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Die Stadt im Flow
Spectrum

Peking: eine Stadt, die internationale Konkurrenz als Vorbild und nicht als Bedrohung versteht.Noch dominieren ausländische Kreative das architektonische Geschehen. Noch.

11. Juni 2011 - Christian Kühn
Wenn über China gesprochen wird, dreht sich schnell alles um Zahlen: 1,3 Milliarden Einwohner, rund 45 Prozent davon in Städten. Im Jahr 2025 wird es in China voraussichtlich 220 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern geben. Heute sind es 42, gegenüber 31 in Europa. Schanghai und Peking sind mit 19,2 beziehungsweise 15,8 Millionen Einwohnern die beiden bevölkerungsreichsten Städte der Welt. Schanghai hat mit 400 Kilometern das längste U-Bahnnetz, seine erste Linie wurde erst 1995 eröffnet. Die Pekinger U-Bahn ist zwar nur 228 Kilometer lang, dafür besitzt die Stadt den nach Atlanta, USA, leistungsfähigsten Flughafen, dessen neuer, von Norman Forster entworfener Terminal drei mit einer Nutzfläche von 1,3 Millionen Quadratmetern das flächenmäßig größte Gebäude der Welt ist.

Auch die zeitgenössische Architektur Chinas konnte man bis vor Kurzem unter der Perspektive der Massenproduktion abhandeln. Als China in den 1990er-Jahren begann, massiv in Infrastruktur und Wohnbau zu investieren, drehte sich die architektonische Diskussion in der Regel um das Dekor, mit dem sich standardisierte Hochhäuser in der Sockel- und Dachzone als „chinesisch“ artikulierten, soweit sie nicht ohne jeden ästhetischen Anspruch als technische Gebilde hochgezogen wurden.

In den vergangenen Jahren hat sich die Situation deutlich geändert. Der Immobilienmarkt hat zumindest in einem Segment, das sich immer noch in Millionen von Quadratmetern bemessen lässt, ein Niveau erreicht, das den höchsten internationalen Standards entspricht. Preise und Nutzfläche von Wohnungen bewegen sich dabei in einem exklusiven Bereich: Im „MOMA Linked Hybrid“, einer Anlage mit 620 Apartments und einem Hotelturm in Peking, entworfen vom New Yorker Architekten Steven Holl, kostet der Quadratmeter umgerechnet rund 6000 Euro, die Wohnungsgröße bewegt sich zwischen 140 und 400 Quadratmetern. Ein Skywalk auf der Ebene des 17. bis 20. Stockwerks verbindet die Türme als halb öffentliche Zone mit Clubs und Schwimmbad. Im Zentrum der Anlage befindet sich eine Wasserfläche, auf der ein kleines Programmkino mit einer begrünten Terrasse als zweite Gartenebene zu schweben scheint. Auch ökologisch versucht das Projekt zu punkten: Heizung und Kühlung erfolgen durch Bauteilaktivierung über eine geothermische Anlage und Wärmepumpen, Brauch- und Trinkwasser werden in getrennten Systemen geführt.

Bereits 2005 haben die österreichischen Architekten baumschlager.eberle auf einem Grundstück gegenüber für denselben Developer einen Wohnbau projektiert, der in ökologischer Hinsicht Maßstäbe setzte. Formal weniger spektakulär als der „Linked Hybrid“, zeichnete sich dieses Projekt durch den ersten außen liegenden Sonnenschutz bei einem Wohnturm in China, mechanische Belüftung und einen Heizwärmebedarf aus, der bei einem Drittel des damals üblichen lag. Verkleidet sind die Türme zum Teil mit Kupferblech, einem edlen Material, das in China zur Errichtungszeit vergleichsweise billig zu haben war.

Ein solcher Pragmatismus ist bei den aktuellen Projekten, die in Peking nach Entwürfen von internationalen Großarchitekten entstehen, nicht zu bemerken. Stattdessen wird zumindest in der Erklärung versucht, sich an Merkmale der traditionellen chinesischen Architektur anzunähern. Steven Holl etwa leitet die Farbgebung auf der Fassade seines „Linked Hybrid“ von den polychromen Holzbemalungen ab, die für die chinesische Tradition charakteristisch sind. Dass den neuen Wohnbauten ein traditionelles Hutong-Viertel nach dem anderen weichen muss, bleibt dabei unerwähnt.

Beim Olympiastadion, dem „Vogelnest“, für dessen Entwurf die Architekten Jaques Herzog und Pierre de Meuron mit dem Künstler Ai Wei Wei zusammengearbeitet haben, findet sich die Konfrontation perfekter Symmetrie mit exzentrischen Mustern, die in der chinesischen Ästhetik immer wieder thematisiert wurde. Diese Exzentrik ist keine oberflächliche Angelegenheit: Ai Wei Wei hat sie zu leben versucht und als Recht auf Kritik interpretiert. Der chinesischen Regierung ist die Botschaft des „Vogelnests“ wohl zu spät aufgefallen. Selbst nach der Inhaftierung Ai Wei Weis steht dieses prominent auf der zentralen Achse der Stadt, und das Gerücht, es könnte wieder abgerissen werden, angeblich um den Stahl zu verwerten, ist vielleicht nicht aus der Luft gegriffen.

Kritisches Potenzial haben auch Rem Koolhaas und Ole Scheren, die Architekten des Gebäudes für den staatlichen Fernsehsender CCTV, für ebendieses beansprucht. Noch sind die öffentlichen Bereiche des Gebäudes nicht zugänglich, weder der offene Platz unterhalb des Hochhauswinkels noch die Skylobbys und Terrassen, die es in den obersten Geschoßen enthalten soll. Welche Art von zumindest potenziell kritischer Öffentlichkeit dort jemals entstehen kann, wird sich erst zeigen. Im Moment spielt das Gebäude seine irritierende skulpturale Qualität in der Fernwirkung aus. Von vielen Punkten der Stadt aus sichtbar, wirkt es weniger wie ein Bürohaus, sondern eher wie eine technische Infrastruktur, die alles andere als harmlos aussieht.

Dass diese Projekte ausnahmslos von internationalen Architekten stammen, spricht eher für das aktuelle Selbstbewusstsein der Chinesen, die an dieser Konkurrenz wachsen wollen. Gab es in China 1985 noch gezählte acht Universitäten, an denen man Architektur studieren konnte, sind es heute 250. Die Studierenden dort sind so motiviert, wie man es nur in einem Land sein kann, das in den nächsten 15 Jahren sein Bauvolumen zumindest verdoppeln wird. Auf ausländische Kreativität wird man hier nicht mehr lange angewiesen sein.

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