffen es die Familien, auf diese Weise 80 Prozent des Baubudgets auf die Beine zu stellen. Meist ist es jedoch viel, viel weniger, meist ist es nicht einmal die Hälfte“, sagt Willemeit.

Für die fehlende Differenz, für die nötige Infrastruktur auf den Straßen sowie fürs gesamte Handling des Projekts werden Gelder aus dem Spendentopf herangezogen. Der bisherige Spendenetat von Make It Right beträgt rund 30 Millionen Dollar.

Ausstellung:
Graft: Make It Right. Pink Project, im: aut architektur und tirol, Lois-Welzenbacher-Platz 1, 6020 Innsbruck. Dienstag bis Samstag jeweils ab 11 Uhr. Zu sehen bis 13. März 2010. www.aut.cc

Buchtipps:
Kristin Feireiss (Hg): Architecture in the Times of Need. Make It Right. Rebuilding New Orleans' Lower Ninth Ward, Prestel-Verlag, München 2009, 488 S. / € 30,80

Mark Gilbert, Kristian Faschingeder: After The Storm. A Gentle Manifesto for a Neighborhood in New Orleans, Schlebrügge Editor, Wien 2009, 84 S. / € 24,00

Gerhard Blechinger, Yana Milev (Hg.): Emergency Design, Designstrategien im Arbeitsfeld der Krise, Springer-Verlag, Wien 2008, 172 S. / € 34,95

Infos und Spendenportal:
www.makeitrightnola.org

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