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Autobahn, marsch!
Der Standard

Vor zehn Jahren wurden die meisten Autos aus der Innenstadt verbannt. Seitdem fährt man in Bogotá mit Bus und Rad. Der ehemalige Bürgermeister Enrique Peñalosa erklärt, warum.

11. September 2010 - Wojciech Czaja
Die Kolumbianer haben Humor. Mitten durch Bogotá verläuft eine 24 Kilometer lange, prächtige und von Bäumen gesäumte Stadtautobahn ohne Autos. Die hübsch gepflasterte und flüsterstill asphaltierte Straße dient ausschließlich jenen Verkehrsteilnehmern, die imstande sind, sich durch eigene Muskelkraft fortzubewegen: Fußgängern und Radfahrern.

Was sich anhört wie eine Episode zwischen Fred Feuerstein und Barney Geröllheimer, ist in Wirklichkeit ein innovatives Stadtplanungsprojekt aus der Feder des ehemaligen bogotanischen Bürgermeisters Enrique Peñalosa. In seiner kurzen Amtszeit von 1997 bis 2000 legte er Straßen still, löste Parkplätze auf, errichtete Fußgängerzonen, baute hunderte Kilometer von Gehsteigen und Radwegen, pflanzte 100.000 Bäume, legte quer durch die ganze Stadt einen kilometerlangen Fußgänger- und Radfahrer-Highway und entwickelte quasi aus dem Nichts ein hochleistungsfähiges Busnetz, das heute als eines der modernsten Schnellverkehrssysteme der Welt gilt.

„Nur eine Stadt, die den Maßstab des Menschen respektiert, ist eine Stadt, in der man sich auch wirklich wohlfühlt“, sagte Peñalosa bei den Alpbacher Baukulturgesprächen, die letztes Wochenende zwischen Kuhglockengeläute und strammen Wadeln über die Bühne gingen. Gespräch mit einem Visionär.

Standard: Haben Sie ein Auto?

Peñalosa: Ich schäme mich fast, es zuzugeben.

Standard: So schlimm?

Peñalosa: Ich fahre einen gepanzerten Toyota SUV. Ich bin oft in Gegenden unterwegs, wo ich froh sein kann, einen gewissen Schutz um mich herum zu haben. Wenn man in Kolumbien als Politiker tätig ist, braucht man so etwas. In Bogotá selbst fahre ich aber fast ausschließlich mit dem Rad oder mit dem Bus. Der SUV wird eher außerhalb eingesetzt.

Standard: In Ihrer Amtszeit als Bürgermeister von Bogotá haben Sie einen Großteil der Autos aus der Innenstadt verbannt. Warum?

Peñalosa: Ich möchte nur etwas klarstellen: Ich bin kein Autohasser, aber in Kolumbien hat man manchmal das Gefühl, dass Autos mehr wert sind als alles andere. Warum? Der Grund ist sehr einfach: Nur 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung von Bogotá besitzen ein Privatauto, doch diese 25 bis 30 Prozent sind politisch und wirtschaftlich so mächtig, dass sie lange Zeit einen Großteil der öffentlichen Steuergelder für sich und ihren Komfort in Anspruch genommen haben, und zwar für den Ausbau von Straßen, für den Bau von Garagen sowie für die Errichtung von öffentlicher Infrastruktur, die meist nur mit dem Auto erreichbar war, nicht aber zu Fuß oder mit dem Bus. Hinzu kommt das stadträumliche Problem.

Standard: Das bedeutet?

Peñalosa: Bogotá hat rund sieben Millionen Einwohner. Das Stadtzentrum ist längst aus allen Nähten geplatzt, weil es nie als Autofahrerstadt konzipiert war. Die öffentlichen Flächen sind viel zu gering dimensioniert. Fazit: Überall waren Autos, überall war Stau, die ganze Stadt war zugeparkt.

Standard: Sie haben Gehsteige und Radwege errichtet, vor allem aber haben Sie sogenannte Greenways für Fußgänger und Radfahrer errichtet. Wie hat die Autofahrerlobby darauf reagiert?

Peñalosa: Zuerst haben alle geglaubt, wir bauen ein paar Radwege und machen ein paar Straßen neu. Erst mit der Zeit sind den Leuten die Ausmaße dieses Umbauprogramms klar geworden.

Standard: Wie hat sich das geäußert?

Peñalosa: Die Umfragewerte sind in den Keller gerasselt. 77 Prozent der Bevölkerung wollten mich loswerden. Manche, glaube ich, hätten mich am liebsten umgebracht. So schlechte Werte hatte sonst nur die Guerilla! Da muss man durch.

Standard: Hat Sie das wirklich so unbeeindruckt gelassen?

Peñalosa: Das kann man nun wirklich nicht sagen! Sehen Sie meine Haare? Bevor ich Bürgermeister von Bogotá geworden bin, waren meine Haare richtig schwarz. So wie man sich das von einem Südamerikaner erwartet. Drei Jahre später war alles grau. Politiker sind keine Queens of Sympathy! Das waren sie nie, und das werden sie nie sein.

Standard: Letztendlich haben Sie den Beliebtheitskonkurs aber doch noch gewonnen.

Peñalosa: Ja, am Ende meiner Amtszeit haben mich die Leute geliebt. Ich hatte 70 Prozent Zuspruch. Auch das war so viel wie noch nie. Hätte ich wieder kandidiert, ich hätte haushoch gewonnen. Aber ich wollte und konnte nicht mehr. Ich war ausgepowert.

Standard: Wie ist Bogotá heute?

Peñalosa: Unser Konzept ist aufgegangen. Danke an mein Superstar-Team! Die beiden Greenways, also der „Parque Lineal Juan Amarillo“ und die Promenade „Porvenir Alameda“, werden von der Bevölkerung bestens angenommen. Viele Leute gehen zu Fuß, und der Radfahreranteil ist von statistischen null Prozent innerhalb von wenigen Jahren auf fünf Prozent gestiegen. Immerhin. Sie müssen sich vorstellen: Ein Fahrrad, das war früher ein Arme-Leute-Gefährt. Die Leute haben sich geschämt, damit zu fahren. Heute ist das anders. Auf dem Parque Lineal können sie mit einem alten Secondhand-Rad um 40 Dollar bequem von A nach B fahren, während das 40.000-Dollar-Auto des reichen Mannes auf der Schotterstraße fahren oder im Matsch parken muss. Ich denke, dass es mit dieser attraktiven Infrastruktur gelungen ist, die Mobilität zu demokratisieren. 40 Dollar für ein Rad, das kann sich wirk-lich fast jeder leisten.

Standard: Wie wird das Bussystem angenommen?

Peñalosa: Sensationell! Wir haben uns das Bussystem von Curitiba in Brasilien abgeschaut und haben es noch weiter perfektioniert. Heute hat Bogotá mit dem knallroten Transmilenio - Farbe und Name sind übrigens immens wichtig für das Image - das modernste Bussystem der Welt. Wir kriegen regelmäßig internationalen Besuch von Politikern, Stadtplanern und Ingenieuren, die uns als Best-Practice-Beispiel heranziehen.

Standard: Was macht das Bus-system so modern?

Peñalosa: Der Transmilenio funktioniert wie eine U-Bahn. Es gibt eigene Fahrspuren für Express- und für Lokalbusse. So etwas kenne ich sonst nur von der Subway in New York. Zusammen mit den Aufenthalten in den Haltestellen haben die Busse eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h, die Expressbusse fahren sogar 50 km/h. Das ist ein Wahnsinn. Die Autos daneben stehen im Stau oder fahren im Schneckentempo.

Standard: Sie sagen das mit so einer Genugtuung.

Peñalosa: Selbstverständlich! Mit dem Transmilenio haben wir die ganze Stadt revolutioniert. Auf der Architekturbiennale 2006 in Venedig haben wir dafür sogar den Goldenen Löwen bekommen. Bogotá hat zwar noch immer einen Haufen Probleme, da gibt es nichts zu beschönigen, doch das Verkehrsproblem ist bis auf weiteres gelöst.

Standard: Wie haben Sie all diese Projekte in nur drei Jahren finanzieren können?

Peñalosa: Die Gehsteige, Radwege und Greenways haben insgesamt rund 120 Millionen Dollar gekostet. Das Bussystem hat nochmals 250 Millionen Dollar verschlungen. Das Geld kam einerseits aus den Steuern, andererseits gab es auch ein paar Private Public Partnerships. Trotzdem mussten wir noch etwas nachhelfen. Beispielsweise, indem wir die Benzinsteuer von ursprünglich fünf auf 25 Prozent erhöht haben.

Standard: Rückbau von Straßen, Vernichtung von Parkplätzen, Anhebung von Steuern - wie wird man mit so einem Programm überhaupt gewählt?

Peñalosa: Es hat ja erst beim dritten Anlauf geklappt! Bei den ersten beiden Kandidaturen 1992 und 1994 bin ich leider durchgeflogen. Letztendlich war's ganz einfach: Ich habe von Anfang an klipp und klar gesagt, wofür ich stehe und was ich als Bürgermeister gedenke zu tun. Allerdings geht kein Mensch davon aus, dass ein kolumbianischer Politiker die Wahrheit sagt und seine Versprechen hält. Kein Mensch hat mir auch nur eine Minute lang geglaubt.

Enrique Peñalosa, 1954 in Washington D.C. geboren, studierte Volkswirtschaft an der Duke University in North Carolina, USA. Danach arbeitete er in der Privatwirtschaft und in der Politik. Von 1997 bis 2000 war er Bürgermeister von Bogotá. Heute ist er Projektentwickler im Bereich Freiraum- und Verkehrskonzepte.

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