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Paradeiser aus Metropolis
Der Standard

Die Stadt der Zukunft? Sie wird grün und fruchtbar sein. Diesen Eindruck vermittelt eine aktuelle Ausstellung im Nordico-Stadtmuseum Linz.

28. Mai 2011 - Wojciech Czaja
„Man muss nicht erst sterben, um ins Paradies zu gelangen, solange man einen Garten hat“, besagt ein altes persisches Sprichwort. „Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt“, sagte einst der libanesische Dichter Khalil Gibran. Und Michel Foucault meinte: „Der Garten ist ein Teppich, auf dem die ganze Welt ihre symbolische Vollkommenheit erreicht.“

Den vielen sinnlichen und bisweilen auch lebensnotwendigen Varianten des künstlich gestalteten Grünraums widmet sich die Ausstellung Im Garten. Lebensräume zwischen Sehnsucht und Experiment, zu sehen im Nordico-Stadtmuseum Linz. Gezeigt werden Beiträge aus dem Bereich der bildenden Kunst, aber auch Architekturprojekte und urbane Initiativen.

„Jeder Garten ist ein imaginäres Paradies, das die Handschrift seines Gestalters trägt“, sagt die Kuratorin Karin Standler. Die Wiener Landschaftsarchitektin konzipierte die Ausstellung gemeinsam mit Andrea Bina und Magnus Hofmüller. „Nicht zuletzt ist ein Garten aber auch ein schöner und sehr sensibler Hybrid zwischen Natur und Ersatznatur.“

Es ist vor allem der Drang nach dieser Ersatznatur, der viele Stadtbewohner und Planerinnen antreibt, die Hände in die Erde zu stecken und das Grün dorthin zurückzubringen, von wo es längst verschwunden ist. Die Idee ist alt. Es war Joseph Beuys, der als Erster das moralische Recht auf Gärten in der Stadt einforderte. Mit ihm begann jene Strömung, die heute unter den Begriffen „City Farming“, „City Gardening“ und „Guerilla Gardening“ bekannt ist. Im März 1977 setzte er im Vorgarten seines Berliner Galeristen eine runzelige Kartoffel in die Erde ein. Im Oktober desselben Jahres, am Ende der documenta 6, erntete er die knolligen Früchte seiner öffentlichen Aktion.

Die Städte dürstet immer mehr nach Grün. „Heutige Metropolen sind schwarze Löcher und hungrige Monster“, schreibt der Hambruger Philosoph Harald Lemke im überaus appetitlich gestalteten Ausstellungskatalog Im Garten. „Eine Welt, in der alle Menschen satt werden und gut essen, im Sinne einer gastrosophischen Ethik, braucht nicht immer weniger, sondern immer mehr Kleinbauern, auf dem Lande und in den Städten.“ Die „Re-Agrarisierung der Stadtgesellschaft“ (Lemke) sei längst überfällig.

Bio-Gemüse aus Chicago

Die ersten Versuche der guerillagrünen Stadtaneignung - abseits von Kunst und Architektur - stammen aus den USA. Auf der sogenannten City Farm Chicago, gegründet 2000 und nur wenige Schritte von der Downtown entfernt, werden 98 unterschiedliche Kräuter- und Gemüsesorten angepflanzt. Darunter allein 30 Arten von Paradeisern. Zu den Hauptkunden zählen Liebhaberinnen von Organic Food und Restaurantköche aus der Umgebung. Diese wiederum versorgen die Farm hinter den Wolkenkratzern mit Bioabfall für den Kompost.

„Die Stadt hat so viele Ressourcen“, sagt Ken Dunn. „Ich glaube, die Zeit ist reif dafür, dass Chicago sich dem Gedanken der urbanen Landwirtschaft im gesamten Stadtgebiet verpflichtet.“ Ganze Nachbarschaften könnten sich dadurch verändern, meint der Gründer der City Farm. Die Zahlen liefern den Beweis: Der Verein ist zwar nach wie vor auf die Förderungen der Stadt angewiesen, doch der jährliche Umsatz durch verkauftes Gemüse macht bereits 60.000 US-Dollar aus.

Mittlerweile ist die grüne Welle auch auf Europa übergeschwappt. In Städten wie Kopenhagen, Paris, Berlin, Hamburg und Leipzig entstehen immer mehr selbstinitiierte und selbstverwaltete Nutzgärten. Die Paradeiser wachsen in Baulücken, die Kartoffeln neben der Sandkiste, die Schnittblumen für den Wohnzimmertisch auf der Verkehrsinsel zwischen Bushaltestelle und S-Bahn-Station.

„Der Garten ist ein Ort für Gespräche, Integration, Gesundheit und Selbstversorgung“, sagt Marco Claussen, Gründer des Prinzessinnengartens in Berlin-Kreuzberg. „Vor allem für Migranten ist so ein Ort wichtig. Die meisten Migranten kommen vom Land, wohnen aber in der Stadt.“ Das wecke unweigerlich eine gewisse „Anbausehnsucht“.

Auch in Berlin wird das angebaute Obst und Gemüse verkauft. „Immer mehr Leute wollen nachvollziehen, wo und wie ihre Nahrungsmittel angebaut und hergestellt werden“, so Claussen. Noch viel wichtiger: „Der Garten ist ein Treffpunkt für Bewohner, ein Ort der Langsamkeit und Ruhe.“ Doch die Immobilienbranche schläft nicht. Um potenzielle Projektentwickler und Investoren nicht auf immer und ewig zu vergraulen, muss der Prinzessinnengarten einmal im Jahr übersiedeln. Der alljährliche Umzug findet traditionsgemäß in nichtmotorisierten Vehikeln, zum Beispiel in Einkaufswagen, statt.

Kein Platz für Bottom-up?

Warum ist diese Entwicklung noch nicht auf Österreich übergeschwappt? „City-Farming ist eine Bottom-up-Bewegung, die von der Stadtplanung mitgetragen werden muss“, erklärt die Kuratorin Karin Standler. „Im Stadtentwicklungsplan für Wien (Step 2005) wird bis 2015 jedoch ein Bevölkerungswachstum von mehr als 21 Prozent prognostiziert.“ Man werde die Stadt nachverdichten müssen, die Brachflächen würden dadurch weiter zurückgehen. „Das ist eine ganz andere Situation als in Berlin oder Leipzig.“

Im aktuellen rot-grünen Regierungsübereinkommen der Stadt Wien ist von entsprechenden Pilotprojekten die Rede: Dachbegrünungen, Grünoasen in Innenhöfen und grüne Hausfassaden sollen weiter gefördert werden. „Gemeinsames Garteln fördert soziale Beziehungen und Nachbarschaftskontakte in den Bezirken“, sagt Maria Vassilakou, Planungsstadträtin für Wien (Grüne), auf Anfrage des Standard. „Der Ausbau von Community-Gardening-Projekten in Wien ist uns ein großes Anliegen. Ziel ist es, dass in jedem Bezirk zumindest ein Grätzelgarten geschaffen wird.“

Bis es so weit ist, muss man sich mit mobilen Mitteln behelfen: Das US-amerikanische Künstler- und Designer-Kollektiv Rebar Group baute mangels Grünraums in der Stadt 2007 den sogenannten Park Cycle, eine Art Wiesenlimousine mit Baum in der Mitte, angetrieben durch den Tritt in die Pedale. „Der Lebensraum Stadt muss in Zukunft unbedingt an Qualität dazugewinnen“, sagt John Bela, Mitbegründer von Rebar. „Umdenken ist ein erster Schritt.“
[ Die Ausstellung „Im Garten. Lebensräume zwischen Sehnsucht und Experiment“ ist bis 16. Oktober 2011 im Nordico Stadtmuseum Linz zu sehen. Der gleichnamige Ausstellungskatalog (€ 18,00) ist im Verlag Anton Pustet erschienen. ]

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