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Fünfzehn Minuten Ruhm
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Ein Geheimtipp unter Architekturfans: der mährische Kurort Teplice nad Bečvou. Geprägt durch Bauhaus-Funktionalismus, erzählt der Ort die Lebensgeschichten von ehemals dort ansässigen Familien.

12. November 2011 - Iris Meder
In den kleinen mährischen Kurort Teplice nad Bečvou verirrt man sich nicht leicht. Der Bahnhof aus den Dreißigerjahren ist eher eine notdürftig instand gehaltene Ruine mit abgesperrter Halle, deren kubische Schönheit noch zu erahnen ist.

Nach dem lebensgefährlichen Überqueren der Schnellstraße, die den Bahnhof vom Ortszentrum trennt, sucht man Kurcafés und Promenaden mit schicken Geschäften leider vergebens. Die Pensionisten bleiben während ihrer kassenärztlich verschriebenen Cardio-Rehabilitationskuren auch bei Schönwetter eher in den Kurheimen, Mittag- und Abendessen werden vorzugsweise mit Trainingsanzug und Hausschlapfen in den hauseigenen Speisesälen eingenommen.

In der Militär-Oberrealschule des nahen Städtchens Hranice, dem Teplice nad Bečvou (nicht zu verwechseln mit dem nordböhmischen Teplitz-Schönau) zeitweise eingemeindet war, erlebte Robert Musil jene Provinztristesse, in der er später die Handlung seines „Törless“ ansiedelte. Hauptattraktionen des malerisch im Tal der Bečva gelegenen Ortes sind die Zbrašover Aragonit-Höhle, dank dem lokalen Mineral-Thermalwasser die wärmste Höhle in Tschechien, und die Hranicer Schlucht, deren exakte Tiefe bislang nicht zu ermitteln war, die aber jedenfalls der tiefste Abgrund des Landes ist.

Unter Architekturfans ist der Ort am Rand der Beskiden dagegen noch immer ein Geheimtipp. Dabei hatte er in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik seine fünfzehn Minuten Ruhm, deren Spuren heute noch zu sehen sind. In Westböhmen standen auch nach dem Ersten Weltkrieg die k.u.k.-Hotspots Karlsbad und Marienbad hoch im Kurs, vor allem bei deutschsprachigen Gästen. Als mährisches Pendant wurde Luhačovice zum gesellschaftlichen Treffpunkt ausgebaut. Ähnliches hatte man mit dem etwas nördlicher gelegenen Teplice nad Bečvou vor.

Nach der Übernahme des Kurbetriebs durch die Prager Zentrale Sozialversicherung im Jahr 1930 baute der Architekt Karel Kotas, ein Schüler des Vaters der tschechischen Moderne Jan Kotěra, das alte Kurhaus Bečva am Ufer des gleichnamigen Flüsschens um und fügte ihm einen Hoteltrakt und eine luftige Kolonnade hinzu. Es folgten Kessel- und Maschinenhaus und der über zwei Freitreppen erschlossene Flachdachbau des Postamtes. Das Ensemble in schönstem Bauhaus-Funktionalismus prägt bis heute das Panorama des Ortes.

Aber es kam noch besser: 1933, Auftritt Oskar und Elly Oehler. Oskar Oehler und Elly Sonnenschein, beide aus mährischen Baumeisterfamilien stammend, hatten einander beim Architekturstudium an der Brünner Technischen Hochschule kennengelernt. Ab dem Jahr 1932 führten sie ein gemeinsames Atelier in Prag, wo sie mit ihrer Tochter in einer eleganten Wohnung lebten und neben hochmodernen Industriebauten atemberaubend radikale Häuser im Geiste Le Corbusiers entwarfen.

Vor dem Fall: Aufstieg und Villenbau

Oskar Oehler hatte zuerst beim führenden Brünner Funktionalisten Bohuslav Fuchs, dann bei Karel Kotas gearbeitet, der das Paar nach Teplice vermittelte. Dort entstand auf einer Anhöhe über dem Kurpark, dem Fluss und den Sanatorien eine von einer Dachterrasse gekrönte glamourös corbusianische Villa für Ladislav Řihovský, den Pächter der Kuranlagen.

Rechts und links von Řihovskýs Haus wuchsen in den folgenden Jahren die Villen der Kurärzte empor, darunter mehrere nach Entwürfen des Prager Architekten Karel Caivas, auch er Schüler Jan Kotěras und Verfechter eines organischen Funktionalismus mit einer Kombination aus Stein, Ziegeln, Holz und Glas und Schiffsmotiven wie Bullaugen, abgerundeten Terrassen und Stahl-Wendeltreppen. So auch das großzügige Haus des Chefarztes Oskar L. Stern, dessen Garten 1938 der Prager Gartenarchitekt Josef Miniberger gestaltete.

Kurz darauf erfuhr Teplices Blütezeit mit der Annexion der „Rest-Tschechei“ an das nationalsozialistische Deutschland einen herben Einschnitt. Die versuchte Emigration der Oehlers nach Australien endete am Brenner. Oskar Oehler wurde zur Zwangsarbeit verschleppt, während die Tochter des Ehepaars bei Bekannten in Prag versteckt wurde. Die einer jüdischen Familie entstammende Elly Oehler wurde 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert. Nach Kriegsende traten die ursprünglich deutschsprachigen Oehlers, die ihren Namen zu Olár tschechisiert hatten, der kommunistischen Partei bei. Ladislav Řihovský, der wieder den Kurbetrieb führte, holte sie zur Erweiterung der Kuranlagen erneut nach Teplice. Elly Oehler, die sich von ihrer Zeit in Theresienstadt nie erholte, starb 1953.

Der Familie des jüdischen Arztes Oskar L. Stern gelang nach der Internierung in einem Konzentrationslager 1941 die Flucht über Belgien, Finnland und Schweden nach Mexiko. Die Adoptivtochter Miroslava schlug dort nach einer gewonnenen Schönheitskonkurrenz eine Hollywood-Karriere ein. Dem Kriegstod ihres amerikanischen Verlobten folgten ein erster Selbstmordversuch und eine gescheiterte Ehe mit einem homosexuellen Schauspieler. Nach erfolgversprechenden Jahren und einer Hauptrolle in Luis Buñuels Film „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“ im Jahr 1955 nahm sich Miroslava Stern kurz nach Ende der Dreharbeiten mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.

Oskar Oehler verließ im Jahr 1966 desillusioniert die Partei. 1972 zog er zu seiner Tochter nach Wien, wo er wenig später starb. In den Jahren 2007/2008 wurde den Oehlers in Brünn eine Ausstellung mit Publikation gewidmet. Ihre Bauten in Prag, Oskar Oehlers Heimatstadt Přerov und in Teplice nad Bečvou sind in den letzten Jahren sorgfältig restauriert worden.

Die in den Siebzigerjahren aufgestockte und für Zwecke der Kurverwaltung genutzte Villa Řihovský wurde nach längerem Leerstand vor Kurzem von einer auf denkmalgeschützte Bauten der Moderne spezialisierten niederländischen Developer-Gesellschaft restauriert und zu einem Mehrfamilienhaus mit sieben Luxusappartements umgewandelt. Investoren verspricht die Website der Gesellschaft ein „reichhaltiges kulturelles und soziales Leben“ vor Ort. Einige der Wohnungen, so liest man auf einem Schild am Zaun des Grundstücks, sind noch zu haben.

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