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Schlag den Star
Spectrum

Die Stararchitektur ist tot, es lebe der neue, der andere Star? Über die fantastischen Szenerien des Alexander Brodsky und eine Ausstellung seines Werks im Architekturzentrum Wien.

9. Juli 2011 - Christian Kühn
Vor knapp einem Jahr verkündete Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, anlässlich der Biennale in Venedig das Ende der Stararchitektur. Dreißig Jahre lang hätte diese einen Jahrmarkt der Eitelkeiten bedient, dessen solitäre Objekte nichts anderes darstellten als eine Demonstration wirtschaftlicher oder politischer Macht.

So gut wie überall auf der Welt, das beweise nun die von Kazuo Sejima kuratierte Biennale, hätte eine Gegenbewegung dazu eingesetzt, charakterisiert durch die Verwendung „armer“ Materialien, lokale Bezüge und Traditionen, Wiederverwendung und Umnutzung, experimentelle Auseinandersetzung mit Atmosphären. Nur in Österreich hätten diesen Trend die Verantwortlichen für den Beitrag zur Biennale noch kaum begriffen, der sich tatsächlich als einfältige Leistungsschau der heimischen Stararchitektur präsentierte. Der Widerspruch aus der himmelblauen Ecke folgte prompt: Die Biennale, so Wolf D. Prix, sei insgesamt langweilig geraten und würde in ihrer Stimmungsverliebtheit von aktuellen gesellschaftlichen Problemen ablenken. Diese könne der Star – im Gegensatz zum Stimmungskünstler – durch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit etwas beeinflussen.

Nun schlägt das Architekturzentrum Wien zurück, nicht mit einer systematischen Ausstellung über den angeblichen neuen Trend, sondern mit seinem eigenen Star, dem Russen Alexander Brodsky. 1955 in Moskau in eine Künstlerfamilie geboren, studierte Brodsky am renommierten MArchI, dem Moskauer Architektur Institut, wurde nach seinem Abschluss aber vor allem als Mitglied einer losen Gruppe von „Papier-Architekten“ bekannt. Zusammen mit seinem Partner Ilya Utkin reagierte er auf die Stagnation der Breschnew-Ära mit Wettbewerbsbeiträgen zu öffentlichen Bauaufgaben, die statt der normierten sowjetischen Ästhetik fantastische, von Piranesis Kupferstichen inspirierte Szenarien zeigten.

Mit diesen Gegenentwürfen zum Mainstream des Bauens lagen Brodsky und Utkin Anfang der 1980er-Jahre mitten im Trend jenes Zweigs der Postmoderne, der sich durch eine Rückbesinnung auf die Architekturgeschichte neu zu orientieren versuchte. Ihre Arbeiten wurden auch außerhalb Russlands bekannt, selbst in Japan, wo sie 1982 mit einem solchen Piranesischen Kupferstich einen von der Zeitschrift Japan Architect ausgeschriebenen Wettbewerb gewannen.

1989 wurden Brodsky und Utkin zum ersten Mal zu einer Ausstellung nach New York eingeladen, wo sie sich rasch als bildende Künstler etablierten, vor allem mit Installationen, mit denen sie ihre Piranesischen Visionen vom Papier in den Raum übersetzten. Auch das Herzstück der Ausstellung im Architekturzentrum Wien ist eine Weiterentwicklung eines Projekts, das Brodsky und Utkin 1991 für die Ausstellung „Between Spring and Summer: Soviet Conceptual Art in the Era of Late Communism“ entwickelten und an drei Standorten in den USA zeigten. Es handelt sich um einen lang gestreckten Raum, dessen Boden mit einer schwarzen, spiegelnden Flüssigkeit bedeckt ist. Nur am Rand dieser Spiegelfläche bleibt ein schmaler Umgang für die Besucher. Auch die Wände sind schwarz und mit mattem, Licht schluckenden Filz bedeckt. Umso dramatischer ist der Blick nach oben, wo in mehreren Schichten Alltagsgegenstände zu schweben scheinen, Flaschen, Haushaltsgeräte, Fahrradteile. Alle Gegenstände sind matt-schwarz lackiert, der künstliche Himmel über ihnen leuchtet wie an einem grauen Herbsttag. Durch ein umlaufendes Spiegelband entsteht der Eindruck, als würde diese Woge aus verbrauchten Gegenständen die ganze Welt überspannen. Der glänzende Boden verdoppelt dieses Bild nach unten, mit einer starken Verfremdung: Während der Blick nach oben vom Schwarz-Weiß-Kontrast lebt, wirkt seine Spiegelung wie ein Gemälde in unterschiedlichen Schwarztönen, da ihm die dunkle, aus einer dünnen Schicht Altöl bestehende Spiegelfläche beinahe alles Licht entzieht.

So beeindruckend dieser Raum ist, findet sich die eigentliche Überraschung der Ausstellung in einem Nebenraum, in dem Fotos jener Arbeiten präsentiert werden, die Brodsky seit 2000 als Architekt geschaffen hat, nach der Auflösung der Partnerschaft mit Utkin und der Rückkehr nach Russland nach einem vierjährigen Aufenthalt in New York. Der Titel der Ausstellung im Architekturzentrum – „It still amazes me that I became an architect“ – bezieht sich auf diese überraschende Wende in Brodskys Biografie. Er hätte, so Brodsky, eines Tages bemerkt, dass Architektur zu machen für ihn ganz einfach sei, so wie man Auto fährt, obwohl man gar nicht weiß, wie das Auto wirklich funktioniert. Eine wichtige Rolle spiele auch die Tatsache, dass er zur modernen und zeitgenössischen Architektur, die er trotz aller Mühe lange nicht verstanden hätte, heute einen Zugang gefunden habe. Als historische Referenzpunkte nennt er Sigurd Lewerentz und Gunnar Asplund, als aktuelle Peter Zumthor oder Peter Märkli. Aber auch ein Raum wie der von Norman Foster überdachte Hof des British Museum in London könne ihn heute begeistern.

Viele der Projekte seit 2000 bewegen sich an der Grenze zur Installation, aber sie haben alle einen Gebrauchswert. Es sind Restaurants darunter, Pavillons für Kunstausstellungen, Einfamilienhäuser und Bauten für einen Golfklub. Alte Materialen spielen eine Rolle, etwa beim Wodka-Pavillon, der aus Holzfenstern einer ehemaligen Fabrik besteht, oder bei einer Rotunde mit Türen verlassener Häuser. In diesen Projekten ist Brodsky zweifellos ein Melancholiker, der den historischen Städten nachtrauert, die wie in Moskau nur noch in der Erinnerung existieren. Aber es sind auch durchaus optimistische, gelassene Projekte darunter, neben denen die gängige Hochglanzarchitektur verkrampft und müde aussieht. Ob die Zukunft der Architektur aus dieser Richtung kommt? Oder nur die nächste Mode mit neuen Stars? Im Architekturzentrum kann man diesen Sommer zumindest darüber meditieren.

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