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Architektur macht Schule
Architektur macht Schule, Foto: Swinging Liefering
Architektur macht Schule, Foto: Swinging Liefering
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Lifestyle oder Philosophie? Dekoration oder Moral? Mit Architektur assoziieren Laien entschieden andere Begriffe als Fachleute. Architekturunterricht als fächerübergreifendes Thema, das bewußte Raumwahrnehmung vermittelt, könnte diesen kategorialen Differenzen abhelfen. Eine erste Bilanz heimischer Initiativen.

29. April 2000 - Christian Kühn
Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Fachwerkhaus und einem Fachwerkträger? Wissen Sie, was man unter einer Gaube, unter einer Maisonette oder unter Sichtbeton versteht? Können Sie die Namen von mindestens drei lebenden Architekten nennen?

Falls Sie diese Fragen nicht beantworten können - und nicht zufälligerweise selbst Architekt sind -, sind Sie zumindest keine Ausnahme. Bei einer Studie, die an der Universität Münster durchgeführt wurde, konnten ganze zwei Prozent der Befragten drei lebende Architekten nennen, Fachbegriffe wie die oben angeführten waren nur etwa einem Fünftel bekannt. Befragt wurde dabei kein Querschnitt aus der Gesamtbevölkerung, sondern Studierende verschiedener Fachrichtungen, also durchwegs Personen mit Gymnasialabschluß. Die Studie beschränkte sich allerdings nicht darauf, den Wissensstand von Laien abzufragen: Ihr eigentlicher Gegenstand war die Kommunikation zwischen Experten und Laien. Daher wurde auch erfragt, wie Architekten ihrerseits die Verbreitung des Wissens über Architektur einschätzten, und dabei zeigte sich, daß Architekten das Laienwissen in den meisten Bereichen kraß überschätzten: Die Antwort auf die Frage nach den drei lebenden Architekten trauten sie immerhin 20 Prozent der Befragten zu, und bei den Fachbegriffen schätzten sie auf 60 Prozent.

Erschwerend für das Gespräch zwischen Experten und Laien kommt dazu, daß Architekten Gebäude meistens in anderen Kategorien betrachten als ihre Nutzer. Die Psychologen ließen die beiden Gruppen Beispiele nach frei wählbaren Kategorien ordnen. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Während Laien etwa ein rotes Holzhaus und ein rotes Ziegelhaus in die Kategorie „rote Häuser“ zusammenfassen, teilen die Experten nach abstrakteren, visuell weniger deutlichen Kategorien der Konstruktion und des Materials. Generell haben Laien kaum einen Zugang zu einer Kategorie, die für Architekten bereits in der Ausbildung zentrale Bedeutung hat, zur Kategorie des Konzeptionellen, mit der die verschiedenen, oft einander widersprechenden Aspekte einer Bauaufgabe geordnet werden sollen. Für Laien steht das Konkrete, Sichtbare und Benutzbare im Vordergrund, während Architekten in komplexeren Zusammenhängen denken. Komplex heißt dabei nicht unbedingt besser: Es gibt richtige und falsche, sinnvolle und unsinnige Konzepte. Der springende Punkt ist, daß die meisten Laien für eine Diskussion auf der konzeptionellen Ebene kein Verständnis haben, schon gar nicht, wenn andere, handgreiflichere Kategorien durch eine konzeptionelle Überlegung in den Hintergrund treten müßten.

Als zusätzliches Problem erweist sich, daß sich viele architektonische Begriffe mit Alltagsbegriffen decken, ohne daß dasselbe gemeint wäre. Die Kommunikation unter Architekten erfolgt oft jenseits der begrifflichen Ebene über die Referenz auf Beispiele, Richtungen oder einzelne Persönlichkeiten. Es ist für Architekten - so die Autoren der Studie - kaum vorstellbar, wie man als Laie mit Architektur umgehen kann, ohne wenigstens einige dieser herausragenden Referenzpunkte zu kennen. Schließlich zeigte die Studie auch eine gravierende Diskrepanz auf der prinzipiellen Ebene. Auf die Bitte, den Begriff Architektur mit anderen zur Auswahl stehenden Begriffen zu assoziieren, sahen die Laien signifikant stärkere Zusammenhänge zu Begriffen wie Lifestyle, Mode, Dekoration und Luxus, während die Architekten Begriffe wie Moral, Gesundheit, Aktivität und Berührung, Technik, Philosophie und Natur öfter nannten als die Laien. Der oft beklagte Mangel an „guten Bauherren“ dürfte zu einem guten Teil auf derartige kategorialen Differenzen zurückzuführen sein. Mit der Aufforderung an die Architekten, sich doch besser zu erklären und bei der Vermittlung ihrer Absichten die Perspektive von Laien zu berücksichtigen, wird es aber allein nicht getan sein. Architektur gehört als Thema in den Schulunterricht, am besten bereits in die Grundschule - und natürlich nicht nur, um Architekten bessere Voraussetzungen für ihre Arbeit zu bieten. „Ein intaktes Raumbewußtsein ist Teil des Rüstzeugs zu einer mündigen Existenz“, beschreibt Walter M. Chramosta den umfassenderen pädagogischen Rahmen einer Architekturerziehung in der Schule. In Österreich gibt es bereits seit mehreren Jahren Ansätze, das Thema Architektur verstärkt in den Unterricht einzubeziehen, die vom Österreichischen Kulturservice, einer Initiative des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, gefördert werden. Eine wichtige Vorbildwirkung hat der Arbeitskreis Architektur und Schule der Salzburger Architektenkammer, in dem an Ausbildungskonzepten für verschiedene Schultypen experimentiert wurde. Seit zwei Jahren kooperiert der ÖKS mit der Architekturstiftung Österreich, einer Institution, die von österreichischen Architekturhäusern und Initiativen als gemeinsame Plattform gegründet wurde. Seit 1998 läuft in ganz Österreich das seit neuestem auch von der Architektenkammer geförderte Pilotprojekt „RaumGestalten“, in dessen Rahmen Architekten zusammen mit Lehrern ein Semester lang den Unterricht mitgestalten. Die Architekturstiftung betreut die geförderten Projekte und übernimmt die Dokumentation. In den nächsten Jahren sollen die Erfahrungen in Workshops an interessierte Lehrer und Architekten weitergegeben werden.

Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Bemerkenswert ist vor allem, daß einige Projekte über den engeren Rahmen des Fachs „Bildnerische Erziehung“ hinausgehen und die besondere Chance nutzen, an einem Querschnittsthema wie Architektur Projektunterricht zu betreiben. Kombinationen mit Fächern wie Deutsch und Psychologie geben die Möglichkeit, sich einerseits mit der eigenen Wahrnehmung von Architektur auseinanderzusetzen, andererseits erlauben sie, Ansprüche an die Architektur zu reflektieren und sprachlich auszudrücken. Gerade der beschleunigte Bilderwechsel der neuen Medien macht eine solche kritische Auseinandersetzung mit dem Raum als Grundlage jeder visuellen Kultur wichtiger als je zuvor. Architekturunterricht wird so zu einer Schule des Sehens, die hinter der oberflächlichen Wahrnehmung zusätzliche Wirklichkeitsschichten vermittelt.

Das eigenständige architektonische Gestalten - das im österreichischen Fach „Bildnerische Erziehung“ tendenziell stärker im Vordergrund steht als in der bundesdeutschen „Kunsterziehung“ - kann im Unterricht nur ansatzweise gelingen und wird immer nur eine kleine Zahl begabter Schüler ansprechen können. Eine Gefahr, von der die Studie der Universität Münster spricht, daß nämlich die Schüler eine heile Welt der Gestaltungsfreiheit vorgegaukelt bekommen könnten, stellt sich in der Praxis nicht, wenn tatsächlich an eine Umsetzung kleiner Veränderungen gedacht wird. Daß dann die Reflexe der Ablehnung genauso greifen wie sonst auch überall, ist für die Schüler ebenso lehrreich wie vielleicht frustrierend - etwa bei jenem Salzburger Beispiel des Gymnasiums Zaunergasse, wo eine von den Schülern mit Unterstützung des Architekten Thomas Forsthuber und des Lehrers Klaus Fleischhacker geplante Adaption der Aula am Widerstand des Lehrerkollegiums scheiterte. Ein anderes Schülerprojekt, das Forsthuber mit der Architektin Maria Flöckner und dem Lehrer Wolfgang Richter unter dem Titel „Swinging Liefering“ am Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare in Salzburg betreut hat, eine Laube im Schulgarten, scheiterte an der Finanzierung und an der Skepsis der Lehrer. Bis sich die Schule so weit als Ort des Experiments versteht, daß solche „außerplanmäßigen“ Veränderungen nicht nur geduldet, sondern begrüßt werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen.

Derartige Projekte werden immer die Ausnahme bleiben. In den allgemeinen Unterricht sollte Architektur als aktive Raumerfahrung und Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswirklichkeit Eingang finden, als fächerübergreifendes Thema, an dem sich konzeptionell-gestalterisches Denken ebenso vermitteln läßt wie das Verstehen ökonomischer Abläufe und letztlich der Umgang mit Fragen der Macht. Ob die bisherigen Pilotprojekte ausreichen werden, um im Unterrichtsministerium eine größere Öffnung für dieses Thema zu bewirken, bleibt abzuwarten. Interessenten können jedenfalls bis 29. Mai 2000 bei der Architekturstiftung Österreich (www.aneta.at) ihre Projekte im Rahmen von „RaumGestalten“ für das nächste Wintersemester einreichen. Bevorzugt werden laut Ausschreibung Projektteams, die eine fächerübergreifende und projektorientierte Auseinandersetzung mit Architektur verwirklichen wollen.

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