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Heldentod im Schwarzen Garten

„Ich denke, wenn man diesen Garten betritt, der zu dunkel und zu schwarz und zu regelmässig ist, und den Text auf den Bänken dazu liest - da ist es unmöglich, misszuverstehen, worum es geht. Das hoffe ich jedenfalls.“

1. August 2003 - Udo Weilacher
Unmissverständlichkeit zählt zu den Merkmalen der Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer.

Doch während sie sich seit Beginn der achtziger Jahre bevorzugt elektronischer Reklamelaufbänder bedient und meist sehr persönliche, gesellschaftspolitisch engagierte, grell leuchtende Botschaften im öffentlichen Raum der Metropolen zur Diskussion stellt, wählte sie Anfang der neunziger Jahre erstmals einen Garten als Medium. Elektronik schien ihr für das Projekt in Nordhorn, einer niedersächsischen Kreisstadt an der deutsch-niederländischen Grenze, zu unsensibel. Deshalb wagte sie sich, fachmännisch beraten vom amerikanischen Landschaftsarchitekten Dee Johnson und dem örtlichen Stadtgärtner, an die Gestaltung eines Stadtparks beim 1929 errichteten Kriegerdenkmal «Am Langemarckplatz».

Als «Nordhorner Ehrenmal» wurde die Gedenkstätte ursprünglich für die «ruhmreich gefallenen Heldensöhne» der Kriege 1870/71 und 1914-18 errichtet, eine leicht erhöhte, einfach gestaltete Rundanlage. Im Zentrum liegt eine kreisrunde, mit den Namen getöteter Soldaten versehene Kalksandsteinplatte. Darauf stand mittig ein zylindrischer Sockel mit der Skulptur eines nackten, knienden Jünglings. «Die Gefällten sind es, auf denen das Leben steht», lautet bis heute die Inschrift des Sockels.

Aber die Skulptur des Bildhauers Hermann Scheuernstuhl, stilistisch der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, fehlt: Die Nationalsozialisten liessen sie wegen ihrer Nacktheit und angeblich negroider Züge in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1933 verschwinden. Sie erkoren den Platz nach seiner Umbenennung in Langemarckplatz 1938 zu ihrer bevorzugten Heldengedenkstätte. Der neue Name bezog sich auf die verlustreiche Schlacht bei Langemarck in Flandern, wo laut offiziellem Bericht der Obersten Heeresleitung der Deutschen Reichswehr im November 1914 kampf- und opferbereite junge Kriegsfreiwillige, das Deutschlandlied auf den Lippen, im Sturm die feindlichen Stellungen eroberten.

Was während des Dritten Reiches gezielt mythologisiert und zu Propagandazwecken benutzt wurde, widersprach den tatsächlichen Ereignissen und wurde später von Historikern als absichtliche Falschmeldung zur Kriegsverherrlichung entlarvt.

1959 setzte die Stadt die Gedenkstätte instand. An die Stelle der fehlenden Skulptur kam eine vermeintlich neutrale Feuerschale. An der langen Ziegelsteinstützmauer zum tiefer gelegenen Teil des Parks ergänzte man 23 bronzene Tafeln zum Gedenken an die Nordhorner Gefallenen des Zweiten Weltkrieges; hinzu kam eine Tafel zur Erinnerung an die «politisch und rassisch Verfolgten».

Die Auseinandersetzung mit der umstrittenen Geschichte und der Namensgebung des Platzes begann in Nordhorn jedoch erst 1986 und mündete 1989 in den Auftrag an Jenny Holzer, den Ort umzugestalten. Direkt angrenzend an die alte, erhöhte Rundanlage schuf die Künstlerin im tiefer gelegenen Teil des Parks, inmitten der Lichtung zwischen alten Parkbäumen, eine zweite, im Durchmesser wesentlich grössere, kreisrunde Gartenanlage - eine Art «Echo» auf das Existierende.

Der Grundriss der neuen, 3447 Quadratmeter grossen Anlage gleicht dem eines mittelalterlichen Klostergartens, erinnert aber auch absichtlich an eine Zielscheibe. Konzentrisch angelegte, ringförmige Beete werden durch Rundwege voneinander getrennt und durch zwei kreuzförmig auf das mittlere Rundbeet zulaufende Wege in zwölf Teile gegliedert. Die Beeteinfassungen aus rotem Bentheimer Sandstein und die Wegebeläge aus rotem Ziegelsplitt unterstreichen den provozierenden Charakter des Gartens; sie korrespondieren aber auch mit den dunkelroten Ziegelsteinmauern und -treppen der alten Anlage.

Fünf einfache Sandsteinbänke, zwei im alten und drei im neuen Bereich placiert, zählen ebenso zu den gestalterischen Gemeinsamkeiten und erinnern auf den ersten Blick an die Originale von 1929.

Doch der Schein trügt. Neue Inschriften in Deutsch und Englisch beschreiben drastisch das Grauen des Krieges und machen es im Grunde unmöglich, die Bänke zu benutzen: «Vollkommen verbrannt, nur die Zähne unversehrt, sitzt er da, an den Panzer angeschmolzen. Das Metall speichert die Sonne und Hitze von der Explosion. Sein Tod ist noch frisch, er verströmt einen angenehmen Geruch. Man muss ihn wegziehen, wobei die Haut zerreisst. Sein Anblick wirkt auf die Leute unterschiedlich.»

In scharfem Kontrast zur schockierenden Wirkung dieser Texte erscheint das schwarzfruchtige Zierapfelbäumchen Arkansas Black in der Mitte des neuen Gartens geradezu grotesk klischeehaft, zynisch - oder doch ironisch? Im Black Garden wird deutlich, wie schwierig es ist, ein Antidenkmal zu schaffen, das bei niemandem Begeisterung für den Krieg wecken würde.

Die Verknüpfung unterschiedlichster Bedeutungsebenen und die Gratwanderung zwischen eingängiger Botschaft und überkommener Symbolik ist heikel, das blieb auch Jenny Holzer nicht verborgen: «Ich habe den Garten wohl etwas mit Symbolen überladen. Aber als ich hörte, dass schwarze Äpfel wirklich existieren, konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich dachte, es wäre ein logischer Mittelpunkt. Fast jeder kennt diese Bibelstelle: sie scheint von der unbezähmbaren Neugier des Menschen zu handeln, das Falsche zu tun. Also fand ich den Baum in der Mitte richtig.»

Was dem Garten im Schatten alter Parkbäume den Namen und seine eigentümlich melancholische Atmosphäre verleiht, ist die flächendeckende Bepflanzung des leicht abgesenkten Areals mit dunkel- bis schwarzlaubigen und dunkelblütigen Pflanzen. Schwarzes Mondo-Gras, dunkellaubiges Geranium und Kriechender Günsel mit dunkelviolettem Blattwerk bedecken den grössten Teil der Beete. Blutberberitzen, Blutbuchen und Blutpflaumen rahmen die Anlage, setzen punktuelle Akzente. Die dunkelrosa Blüten der Blutpflaumen verbreiten eine fast schwermütige Stimmung.

Zu den eindrucksvollen Höhepunkten im Blühkalender des Schwarzen Gartens zählt aber die Blüte Hunderter schwarzer Tulpen im äusseren Randbereich der Zielscheibe. Nur ein kleines Beet vor der Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus liess die Künstlerin mit weissen Tulpen bepflanzen. Jahr für Jahr wird der Bepflanzungsplan in Zusammenarbeit mit Jenny Holzer an die örtlichen Standortbedingungen angepasst und erweitert.

«Der Garten war für mich ein Ausgangspunkt, eine irgendwie neue Art des Handelns, ein Lern- und Erfahrungsort», beschreibt die Amerikanerin ihre Erlebnisse mit einem für sie neuen Medium, einem lebendigen.

Auch Bewohner und Besucher in Nordhorn müssen im Umgang mit dieser ungewöhnlichen neuen Generation von Antigedenkstätten, dem Garten als Ort des Handelns und Erinnerns, erst ihre Erfahrungen sammeln. Sie lehnen zum Teil Holzers beunruhigende Todesschilderungen im öffentlichen Raum ab.

Damit stehen sie nicht allein; denn in unserer wachstumsorientierten Gesellschaft wird der Umgang mit Vergänglichkeit immer schwieriger. Für die Welt des 21. Jahrhunderts, die sich bevorzugt jung, dynamisch und attraktiv in Szene setzt, ist der Tod oft nur ein unliebsamer Störfall. Man will ihn schnell plausibel erklären und dann möglichst rasch wieder zur Normalität finden. Nur wenn Helden sterben, deren Heldentum bevorzugt an der täglichen Medienpräsenz gemessen wird, horcht die Welt für einen kurzen Augenblick auf.

Der Stadtrat von Nordhorn bewies Rückgrat und beschloss im März 1995 offiziell die Umbenennung der Anlage in Schwarzer Garten.

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