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Steine im Glashaus
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Ein großes Haus des Lernens: Die neue Krankenpflegeschule im Kaiser-Franz-Josef-Spital von Andreas Lichtblau und Susanna Wagner beweist, dass Offenheit und Sicherheit kein Widerspruch sein müssen.

4. September 2010 - Christian Kühn
Das Kaiser-Franz-Josef-Spital im zehnten Wiener Gemeindebezirk, das seit einigen Jahren unter dem Namen „Sozialmedizinisches Zentrum Wien Süd“ firmiert, ist ein klassisches Pavillonkrankenhaus, ein Anlage mit großem Park und zahlreichen frei stehenden Gebäuden. Dieser Typus des Krankenhauses ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die auf einem Irrtum beruht: In der Annahme, dass Erreger vor allem über die Luft übertragen würden, rückte man die Abteilungen der Krankenhäuser auseinander, um eine möglichst große Durchlüftung zu erreichen, und nahm dafür den praktischen Nachteil langer Wege im Freien in Kauf.

Dass Ignaz Semmelweis schon in den 1840er-Jahren nachweisen konnte, dass Krankheiten im wörtlichen Sinn auf Händen von einer Abteilung in die nächste getragen wurden, blieb lange heftig umstritten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis durch, dass hygienische Maßnahmen wie Desinfektion und Sterilisation ausreichen, um die Übertragung von Keimen zu verhindern. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschwand der Typus des Pavillonkrankenhauses zugunsten kompakter Lösungen, zuerst in England und etwas später auch im deutschen Sprachraum.

Wie viele Irrtümer in der Architektur hatte auch dieser einen positiven Seiteneffekt: Es gibt kaum Krankenhäuser mit großzügigeren Grünräumen und Bezügen nach außen als die alten Pavillonspitäler, obwohl man den Außenräumen anmerkt, dass sie nie als schöne Gärten, sondern als hygienisches Abstandsgrün gedacht waren. Das Kaiser-Franz-Josef-Spital ist da keine Ausnahme, auch wenn die Pavillons im Lauf der Jahre auf Kosten des Grünraums immer wieder erweitert wurden. Eine wesentliche Ergänzung der letzten Jahre war das geriatrische Zentrum nach Plänen von Anton Schweighofer, der für den Komplex auch eine neue Eingangslösung entwickelte.

Nun hat das Krankenhaus eine neue Erweiterung erfahren, diesmal für junge Menschen: Die Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner haben an der anderen Seite des Geländes eine Krankenpflegeschule entworfen, in der auf rund 6200?Quadratmetern künftig 600 Schülerinnen und Schüler eine dreijährige Ausbildung absolvieren werden. Das Gebäude liegt am Rand des Geländes an einer der meistbefahrenen Straßen Wiens, der Triester Straße. Der lange und schmale Bauplatz bedeutete, dass zu dieser Straße hin eine Front von rund 120 Metern vorzusehen war. Die naheliegende Lösung wäre, die Fassade an dieser Seite möglichst zu schließen. Allerdings ist diese Fassade zugleich die südöstliche Front des Gebäudes, und so wäre auch über den Großteil des Tages das direkte Sonnenlicht aus der Schule ausgesperrt geblieben.

Die Architekten entwickelten daher eine Lösung, die auf den ersten Blick das genaue Gegenteil versucht. Die Fassade zur Triester Straße ist eine durchgehende Glasfassade, eine der größten Wiens, 120 Meter lang und aufgrund des abfallenden Geländes zwischen zwölf und 16 Meter hoch. Sie wird aus knapp 200 Scheiben im liegenden Format von 1,8 mal 4,3 Metern gebildet, schwere Schallschutzgläser, die vom Straßenlärm nur noch ein fast unhörbares Rauschen in den Innenraum dringen lassen.

Hinter dieser Fassade liegt eine dreieinhalb Meter tiefe Raumschicht, die man sich als großes Regal mit eingehängten, unregelmäßig verteilt Boxen vorstellen kann, wie Edelsteine in einen Setzkasten platziert. Darin befinden sich Sanitärbereiche, kleine Gruppenräume für selbstorganisiertes Lernen sowie Pausenräume für Schüler und Lehrer. Bis auf die Sanitärräume sind diese Boxen nach oben und teilweise seitlich offen, was viel Durchblicken zwischen den Bereichen zulässt.

Hinter diesem verglasten Regal liegen als weitere lang gestreckte Raumschichten ein Erschließungsgang und dann die eigentlichen Klassenräume, die sich funktionell von normalen Schulklassen nicht unterscheiden, außer, dass in einigen von ihnen auch Krankenbetten für den praktischen Unterricht Platz finden müssen. Die Architekten haben dem Rechnung getragen, indem sie aus dem langen Baukörper einzelne Abschnitte wie Schubladen in den Innenbereich des Krankenhauses herausziehen. Während die Schule zur Triester Straße hin glatt und hermetisch wirkt, ist sie daher auf der anderen Seite plastisch gegliedert und nimmt mit den angrenzenden Pavillons einen freundschaftlichen Dialog auf.

Überhaupt ist der geschickte Umgang mit dem Kontext eine besondere Qualität des Projekts. Das abfallende Gelände haben die Architekten noch weiter modelliert und teilweise abgegraben, wodurch auch ein großer Hörsaal im Untergeschoß noch Tageslicht erhält. Die Niveausprünge des Geländes wirken bis in die Eingangshalle hinein, deren Boden als leichte Buckelfläche die unterschiedlichen Ebenen im Erdgeschoß verbindet, was punktuell höhere Aufmerksamkeit beim Gehen erfordert. Auf den Boden zu achten fällt einem angesichts dieser Eingangshalle allerdings nicht leicht. Sie ist lichtdurchflutet und erlaubt schon von außen einen Blick quer durch das Gebäude hindurch, der dann im Inneren in die Längsrichtung umgelenkt wird: ein 100 Meter langer Passagenraum, in dem die Schule als zusammenhängende Einheit erlebt werden kann.

Dass diese Einheit erlebbar bleibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Kaum ein anderer Bereich des Bauens ist von den Anforderungen des Brandschutzes derzeit so geprägt wie der Schulbau. Hier ist es in Zusammenarbeit mit den Behörden gelungen, eine Lösung zu finden, die Offenes mit Sicherheit verbindet. Im Brandfall fallen die Türen zu den drei Erschließungstreppen zu, automatisch ausfahrende Schiebewände mit eingebauten Fluchttüren trennen den Passagenraum in drei Abschnitte, und die mechanische Belüftung des Gebäudes wird so gesteuert, dass der Brandrauch auf den Gängen selbst im schlimmsten Fall eine zwei Meter hohe Luftschicht zum Flüchten übrig lässt. Die Computersimulation dieses Brandverhaltens hat sich - zur großen Erleichterung aller Beteiligten - bei einem Rauchversuch im ausgeführten Objekt bestätigt.

Dass diese Schule das Potenzial hat, ein gutes Haus des Lernens zu sein, liegt auf der Hand. Der Erfolg hängt letztlich von den Nutzern ab, die eine gewisse Toleranz brauchen werden, um die teilweise heiklen Oberflächen und nicht leicht zu reinigenden horizontalen Flächen der Boxen in den Regalen mit Gelassenheit zu betrachten. So weiß wie heute wird diese Schule in ein paar Jahren sicher nicht mehr sein. Ob Gebrauchsspuren in einem schönen Raum besser sind als sauber geputzte Tristesse, ist freilich eine Frage, auf die jede Institution selbst eine Antwort finden muss.

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