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Nachhaltigkeit ist eine Sache der Affen
Der Standard

Europäisches Forum Alpbach

Die Alpbacher Baukulturgespräche standen im Zeichen der Ökologie. Die Vortragenden waren sich einig und forderten vehement: mehr Bäume und weniger Autos in den Städten.

6. September 2010 - Wojciech Czaja
Ein durchschnittlicher Äthiopier bestreitet seinen Alltag mit 500 Watt. Das ist die Energiemenge von fünf altmodischen Glühbirnen. Im Vergleich dazu: Ein Europäer braucht bereits 6000 Watt, um über die Runden zu kommen, ein US-Amerikaner hingegen, damit dieser vom eisig klimatisierten, suburbanen Einfamilienhaus in die nächste Drive-in-Apotheke gelangen kann, sogar 12.000 Watt.

„Wie wir alle wissen, wird so ein großer ökologischer Fußabdruck auf Dauer nicht möglich sein“, sagte Jörg Lange im Rahmen der Alpbacher Baukulturgespräche, die am Samstag zu Ende gingen und damit - zeitgleich zu einem etwas üppiger besuchten Vortrag von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon - den Abschluss des Europäischen Forums 2010 bildeten. Die einzige Lösung laute: „Wir müssen zurück zur 2000-Watt-Gesellschaft. Nur so kann es gelingen, die Erderwärmung bis 2100 auf zwei Grad Celsius zu beschränken.“

Wie das geht, zeigte der deutsche Aktivist anhand eines Best-Practice-Beispiels aus Freiburg im Breisgau. Wo früher eine Kaserne gestanden hatte, wurde eine autofreie Solarsiedlung aus dem Erdboden gehoben, in der manche Häuser mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Der Deckungsgrad beträgt 105 Prozent. Die überschüssige Energie wird - bei wohlgemerkt besseren Einspeisungstarifen als in Österreich - ins Netz gespeist.

„Die Siedlung Vauban funktioniert sehr gut und die Leute sind zufrieden“, so Lange. „Das Problem mit all diesen Modellsiedlungen ist allerdings: Wenn man nicht sofort in die Breite damit geht und die erfolgreichen Modelle kopiert, dann ist der ganze Aufwand umsonst.“ Lange ortet einen Rückschritt: „Vor zehn, 15 Jahren waren wir schon mal innovativer, da haben solche Wohnkonzepte geboomt. Heute jedoch scheuen wir vor dem Neuen meist zurück.“

Das bestätigt auch Enrique Pañalosa, ehemaliger Bürgermeister von Bogotá. In seiner Amtszeit von 1997 bis 2000 ließ er hunderte Kilometer von Gehsteigen und Radwegen errichten und implementierte ein Schnellbussystem, das heute als eines der modernsten öffentlichen Verkehrsnetze der Welt gilt. „Damals war so etwas möglich“, sagte er zum Standard. „Die Bevölkerung war euphorisch und voller Energie. Heute hat sich das geändert. Ein bisschen ist Bogotá in seine alten, unzufriedenen Muster zurückgekippt.“

München als Beispiel

Dabei wäre alles so einfach. Herbert Girardet, Filmemacher und Programmdirektor des World Future Council in London, skizzierte seinen Weg von der einst autarken „Agropolis“ über die heute vorherrschende „Petropolis“, deren Funktionsfähigkeit auf dem Einsatz fossiler Brennstoffe beruht, zur sogenannten „Ecopolis“. Es gehe nicht darum, den Fortschritt zu leugnen, sondern die jeweiligen Vorteile in einem Synthesemodell zu vereinen. „Beispiele, die vorzeigen, wie das geht, gibt es bereits zur Genüge“, erklärte Girardet. München etwa habe vor zwei Jahren beschlossen, die Energieversorgung zur Gänze aus erneuerbaren Ressourcen zu generieren. Die Stadtverwaltung investiere seitdem in Windkraftwerke in Großbritannien und in Solaranlagen in Spanien.

Der österreichische Verkehrsplaner Hermann Knoflacher plädierte in seiner Schlussrede dafür, endlich den sogenannten Stellplatznachweis abzuschaffen. Dieser besagt, dass zu jeder neu errichteten Wohnung ein Kfz-Stellplatz errichtet werden muss. „Solange wir diesen Paragrafen in den Bauvorschriften drin haben, wird das Thema Nachhaltigkeit in der Praxis nicht funktionieren.“

Die einfachste Forderung kam von Franz Eberhard, dem ehemaligem Direktor des Amts für Städtebau in Zürich: „Nachhaltigkeit heißt, ein Affe muss auf den Bäumen die Stadt durchqueren müssen. Das sollte das Leitbild für unsere Städte sein.“

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