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Rezept zur grünen Tablette
Der Standard

Das Krankenhaus Wien Nord wird von einem üppigen Garten umgeben sein. Die US-amerikanische Architektin Martha Schwartz will damit die Heilung der Patienten beschleunigen.

17. April 2010 - Wojciech Czaja
Das geplante Bauvorhaben Krankenhaus Wien Nord sorgte bisher nicht nur für gute Schlagzeilen. Zuerst verzögerte sich das Projekt um zwei Jahre. Die ehemaligen ÖBB-Werkstätten hätten schon Anfang 2008 abgerissen werden sollen. Sie stehen noch immer. Dann stellte sich heraus, dass man ins künftige Hightech-Spital mit der Bim wird tuckern müssen, weil sich die Wiener Linien partout weigern, die U6 entlang der Brünner Straße zu verlängern. Und nun, keine drei Wochen ist es her, platzte der PPP-Deal mit dem Bieterkonsortium Porr/Siemens/Vamed. Ein guter Stern sieht anders aus.

Allerdings: Hinter den Geburtsschwierigkeiten im Kreißsaal der Politik versteckt sich ein neues und innovatives Modell der mitteleuropäischen Krankenhausarchitektur. Von Anfang an wünschte sich der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) ein sogenanntes Wohlfühlspital. Sonja Wehsely, Stadträtin für Gesundheit und Soziales, sprach gar von einem „Beitrag zur Steigerung der Effizienz im Wiener Gesundheitswesen“. Und die Wettbewerbsjury unter Vorsitz der hospitalerprobten Schweizer Architektin Silvia Gmür stellte schon am ersten Tag ihrer Auswahltätigkeit fest: Egal wie, doch das Krankenhaus Wien Nord müsse als „Lokomotive der Krankenhausentwicklung in Wien“ hervorgehoben werden.

In der Tat sieht das gesundmachende Zuggespann ziemlich vielversprechend aus. Architekt Albert Wimmer, gut vernetzter Zampano im Wiener Baugeschehen, gewann den Wettbewerb nicht im Alleingang, sondern zusammen mit der US-Landschaftsarchitektin Martha Schwartz. Die bisherigen Errungenschaften der beiden Büros, alle im planerischen Embryonalstadium befindlich, könnten die Erwartungen des KAV und der Stadt Wien gewaltig sprengen. Voraussetzung ist natürlich, dass sie so realisiert werden, wie Schwartz es vorgesehen hat.

„Es soll nicht nach Spital riechen“, sagt die in Massachusetts und London tätige Architektin. „Das soll ein emotionaler, glücklichmachender und üppig grüner Garten sein, der den Stress der Patienten lindert und sich auf den Heilungsprozess positiv auswirkt.“ Was sich anhört wie ein naiver Fantasiesatz aus dem Wunschalmanach der Architektur, ist wissenschaftlich längst belegt. „Das ist nicht nur ein schön gestalteter Garten, sondern eine heilende Landschaft, die anhand der bisherigen Erkenntnisse von Wissenschaftern und Forschern mit Wald- und Wiesenflächen, mit Sitzgelegenheiten und Pavillons, mit Hochbeeten zum Bepflanzen und mit Wegen zum Flanieren ausgestattet sein wird“, so Schwartz.

Die Planung für den Landschaftsgarten ist die mittel- bis langfristige Rechnung, dass ein sorgfältig geplanter Krankenhausgarten den Heilungsprozess der Patienten beschleunigt, den Spitalsaufenthalt verkürzt und die Krankenstandstage des Personals erheblich reduziert. Zahlreiche Studien der letzten Jahre, zum größten Teil in den USA durchgeführt, belegen das: Steve Mitrione von der University of Minnesota beobachtete, dass bei Patienten, die auf eine grüne Hecke blicken, mehr Alpha-Aktivität zu verzeichnen ist. Sprich: Sie empfinden Entspannung. Bei Patienten hingegen, die auf eine Betonwand schauen, nimmt die Beta-Aktivität zu. Sie haben Stress.

Roger Ulrich, Architekturprofessor an der Texas A&M University und Partner am Center for Health Systems & Design, stellte fest, dass Patienten mit Aussicht in den Garten schneller gesund werden als solche, die auf eine Ziegelwand blicken müssen. Der Aufenthalt im Krankenhaus werde dadurch verkürzt.

Und Clare Cooper Marcus - sie ist Professorin für Landschaftsarchitektur in Berkeley - erkannte in einer 1995 durchgeführten Studie, dass Patienten in grüner Umgebung viel weniger Schmerzmittel benötigen und im Schnitt um ein paar Tage früher das Krankenhaus verlassen als Patienten ohne natürliche Umgebung. Auch die Zufriedenheit und Gesundheit des Personals nimmt zu, die Krankenstandstage werden weniger. Alles in allem eine hieb- und stichfeste Beweislage für die grüne Architektur. Fragt sich nur, wie viel so ein Garten kosten darf. „Falsche Frage“, entgegnet Architekt Albert Wimmer, „die Baukosten eines Krankenhauses mitsamt Infrastruktur und Nebenflächen sind im Vergleich zu den Betriebskosten absolut vernachlässigbar. Innerhalb von wenigen Jahren wird die Investition vom laufenden Betrieb eingeholt.“

Maximilian Koblmüller, stellvertretender Generaldirektor des KAV, bestätigt: Innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren betragen die Betriebskosten eines Krankenhauses so viel wie die anfänglich getätigten Errichtungskosten. Das muss man sich einmal vorstellen! Die Baukosten fallen also gar nicht so ins Gewicht. Viel wichtiger ist es, die Betriebskosten zu reduzieren." Im Falle des Krankenhauses Wien Nord heißt das: Das Gebäude wird 825 Millionen Euro in der Errichtung kosten und rund 350 bis 400 Millionen Euro im laufenden Betrieb - pro Jahr.

„Für den Garten von Martha Schwartz haben wir als Obergrenze 130 Euro pro Quadratmeter angenommen, mehr als in jedem anderen Park in Wien“, sagt Astrid Zimmermann, KAV-Pressesprecherin für das Krankenhaus Wien Nord. Bei 70.000 Quadratmetern Freifläche würde die Errichtung der gesamten Gartenanlage somit 9,1 Millionen Euro kosten. Das sind gerade mal 2,6 Prozent der jährlichen Betriebskosten. Ein Klacks.

Setzen wir die Rechnung fort: Laut Gesundheitsstadträtin Wehsely kostet ein Wiener Spitalsbett im Durchschnitt 266.392 Euro pro Jahr. Unter der Annahme, dass in einem Krankenhaus mit 850 Betten - so viele soll es in Wien Nord ab 2015 geben - rund 2000 kranke Menschen rascher genesen und um nur zwei Tage früher heimgeschickt werden könnten, wäre die budgetäre Einsparung so groß, dass sich der ach so teure Garten von Martha Schwartz innerhalb von drei Jahren amortisiert haben könnte. Ab dann würden KAV und Stadt Wien Gewinn schreiben. Eine volkswirtschaftliche Rechnung mit gutem Ausgang - und glücklichen Beteiligten.

„Ich glaube fest an die Heilkraft eines solchen Gartens, die Beweise könnten nicht eindeutiger sein“, sagt Martha Schwartz. „Bisher wurden all diese Studien jedoch nachträglich an bereits realisierten Krankenhäusern in den USA durchgeführt. Nun gibt es erstmals die Möglichkeit, so eine Healing Landscape vorausblickend zu planen. Dieses Projekt könnte die Krankenhausarchitektur revolutionieren. Und die Stadt Wien wäre als Pionier vorne mit dabei.“

Bleibt den Auftraggebern zu wünschen, dass sie sich von der bisherigen Münzenzählerei befreien. Sowohl KAV und Stadt Wien als auch jeder sozialversicherte Mensch in diesem Land könnte davon profitieren, wenn den wissenschaftlichen Studien und dem sogenannten „evidence-based design“ endlich Glauben geschenkt würde. Lebenszyklusdenken lautet das Geheimnis. Mit 130 Euro kommt nach nicht weit.

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