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Kultur des Sprudelns
Spectrum

Das Schloss Belvedere und seine Gärten gehörten schon immer zu den schönsten Orten Wiens. Seit die Brunnen des Prinzen Eugen saniert und wieder in Betrieb sind, lohnt sich ein Besuch doppelt.

10. Juli 2010 - Christian Kühn
Letztlich gehorcht alles in der Architektur den Gesetzen der Schwerkraft. Häuser stehen, weil sie ihre Lasten über Balken und Säulen ins Fundament abtragen. Die Fachgebiete, die sich mit diesem Thema befassen, heißen im Bauwesen bezeichnenderweise Statik und Festigkeitslehre: Architektur soll sich nicht bewegen und daher aus möglichst festen Baustoffen bestehen.

Es gibt allerdings eine leichtlebigere Schwester der Baukunst, die zwar auch den Gesetzen der Schwerkraft gehorcht, allerdings nicht jenen von Statik und Festigkeitslehre. Als „schöne Wasserleitungskunst“ ist sie etwa von Arthur Schopenhauer auf eine Stufe mit der Baukunst gestellt worden. So wie deren „Werke die Ideen der starren Materie entfalten“, würde jene durch „schäumend und brausend über Felsen stürzende Wasserfälle, still zerstäubende Katarakte, als hohe Wassersäulen emporstrebende Springbrunnen und klar spiegelnde Seen die Ideen der flüssigen schweren Materie offenbaren“.

Das Ansehen der „schönen Wasserleitungskunst“ war freilich schon zu Schopenhauers Zeiten eher gering. Sein 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Ingenieure, die Brunnen bestenfalls als dekorativen Abschluss zu nützlicheren Werken der Wasserleitungskunst betrachteten. Springbrunnen und andere Wasserspiele gelten bis heute als Spielerei, mit der sich ernst zu nehmende Architekten besser nicht befassen. Die tanzenden Fontänen vor dem Hotel Bellagio in Las Vegas haben es zwar zu einer schönen Nebenrolle in Steven Soderberghs Film „Ocean's Eleven“ gebracht, aber wer möchte schon als Baukünstler mit solchem Kitsch in Verbindung gebracht werden?

Weniger Berührungsangst hat in dieser Hinsicht die bildende Kunst. In Olafur Eliassons Arbeiten finden sich viele Beispiele für einen Umgang mit flüssigen und auch gasförmigen Materien, die als Wasserschleier und Nebelvorhänge raumbildend sind. Die Künstlergruppe Gelitin schuf 2000 für die Gemeinde Staatz einen „Schlürfbrunnen“, der die Gesetze der „schönen Wasserleitungskunst“ umkehrte und Wasser nicht nach oben schäumen ließ, sondern laut schmatzend über eine trichterförmige Vertiefung im Boden zurück in die Erde saugte. Ebenfalls von Gelitin stammt auch der letzte Brunnen, der in Österreich für Furore sorgte: 2003 entstand er in Salzburg als temporäre Installation auf dem Max-Reinhardt-Platz unter dem Namen „Arc de Triomphe“, eine kleine, in einen Plastilinriesen eingebaute Fontäne, die aus dessen Mitte zurück in die Mundöffnung spritzte. Die deutlich sichtbare Erregung der Skulptur löste eine ebensolche öffentliche aus und hätte die damalige Direktorin des Museums der Moderne Salzburg beinahe ihr Amt gekostet.

Die großen Zeiten der „schönen Wasserleitungskunst“ liegen jedenfalls schon einige Jahrhunderte zurück. Im Barock war sie integraler Teil der künstlerischen Großunternehmungen, mit denen sich die Könige und Fürsten Europas in ihren Schlossanlagen gegenseitig zu übertreffen suchten. Das Wiener Belvedere, nach Plänen von Johann Lukas von Hildebrandt zu Beginn des 18. Jahrhunderts für den Prinzen Eugen von Savoyen erbaut, gehört zu den großartigsten Beiträgen in diesem Wettbewerb, der nicht zwischen Nationen, sondern letztlich zwischen architekturverrückten Einzelpersonen ausgetragen wurde. Exakt zeitgleich mit dem Belvedere entstand etwa in St. Petersburg die Sommerresidenz Peters des Großen mit gigantischen Wasserkaskaden, Grotten und einem 400 Meter langen Stichkanal zum Meer, auf dem sich Besucher in Barken dem Schloss näherten. – Das Belvedere in Wien ist in den Ausmaßen bescheidener, in der feinen Abstimmung zwischen Gebäuden, Gärten, Skulpturen und Wasserkunst aber unübertroffen.

Ursprünglich sollte das Untere Belvedere, zwischen 1714 und 1716 errichtet, das Hauptgebäude der Anlage werden, während das Obere Belvedere nur als Abschlusspavillon des Gartens gedacht war. Die ab 1717 bis 1723 ausgeführte Lösung für das Obere Belvedere kehrte die Verhältnisse um und machte auch eine Umplanung des Gartens erforderlich, der zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon mit einer Grotte im Zentrum ausgestattet war. Prinz Eugen lieh sich von einem befreundeten Regenten, dem Kurfürsten Max Emanuel von Bayern, den Gartenarchitekten Dominique Girard aus, deram Nymphenburger Schlosspark als maître fontainier wirkte, zwischen 1717 und 1722 mehrmals in Wien war und mit Lukas von Hildebrandt an den Entwürfen arbeitete.

Auch wer das Belvedere schon seit Jahren kennt, wird überrascht sein, wenn er heute den Park zu den Betriebszeiten der Brunnenanlagen (10–12 und 14–17 Uhr) betritt. Die Fontänen des Kaskadenbrunnens sind tatsächlich Architektur aus Wasser, schaumige Säulen und Bögen, die aus dem nassen „Fundament“ der Wasserflächen in der Kaskade und aus den Skulpturen hervorsprudeln. Gartenhistoriker interpretieren diese Kaskade als den Übergangspunkt, an dem das dionysische Thema des Parks kulminiert und sich mit dem apollinischen Thema im oberen Bereich verschränkt. Dieser Themenwechsel ist auch in der Bepflanzung markiert, die mit üppigen begrünten und beschatteten Bereichen vor dem unteren Belvedere beginnt und unmittelbar vor dem Schloss in einer streng ornamentierten Kieslandschaft endet.

Dass dieser Park heute wieder weitgehend erlebbar ist wie zur Zeit seiner Entstehung, ist ein Glücksfall. Die Grundlage für die Rekonstruktion der Gartenanlagen bildete ein Parkpflegewerk, das 1991 von den Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász im Auftrag der Bundesgärten erstellt wurde. Die Brunnen selbst ressortieren zur Burghauptmannschaft der Hofburg und damit zum Wirtschaftsministerium, das die seit 2005 laufende Sanierung finanziert, deren Nettobaukosten sich auf stolze 7,7 Millionen Euro belaufen. Betreut hat die Sanierung dasBüro von Architekt Manfred Wehdorn, dem es gelungen ist, auch viel von der ursprünglichen Bautechnik zu rekonstruieren. Die Wasserspiele selbst werden heute allerdings über Pumpen betrieben. Zu Prinz Eugens Zeiten kam der Wasserdruck aus dem großenBecken an der anderen Seite des Schlosses, das derzeit noch restauriert wird.

Die Besucherströme, die sich täglich erwartungsvoll vor dem Einschalten der Brunnen im Park einfinden, beweisen jedenfalls das ungebrochene Interesse des Publikums an der „schönen Wasserleitungskunst“ und damit auch am zwecklos Schönen. Spielraumdafür würde man sich auch an anderen Orten wünschen. Und die Bauherren, Künstler und Architekten, die ihn zu nutzen wissen.

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