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26. März 2011 Spectrum

Gab es da was?

Wien und das Bauhaus: Die Verbindungen sind eher lose. Doch auf dem Gebiet des Wohnbaus gibt es einige sichtbare Spuren: Carl Auböck, Anton Brenner – und Marcel Breuer. Aus Anlass der Breuer-Ausstellung im Hofmobiliendepot: ein Überblick.

Es war, so sagte Marcel Breuer später, die unglücklichste Zeit seines Lebens. Die Rede war von der kurzen Zeitspanne (nach eigenen Angaben: einigen Stunden), die der aus dem südungarischen Pécs stammende Maturant dank eines Stipendiums an der Wiener Kunstakademie verbrachte. Breuer hielt es danach immerhin einige Wochen im Büro des Architekten Hans Bolek aus. Letztlich konnte den ehrgeizigen Breuer die Formensprache des Josef-Hoffmann-Schülers aber nicht fesseln. Zu sehr lockte das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus.

Die aktuell in Wien zu sehende Ausstellung zum Möbeldesigner und Architekten Marcel Breuer, die das Hofmobiliendepot vom Vitra Design Museum im schweizerischen Weil am Rhein übernommen hat, bietet einen Anlass zu Reflexionen über das Thema Wien und das Bauhaus. Gab es da was? Auf Anhieb will einem nicht viel einfallen. Die Moderne hatte in Wien schon vor der Jahrhundertwende mit der Secession ihren Paukenschlag und mit Adolf Loos und Oskar Strnad wenig später eine eloquente und geistreiche skeptische Revision erlebt. Nach 1918 war in dem geschrumpften Land, so schien es, ein wenig die Luft raus aus der Architekturmoderne. Das Rote Wien setzte auf ein kostengünstiges Arbeitsbeschaffungsprogramm mit Massivmauerwerk, tragendenWänden und genormten Sprossenfenstern. Experimente waren nicht gefragt.

Dennoch existierte nach dem Ersten Weltkrieg in Wien vorübergehend eine (derzeit auch in einer Ausstellung im Unteren Belvedere behandelte) lebendige Avantgarde-Szene, zu großen Teilen bestehend aus linksgerichteten ungarischen Künstlern, die nach der Niederschlagung der Räterepublik das Land verlassen hatten: Lajos Kassák gab in Wien die Zeitschrift „MA“ (Heute) heraus, in der Kurt Schwitters, Oskar Schlemmer, Tristan Tzara, El Lissitzky und Alexander Archipenko publizierten. Unterstützt wurde Kassák von seinen Landsmännern Sándor Bortnyik und László Moholy-Nagy.

Seit 1916 in Wien ansässig, betrieb außerdem der Schweizer Johannes Itten eine private Malschule. Auf Initiative von Adolf Loos stellte Itten 1919 in der Künstlervereinigung „Freie Bewegung“ in der Kärntner Straße aus. Während seiner Wiener Zeit befasste er sich nicht nur intensiv mit der auf Meditation und Vegetarismus basierenden Mazdaznan-Lehre, sondern auch mit Alfred Rollers ganzheitlichem pädagogischem Konzept an der Kunstgewerbeschule, der heutigen „Angewandten“. Eine Berufung an die Hochschule lehnte Itten 1919 jedoch ab und folgte dem Ruf des Bauhaus-Gründungsdirektors Walter Gropius nach Weimar. Mit Itten gingen mehr als 20 Schüler und Mitarbeiter, neben den Ungarn Gyula Pap und Margit Téry unter anderem Franz Singer, Friedl Dicker, Franz Probst, Franz Skala und Carl Auböck. Wenig später zogen auch Moholy-Nagy, Sándor Bortnyik und der junge Marcel Breuer nach Weimar. Mit seinen – angeblich vom Lenker seines Fahrrads inspirierten – Stahlrohrmöbeln stieg Breuer schnell zum Star der Tischlerwerkstatt auf.

Insgesamt war die Österreicherquote am Bauhaus eher gering. Franz Singer und Friedl Dicker eröffneten nach ihrer Rückkehr ein Atelier in Wien, Franz Skala führte, begeistert von Ittens Mazdaznan-Praxis, neben seiner künstlerischen Tätigkeit bis in die Sechzigerjahre ein vegetarisches Restaurant und eine Turnschule am Petersplatz, deren Einrichtung er selbst entwarf. – In Dessau unterrichtete, nachdem er einige Zeit mit Franz Schuster und Margarete Schütte-Lihotzky im kommunalen Wohnbau in Frankfurt am Main gearbeitet hatte, der Wiener Architekt Anton Brenner, dessen Spezialgebiet komplex verschränkte Siedlungen waren. In seinen von der Presse als „Wohnmaschine“ titulierten Gemeindebau in der Rauchfangkehrergasse zog er mit Frau und zwei Kindern selbst ein. Einbauschränke, Klappbetten und ein intelligentes Grundrisskonzept boten auf 38 Quadratmetern ausreichend Platz, auch noch für ein Planlager und zwei Arbeitsplätze. Brenners ebenerdige Atriumhäuser in der Werkbundsiedlung haben überlebt, während sein funktionalistisches Jugendheim in der Krottenbachstraße in den Achtzigerjahren zerstört wurde.

Marcel Breuer plante derweil minimalistische Einrichtungen unter anderem für den Theaterregisseur Erwin Piscator und dessen Frau. Obwohl man im durch die Stahlrohr-Verächter Adolf Loos und Josef Frank geprägten Wien Metallmöbeln skeptisch gegenüberstand, war der Eindruck der vielfach publizierten Wohnung nachhaltig. So findet sich etwa der charakteristische wandbreite Hängeschrank mehrfach in Wiener Einrichtungen wieder.

1937 entwarf Breuer ein Skihotel für Obergurgl – die Ausführung unterblieb nach dem „Anschluss“. Breuer, der jüdischer Herkunft war, lebte zu dieser Zeit wie Herbert Bayer und Walter Gropius bereits in den USA. In Lincoln/Massachusetts baute sich der frisch gebackene Harvard-Dozent ein außen kompaktes und schlichtes, innen aber räumlich offenes Junggesellenheim auf mehreren Ebenen. Franz Singer war nach England geflohen. Friedl Dicker leitete bis zu ihrer Ermordung Kindermalkurse im Ghetto Theresienstadt. Teile der spektakulär modernen Bauten des Duos Singer/Dicker fielen dem Krieg zum Opfer, bei anderen setzte die Stadt Wien in den Sechzigerjahren die Abrissbirne an, als sollten die Spuren einer idealistischen internationalen Moderne noch posthum getilgt werden – etwa beim Gästehaus Heriot in der Rustenschacherallee mit seinem glamourösen zylindrischen Glaslift.

Carl Auböck kehrte nach seinem Studium nach Wien zurück, um die noch heute existierende Metallwerkstätte seines Vaters zu übernehmen. In der Nachkriegszeit hinterließ sein gleichnamiger Sohn immerhin einige architektonische Spuren in Wien, etwa die den Geist der Moderne atmenden Wohnhausscheiben in der Vorgartenstraße oder die gemeinsam mit Roland Rainer entwickelte Fertighaussiedlung in der Veitingergasse. Mit der an den USA orientierten Siedlung schließt sich der Kreis zur emigrierten Bauhaus-Moderne. Die Häuser von Ernst Plischke, Roland Rainer, Carl Auböck, Karl und Eva Mang atmen mit ihren offenen Grundrissen, geschützten Wohnhöfen und Glaswänden denselben freien Geist wie die von Gropius und Breuer.

26. Februar 2011 Spectrum

Das Licht in der Auster

Saunen, Dampfbäder, Whirlpools und ein Wellnessbereich mit Salzraum. Dazu ein Lichtkonzept und sorgfältig begrünte Außenanlagen. Man spürt, dass die Architekten selbst passionierte Bad- und Saunabenutzer sind.

In der Freizeit sollte man ja nicht zuletzt Körper und Psyche Gutes tun. Dieses Gute kann beispielsweise darin bestehen, Sport zu betreiben. Oder aber auch sich einfach nur durch Nichtstun zu entspannen. Mit diesen beiden – gerne kombinierten beziehungsweise aufeinander folgenden – Aspekten hängen auch die sich wandelnden Anforderungen zusammen, die an Schwimmbäder gestellt werden. Mit einem 25-Meter-Becken mit abgegrenzten Bahnen ist da kaum noch wer hinterm Ofen hervorzulocken.

Ein Schwimmbad muss heute nicht nur Sportstätte, sondern auch, wenn nicht gar in erster Linie, Wellness-Zentrum sein, so viel ist klar. Dabei verschwimmen die Grenzen von Sportbad und Therme zusehends. Heilkräftige Quellen scheinen für einen Thermenbetrieb eigentlich gar nicht mehr notwendig zu sein. Gefragt sind Zentren für körperliche Wohltaten in warmem und kaltem Wasser, Dampf und Salzluft.

In Graz ging man aufs Ganze und ersetzte das in den Sechzigerjahren nach Plänen der Architektin Hertha Rottleuthner-Frauneder gebaute Frei- und Hallenbad Eggenberg durch einen Neubau nach Plänen der Architekten fasch&fuchs, die als Sieger aus einem offenen EU-weiten Wettbewerb hervorgegangen waren. Das neue Bad rückten die Architekten an den Rand des Eckgrundstücks. Der Parzellenform folgend, ist der Baukörper bumerangartig abgewinkelt. Ein gemeinsames transparentes Foyer mit wasserblau verglastem Windfang, an türkischen Nougat erinnerndem, gesprenkeltem Boden und einem orange hinterleuchteten Info- und Kassenpult erschließt rechts das Sportbad mit 50-Meter-Wettkampfbecken und Zuschauertribünen, links den Wellnessbereich mit mehreren Innen- und Außenbecken und in der Mitte das Freibad, das im Mai eröffnet wird. Hier ist mit dem 50-Meter-Außenbecken ein letzter Rest der alten Anlage erhalten geblieben.

In seiner Dachlinie folgt der Bau den Funktionen, die er aufnimmt. Vom flachen Kleinkinder-Beckenbereich hinter dem Sportbecken schwingt er sich über das zweigeschoßige Foyer, über dem die teils mit spektakulären Ausblicken auf Freifläche und Schwimmhalle ausgestatteten Verwaltungsräume, ein Physiotherapie-Zentrum sowie eine verglaste VIP-Loge für Wettkämpfe liegen, und auf der anderen Seite wieder herunter bis zum intimen Bereich der finnischen Sauna mit vorgelagertem Ruhegarten. Das Bild einer Auster, die sich nach außen leicht öffnet und in ihrem Inneren irisiert und glänzt, prägte nicht nur den Entwurf von fasch&fuchs, sondern gab am Ende dem ganzen Bad seinen Namen.

Eine Stahlfachwerk-Konstruktion trägt das Dach mit einer Untersicht in weißlich lasiertem Holz. In der Schwimmhalle sind unter ihm weiße Textilsegel gespannt. Als gleichermaßen akustische wie brandschutztechnische Elemente sind sie von einer Seite geschlossen und öffnen sich, auch hier einer Auster ähnlich, zur anderen Seite. Der Rhythmus der dadurch entstehenden belebten Rautenstruktur folgt den Bahnen des Schwimmbeckens.

Mit einer großzügigen Verglasung gibt die hellbeige geflieste Halle den Blick nach Westen zum Freigelände und Schloss Eggenberg ebenso frei wie zur östlich gelegenen Straße. Fußgänger promenieren so parallel zu den auf der Empore entlanggehenden Schwimmern im Badekostüm, Passanten können Blicke auf die über eine Brücke erreichbaren Sprungtürme erhaschen. Tageslicht ohne Einblicke kommt über großzügige Oberlichtbänder sogar in die Sportlerumkleiden im Untergeschoß. Überhaupt sind die Umkleideräume mit auffallender planerischer Sorgfalt gestaltet – nicht düstere Kellergelasse, sondern angenehme, farblich fein abgestimmte, großzügig geschnittene Foyers, in denen man sich gern aufhält.

Dass beide Architekten nicht nur selbst gerne ihre Bahnen ziehen – Hemma Fasch ist ums Eck aufgewachsen und war in ihrer Jugend häufiger Gast des alten Bades –, sondern auch passionierte Saunagänger sind, ist dem Bau überall anzumerken. Auch in den auf rund 180 Besucher angelegten Wellnessbereich mit Salzraum, diversen Saunen, Tepidarien, Dampfbädern, Tauchbecken und Whirlpools fließt großzügig Tageslicht von vielen Seiten und aus unterschiedlichen Winkeln. Vielfältige Wegeführungen und Raumbildungen verschiedenster Ausformungen von höhlenartig bis offen ermöglichen Ruheterrassen auf diversen Levels. Das Klaustrophobische vieler Saunen wurde zugunsten von Glaswänden mit Ausblicken vermieden. Überall ermöglichen Leselampen, die wie Insektenfühler aus Wänden und Decke wachsen, ein entspannendes Zeitverbringen nach eigenem Ermessen. Schieferartige anthrazitgraue Bodenfliesen und schimmerndes Glasmosaik geben der lichtdurchfluteten Wellnesszone eine warme Atmosphäre. Ein je nach Wochentag und Tageszeit wechselndes Lichtkonzept entwickelte der Künstler Thomas Hamann. Subtropische Pflanzen bevölkern den Innenraum, die Gestaltung der Außenanlagen mit Tamariskengarten, Rosen, Bambus und niedrigen Hecken lag bei der Landschaftsarchitektin Alice Größinger und ihrem Büro Idealice.

Die Möblierung reicht von amorphen Sitzsäcken, die nach den Bedürfnissen der Besucher da- und dorthin gezogen und zum Lesen oder für ein Schläfchen genutzt werden, bis zu klassisch-modernen Max-Bill-Liegen und flaschenförmigen dänischen Lampen im schicken kleinen Restaurant des Bades. Dort konnten die planenden Architekten die Gestaltung bis hin zum Muster der Tischplatten, ja sogar bis zum Namen des Lokals selbst in die Hand nehmen – sie genossen bei ihrer Arbeit das volle Vertrauender Auftraggeber. „Der Bauherr war sehr interessiert und hat an allen Besprechungen teilgenommen“, betont Hemma Fasch die essenzielle Bedeutung von Partnern, die hinter dem Projekt und den Planenden stehen. Dass die Architekten selbst gerne Schwimmhalle und Sauna der Eggenberger „Auster“ besuchen, gibt ihrem Entwurf ebenso recht wie der enorme Besucheransturm seit der Eröffnung am 10. Februar. Und hier ist es ausnahmsweise der Optimalfall, wenn die Architekten von sich selbst als potenziellen Nutzern ausgehen: „Wir haben an unsere eigenen Bedürfnisse als Badbesucher gedacht.Eigentlich haben wir das für uns gemacht.“

15. Januar 2011 Spectrum

Der Wille zur Welt

Als einziges der von Robert Kotas gestalteten Kinos hat das „Gartenbau“ das große Kinosterben unbeschadet überstanden. Zum Glück! Sein Bau vor 50 Jahren brachte einen Touch von Internationalität an den Wiener Parkring.

Kirk Douglas trug schwarze Lack-Ballerinas. Seine gut gelaunte Anwesenheit bei der Eröffnung des Gartenbau-Kinos anlässlich der Österreich-Premiere seines Films „Spartacus“, des seinerzeit teuersten Films der Welt, im Dezember 1960 ist in zahlreichen Schnappschüssen dokumentiert. Auch die mieselsüchtigen Mienen des neben ihm und seiner Frau in der ersten Reihe platzierten Paares. Es ist wohl ein bezeichnendes Bild für die Wiener Dualität eines Willens zu Weltläufigkeit und Fortschrittlichkeit, gepaart mit einer prinzipiellen Skepsis und misstrauischen Selbstbeschränkung.

Für hiesige Verhältnisse griff das Gartenbau-Kino, dessen 50-jährige Geschichte derzeit in einer von Fiona Liewehr und Norman Shetler kuratierten Ausstellung vor Ort dokumentiert wird, durchaus ins Volle. Wie für die Einrichtung des Vorgängerbaus in den Blumensälen der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft lag die Konzeption und Gestaltung des 900 Zuschauer fassenden neuen Kinos beim Architekten Robert Kotas. Das Kino war Teil eines Neubauprojektes der Architekten Erich Boltenstern und Kurt Schlauss, das mit seiner längs zur Straße gestellten Hotel-Hochhausscheibe die geschlossene Struktur der historistischen Ringstraßenbebauung durchbrach und damit für heftige Proteste privater Denkmalschutz-Organisationen sorgte. Letztlich brachte der Bau mit seiner schlanken, filigranen Struktur aber doch einen Touch von Internationalität an den Parkring, wozu vor allem auch das elegante, großzügige Kino mit seinem gleißend erleuchteten verglasten Eingang beitrug.

Der aus Mährisch Ostrau gebürtige Kotas, Architekt der KIBA seit der frühen Nachkriegszeit, war als nicht nur in architektonischen, sondern auch in technischen Fragen versierter Kino-Spezialist in Wien fast konkurrenzlos. Als Schüler von Clemens Holzmeister und Carl Witzmann hatte er sein Handwerk bei zwei der renommiertesten Theater-Architekten gelernt. Kotas' erster Kino-Großbau war 1950 das in der ehemaligen Markthalle Stadiongasse untergebrachte Forum-Kino. Bereits im Foyer punktete der außen eher abweisend als monolithische Garage verkleidete Bau mit einer ungewohnten und von der Kritik besonders positiv hervorgehobenen Weiträumigkeit, die unter anderem auch die Präsentation von Skulpturenaustellungen erlaubte. Weich und fließend schwang sich die zweiarmige Freitreppe auf die Empore, die Ränge im 1147 Zuschauer fassenden Kinosaal führten den weichen Bewegungsfluss weiter.

Kotas' Kino-Erfolge setzten sich fort, im Kolosseum-Kino, im intellektuell anspruchsvoller programmierten und mit schicken Schwarzweiß-Kontrasten und klarer Geradlinigkeit auch entsprechend gestalteten Studio 1 des Flotten, im Tuchlauben, Opern, Stadtkino, Rabenhof und zahlreichen anderen, die heute verschwunden oder stark verändert sind. Dabei entwickelte Kotas auch eine Art Corporate Design mit eigenen Schrifttypen innerhalb der Ikonografie der Bauaufgabe Kino. Dennoch behielt jedes Haus gemäß seiner Umgebung und Dimension einen eigenen Charakter.

Das Gartenbau bot, anders als die anderen, durch seine Situierung in einem Neubau, die Chance, die Räumlichkeiten des Premierenkinos ohne vorgegebene bauliche Beschränkungen zu planen. So ist das Foyer des Gartenbau mit seiner theatralisch inszenierten Staffelung von Raumschichten mit Freitreppen, Emporen, Verengungen und Aufweitungen noch heute beeindruckend. Kotas übernahm neben dem architektonischen Entwurf nicht nur die Organisation der technischen Infrastruktur (wie der in die Stahlstützen der Sitze integrierten Entlüftungen), sondern widmete sich auch gestalterischen Detailaufgaben bis hin zu Café-Sitzbänken und Notausgangs-Schildern. Die aus Gründen der Raumakustik aus Platten mit zehnerlei verschiedenen Oberflächen zusammengesetzte Saaldecke komponierte Kotas zu einem auch farblich differenzierten abstrakten Bild.

Auch im Foyer gehen die künstlerischen Arbeiten großteils auf Kotas' Entwürfe zurück – so die konstruktivistische Mosaikwand im Gang zu den Toiletten. Neben der auf einem einzigen Träger ruhenden Treppe zur Café-Empore zählt die unverändert erhaltene Wand zu den schönsten Details des Hauses. Das großformatige hinterleuchtete Glasbild über dem Zugang zum Zuschauerraum stammt vom Künstler Johannes Peter Perz.

Ohne sich am extrovertierten Glamour Hollywoods zu orientieren, entwickelte Kotas eine adäquate zeitgenössische Formensprache für das, zumindest am Standort Ring, durchaus festliche gesellschaftliche Ereignis Kinobesuch. Auf den Architekturzeichnungen aus seinem Büro sind fast alle Besucherinnen in langen Kleidern dargestellt, im Zuschauerraum bot die KIBA vor dem Hauptfilm allabendlich moderierte Modeschauen. Vor der üppig bemessenen Leinwand von acht mal 17 Metern wurde für das kurzlebige „Cinemiracle“-Verfahren, bei dem mit drei Projektoren ein Surround-Effekt erzielt wurde, eine noch größere parabolförmig gebogene Projektionsfläche eingebaut.

Dass das Gartenbau als einziges der zig von Kotas in Wien und ganz Österreich eingerichteten Häuser das große Kinosterben nicht nur überlebt, sondern auch weitgehend unbeschadet überstanden hat, ist ein (zuletzt auch vielen privaten Aktivisten zu dankender) großer Glücksfall. Das von Leo Kammel gestaltete Weltspiegel-Kino am Gürtel beherbergt heute ebenso wie das von Albrecht F. Hrzan geplante Löwen-Kino einen Supermarkt. Geschlossen ist Karl Schwanzers Kolibri, verändert Rudolf Vordereggers Kosmos. Kotas' liebstes Kind, das Forum, wurde 1972 zugesperrt, das Gebäude 1975 abgerissen. Als Großkino hatte es mit dem Gartenbau eine letztlich zu starke Konkurrenz bekommen. Mehr Glück hatte Hrzans Filmcasino, das 1989 von Elsa Procházka restauriert und adaptiert wurde. Heute ist es neben dem Gartenbau der letzte authentische Zeuge der Wiener Kinokultur der Nachkriegsära. Mit ihren Auslagen und erleuchteten Foyers waren die zahllosen Lichtspielhäuser nicht zuletzt auch wichtige Bestandteile des großstädtischen öffentlichen Raums, die heute großteils verloren sind.

20. November 2010 Spectrum

Nutzung: der beste Schutz des Denkmals

Respekt vor dem Historischen und zugleich ein entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen: der Umbau eines 230 Jahre alten Nutzbaus in der Wiener Sensengasse zu einer hoch technisierten Universitäts-Zahnklinik.

Wenn ein 230 Jahre alter denkmalgeschützter Nutzbau zu einem hoch technisierten medizinischen Zentrum umgebaut werden soll, ist das keine geringe Herausforderung. Der Umgang mit dem architektonischen Bestand ist allerdings eine Bauaufgabe, die in Bedeutung und Umfang sicher noch zunehmen wird.

Daher zählt es mehr und mehr auch zu den Anforderungen an Architektur, nicht nur Idealbauten für die grüne Wiese zu planen, sondern sich auch mit den Gegebenheiten eines historisch gewachsenen Gefüges auseinandersetzen zu können. Zu denen, für die ein Umbau sogar interessanter ist als ein Neubau, gehört Manfred Nehrer. Mit seinem Büro Nehrer + Medek und Partner gewann er 1993 den EU-weiten Wettbewerb für den Bereich des alten Allgemeinen Krankenhauses (AKH) zwischen Josephinum und Narrenturm. Der Erfolg gab den Planern Recht: 1999 gewannen sie auch den nach diversen Änderungen in der Nutzungskonzeption ausgeschriebenen zweiten Wettbewerb für die Universitätszahnklinik auf demselben Areal.

„Nutzung ist die beste Art von Denkmalschutz. Das Zusammentreffen von Alt und Neu ist ja das Interessanteste“, bringt Manfred Nehrer seinen Zugang auf den Punkt.

Das ehemalige Wiener Garnisonsspital, an dem einst Wundärzte ausgebildet wurden, wurde wie das angrenzende Josephinum nach Plänen von Isidore Canevale 1783 bis 1784 gebaut. Es ist geprägt durch den Pragmatismus der Josephinischen Zeit. Analog zum benachbarten Allgemeinen Krankenhaus hat es großzügige Höfe – den „Kräuterhof“ und den „Garnisonshof“ –, um die sich lang gestreckte Trakte mit großen, hohen Krankensälen und großzügig belichteten hofseitigen Korridoren legten. Zur Sensengasse hin ist dem Gebäudekomplex ein kurioses kleines Robinienwäldchen vorgelagert, das unter Naturschutz steht.

Das Projekt von Nehrer + Medek, dessen erster Bauabschnitt jetzt unter der Projektleitung von Paul Steinmayr realisiert wurde, sah eine Erschließung des Komplexes von der Seite der Sensengasse vor, was für das gesamte architektonische Konzept bestimmend war. Zwischen dem nicht zugänglichen Stadtwäldchen und einem linkerhand neu gebauten Studentenheim wurde ein freier Vorplatz angelegt, der sich in Richtung Spitalgasse öffnet.

Von diesem ausgehend, definierten die Architekten eine rechtwinklig zur Sensengasse verlaufende Achse durch den Gebäudekomplex, die am Altbautrakt zwischen den beiden Höfen entlangläuft und die räumlichen Bezüge des Komplexes klärt. Leicht abgewinkelt wurde dem Altbautrakt hofseitig ein neuer Gebäuderiegel mit Glasfassade vorgelegt, ähnlich wie es im Universitätscampus des Alten Allgemeinen Krankenhauses geschah.

Durch die neue Erschließung wird die Außenwand des Altbaus zur Innenwand einer zentralen glasgedeckten Halle, die als Rückgrat des gesamten Komplexes, aber auch als Piazza und Wartezone fungiert. Trotz ihrer Größe vermeidet die Halle alle unangemessene Monumentalität. Hierzu tragen auch Details wie die nicht durchgehenden, sondern versetzt angeordneten Glas-Versprossungen und Bodenplatten bei. Ein Farbkonzept von Oskar Putz, das anstelle des vom Auftraggeber ursprünglich gewünschten Feng-Shui-Konzeptes zum Einsatz kam, prägt die Halle zusätzlich und korrespondiert mit den farbigen Projektionen des grafischen Leitsystems, das von Walter Bohatsch entwickelt wurde.

Die leicht konisch zulaufende Halle verteilt die Studierenden, Praktizierenden und Patienten der Zahnklinik auf die hofseitig mit Grünblick gelegenen Behandlungsräume, die im Neubauteil durch verschiedenfarbige Türen gekennzeichnet sind. Im Untergeschoß ist ein mit Eichenholz ausgekleideter Hörsaal für 240 Personen untergebracht, der natürliches Licht über eine Eintiefung im Hof erhält. Über dem Hörsaal fungiert eine ebenerdige holzbeplankte Terrasse als idyllischer Schanigarten einer Cafeteria.

Die autofreien Höfe mit erhaltenem altem Baumbestand gestaltete Anna Detzlhofer in zeitgemäßer abstrahierter Bezugnahme auf historische Strukturen. Im Altbauteil wurden die großen Raumhöhen beibehalten, in den neuen Stiegenhäusern nutzte man die Geschoßhöhen für Halbstöcke mit WCs. Innen wurden neue Fenster vor die restaurierten einfachverglasten Außenfenster des 19. Jahrhunderts gesetzt, die so nach wie vor das Außenbild des Altbaus bestimmen. Ebenso wurden die Dachgeschoße nicht ausgebaut – die alten Kamine dienen als Abluftkanäle, so dass der optische Eindruck der alten Dachlandschaft bestehen bleibt.

Im besonders schönen Bibliotheksraum konnte nach Rücksprache mit der Baubehörde die Eichenholzdecke von 1783 vollständig freigelegt werden. Ein neuer Eichenboden und Lesetische aus demselben Holz nehmen das historische Material in zeitgenössischer Form wieder auf, ebenso wie sich die Keramikfliesen der Neubauteile in ihrer Farbigkeit auf die historischen Sandstein-Bodenplatten beziehen. Der zweite Bauabschnitt wird unter anderem den am „Kräuterhof“ gelegenen neuen Festplatz und Festsaal der Medizin-Universität umfassen.

Respekt vor dem Historischen kennzeichnet die Verschränkung von Alt- und Neubauteilen ebenso wie ein selbstbewusstes, entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen.

9. Oktober 2010 Spectrum

Das Alte, das Gute und der Rest

Nur 100 Quadratmeter für Backstube, Kühlraum, Holzlager und Verkaufslokal – und das mitten im innerstädtischen Altbestand: Ja geht denn das? Die Bäckerei Gragger in der Spiegelgasse: Frankophilie à la viennoise.

Die Planungsgeschichte der kleinen Holzofenbäckerei in der Spiegelgasse begann nicht ganz gewöhnlich. Am Anfang stand der Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses in der Wiener Innenstadt. Ein Mensch mit vielen Interessen und Vorlieben. Unter anderem mit einer tief verwurzelten Frankophilie. Und mit einer großen Zuneigung zu gutem Brot.

Etwas wie das weltberühmte französische Poilâne-Brot, dachte er, müsste es hier in Wien auch geben: naturreiner Sauerteig ohne chemische Zusätze, im Holzofen gebacken. Schlicht, traditionell, biologisch. „Slow Food“ eben.

Als in dem 1786 erbauten Haus in der Spiegelgasse ein Geschäftslokal frei wurde, suchte er einen Bäckermeister. In Oberösterreich fand er den jungen Helmut Gragger, der in großen Industriebetrieben gesehen hatte, wie er es nicht machen wollte und sich stattdessen die Rückkehr zu den Ursprüngen des Backhandwerks auf die Fahnen geschrieben hatte. Zur Realisierung des Vorhabens musste als nächstes ein Architekt her. Vielleicht der, der dieses kleine Holzhaus entworfen hatte?

So simpel die Geschichte klingt, so kompliziert war die Durchsetzung, die letztlich drei Jahre dauerte. Für den Umbau des Geschäftslokals mit Nebenräumen zu Backstube, Kühlraum, Holzlager und Verkaufslokal mit Vor-Ort-Konsumationsmöglichkeit standen dem Architekten Jürgen Radatz gerade einmal rund 100 Quadratmeter zur Verfügung. Nur zwei Fensterachsen breit war das quadratische Verkaufslokal. Es hatte allerdings den großen Vorteil der Ecklage in dem aus der Straßenflucht der Spiegelgasse vorspringenden Haus. Hinter der bereits mit einer kleineren Öffnung durchbrochenen Brandmauer ergibt sich dort eine kleine, platzartige Erweiterung der schmalen Gasse.

Es lag daher nahe – und fand auch die Zustimmung des Denkmalamts –, diese Öffnung zu vergrößern und das kleine Geschäftslokal damit zweiseitig zu belichten. Zusätzlich bietet sich dadurch ein schönes innerstädtisches Panorama die enge Spiegelgasse entlang bis zum Graben. Der baufällige alte Vorbau wurde entfernt und damit die architektonische Struktur der Hausfassade wieder freigelegt, inklusive einem halbrunden Lünettenfenster über dem Geschäftseingang, das der Vorbau verdeckt hatte. Radatz entschied sich damit bewusst für eine Strategie des Freilegens und des teilweisen Rückbaus nach dem – mit dem der Bäckerei durchaus vergleichbaren – einfachen Grundsatz: „Was alt und gut ist, bleibt, der Rest kann weg.“

Die unterschiedlichen Wege, mit einer historischen Fassade umzugehen, lassen sich an der symmetrischen Front des Hauses vergleichen: Beim Geschäftsumbau rechts vom Hauseingang wurde der unverändert gebliebenen Fassade eine Glashaut vorgesetzt, wie man es auch in den Dreißigerjahren gerne machte, während Radatz die alte Struktur von Wand und Öffnung beibehielt. Neu formuliert wurde vor allem das Fenster zur seitlichen Feuermauer. An der mittels Eichenlatten optisch bis auf den Boden gezogenen Öffnung erlaubt ein Schiebefenster den Gassenverkauf mit Konsumationsmöglichkeit an zwei Stehtischen im Straßenzwickel.

Platzmangel führte auch im Inneren zu durchdachten Lösungen mit schlichter, formal sehr zurückgenommener Umsetzung. Vorne werden die Brote verkauft, die zwei Bäcker in der hinten im ehemaligen Pferdestall untergebrachten Backstube mit Hilfe eindrucksvoller Knet- und Teigteilmaschinen aus den Fünfzigerjahren fertigen. Als Verbindung zum rückseitig befüllten und vorne ausgeräumten Holzofen, der das funktionale und architektonische Zentrum des Geschäfts bildet, wurde ein enger Lichthof überdacht und so zum Verbindungsgang gemacht.

Der Verkauf der Backwaren sozusagen direkt am Ofen entspricht der französischen Tradition, die die Inspiration des Boulangerie-Projektes bildete. Den vom Bäckermeister gemeinsam mit einem oberösterreichischen Hafner entwickelten, 10 Tonnen schweren doppelstöckigen Holzofen, der erst nach langwierigen Verhandlungen mit dem Gewerbeamt realisiert werden konnte, verkleidete Radatz mit cremefarbenen Klinkern. Nächtens wird der Ofen mittels in den Boden eingelassener Spots effektvoll als das schon von Weitem sichtbare Herz des Betriebs inszeniert.

Ein mit Laden aus Edelstahl und geöltem Eichenholz bestücktes Verkaufspult mit Brotvitrine teilt den Verkaufsraum in zwei annähernd gleich große Hälften. Beleuchtet wird er nur über indirekte blendfreie Deckenlampen nach Entwürfen des Designers Gert Mosettig.

Die frischen Brote werden zum Auslüften in einem Eichenregal über Kopfhöhe stehend gelagert, an der rechten Wand läuft ein Holzstehtisch mit Barhockern entlang, an dem man das kleine Essensangebot konsumieren kann. Eine beschreibbare wandbreite Schiefertafel kann als Speisekarte fungieren, ist aber gleichzeitig als Wandbekleidung mit ihrer dezenten Struktur fast schon ornamental.

Schlichte Materialität und reduzierte formale Gestaltung sind Konsequenzen einer Haltung, die nicht darauf setzt, die Architektur zu inszenieren, sondern das Produkt durch sie wirken zu lassen: Stahl, Stein und Holz beziehen hier ihre Wirkung aus der Kombination mit den verschiedenen Brauntönen der Semmeln, Baguettes, Brotlaibe und Tartines. Zu dieser Haltung gehört es auch, die der Öffentlichkeit verborgen bleibende Backstube nach denselben Prinzipien zu behandeln wie den Verkaufsraum: Der anthrazitgraue Feinsteinzeug-Plattenboden zieht sich durch alle Räume, die historischen Gewölbe wurden überall erhalten, und der schmale Gang zwischen Backstube und Ofen ist sogar ganz besonders charmant: Mit seinen querrechteckigen weißen Wandfliesen erinnert er an die Pariser Metro und betont damit den frankophilen Touch der Bäckerei. Seine durch den jahrhundertealten Bestand gegebenen Ecken, Kanten und Krümmungen durfte der Gang behalten. Wo nötig, wurden die Fliesen an den Rundungen einfach hochkant verlegt.

Mit dem sorgfältigen Umgang mit der kleinen Bauaufgabe, mit der unaufgeregt modernen Behandlung formaler und struktureller Lösungen steht das Geschäft in der Tradition qualitätvoller Wiener Ladengestaltungen, wie sie vor mehr als 100 Jahren Fellner & Helmer und Otto Wagner begründeten und Architekten wie Ernst Lichtblau, Baumfeld/Schlesinger und Theiß & Jaksch in der Zwischenkriegsmoderne fortführten. Nicht nur für die Kundschaft, auch für Bäckermeister Helmut Gragger und seine Angestellten bewährt sich der Betrieb im Gebrauch: „In einer guten Umgebung arbeitet man ja auch besser.“

14. August 2010 Spectrum

Gläsernes Nest für 4000 Eier

Wie eine riesige Vitrine, die über dem Boden schwebt, sieht es aus, das neue Eiermuseum im burgenländischen Winden am See. Sehenswert!

Ein Bauherr, der durch sukzessives Ankaufen schmaler „Hosenträgergrundstücke“ Besitzer eines von einem Quellbächlein idyllisch durchzogenen Mühlengrundstücks in Winden am See im Nordburgenland geworden ist. Der in seinem Leben schon mit einigen Größen der österreichischen Architektur zusammengearbeitet hat. Der aus einer anhaltenden Faszination heraus in 50 Jahren rund 4000 eiförmige Objekte aus aller Welt und allen Epochen zusammengetragen hat. Und der das motorisierte Rasenmähen als meditative Tätigkeit und Inspiration seines eigenen künstlerischen Schaffens nicht missen möchte.

Alle diese Faktoren, neben anderen, prägten die Ausformung eines Baus, bei dem Bauherren und Architekten schlussendlich in kongenialer Weise zusammengefunden haben. Vor mehr als 50 Jahren, 1955, baute Roland Rainer das Grinzinger Atelierhaus des Bildhauers Wander Bertoni. Der Wunsch nach einem geräumigeren Atelier für großformatige Arbeiten führte zum Erwerb jener Mühle aus dem 19. Jahrhundert, die sich nach jahrzehntelanger Restaurierung heute als Teil eines ziemlich singulären Freilicht-Museums-Arbeits-Wohn-Ensembles präsentiert.

Der Adaptierung der großen Steinscheune zum Atelier folgte 1991 ein Galeriezubau durch Johannes Spalt. Der 2000 ebenfalls von Spalt entworfene frei stehende Museumsbau, eine leichte ebenerdige Holzkonstruktion mit verglastem Atriumhof, machte das Mühlen-Areal zu einem spannungsreichen Ensemble miteinander korrespondierender Einzelbauten, zu dem auch die spiegelnde Wasserfläche des kleinen Quellteichs gehört. Über niedrige Steinmäuerchen geht der Blick in die Weinberge. Museumsbesucher bleiben am Weg stehen, betreten zögernd den Hof und werden vom in der Galerie mittagessenden Ehepaar Bertoni freundlich eingeladen, doch nur hereinzukommen.

Seit Kurzem ist das Areal um einen das Ensemble komplettierenden Neubau bereichert. Gefragt war eine Herberge für die von Waltraudt Bertoni kuratorisch betreute Eiersammlung. Auf der planerischen Seite des Neubauvorhabens, das Wander Bertoni sich selbst (nach dem Museum zum 75.) zum demnächst anstehenden 85. Geburtstag schenkt, stand das Wiener Büro gaupenraub. Der ursprüngliche Gedanke, die beiden Spalt-Schüler Alexander Hagner und Ulrike Schartner Spalts Skizze eines Rundbaus ausarbeiten zu lassen, wurde während des Planungsprozesses aufgegeben. Eine Änderung des vorgesehenen Standortes ging mit einer architektonischen Neukonzeption einher, die am Ende auch Johannes Spalts Zustimmung fand.

Der Bau, ein Quadrat von zehn mal zehn Quadratmetern, präsentiert sich als im Erdgeschoß vollständig verglaste Vitrine, die es erlaubt, die Objekte in von der Decke abgehängten Regalen auch von außen zu betrachten, ohne das Innere des Gebäudes zu betreten. Darüber sitzt ein auskragendes Obergeschoß in Form einer Empore, auf der in speziellen Display-Modulen lichtempflindlichere bemalte Eier ausgestellt sind. Andere werden schon bald, mit Magneten unsichtbar befestigt, kopfüber an überhängenden Ausstellungsflächen schweben. Eine Leseecke mit Bücherregal ergänzt die intime Emporenzone, die ihre spezielle Lichtsituation durch ein schräg nach außen gekipptes Fensterband über dem Fußboden erhält. Der Blick geht so auch immer wieder zum Grün rundum.

Trotz der optischen Massivität des kupferblechverkleideten Holzdaches scheint der gesamte, in mattem Weiß gehaltene Raum schwerelos in seiner Umgebung zu balancieren. Auch das Mobiliar berührt den Fußboden nicht, mit Ausnahme zweier Vitrinen, die in den Dreißigerjahren vom Architekten Walter Loos entworfen wurden.

Konstruktiv ist das Gebäude – kongeniale Leistung des Statikbüros Werkraum Wien – hinter seinen Glasflächen durch dünne Edelstahl-Zugstangen in seiner Stahlbeton-Bodenplatte verankert. Man möchte glauben, es würde sonst abheben wie eine Montgolfière. Grundgedanke war der Wunsch der Architekten, einerseits im Erdgeschoß den grandiosen Blick in die Weinberge nicht aufzuhalten und andererseits mit dem schützenden Obergeschoß auf die Wuchsform der umgebenden knorrigen Baumkronen zu antworten.

Wichtig war dabei, den Bau eindeutig architektonisch und nicht bauplastisch zu definieren, um nicht mit Bertonis im Gelände verteilten stelenartigen Skulpturen zu konkurrieren. Nicht zuletzt deshalb entschied man sich für die per se introvertierte, statische Form des Quadrats. Das „Spalt-Dach“ mit weit heruntergezogenen Rändern ist dabei ebenso eine Hommage an den Lehrer wie das – durch die Schräge neu interpretierte – Lichtband über der Traufe, das entscheidend zur angestrebten Großzügigkeit und Leichtigkeit beiträgt.

Einziger augenzwinkernder Bezugspunkt zum Thema Ei (beziehungsweise Vogel) ist die „Zweibeinigkeit“ der Konstruktion, die auf zwei – in Analogie zu den windgeformten Bäumen des Ortes Winden – schräg stehenden Stahlstützen ruht. Sie werden ergänzt durch die dritte Stütze der diagonal auf die Empore führenden Stiege – mit ihren weiß gebürsteten Lärchenschichtholz-Stufen gemäß dem Wunsch des Bauherrn eine bequeme, einladende Treppe, die man gern beschreitet. Wie das von Friedrich Kurrent, einem alten Freund der Bertonis, im Nachbarort Sommerein gebaute Maria-Biljan-Bilger-Museum ist die Bertoni'sche Eiersammlung ein Low-Tech-Bau, ohne Heizung oder gar Klimaanlage, ohne fließendes Wasser; die Haustechnik beschränkt sich auf einen Stromanschluss für die Beleuchtung der Vitrinen auf der Empore.

Das Bauen buchstäblich „auf grüner Wiese“ schien Alexander Hagner – auch hier liegt ein Bezugspunkt zur Wiener Tradition der kritischen Moderne – eigentlich weniger interessant als das Sich-Reiben am Bestand. Der – nach mehreren Um- und Zubauten – erste frei stehende Bau des Büros gaupenraub wurde indessen kurz nach seiner Fertigstellung bereits mit dem Architekturpreis Burgenland ausgezeichnet. Das Projekt wäre nicht denkbar ohne seine ebenso gastfreundlichen und aufgeschlossenen wie auch kritischen Auftraggeber. „Normaler könnte ich mir das Verhältnis zwischen Architekten und Bauherren nicht vorstellen“, resumiert Architekt Alexander Hagner.

Entlang der von innen nach außen durchgehenden runden Stahlbeton-Bodenplatte des Eiermuseums zieht derweil Wander Bertoni ungehindert seine Rasenmähtraktor-Kreise um den Bau. Es ist, als wäre es schon immer so gewesen.

17. Juli 2010 Spectrum

Den Bauch des Gebäudes kitzeln

Der Donaukanal hat ein Terminal für den „Twin City Liner“ bekommen. In Wahrheit dient die Anlegestelle vor allem als Rahmen für die Gastronomie.

Der Donaukanal an einem Abend vor 15 Jahren. Ein städtebaulich übel gebeuteltes innerstädtisches Gebiet, in dem die Badeboote des 19.Jahrhunderts schon lange verschwunden waren, gezeichnet durch die Zerstörungen der letzten Kriegstage und den nachfolgenden autoverkehrsgerechten Wiederaufbau, geprägt durch den U-Bahn-Ausbau von Otto Wagners Wientallinie, mit einzelnen Infrastruktur-Objekten wie dem seit langer Zeit leer stehenden „Schützenhaus“ gegenüber dem Schottenring. (Zur Geschichte des Donaukanals siehe den Beitrag von Peter Payer auf Seite fünf.) Ein paar Jogger, ein paar Hundehalter auf Gassi-Tour. Fahle, schummrige Beleuchtung, nicht unbedingt das Ambiente, in dem man sich gerne länger aufhalten wollte. Heute – ein Flex, eine Summer Stage, eine Herrmannbar, ein Badeschiff, eine Adria Wien und einen Tel Aviv Beach später – ist das Gerinne kaum wiederzuerkennen. Jean Nouvel baut an seinen Gestaden, im bewegten Licht einer künstlerisch bespielten Medienfassade reiht sich eine Strandbar an die nächste, sodass wahre Coolness schon wieder zu den etwas weiter weg gelegenen Uferabschnitten auszuweichen beginnt.

Ein Heuchler, wer sich hier frühere Zeiten zurückwünschen wollte. Naschmarkt, Yppenplatz, Karmelitermarkt, Gürtel, Museumsquartier und Donaukanal: Die Verdichtungszonen öffentlichen Lebens, mit und ohne Konsumations-Kontext, haben sich in Wien seit den Neunzigern potenziert und, neben allen positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität der hier Wohnenden, auch erheblich dazu beigetragen, das internationale Image der Stadt von dem einer schläfrigen Senioren-Busreisen-Destination wegzubringen. Im Zusammenhang mit den neuen Möglichkeiten des alten Donauraumes stand auch die Einführung des – im Vergleich zu einer ÖBB-Fahrkarte freilich um ein Vielfaches teureren – „Twin City Liners“, eines speziellen Schnellbootes mit geringem Tiefgang, das es erlaubt, sich direkt am Schwedenplatz in Richtung Slowakei einzuschiffen und damit die zeitraubende Schleusenprozedur in der Freudenau zu umgehen.

Lange konnte es wohl nicht so weitergehen mit der ursprünglich eher off-szenigen Nutzung der „Vorkais“ – so der offizielle Name der Promenaden am Donaukanal. Ein „Terminal“ für die von einer Tochter der Wien Holding betriebene Bootslinie musste her, das sich indessen über ausgelagerte Gastro-Betriebe finanziell selbst tragen sollte. Die Anlegestelle für die überschaubare Anzahl von Passagieren ist also primär der Rahmen für eine rentable gastronomische Nutzung.

In der Ahnenreihe des nun fertiggestellten Baus stehen denn auch weniger Eugen Wachbergers für den Bau des „Lentos“ demolierte hochelegante Linzer DDSG-Anlegestelle als vielmehr Restaurantpavillons wie das bauhäuslerische „Kornhaus“ an der Elbe in Dessau, Wilhelm Riphahns Kölner „Bastei“ am Rhein oder, im Donau-Kontext, Ivan Antics dreieckiges Café am Zusammenfluss von Save und Donau in Belgrad.

Nun kann man prinzipiell die Frage stellen, ob es eine sinnvolle Idee ist, einen Bau mit Hunderten von Konsumations-Sitzplätzen auf zwei Ebenen am Ufer des Donaukanals aufzuführen, wo sich für die Sommermonate eine funktionierende Nutzung bereits etabliert hat und mittlerweile auch mehrere ganzjährig bespielte Restaurants und Bars existieren. Man muss der „Wiener Donauraum Länden und Ufer Betriebs- und Entwicklungs-GmbH“ als Auftraggeberin aber zugutehalten, dass zum 2006 ausgeschriebenen Wettbewerb eine hochrangige Auswahl an Büros geladen wurde. Die Entwürfe sahen leichte, transparente Konstruktionen für den Standort vor, an dem einst das still entschlummerte „Trialto“-Projekt realisiert werden sollte.

Die Stahlfachwerkkonstruktion von Fasch & Fuchs interpretiert sich städtebaulich als Brücke, die parallel zum Kai einen gekrümmten Weg zwischen Schweden- und Marienbrücke spannt, nur an ihren beiden Enden an das Ufer andockt und die Kaimauer, so eine Vorgabe des Wettbewerbs, ansonst unangetastet lässt. Der Zugang zum tiefer liegenden Fahrkartenschalter, dem touristische Präsentationsflächen der Stadt Bratislava angegliedert sind, erfolgt über eine Rampe. Dass auch ein öffentlicher Fußweg über die obere der beiden Restaurantebenen führt, hat zur Folge, dass die Gäste des Cafés nicht nur auf die gegenüberliegende braune Fünfzigerjahre-Bebauung blicken müssen, sondern an einer von Flaneuren bevölkerten auskragenden Uferpromenade über dem direkt am Wasser entlanglaufenden Fuß- und Radweg sitzen. Da die Steigung gemäß der Bauordnung hier keine Rampe erlaubte, führt der Weg freilich in flachen Stufen nach oben. Für Rollstuhlfahrer, aber auch Personen mit Fahrrad oder Kinderwagen wird die Benutzung des Weges damit zumindest sehr schwierig.

Auch mit dem dezenten Hellbeige seiner Hülle setzt der Bau von Fasch & Fuchs auf optische Leichtigkeit und Transparenz, die sich mit dem Sichtbarlassen der Tragstruktur auch im Inneren fortsetzen sollte. Die versetzten Ebenen von Ticketbereich und Restaurant machten hier Fensterbänder auf Fußbodenniveau möglich, die auf den Fluss und die Fahrt einstimmende Schrägdurchblicke zur Wasseroberfläche bieten.

Das Konzept der Restaurantnutzung sah allerdings dreiseitig geschlossene Sitznischenvor, die den Raum zur Kai-Seite mit schweren, gediegenen Holzvertäfelungen abriegeln. Ein schwarz-weiß gemusterter Fliesenboden macht den Raum zusätzlich unklar. Im darüberliegenden Cafébereich, einer Art Glaspavillon mit Ausblicken nach allen Seiten und einer dezenten, auf die Architektur weitaus harmonischer abgestimmten Möblierung, der wie das Restaurant vom Büro BEHF eingerichtet wurde, funktioniert das Konzept der Transparenz und eines fließenden Überganges von öffentlicher und Gastronomiezone, von Innen und Außen. Dass eine bessere Wahrnehmbarkeit des Donaukanals im ersten Bezirk ein Desiderat war, zeigt die intensive Nutzung des holzbeplankten Weges. Vom Schwedenplatz aus, vondem der Bau letztlich doch hauptsächlich wahrgenommen wird, fallen ärgerlicherweise vor allem die großen Werbeflächen ins Auge, die nicht etwa dem Bootsbetrieb, sondern einem Unterhaltungselektronik-Produzenten eingeräumt wurden. Die Grundidee des Baues erschließt sich vielleicht am besten von unten, vom Fußweg am Vorkai aus, wo tags die Reflexion des Wassers den Bauch des Gebäudes kitzelt und nachts in den Boden eingelassene Leuchten die Konstruktion zum Schweben bringen.

19. Juni 2010 Spectrum

Leitmotiv: Schwarz

Das Prinzip: ausräumen, freilegen und möglichst roh belassen. Der Umbau eines Wohn- und Geschäftshauses am Wiener Franz-Josefs-Kai.

Es ist im Grunde ein ganz normales städtisches Wohn- und Geschäftshaus. Baujahr 1904, Franz-Josefs-Kai 3, hübsch, neobarock mit ein bisschen secessionistischen Anklängen halt, nichts Revolutionäres. Architekt war Julius Goldschläger, geboren im einst deutschen Bessarabien und 1940 in Wien gestorben, bevor er, wie es mit seiner Frau geschah, deportiert und ermordet werden konnte. Sowohl als Auftraggeberin wie als ausführende Firma fungierte die Familie Schwadron, die im Erdgeschoß am Kai einen Showroom für ihre renommierte Baukeramik-Produktion einrichtete. Der Bauunternehmer Victor Schwadron, aus Galizien stammend, hatte es in Wien zum Stadtbaumeister gebracht, sein Sohn Ernst studierte an der Kunstgewerbeschule Architektur. Ernst Schwadrons 1930 eingerichtetes, stilvolles Atelier-Penthouse im obersten Stock des Gebäudes, mit selbst entworfenen Möbeln, Teppichen der Künstlerin Erna Lederer-Mendel und großstädtischem Dachgarten, wurde in der deutschen Fachzeitschrift „Innendekoration“ vorgestellt. Schwadrons Ehe mit Erna Lederer hielt nur ein Jahr, das Wiener Bohèmeleben des Architekten, der sich auf Einrichtungen von Cafés und Geschäftslokalen spezialisierte, hielt bis 1938, als Schwadron nach New York und Erna Lederer nach Haifa emigrierten. Die noch heute oft in Hauseingängen zu findenden secessionistischen Fliesen der Firma Brüder Schwadron, bei der auch der später nach Shanghai emigrierte Wiener Architekt Viktor Lurje beschäftigt war, sind unterdessen Gegenstand von Fotoessays aufmerksamer Wien-Flaneure.

Seit 1934 war das Haus am Donaukanal im Besitz der Phoenix Lebensversicherung, 1936 kaufte es ein Textilfabrikant. Nach mehreren Stationen, darunter einer neuerlichen Nutzung durch die Firma Brüder Schwadron nach dem Zweiten Weltkrieg, Auftritt eines neuen Besitzers vor zirka zehn Jahren: kunstsinnig, interessiert an der Geschichte der Immobilie und ihrer Nutzer – ein Glücksfall. Außerdem familiär verbunden mit einem Mitglied des Architekturbüros propeller z – noch ein Glücksfall für das Haus, für dessen Erdgeschoßzone sich sein nunmehriger Eigentümer dezidiert eine Nutzung als Kunstraum wünschte.

Das Haus ist wohl prototypisch für die Wiener Bausubstanz mit ihrer Überlagerung unterschiedlichster historischer Schichten, die meist auch Schlaglichter auf das vertriebene Leben jüdischer Bevölkerung werfen. So lassen sich auch die Umbaumaßnahmen von propeller z im Wesentlichen als Ausräumen beschreiben: Wegnehmen von Gipskartonwänden und abgehängten Decken in nicht weniger als 24 kleinen Gelassen, die Anfang der Achtzigerjahre im Zuge des Einbaus einer Röntgen-Ordination und eines Hörgeräte-Geschäftes eingezogen wurden und unter anderem eine großartige secessionistische Deckenverfliesung im Eingangsbereich verbargen.

Der auffälligste Eingriff von propeller z, die den Umbau planten, bevor der künftige Mieter feststand, ist das Freilegen einer neuen Sichtachse, beginnend rund 35 Meter vom Kai bis zur rückwärtigen Wiesingergasse, über einen mit Treppen überbrückten Geländesprung von zirka 80 Metern und einen Grundrissknick des zweitraktigen Gebäudes, in dem ein jetzt zum Teil des Innenraumes gemachter kleiner glasüberdachter Hof liegt. Die durch die baulichen Gegebenheiten entstehenden Lichtwirkungen geben dem 630 Quadratmeter großen Raum einen eigenen spannungsvollen Rhythmus.

Das Budget von 500 Euro pro Quadratmeter ging, wie der planende Architekt Philipp Tschofen berichtet, großteils in die Statik. Der Grundsatz des Belassens von möglichst viel entkernter Bausubstanz in einem gestalterischen Minimalzustand ist natürlich trotz aller budgetärer Einschränkungen dennoch ein bewusst gewählter. So wurde der vormals nur vom Stiegenhaus zugängliche Keller als untergeschoßiger Ausstellungsraum über eine optisch „schwebende“, filigrane schwarze Stahlblechtreppe zum Teil des sich über mehrere Ebenen erstreckenden Innenraumes gemacht. Selbst das Souterrain erhält über Oberlichter einiges an Tageslicht von der besonnten Wiesingergasse.

Originale Glasbausteine und das Drahtglas der wieder freigelegten Hofüberdachung wurden, wo noch vorhanden, ebenso erhalten wie Teile der Schwadron'schen Keramikverkleidung an der aufgrund zahlreicher Veränderungen und Umbauten heute sympathisch heterogenen Kai-Front. Hier wie im Inneren ist die Farbe Schwarz Leitmotiv der neuen Interventionen – an der Fassade als auf die historische Verfliesung Bezug nehmende Vertikalstrukturierung einer strichcodeartigen vorgesetzten Raumschicht, im Inneren an den Stahlträgern, der Treppe und dem zum Manövrieren größerer künstlerischer Arbeiten teils öffenbaren Boden, an der Rückfront mit den Fensterrahmungen, die leicht kastenartig vorspringen, aber mit den Wandpfeilern bündig abschließen. Eines von vielen Ergebnissen des subtilen Form- und Proportionsverständnisses des Büros. Ein anderes Detail wäre der durch Aussägen eines Schlitzes entstandene Handlauf der Kellertreppe.

Industrie-Estrich als Boden, Leuchtstoffröhren an den roh belassenen Sichtbetondecken, schlichter orangeroter Lackanstrich der Wände in den Sanitärbereichen und ein kommandobrückenartiger Büroraum mit teils Milch-, teils Klarglaswänden und Ausblicken nach drei Seiten sprechen natürlich die Sprache schicker Galerien in den gentrifizierten alten Gewerbegebieten internationaler trendiger Metropolen. Obwohl man sich hier nicht in einer ehemaligen Schlachterei oder Bierbrauerei, sondern in einem großbürgerlichen städtischen Wohn- und Geschäftshaus befindet, wirkt das Prinzip der, wo nötig, mit architektonischen Eingriffen ergänzten Ausgeräumtheit nirgends aufgesetzt und gibt sich viel entspannter als etwa beim vom französischen Büro Lacaton & Vassal gestalteten Pariser Palais de Tokyo – wie der Wiener Raum ein Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst. Dort ist das Prinzip des Roh-Belassens von Vorgefundenem mitunter mit großem Aufwand und einer der Benutzerfreundlichkeit eher abträglichen Über-Konsequenz betrieben.

Auch ohne eine psychologische oder metaphorische Dimension des Freilegens zu bemühen, ist das Ergebnis des Wiener Umbaus von propeller z schlüssig und überzeugend. Die richtige Balance zwischen Eingreifen und Belassen, Wegnehmen und Tolerieren, Gestaltung und Zurücknahme ist gefunden, das Potenzial des heterogenen Raumes gerade auch für die Präsentation von Gegenwartskunst mit einer Vielfalt von Dimensionen und Lichtzonen von direktem über indirektes Tageslicht aus verschiedenen Richtungen bis zum fensterlosen Raum etwa für Projektionen gut genutzt. Unterdessen bewähren sich die Räumlichkeiten in der ersten Ausstellung des neuen Mieters, der Bawag Contemporary. Auf die Möglichkeiten, die die Räume künftigen Präsentationen bieten, darf man jedenfalls schon gespannt sein.

12. März 2010 Spectrum

Das Mascherl abgelegt

Devoter Schüler, dominanter Meister? Zum Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Architektur am Beispiel Clemens Holzmeisters und seiner Studenten Holzbauer, Spalt und Kurrent.

Am Ende trugen sie das „Holzmeister-Mascherl“ um den Hals. Nachzusehen in der hervorragenden Monografie zur „Arbeitsgruppe 4“,die jüngst zur Ausstellung im Architekturzentrum Wien erschienen ist. Das Foto zeigt die Mitglieder der Arbeitsgruppe gemeinsam mit ihrem Lehrer 1952 bei der Diplomverleihung an der Wiener Kunstakademie. Friedrich Achleitner bringt es in dem Band auf den Punkt: „Er kam pro Semester einmal zur Korrektur, ein auratischer Auftritt, wobei er uns zeigte, wo der ,architektonische Gott‘ wohnt.“ Clemens Holzmeister kannte offenbar auch die Wohnadresse der Herrenmode – ebenso übrigens wie Adolf Loos, mit dem ihn ansonsten wenig verband, wohl aber der durchaus bewusst eingeforderte Meisterstatus seinen Schülern gegenüber.

Wahre Nibelungentreue kennzeichnete schon das Verhältnis von Otto Wagners Schülern zu ihrem Lehrer. „Wir wollen die Aufgabe erfüllen, zu der er uns berufen hat, durch Tat und Wort und Schrift seinen Geist verkünden, sein Werk fördern“, kündigte in zeittypischem Pathos Karl Maria Kerndle im Wagnerschule-Portfolio für die Studienjahre 1902–04 an, und Teo Deininger jubelte im selben Ton: „Eine Schar kampfeslustiger, siegesbewusster Männer, mit unserem Meister als Führer und Lenker an der Spitze, kam herangebraust, alles niederwerfend, was sichihnen in den Weg stellte. Heil unserem hochverehrten Meister! Heil Otto Wagner, Heil!“

Nach dem Zweiten Weltkrieg war so eine ungebrochene Begeisterung nicht mehr möglich. Die durch den Weggang von Otto Leitner bald auf drei Mitglieder reduzierten „Dreiviertler“ der Arbeitsgruppe4 legten das Mascherl ab und forderten den einstigen Lehrer durch eigenständige architektonische Auffassungen heraus. 1955 reisten sie als Vertreter des österreichischen Architekturnachwuchses zumCIAM-Kongress nach La Sarraz. Gerade mal Mitte zwanzig, besaßen sie durchaus das nötige Selbstbewusstsein, den Bauherren eines von ihnen eingerichteten Kaffeehauses wie eines Musikaliengeschäfts ihren eigenen Namen, „3/4“, aufs Firmenschild zu bringen. Als Friedrich Kurrent – er trug damals eine Art verwuschelte Punkfrisur –, Johannes Spalt und Wilhelm Holzbauer ihrem Lehrer die Pläne zum Betontor der Kirche in Salzburg-Parsch zeigten, drohte der entsetzte Holzmeister ihnen für den Fall der Realisierung mit dem Aberkennen des Holzmeister-Schüler-Status.

Die von Oskar Kokoschka gestalteten Betontore wurden gebaut. Holzmeister überlebte den Schock. Sein Aufbrausen erklärt sich zumindest teilweise aus der katholischen österreichischen Tradition, in der Loyalität innerhalb der Hierarchie einer Lehrer-Schüler-Beziehung nur als Jüngertum denkbar ist. Dennoch ist es der Holzmeister-Schule zugute zu halten, dass sie keine Regimenter von Miniatur-Clemensen hervorbrachte. Im Gegenteil – nahezu die gesamte relevante österreichische Nachkriegsarchitektur scheint sich aus dem Holzmeister-Pool generiert zu haben, mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie, neben Kurrent, Spalt, Holzbauer, Leitner und Achleitner, Rudolf Baumfeld, Ernst Plischke, Carl Appel, Georg Lippert, Eugen Wörle, Hans Hollein, Gustav Peichl, Josef Lackner, Heinz Tesar, Anton Schweighofer und Johann Georg Gsteu.

Friedrich Kurrent und Johannes Spalt beschäftigten sich zunehmend auch mit der verschütteten Tradition der österreichischen Vorkriegsarchitektur, gerade auch mit der aus dem liberalen jüdischen Bürgertum gespeisten skeptischen Moderne um Adolf Loos und Josef Frank. Holzmeister hatte die Größe, auf ihre Initiative hin 1965 die Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Josef Frank zu ermöglichen. Unter der Bedingung, dass man Frank nichts von Holzmeisters Unterstützung sagen dürfe, da dieser den Preis sonst womöglich abgelehnt hätte. Ebenso wie Ernst Plischke verachtete Josef Frank seinen einstigen Studienkollegen Holzmeister lebenslang. Auslöser war wohl dessen Engagement im „arischen“ „Neuen Werkbund Österreichs“ während der Zeit des Ständestaats.

Holzmeister bot allerdings im türkischen Exil auch politisch oder „rassisch“ verfolgtenArchitekten und Architektinnen wie Margarete Schütte-Lihotzky, Herbert Eichholzer, Stephan Simony und Fritz Reichl Schutz und Unterstützung durch eine Beschäftigung in seinem Büro. Die Verachtung mancher trug er offenbar souverän – einerseits die seiner Person, andererseits die seiner Architektur, die selbst sein Büroleiter Max Fellerer nicht wirklich goutierte. Im Pädagogischen lag seine Stärke, trotz seiner dominanten Persönlichkeit, vor allem im Vermitteln der Fähigkeit zu eigenständigem Arbeiten. Dazu gehörte auch das Akzeptieren divergenter Positionen. Nicht umsonst zählen die besten unter Holzmeisters Schülern zur Tradition einer unorthodoxen Moderne, die Dogmen misstraute und unkorrumpierbar war. Das konsequente Verfolgen der eigenen Überzeugungen ist dabei verbunden mit tiefem Respekt gegenüber der Tradition der österreichischen Moderne.

Auf der anderen Seite ist auch im Muster von devoten Schülern dominanter Meister eine Kontinuität bis in die Gegenwart zu erkennen, vor allem in der Nachfolge von Trademark-Architekten. Deren Arbeit scheintin erster Linie die schematische Anwendungvon wiedererkennbaren, fototauglichen Motiven zu sein, mit dem Ziel einer „Star“-Qualität zur Gewinn- und Imagemaximierung sowohl für Investoren wie für die Planenden.

Es ist nicht hoch genug einzuschätzen, dass, gerade auch durch Holzmeister-Schüler wie die Arbeitsgruppe 4, in Österreich eine Architektur bedeutend werden konnte, die an diesem Starkult nicht interessiert ist. Zahlreiche Zeugnisse sind in der derzeit laufenden „a4“-Ausstellung in Plänen, Fotografien und Modellen zu sehen: Mehrzweckhallen, Kirchen, Seelsorgezentren, Schulen. Kaum zu glauben, dass Projekte wie der seinerzeit mit dem zweiten Preis ausgezeichnete „a4“-Entwurf für den Neubau des Historischen Museums der Stadt Wien vor bald 60 Jahren entstanden. Oder die leider ebenfalls nicht realisierten Konzepte der „Wohnraumschulen“. Freiluftklassen und Wintergärten treten dort an die Stelle des herkömmlichen Schulschemas mit an Gängen aufgereihten Klassenräumen. Ähnlich empfand man in der Nachkriegszeit wohl die vergessene Vorkriegsmoderne: Man meint, nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zu sehen.

6. Februar 2010 Spectrum

Dunkel, schwer, streng

Ein Misanthrop und radikaler Konservativer mit vielen Feindbildern. Und doch. Was macht die Faszination des Adolf Loos aus? Ein Blick in Neuerscheinungen.

Ein Kulturmensch sieht nicht mehr zum Fenster hinaus; sein Fenster besteht aus Mattglas; es ist da, um Licht zu spenden, nicht um den Blick hinausschweifen zu lassen.“ – Fenster dienten Adolf Loos als Mittel effektvoller Lichtregie. Die meisten Menschen sind ratlos bis enttäuscht, wenn sie sich zum ersten Mal in einer Loos-Wohnung aufhalten: dunkel, schwer, streng und rigide in der Axialität und starren Festlegung der Funktionen, auf sich selbst zentriert mit all den verschrobenen, düsteren Sitznischen, unpraktisch mit all dem Auf und Ab der ewigen Stufen, konservativ die massiven Stilmöbel, die Steinverkleidungen, die Holzvertäfelungen. Wie anders letztlich als die luftigen, hellen, leichten und immer wie improvisiert wirkenden Gartenzimmer eines Josef Frank. Man muss das mögen, oder vielmehr: Man muss es nicht mögen. Worin besteht aber die anhaltende Faszination des großen Misanthropen, die uns allein im letzten Jahr drei dicke neue Publikationen beschert hat?

Hierzulande scheint man es vielfach tatsächlich nicht recht zu wissen. Erst vor ein paar Monaten hat die Bank Austria leichtherzig ihre 1914 von Loos als Zentralsparkasse eingerichtete Filiale in der Mariahilfer Straße zugesperrt. Die Zukunft des denkmalgeschützten Geschäftslokals mag man sich lieber nicht ausmalen. Im Dezember schloss das mit mehreren Millionen Euro vor ein paar Jahren aufwendigst rekonstruierte Café Museum. Nichts mehr mit einem neu aufgelegten „Café Nihilismus“ also, zu wenige besetzten die Loos'schen Thonetstühle. Nun überlegt man, den seinerzeit vom – ausgerechnet! – Josef-Hoffmann-Schüler Josef Zotti gestalteten Zustand von 1930 wiederherzustellen. Gelegenheiten zum Erwerb von Loos-Villen ließ die öffentliche Hand ebenso konsequent wie hartnäckig an sich vorbeiziehen, sodass architekturinteressierte Wien-Reisende Loos-Interieurs heute nur in Form der aus seiner Wohnung aus- und im Wien Museum eingebauten Kaminnische sehen können. Alternativen zu einer Reise in die Pension „Alpenhof“ nach Payerbach oder nach Prag, wo das 1930 von Loos für František und Milada Müller gebaute Haus als Museum zu besichtigen ist, bieten in Wien, neben zwei Räumen in der Musiksammlung der Wien Bibliothek und der halböffentlichen Zimmerflucht eines Vereinslokals, lediglich die Filiale der Raiffeisenbank im Haus am Michaelerplatz und die wohnküchengroße Loos-Bar, die sich immerhin gut hundert Jahre nach ihrer Eröffnung großer Beliebtheit erfreut.

Als bewohnte, genutzte Räume bildet in diesem Sinne der opulente Bildband von Ralf Bock und dem Fotografen Philippe Ruault Loos' Interieurs ab. Gerade darin liegt, neben einem untrüglichen Gefühl für Raumproportionen, wohl ihre größte Stärke: Nutzungen nicht nur aufzunehmen, sondern zu verlangen, im Gegensatz zu Loos' Feindbildern von der Wiener Werkstätte bis zum Bauhaus, bei denen ein falsch gekleideter, Sessel aus der Achse rückender Mensch, ein altes Bild an der Wand, ein abgeschabtes Möbelstück die Harmonie der Wohnzimmer gewordenen Utopie permanent bedrohen konnten. In seinem Textteil schreibt Bocks monografisch angelegter Band im Wesentlichen die überkommene Hagiografie fort, nicht ohne teils mehrfach vorkommende lange Zitate aus Loos' Schriften, die noch von ausführlichen Paraphrasierungen begleitet sind. Mehrfach sind Namen falsch geschrieben, was das Buch leider mit dem ansonsten hervorragend recherchierten zweisprachigen Katalog zur Prager Loos-Ausstellung von 2008 gemeinsam hat.

Der tschechische Katalog ist eine echte Bereicherung der Loos-Forschung, nicht zuletzt in der genauen Dokumentation der teils erstaunlich gut erhaltenen Pilsner Wohnungseinrichtungen von Loos. Hier, in den Umbauten der teilweise auf unattraktiven Werksgeländen stehenden Industriellenhäuser, machte er Ernst mit den Milchglas- oder Japanpapier-Fenstern, die er als Isolationsschicht vor die banalen Rausschau-Scheiben stellte. Ganz klar, es ist nicht die puristische „weiße Moderne“, um die es hier geht. Ein radikaler Konservativer, geistesverwandt mit Karl Kraus, huldigt beharrlich seinem Ideal von materialisierter Wahrheit und findet dabei eine treue Klientel inklusive seiner, nach Lina und Elsie, dritten Frau Claire. Private Familienfotos und persönliche Dokumente bereichern die Baudokumentation um das zentrale Kapitel der Auftraggeber. Leider endet für das Buch deren Geschichte mit der Bauausführung. Von der Enteignung und Emigration eines großen, der Ermordung eines kleineren Teils von Loos' Bauherren, auch seiner Frau Claire, erzählt das Buch nichts.

Der hervorragenden Forschungsarbeit der Prager und Brünner Institutionen steht, man muss es leider sagen, in einigen Wiener Sammlungen eine finanzielle Aushungerungspolitik gegenüber, die die Forschung weitgehend lähmt. So bleibt es dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter der Leitung von Ákos Moravánszky vorbehalten, den dritten der neuen Loos-Bände zu liefern. Großteils von Nachwuchsforschern werden Einzelbauten beziehungsweise Einzelthemen wie Spiegel im Werk von Loos oder dessen Nietzsche-Bezüge behandelt, aber auch – immer noch ein Desiderat – zumindest ansatzweise die Werke seiner Schüler wie etwa seines treuen Mailänder Jüngers Giuseppe de Finetti.

Die Verehrung der Loos-Schüler für ihren sexistischen, unfairen, egozentrischen und manchmal boshaften Meister war immens. Heinrich Kulka, Loos' Bürochef und Trauzeuge, meinte: „An den Kreuzwegen, denen ich in meiner Arbeit begegnet bin, hat mir der Geist von Loos immer den rechten Weg gewiesen“; Paul Engelmann bekannte demütig, er habe „von Kraus, nicht zu schreiben; von Wittgenstein, nicht zu reden; von Loos, nicht zu bauen“ gelernt. Loos-Schüler sein hieß einer lebenslangen Gemeinschaft angehören.

Der Feindbilder waren viele im Loos'schen Weltbild: Secession, Licht von zwei Seiten, Zwetschkenknödel, Designer-Likörgläser, Einbrenn und falsch angenähte Knöpfe; zu den letzten verbürgten klaren Worten des Delirierenden gehörte die Warnung an seine Krankenschwester: „Hüten Sie sich vor Josef Hoffmann!“ Trost boten englische Anzüge, Potaufeu, Josephine Baker, Melanzani und ab und zu der heute ausgestorbene „Feingespritzte“ – mit Soda aufgespritzter Champagner. Vielleicht sollte ihn die Loos-Bar, neben dem Longdrink „Lina Loos“, wieder auf die Karte setzen.

2. Januar 2009 Spectrum

Ein Bau, der in den Park segelt

Die Nachkriegs-Moderne der exsozialistischen Länder erlebt derzeit einen wahren Hype. Nichts als große Gesten und Pathos der Moderne? Weit gefehlt! Einige Beispiele aus Kroatien.

Sie erfährt derzeit einen enormen Hype: die Nachkriegsmoderne der exsozialistischen Länder. Websites wie www.restmodern.de, www.ostarchitektur.com, www.evidenca.org und www.eastmodern.com sammeln Zeugnisse einer Architektur, von der eine besondere Faszination auszugehen scheint. Ausstellungen wie die Reihe „Architektur im Ringturm“ oder die derzeit im Architekturzentrum Wien zu sehende „Balkanology“ widmen sich den Architekturlandschaften postsozialistischer Staaten.

Als sentimentale Sozialismus-Nostalgie nachgeborener „Westler“ sollte man dieses Interesse nicht abtun. Während im westlichen Teil Mitteleuropas wegweisende Lösungen nicht zuletzt im Wohnbau und im Urbanismus gesucht wurden, ist das, was Architektur des „Ostblocks“ in weit größerem Maße bieten kann, ein gewisses Pathos der Moderne, das in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gerade im deutschsprachigen Raum verpönt war und von dem daher heute eine umso größere Faszination ausgeht. Die viel publizierten Ostblock-Bauten der Fünfziger- und Sechzigerjahre sind vorwiegend repräsentative öffentliche Gebäude wie Devisenhotels, Hochschulen, Revolutionsmuseen, Nationalgalerien und Parteizentralen. Wohnbau wurde in großmaßstäblich aus dem Boden gestampften neuen Stadtteilen wie Novi Beograd, Novi Zagreb, Halle-Neustadt oder Bratislava-Petr?alka hauptsächlich in Plattenbau-Scheibenhochhäusern mit standardisierten Wohnungen untergebracht. In Bratislava schlug man eine Stadtautobahn über die Donau nach Petr?alka. Gemeinsam mit Teilen des historischen jüdischen Viertels musste der Magistrale auch die Synagoge weichen, die die Zeit des Nationalsozialismus überstanden hatte. In Leipzig wurde die gotische Universitätskirche gesprengt, in Bukarest wurden überhaupt große Teile des historischen Stadtzentrums abgerissen. Was man also in der Architektur der einstigen sozialistischen Länder wohl zuletzt suchen würde, sind Beispiele zum Thema urbane Nachverdichtung und Bauen im Bestand.

Zu Unrecht. In Jugoslawien etwa wusste man schon vor 50 Jahren, wie das geht. Ab 1960 entstand das vom Architekten Ivan Viti? geplante Kulturzentrum der jugoslawischen Volksarmee im dalmatinischen ?ibenik. Der ikonische Bau, der nach einer Generalsanierung mit teilweiser Änderung der Innendisposition heute als Stadtbibliothek dient, war 2007 in der Kroatien-Ausstellung im Wiener Ringturm zu sehen und kann derzeit wieder in der „Balkanology“-Schau des Architekturzentrums Wien bewundert werden.

Nähert man sich auf der in die Stadt führenden Hauptstraße dem Poljana-Platz, dessen meerseitigen Abschluss das Gebäudebildet, ist der Eindruck ein atemberaubender:Direkt aus der im ortstypischen weißen Steingebauten Stadtmauer wächst ein durchsichtiges Schiff. Opak steht gegen transparent, Stein entmaterialisiert sich zu Glas. Das prismatisch gefaltete Dach scheint sich im Wind zu blähen, mit seinem schmal zulaufenden Bug segelt der Bau in den angrenzenden Park. In der als UNESCO-Weltkulturerbe klassifizierten Altstadt von ?ibenik steht die Moderne buchstäblich auf den Schultern des Riesen Geschichte.

An der Rückseite, Richtung Meer, wird klar, dass das Kulturzentrum Teil eines städtebaulichen Komplexes ist, der vom 1917 in ?ibenik geborenen Ivan Viti? als Gesamtheit geplant wurde: Die bereits 1952 entstandene, rechtwinklig zum Kulturzentrum gestellte Schule bildet mit diesem und den Resten der Stadtmauer aus der Renaissancezeit eine öffentliche Piazza. Mit sozialistischem Pathos hat das alles, trotz der ursprünglichen Bestimmung des Gebäudes, nichts zu tun und mit Balkan erst recht nicht. Spürbar ist vielmehr eine selbstbewusste Balance zeitgenössischer Architektur und ihres respektierten Kontextes – eine Qualität, die auch heute alles andere als selbstverständlich ist. Als architektonische Vergleichsbeispiele fallen einem Carlo Scarpas Interventionen in historischer Substanz wie die Umbauten des Castelvecchio in Verona oder der Fondazione Querini Stampalia in Venedig ein, auf die auch die 2005 erschienene Viti?-Monografie hinweist.

Dabei konnte Ivan Viti? den Wunsch nach der großen sozialistischen Geste durchaus ebenfalls bedienen, wie etwa sein Gebäude der Parteizentrale auf dem neu erschlossenen flachen Bauland an der Save in Zagreb zeigt. Anders war die Situation in der historischen Umgebung seiner Heimatstadt. Auch das wenige Jahre vor dem Kulturhaus gebaute Rathaus von ?ibenik bezieht einen Teil der arkadengesäumten Stadtmauer mit ein. Mit dem ebenfalls von Viti? geplanten gegenüberliegenden Hotelbau entsteht auch hier eine zum Meer offene Piazza. Städtebauliche Fassung und Architektur überzeugen noch heute.

Ähnlich wie Viti? arbeitete der gleichaltrige Neven ?egvi?. 1961 realisierte er in seinerHeimatstadt Split anstelle eines kriegsbeschädigten Altbaus ein Bürogebäude, dessen verglastes Erdgeschoß Blicke auf archäologische Ausgrabungen erlaubt. Direkt am Peristyl desantiken Diokletianspalastes musste der Bau es mit einer noch heikleren historischen Nachbarschaft aufnehmen. Heute wäre eine so selbstbewusst zeitgenössische Lösung wohl nicht mehr ohne Weiteres möglich.

Weitere Kulturzentren nach Entwürfen von Ivan Viti? folgten dem von ?ibenik. Zu einem Nukleus des „kritischen Regionalismus“ von Viti? und ?egvi? wurde die dalmatinische Insel Vis. ?egvi? realisierte dort eine Atriumschule mit Freiluftklassen, schon Anfang der Fünfziger hatte Viti? mit einem den Maßstab des Altstadt-Kontextes aufnehmenden Wohnkomplex Zeichen für eine reflektierte Moderne in über Jahrhunderte gewachsener Umgebung gesetzt. Viti?s kleines erdgeschoßiges Kulturhaus von Komi?a auf Vis hat über quadratischem Grundriss eine ähnlich spektakulär gefaltete Dachlandschaft wie das in ?ibenik. Nach langem Verfall wird das Gebäude seit 2006 restauriert, Spender können über eine Homepage einzelne „Bausteine“ kaufen.

In den Sechzigerjahren plante Viti? eine Reihe von Pavillon-Motels an der dalmatinischen Küste, die wie die Kulturhäuser mit der Verbindung von Bruchsteinmauerwerk und Glaswänden lokale Materialien mit zeitgenössischen kombinieren. Nicht nur damit, auch mit ihren kleinen Maisonette-Einheiten stehen sie in der Nachfolge Le Corbusiers. Die Rettung des nicht am Strand, sondern an der viel befahrenen Durchgangsstraße gebauten und daher heute leer stehenden und verfallenden Motels in Trogir steht noch aus.

21. November 2009 Spectrum

Die gläserne Arterie

Allenthalben Licht, räumliche Flexibilität, Zugänge zu einst verbauten Räumen und Öffnungen nach allen Seiten: die neue Technische Universität Wien. Ein beachtlicher, teils überwältigender Umbau.

Vielleicht ist ein besserer baulicher Zugang zur Hochschule ja der erste Schritt zu besseren Studienbedingungen. Wenn es so wäre, dürften die – von Architekt Manfred Nehrer in ihren Protesten entschieden unterstützten – Studierenden Hoffnung schöpfen. Nachdem das von Heinrich von Ferstel entworfene Hauptgebäude der Universität am Ring in den letzten Jahren durch die Interventionen des Architekten Roger Baumeister einen barrierefreien, einladenden Eingang zum nunmehr lichterfüllten Foyer, dem freigeräumten Arkadenhof und dem helleren und geräumigeren Audimax bekommen hat, kann nun auch die Technische Universität (TU) den ersten Teilabschnitt ihres Umbaus präsentieren. Die Effekte sind beachtlich und teils überwältigend – nicht nur für jene, die den Bau zuvor gekannt und genutzt haben.

Gerade Bauten des 19. Jahrhunderts können durch schlechte Belichtung und innere Verhüttelung regelrecht umgebracht werden. So ist das einst düstere, zugige und durch mehrere Treppenabsätze geteilte TU-Foyer jetzt ein heller Raum, der seiner Erschließungsfunktion hervorragend gerecht wird. Beginnend mit einem neuen, stufenlos zum Eingang ansteigenden Granitbelag am Karlsplatz, zeigt der ab 1816 errichtete unübersichtliche Baukomplex auf einmal eine gläserne Arterie, die einen Durchblick vom Ressel-Denkmal vor dem Haupteingang bis zur Paniglgasse erlaubt.

Neue ringförmige Erschließungssysteme ohne Sackgassen, bessere Orientierungsmöglichkeiten, räumliche Flexibilität, Öffnungen nach allen Seiten, Aufmachen einst verbauter Räume könnte man als die Leitmotive des Entwurfs bezeichnen, mit dem das Büro NMPB den 2005 ausgeschriebenen Wettbewerb gewann. So ist die Eingangshalle durch das Entfernen seitlicher Scheintüren auf einmal fünfschiffig und der erdgeschoßige Prechtlsaal ohne Umwege direkt vom Foyer aus zugänglich. Durch ein vom renommierten Studio Bartenbach geplantes neues Beleuchtungssystem, das das Licht von den Gewölbefeldern reflektiert, wurden Lichtführung und Helligkeit um ein Vielfaches verbessert, und der Energieverbrauch wurde gleichzeitig auf die Hälfte gesenkt.

Rechterhand macht ein prismatisch geknickter Info-Counter aus eloxiertem rotem Aluminium klar, dass Gegenwart und Zukunft im Haus wohnen – wo genau, darüber informieren Airport-Atmosphäre suggerierende Großbildschirme über den Durchgängen. Ob die vom Wander-Bertoni-Schüler Walter Kölbl konzipierten schicken Aluminiumpaneele, auf die künftig Botschaften nur mehr projiziert werden sollen, das studentische Kommunikationsmedium Schwarzes Brett zu ersetzen vermögen, darf bezweifelt werden. Jedenfalls wird das mit neuen Sandsteinplatten ausgelegte Foyer schon jetzt so gerne als Aufenthaltsort genutzt, dass provisorische Sitzflächen in Tomatenrot zwischen die Pfeiler gespannt wurden, um kurzfristige Kommunikations- und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.

Aus der Spindel des biedermeierlichen Stiegenhauses wurde der Aufzug entfernt, Pfeiler und Wände sandgestrahlt. Wiedererstanden ist ein spektakulär schöner Treppenraum. Seine Alternative ist ein neuer gläserner Fahrstuhlturm, der mit denkmalpflegerisch korrektem Abstand zum Altbau in den Hof gesetzt wurde. Oben ist durch Entfernen nachträglich eingezogener Zwischenwände ein großes lichtdurchflutetes Foyer vor dem Festsaal entstanden.

Die eigentliche Sensation wartet unter dem Dach des Mitteltraktes. Dort entdeckte man hinter den Gipskartonplatten und abgehängten Decken des maroden und zuletzt feuerpolizeilich gesperrten Aktzeichensaals den „Schiffsdachboden“ der ersten Bauphase von 1816. Speziell ist das hier angewandte System der aus drei Brettern zusammengenagelten Bogenbinder nach dem System des französischen Renaissance-Architekten Philibert Delorme, das seinerzeit eine stützenfreie Eindeckung des 20 mal 24 Meter großen Raumes ermöglichte. Vor 100 Jahren wurde der gesamte Dachstuhl im Zuge der Aufstockung des Gebäudes mit beim Bau des Suezkanals verwendeten Hebemaschinen um ein Geschoß angehoben.

Dass das Bundesdenkmalamt nach dem Nachweis der notwendigen Brandsicherheit eine außen liegende Isolierung des Daches erlaubte, erhöhte die neu eingedeckte Kuppel um unmerkliche 18 Zentimeter, vor allem aber ermöglichte es unter Mitarbeit des Statikers Robert Krapfenbauer die Entstehung eines spektakulären zwölf Meter hohen Saals mit offenem, unverkleidetem Dachstuhl. Interventionen der letzten Jahrzehnte wie die im unteren Bereich eingebrochenen Fenster wurden ebenso beibehalten wie die Altersspuren an den knapp 200 Jahre alten Holzbindern. Notwendige neue Eingriffe wie etwa die Zu- und Abluftpaneele mit Eichenholz wurden aber deutlich von den alten Dachstuhlkonstruktionen in Fichte abgesetzt. In den aus Brandschutzgründen notwendigen neuen Boden in Stahlbetonkonstruktion wurde eine Fußbodenheizung integriert. Zwei Ebenen nach oben gerichteter Strahler plus ein an filigranen Metallleisten abgehängtes Spot-System machen den mit klassischen Arne-Jacobsen-Stühlen in Dunkelblau ausgestatteten Raum zu einem gekonnt inszenierten architektonischen Highlight. Dank einer hochprofessionellen Akustikplanung durch das Münchner Büro Müller-BBM bietet er einen großartigen Rahmen nicht nur für alltägliches studentisches Arbeiten, sondern auch für Musikaufführungen.

Mit der Fertigstellung der Umbauten im Mitteltrakt sind, so Manfred Nehrer, rund zehn Prozent der von der Arbeitsgemeinschaft NMPB und Helmut Neumayer geplanten Interventionen realisiert. Der Kostenrahmen von 2006 wurde dabei eingehalten. Weiter geplant ist die Anfügung zweier Vorbauten im Westteil des TU-Komplexes, vor allem ein in die Erde eines bislang kaum genutzten Hofes an der Wiedner Hauptstraße gegrabenes neues Audimax mit amphitheaterartigem Open-Air-Bereich. Dafür soll im Sinne des neuen Erschließungs- und Durchwegungskonzepts ein neuer Zugang zum Areal von der Wiedner Hauptstraße entstehen. Mit der Schaffung neuer Raumreserven müsste die TU bei großen Veranstaltungen dann nicht mehr externe Räumlichkeiten für viel Geld anmieten. Umso mehr ist es zu bedauern, dass für die Realisierung der weiteren Bauabschnitte derzeit keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Angemessenheit und Nachhaltigkeit auch in der formalen Instrumentierung nennt Manfred Nehrer immer wieder als zentrale Prämissen seiner Arbeit, gerade beim Bauen im Bestand. Neue Interventionen werden dabei konsequent zeitgenössisch instrumentiert. Dabei besitzt die Architektur von NMPB die Souveränität, sich im Bedarfsfall auch zurückzunehmen, ohne sich jedoch unsichtbar zu machen, und damit letztlich im Sinne des Baus selbst zu agieren.

17. Oktober 2009 Spectrum

Becken mit Kunstblick

Die Lage könnte kaum besser sein. Der Umgang mit historischer Bausubstanz auch nicht. Wie sich das Badner Frauenbad zum Arnulf-Rainer-Museum wandelte.

Wer stilgerecht mit der Badner Bahn anreist, sieht sich bei der Ankunft am Josefsplatz dem Arnulf-Rainer-Museum direkt gegenüber. Die Lage könnte nicht besser sein. Die Location: das ehemalige Frauenbad. Nun ist es in Baden so, dass allerorten Gebäude stehen, die mit „-bad“ endende Aufschriften tragen: Leopoldsbad (Sitz des Tourismusamtes), Josefsbad (beherbergt eine Bar), Franzensbad (heute ein Hamam, immerhin), Johannesbad (heute „Theater am Steg“). Die für Baden kennzeichnenden kleinen Badehäuser direkt über den einzelnen Schwefelquellen, zumeist aus der Zeit des Vormärz, sind allesamt nicht mehr in ihrer ursprünglichen Nutzung in Betrieb.

Das Frauenbad, 1821 nach Entwürfen von Charles de Moreau gebaut und bis 1973 als Bad in Betrieb, war, mit Umbauten des späten 19. Jahrhunderts, in seiner Substanz gut erhalten. Als moderner Franzose seiner Zeit war Moreau von der „Revolutionsarchitektur“ Claude-Nicolas Ledoux' und Etienne-Louis Boullées beeinflusst und einer starken Liebe zum Strengen, Stereometrischen verpflichtet, die seine Bauten, neben denen des in Baden ebenfalls gut beschäftigten Joseph Kornhäusel, hierzulande zu den bedeutendsten ihrer Zeit zählen lässt.

Ist bei historischen Gebäuden mit spezieller Bauaufgabe wie Bädern viel Originalsubstanz erhalten und kommt daher der Denkmalschutz ins Spiel, sind bei Nutzungsänderungen mehr denn je intelligente Konzepte gefragt. Gerade bei den unrentabel gewordenen großen Hallenbädern der Jahrhundertwende sind museale Nutzungen nicht selten. Vor allem in Deutschland mit seinem großen Bestand an Volksschwimmbädern werden mehrere Bäder museal oder als Theaterspielstätten genutzt. Auch das Frauenbad – nicht etwa ein Bad nur für Frauen, sondern nach der benachbarten Frauenkirche benannt – wurde seit 1977 für Ausstellungen genutzt. Die erste war Arnulf Rainer gewidmet.

Als vor ein paar Jahren das Land Niederösterreich beschloss, dass nach Hermann Nitsch und Adolf Frohner auch Rainer ein eigenes Museum bekommen sollte, wünschte sich Rainer keinen Neubau, sondern dezidiert das Frauenbad als Standort. Keinen neutralen „White Cube“ also, sondern einen Bau mit Geschichte, architektonisch und damit auch semantisch stark definiert und in seiner historischen Substanz praktisch nicht antastbar. Keine leichte Aufgabe für Architekturbüros. Aus einem 2006 ausgeschriebenen, zweistufigen Wettbewerb ging die junge Wiener Arbeitsgemeinschaft Lottersberger-Messner-Dumpelnik siegreich hervor.

Gegeben war ein an seiner Fassade streng symmetrischer, im Grundriss aber aufgrund der zwei unter den Becken sprudelnden Schwefelquellen asymmetrischer und seines städtebaulichen Zusammenhangs wegen trapezoider Baukörper. Das Konzept des Teams Lottersberger-Messner-Dumpelnik war im Wesentlichen ein Rückführen auf die architektonische Substanz. Am Äußeren signalisiert neben einer hellen Beleuchtung der Kolonnadenzone ein quaderförmiger Dachaufbau mit nach dem Vorbild von Karl Schwanzers Wiener „Zwanzgerhaus“ darauf angebrachter Rainer-Signatur in Neonblau die neue Codierung des Gebäudes. Die Dachlaterne wurde hierfür mit zwei Schichten transluzenten Lochblechs umhüllt, die in der Bewegung der sich Nähernden beabsichtigte Moiré-Effekte entstehen lassen. Zur Architektur des statischen klassizistischen Gebäudes kommen so kleine Bewegungsmomente.

In das Foyer, wo neue Infrastruktur für Kassen, Shop und Garderobe nötig war, stellten die Architekten eine Baldachin-Konstruktion in weiß gewachster Mooreiche. Die fahle Farbe und die haptische Materialität des Holzes ziehen sich durch das ganze Haus und kennzeichnen die zeitgenössischen Eingriffe, die hauptsächlich der Erschließung der Ausstellungsräume dienen. Die zurückgenommene Farbigkeit des Holzes korrespondiert hier mit den kühlen, noblen Marmorwänden der Becken und den neuen, weißen Terrazzoböden. Das im „Stundenbad“, einem kleinen Extrabecken, erhaltene alte Bodenmosaik blieb unangetastet.

Nicht verändert wurde, bis auf den neuen Terrazzoboden, auch der zentrale Festsaal mit gemaltem Marmordekor, für den eine sich anbietende Café-Nutzung bisher nicht durchgesetzt werden konnte. Seitlich sind über den Festsaal die Ausstellungsräume in den Becken und den dahinterliegenden Umkleidetrakten zugänglich. Über den beiden Becken des Frauen- und des kleineren Karolinenbades wurden die Anfang der Neunzigerjahre eingezogenen Glasböden entfernt und die Becken als solche stärker wahrnehmbar gemacht, als sie im gefüllten Zustand je waren. Es haben sich dadurch hohe Ausstellungsräume ergeben, die man einerseits durch Hinuntersteigen, andererseits auf Wasserspiegelebene über Holzstege und Aussichtkanzeln mit Glasbrüstungen betritt.

In den Umkleidebereichen wurden jeweils an einer Seite des Raumes die weiß gestrichenen Kabanen an Ort und Stelle erhalten. Darin werden, bei entfernten Türen, im Halbjahresrhythmus wechselnd, kleinere Einzelarbeiten Rainers gezeigt. Neu eingezogen wurde in diesem Bereich die leichte Konstruktion einer Zwischenebene für Bibliothek und Filmprojektionen.

Die Architektur wurde hier, durchaus im Sinne einer Re-Interpretation der Moderne, in sehr nüchterner Weise auf ihre wesentlichen Prinzipien zurückgeführt. Mit Rainers Arbeiten verträgt sich das sehr gut. Dass im Merchandising-Sortiment des Museums hellblau bestickte Gästehandtücher mit Rainer-Signatur zu erstehen sind, mutet da eher wie eine seltsame Fußnote an. Hoch anzurechnen ist es der Stadt Baden jedenfalls, dass den Architekten des Museums auch die Neugestaltung des Josefsplatzes übertragen wurde, der sich derzeit als wirres Agglomerat von halbhohem Gebüsch rund um die beiden Gleise der Badner Bahn präsentiert. Die unaufgeregte Herangehensweise von Lottersberger-Messner-Dumpelnik wird dem Platz mit Sicherheit guttun.

12. September 2009 Spectrum

Wer war Max Fellerer?

Als öde, karg und ärmlich hat man sie geschmäht, die Bauten Max Fellerers. Dabei war der Architekt ein bedeutender Vertreter einer unprätentiösen, antimonumentalen Moderne.

Bauten wie die von Max Fellerer haben es schwer, eine Lobby zu finden. Großteils in den Jahren des Wiederaufbaus nach 1945 entstanden und weniger dem schicken Espresso-Stil der Fifties als der reduzierten, schlichten Tradition der Wiener Vorkriegsmoderne verbunden, haben die Bauten Fellerers das Los, vielfach als öde, karg und ärmlich betrachtet zu werden – im Sinne von Josef Frank und seiner Beurteilung durch Hermann Czech als „Architektur, die nur spricht, wenn sie gefragt wird“.

Solche Architektur läuft natürlich Gefahr, einfach übertönt zu werden. Schon in den Achtzigerjahren musste das von Fellerer gemeinsam mit Carl Appel und Eugen Wörle geplante Haashaus am Stephansplatz dran glauben, um dem Neubau von Hans Hollein Platz zu machen. Dummerweise wurde dabei von den zahlreichen bestenfalls mittelmäßigen Nachkriegsbauten gegenüber der Domfassade ausgerechnet jener mit der höchsten architektonischen Qualität abgerissen. Beschlossene Sache sind der umfassende Umbau des von Fellerer mit seinem 20 Jahre jüngeren Büropartner Eugen Wörle realisierten Plenarsaals des Parlaments und der Abriss der vor 50 Jahren fertiggestellten Erweiterung des Finanzministeriums zwischen Himmelpfortgasse und Kärntner Straße.

Wenn sich Max Fellerers Geburtstag heuer am 15. Oktober zum 120. Mal jährt, wird diese Tatsache an seiner derzeit als Kulturhauptstadt Europas im Licht der internationalen Öffentlichkeit stehenden Geburtsstadt Linz wohl unkommentiert vorübergehen. Dabei hat Fellerer für seine Heimatstadt um 1930 mit dem Handel-Mazzetti-Hof und der Miethausanlage Poschacherwiese mehrere größere Wohnbauten im Sinne einer unprätentiösen, antimonumentalen Moderne entworfen. Im großstädtischen Kontext ist Fellerer/Wörles 1935 entstandener, nicht realisierter Entwurf für das Wiener Funkhaus dem hocheleganten Funktionalismus Le Corbusiers verpflichtet.

Studien bei Carl König an der Wiener Technischen Hochschule, bei Otto Wagner an der Akademie und bei Josef Hoffmann an der Kunstgewerbeschule, der heutigen „Angewandten“, boten Fellerer das gesamte Spektrum der Architektenausbildung seiner Zeit. Zunächst war er Büroleiter Hoffmanns, danach wurde er von Clemens Holzmeister angeworben, dessen Projekte er, wie er seinem Freund Milan Dubrovic anvertraute, eigentlich schauerlich fand. Holzmeisters dröhnende Kraftlackel-Attitude konnte dem rationalen Fellerer, dem die zurückhaltende, reflektierte Moderne eines Oskar Strnad weit mehr lag, kaum entsprechen. Mit zwei Reihenhäusern an der Wiener Werkbundsiedlung beteiligt, schaffte es Fellerer als einer von wenigen, sich nicht Josef Franks lebenslangen Hass zuzuziehen, obwohl er 1933 mit Holzmeister und Hoffmann dem „Neuen Werkbund Österreichs“ beitrat, der gegen den „Allerwelts-Internationalismus“ des Frank-Kreises mit einem Arierparagrafen anging.

Fellerers Beitritt zum „Neuen Werkbund“ ist als Akt der Loyalität gegenüber seinem Chef und keinesfalls als (kultur-)politisches Statement zu sehen. Zu fest war Fellerer im skeptischen Denken der Wiener Moderne verwurzelt. Bewohner des Hochhauses in der Herrengasse und Stammgast des benachbarten Café Herrenhof, frequentierte er mit Größen wie Robert Musil, Alfred Polgar und Leonhard Frank die intellektuellen Salons der Ersten Republik. Nach 1938 gehörte er mit den Familien seines Bruders Josef und seines Hochhausnachbarn Milan Dubrovic zum Kreis des Bauernhauses in Hochrotherd im Wienerwald, das die emigrierte Anna Freud den Besitzern des Manz-Verlages verkauft hatte, um es nicht in nationalsozialistische Hände fallen zu lassen. Das Haus wurde ein Zentrum von intellektuellen Nazigegnern, denen die horrible Zeit und persönliche Lebensgefahr nicht ihren anarchischen Humor zu nehmen vermochten. Von seinem Direktorsposten an der Kunstgewerbeschule war Fellerer unmittelbar nach dem „Anschluss“ zurückgetreten. In seiner Atelierwohnung im Hochhaus, die er seit 1939 mit der Kostümbildnerin Erni Kniepert bewohnte, nahm er verfolgte jüdische Freunde und Nachbarn wie den Arzt und Kunstsammler Paul Singer und dessen Frau, die Schauspielerin Eva Geyer, auf.

Nach 1945 hatte Fellerer wieder die Leitung der Kunstgewerbeschule inne. Mit Erich Boltenstern, Oswald Haerdtl und Otto Niedermoser gehörte er zu den an einer Hand abzählbaren Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich weder politisch noch architektonisch kompromittiert hatten. Unter diesen wurden nun die großen Projekte des Wiederaufbaus der Kultur- und Regierungsbauten am Ring aufgeteilt. 1953 wurde er gemeinsam mit Roland Rainer und den internationalen Stars Kenzo Tange, Pierluigi Nervi und Alvar Aalto zum Wettbewerb für die Wiener Stadthalle geladen. Von den in dieser Zeit entstandenen Salzburger Hotelum- und -neubauten Österreichischer Hof, Goldener Hirsch, Kultur- und Kongresshaus, Parkhotel Mirabell und Paracelsusbad ist ebenso wenig erhalten wie von ihren zahlreichen Geschäftseinrichtungen in der Wiener Innenstadt.

Ab 1947 waren Fellerer/Wörle am Bau der mit schwedischer Finanzhilfe gebauten Per-Albin-Hansson-Siedlung beteiligt, deren Konzept einer gemischten Reihenhaus- und Stockwerksbebauung mit privaten und öffentlichen Freiräumen noch heute funktioniert. Vor 60 Jahren wurde ihr wohl populärstes Werk fertiggestellt: der Neubau des kriegszerstörten Strandbades Gänsehäufel, dessen vor Kurzem sorgsam restaurierte filigrane Sichtbetonkonstruktionen nach wie vor die Augen vieler Badegäste erfreuen. Ein weiteres, unbekannteres Highlight ist der 1952–1958 entstandene Concordia-Hof neben der Kirche Maria am Gestade.

Fellerer starb er am 27. März 1957. Sein Büropartner Eugen Wörle, dem das Architekturzentrum Wien Anfang dieses Jahres eine kleine Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag widmete, lebte und arbeitete bis 1996. Die erste und bislang einzige Fellerer-Ausstellung richtete 1967 die Österreichische Gesellschaft für Architektur aus. Neben einem Besuch des Gänsehäufels empfiehlt sich auf den Spuren Fellerers und Wörles eine Einkehr in der Restaurant-Veranda des Tulbingerkogel-Hotels nahe Wien. Die nüchtern-moderne, bescheidene Sprache des 1932 gebauten Hotels in großartiger Wienerwald-Panoramalage steht in der besten Tradition der Wiener Moderne. Die vor wenigen Jahren realisierte Erweiterung durch das Büro Archisphere fügt dem Komplex einen adäquaten zeitgenössischen Teil hinzu. Vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung für die Architektur von Max Fellerer.

24. Juli 2009 Spectrum

Becken, Bäder und Beton

Ins Freibad gehen, das hieß einmal: tropfendes Eis am Stiel und am rauen, knalltürkis getünchten Betonbecken aufgeschürfte Knie. Und heute? Aktuelle Freibadarchitektur in und um Österreich.

Ins Freibad gehen – das hieß einmal: Schulferien, brütende Hitze, der Geruch nach Sonnencreme, ein Fettfilm auf der Wasseroberfläche, in altem Öl fritierte Pommes Frites, Ketchupflecken auf dem Badetuch, tropfendes Eis am Stiel. Und an rauen, knalltürkis gestrichenen Betonbecken aufgeschürfte Knie.

Zumindest die müssen Freibadbesucher heute weniger befürchten. An die Stelle der betonierten Becken sind vielfach solche aus Edelstahl getreten, wenn man nicht sowieso in Seen und auch wieder in Flüssen schwimmt, die noch in den Siebzigern oft durch Industrie-Abwässer verseucht waren. Allerorten werden Sommerbäder saniert, erweitert, revitalisiert oder neu gebaut. Dabei gibt es zunehmend Alternativen zum auch schon wieder in die Jahre gekommenen Konzept des „Erlebnisbades“ mit vorbereiteten, fertig gelieferten Attraktionen.

Klassiker der Neunziger sind mittlerweile schon Luger & Mauls unprätentiöse Holzbauten der Badeanlage Häupl in Mühlbach und des Seecamping Gruber in Nussdorf am Attersee. Über ein Seebad der besonderen Art verfügt Lunz: die von Hans Kupelwieser entworfene Seebühne, die außerhalb der Spielzeit als Liegefläche des Bades fungiert. Sie wurde mit dem österreichischen Baupreis 2005 prämiert.

Wer Seebad sagt, muss natürlich auch Kaltern sagen. Das von the next ENTERprise und den Landschaftsplanern Land in Sicht gestaltete Freibad mit seinem schwebenden Becken inklusive Boden-Gucklöchern zu den im Becken strampelnden Beinen ist mittlerweile legendär und ein schönes Beispiel dafür, wie ein „Erlebnis“ auch im Setting ambitionierter Architektur bestehen kann.

Historische Fluss- und Seebäder wie etwa die Holzkonstruktionen im Kamptal, das 1930 angelegte Millstätter Bad oder das 1927 von Franz Gessner entworfene Seebad in Gmunden am Traunsee, das 1994 von Hinterwirth Architekten saniert wurde, sind mit ihren charmanten Holzpavillons nach wie vor attraktiv. Aus den Zwanzigerjahren stammt auch das Freibad in Bleiburg, das 1996 behutsam und zurückhaltend erweitert wurde. Der Entwurf von Peter Fleiß führt mit den Materialien Edelstahl für die Becken, roh belassenem Holz für die Nebengebäude und Beton für die Erschließungsbereiche die dezent expressive Sprache der Zwanziger adäquat mit den Mitteln der Gegenwart weiter.

In Schrems revitalisierten der Architekt Thomas Konrad und der Landschaftsplaner Jakob Fina das naturnahe Moorfreibad. Eingebettet in einen Landschaftspark mit alten Bäumen, genießt das Bad eine privilegierte Lage. Dem Konzept der „Parkbäder“ folgend, wie sie vor allem in der Schweiz seit den Dreißigerjahren angelegt wurden, können hier Architektur und Landschaftsplanung zeigen, wie die Bauaufgabe des Open-Air-Schwimmbades die Landschaftswahrnehmung bereichern kann. Die Bauten von Thomas Konrad geben sich als schlichte Pavillons, Holz und Glas machen die subtil in die Landschaft eingebetteten flachen Quader zusätzlich leicht und transparent. In den unregelmäßig geformten Badebereich führen mehrere Stege, die mit warmen, roh belassenen Holzplanken belegt sind.

Wenig Veränderung war bei der denkmalpflegerisch begleiteten Restaurierung und Sanierung der Sichtbeton-Pavillons des Wiener Gänsehäufels nötig. Max Fellerers und Eugen Wörles Klassiker der Nachkriegsjahre hat sich in seiner Anlage mit teils auf zwei Fußgängerebenen geführter Erschließung bis heute beispielhaft bewährt.

In Linz haben Spittelwiese Architekten gemeinsam mit 3:0 Landschaftsarchitektur das Hummelhofbad von 1960 vorbildlich modernisiert. Die Sanierung und Erweiterung der in einer Waldumgebung gelegenen Anlage mit Frei- und Hallenbad bringt die Qualitäten der Nachkriegsmoderne zur Geltung und bereichert sie durch die infrastrukturellen Ergänzungen, die die Gegenwart verlangt. Die Bepflanzung mit hell blühenden Stauden, Zwiebelpflanzen und dunklen Hecken als Hintergrund inszeniert das Bad vor der Folie des angrenzenden Hummelhofwaldes unaufdringlich als die „Wellness-Oase“, als die ein Freizeitbad zusätzlich zu seinen Sport-Facilities heute fungieren muss.

Jenseits der Landesgrenze ist in Brünn neben dem funktionalistischen städtischen Freibad von Bohuslav Fuchs die Erweiterung mit weitgehendem Neubau des Frei- und Hallenbades Kraví hora sehens- und schwimmenswert. Das vom ortsansässigen Atelier DRNH geplante Bad bietet einen spektakulären Blick über die Stadt und zurückgenommene Architektur mit subtilem Einsatz von Holz und Stein. In der Umgebung finden sich neben dem Jugendstil-Thermalfreibad von Jurkovič Dušan im Kurort Luhačovice neue Freibäder in Litomišl von Hruša & Pelcák, in Mokrá von Petr Hovorák/Aleš Putna sowie in Znaim vom Büro Burián Krivinka.

Für das 1974 nach Entwürfen der Architektin Herta Rottleuthner-Frauneder gebauteWellenbad Gleisdorf in der Oststeiermark gabes keine Rettung. Ein Neubau des Büros Pittino & Ortner setzt auf kompromisslos zeitgenössische Architektur mit geneigten Ebenen, schrägen Sichtbetonwänden und einer auskragenden Restaurant-Terrasse. Auch das ursprünglich ebenfalls von Rottleuthner-Frauneder entworfene Frei- und Hallenbad Graz-Eggenberg konnte nicht erhalten werden. Derzeit entsteht an seiner Stelle der Neubau eines Sport- und Wellnessbades nach Entwürfen des Wiener Büros fasch&fuchs.

Auch beim Frei- und Hallenbad Amstetten lohnte der Erhalt des bestehenden Baus bis auf den jüngsten Saunazubau nicht. Den Neubau des „Naturbades“ planten Zechner & Zechner mit der Landschaftsarchitektin Cordula Loidl-Reisch als filigranen, öffenbaren Stahl-Glas-Quader mit Buchten, Inseln und Uferzonen im Freibereich.

Der jüngste Neuzugang im Bereich Naturbad – so werden die in die Landschaft eingebetteten einstigen „Parkbäder“ heute bezeichnet – findet sich im Pürgg-Trautenfels, Steiermark. Den zurückhaltenden Holzbau des kleinen Bades in idyllischer Lage mit weitem Landschaftspanorama, ausgezeichnet mit dem steirischen Holzbaupreis, entwarf das Büro KREINERarchitektur. Rückgrat der Anlage ist ein Holzsteg, der alle Bereiche erschließt, aber auch – nicht unwichtig in Freibädern – als Bühne für (Selbst-)Inszenierungen aller Art fungiert. Ein Thema der Zukunft werden, im Sinne einer Anpassung des Begriffes Naturbad auch an ökologische Prämissen, selbstreinigende Bäder wie das von den Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf in Biberstein im Schweizer Kanton Aargau realisierte Bio-Schwimmbad sein. Wir freuen uns darauf. Und jetzt bitte eine große Portion Pommes Frites mit Ketchup.

27. Juni 2009 Spectrum

Der Mann, der alles kann

Typograf, Surrealist, Konstruktivist, Plastiker, Raumplaner, Architekt – und noch so manches mehr: der Bauhäusler Herbert Bayer, dem eine Ausstellung in Linz gewidmet ist.

Der Mann war ein Phänomen. Fotografie, Architektur, Grafik, Malerei, Typografie, Plastik, Assemblage, Wandmalerei, Fotomontage, Ausstellungsdesign, Tapisserie, bis hin zur Landschaftsarchitektur: Herbert Bayer konnte alles. Insofern war er vielleicht ein idealtypischer Bauhäusler – befähigt in allen Sparten durch die Ausbildung an einer Schule, an der zunächst Architekten fast ausschließlich von Malern unterrichtet wurden. Klee, Kandinsky, Feininger – Einflüsse, die jedoch eindeutig einer anderen Generation angehörten.

Ähnlich Marcel Breuer, der so nebenher mit Anfang 20 schnell mal das Möbeldesign des 20. Jahrhunderts revolutionierte, stammte Bayer aus der Provinz, aus einem wohl liberalen, aber nicht außergewöhnlichen bürgerlichen Elternhaus. In Haag am Hausruck zu Beginn des Jahrhunderts geboren und in Linz aufgewachsen, besuchte er dort ab 1919 die neu gegründete private Mode- und Kunstgewerbeschule des Architekten Georg Schmidhammer. Zwei Jahre später zog es ihn zum aus Wien stammenden Emanuel Josef Margold auf die postsecessionistische Mathildenhöhe nach Darmstadt. Die Wiener Kunstgewerbeschule, wo zu dieser Zeit Heinrich Tessenow, Josef Hoffmann, Oskar Strnad und Josef Frank unterrichteten, scheint keine Option gewesen zu sein – das wurde sie erst 1937, als das Leben und Arbeiten in Deutschland für Bayer bereits unerträglich geworden war und er eine Auswanderung nach Wien in Betracht zog. Ob Direktor Max Fellerer auf Bayers informelles Bewerbungsschreiben reagierte, ist nicht überliefert.

Bayers endgültiges Erweckungserlebnis dürfte die Lektüre von Wassili Kandinskys Buch „Über das Geistige in der Kunst“ gewesen sein. Sie ließ den erprobten Wandervogel (der sich Zeit seines Lebens nach den österreichischen Bergen sehnte) zu Fuß nach Weimar ziehen. Dort tobte die Moderne. Zu Gropius, Muche, Itten, Schlemmer und Kandinsky kam 1923 László Moholy-Nagy, nur fünf Jahre älter als Bayer selbst. Mit ihm zog eine neue Gebrauchsgrafik ein, Kleinschreibung inklusive.

Bayer wurde, mit Mitte 20, schnell Werkstättenleiter und der prominenteste Bauhaus-Grafiker, immer im Bewusstsein der Bedeutung eines guten Eigenmarketings. Auf der Kleinschreibung seines Namens bestand er noch, als Frakturschrift bereits nationalsozialistisches Dogma war, etwa im 1936 gestalteten Buch „Spuren zum Kampf“ des nach den Februarkämpfen aus politischen Gründen nach Deutschland emigrierten Tiroler Skiläufers Hellmut Lantschner.

Das Potenzial von Bayers konsequent moderner Werbegrafik erkannte offenbar auch Josef Goebbels – an offiziellen Aufträgen mangelte es nicht. 1934 gestaltete Bayer, der mit seiner jüdischen Exfrau, der Fotografin Irene Hecht, lebenslang eng befreundet war, die Ausstellung „Deutsches Volk, deutsche Arbeit“, offenbar ohne unüberwindbare Gewissenskonflikte. Parteipolitisch nicht engagiert, besaß Bayer allerdings doch eine solide humanistische Grundeinstellung, die es ihm, nicht nur infolge der Präsenz eigener surrealistischer Arbeiten in der Ausstellung „Entartete Kunst“, endgültig unmöglich machte, in Deutschland zu leben, als durch den „Anschluss“ auch der ihm wichtige Rückzugsbereich Österreich eliminiert war.

Spät, in den Fünfzigerjahren, kam Bayer doch noch dazu, Architektur zu machen, im als eine Art permanentes Alpbach konzipierten Skiort Aspen/Colorado, wo er mit seiner zweiten Frau auch seinen permanenten Wohnsitz nahm. Skulpturenparks entstanden dort nach seinen Entwürfen, Land-Art-ähnliche Landschaftsgestaltungen, Verwaltungs- und Seminargebäude für das „Aspen Institute for Humanistic Studies“, Wohnungen für Stipendiaten und Dozenten, nicht eigentlich bahnbrechend, aber jener soliden zeitgemäßen Moderne verbunden, wie sie die anderen emigrierten Bauhäusler in dieser Zeit in den USA vertraten: Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius. Später kamen große primärfarbige Plastiken auf Plätzen und Verkehrsinseln hinzu, in der Art der konkreten Kunst Schweizerischer Provenienz. Einflüsse Japans, Mexikos, Marokkos brachten immer neue Nuancen in Bayers Arbeiten.

Was ist nun das Besondere an Bayer, dem kongenialen Typografen, dem Surrealisten, Konstruktivisten, Fotomonteur, Plastiker und Raumplaner? Der Vergleich mit gegenwärtigen Architekten, die medientaugliche Trademark-Signets routiniert über Funktionen und Dimensionen stülpen und nebenher auch Teekannen, Zahnbürsten und Teppiche in analoger „Designer-Optik“ ausstoßen, macht das Besondere an Bayer deutlich: die Angemessenheit an das Medium, an den Zweck – ein eigentlich simpler Grundsatz der Moderne –, aus dem ein Werk entstand. Ein Werk, das beispielhaft Gropius' Diktum „Einen Bauhausstil gibt es nicht“ illustriert.

Ebenso wenig ist ein „Bayerstil“ auszumachen. Das berühmte surrealistische Selbstporträt mit fragmentierter Achsel und ein collagiertes „Denkmal für die Gefühle eines sentimentalen Klempners in Salzburg“ gestaltete Bayer ebenso überzeugend wie Offset-Schrifttypen, ein Inserat für „Adrianol-Emulsion gegen Heuschnupfen“ oder den 1977 realisierten „Orgelbrunnen“ vor dem Linzer Brucknerhaus. Immer mit einer entschiedenen Offenheit für Neues und einer nie versiegenden Bereitschaft zum Experiment.

Wir möchten uns Bayers Widmung auf einem Foto von 1933 anschließen, das ihn selbst, Xanti Schawinski und Walter Gropius (noch) herzhaft lachend zeigt, und damit dem Titel der Linzer Ausstellung, in bauhäuslerisch korrekter Kleinschreibung: „ahoi! herbert“.

29. März 2009 Spectrum

Gefalzt, geknickt, gelocht

Kunstschmied, Designer, Architekt. Gründungsmitglied der „Ecole de Nancy“ und der konsequenteste unter den Funktionalisten: Jean Prouvé. Eine fällige Wiederentdeckung. Jetzt im Wiener Hofmobiliendepot.

Die Geschichte passt zu Jean Prouvé:Eines Tages kaufte er sich einen gebrauchten „Voisin“, eine jener Luxuskarossen, die Le Corbusier stets bei Fototerminen sorgfältig vor seinen Häusern zu platzieren pflegte. Prouvé lag aber nichts an der effektvollen Präsentation von „KFZ-Design meets Architektur“. Er erwarb das Gefährt vielmehr, um es zu zerlegen und damit dem konstruktiven Kern der Gestaltung ein wenig näher zu kommen.

Er war vielleicht der konsequenteste aller Funktionalisten. Als Sohn des Jugendstilkünstlers Victor Prouvé, Gründungsmitglied und einer der berühmtesten Köpfe der in der Hauptstadt von Lothringen beheimateten „Ecole de Nancy“, war Prouvé mit den Eigenschaften von Metallblechen seit seiner Jugend vertraut. Anders als seine Brüder studierte er aber nicht Architektur, sondern startete seine Karriere auf der Basis einer Ausbildung zum Kunstschmied.

Prouvé hielt sich nie mit der funktionalistischen Lieblingstheorie auf, die Form ergebe sich sozusagen in eindeutiger kausaler Relation aus den Anforderungen an die Funktion. So wenig wie es eine einzige Funktion gibt, das dürfte ihm klar gewesen sein, kann nur eine einzige daraus entwickelte mögliche Form die Konsequenz sein. Wohl aber hatte Material, im Gegensatz zum Abstraktum „Funktion“, klar definierbare chemische und physikalische Eigenschaften. Die Form entwickelte Prouvé folgerichtig aus den Erfordernissen des Materials und dessen möglichst rationeller Verarbeitung zu möglichst stabilen und gleichzeitig leichten Strukturen.

Mit dem Glamour des Art Déco hatte der 1901 Geborene demgemäß nur einen kurzenFlirt, als er im Alter von 26 Jahren vom Architekten Robert Mallet-Stévens für das Metallgitter eines Hauseingangs herangezogen wurde. Prouvés Gitter fiel geometrisch und sehr elegant aus, ist aber zugleich von jener lapidaren Nüchternheit, die sein gesamtes Werk kennzeichnet. – Gegen das Pathos des Stahlrohr-Modernismus immunisierte Prouvé bereits seine Abneigung gegen Rohrkonstruktionen. Lieber pflegte er sein Steckenpferd der trapezoid verjüngten Formen bei konstruktiven Elementen, sei es bei Tragstrukturen großer stützenfreier Gebäude, sei es bei Stuhlbeinen. Bereits in den Dreißigern antizipierte er so die Formensprache der Fünfzigerjahre. An deren filigraner Beschwingtheit lag ihm freilich wenig. Prouvés Design ist „brut“, es ist trocken wie der ungezuckerte Champagner der Witwe Clicquot.Billiges Sperrholz trifft auf Blech, mit sichtbaren Schrauben und groben Schweißnähten, aus Gründen der Stabilität gerne gefalzt, geknickt, durchlöchert oder an den Ecken abgerundet. Schiere Ökonomie und konstruktiver Pragmatismus, so scheint es, sind hier ohne jedes Funktionalismus-Pathoszum Gestaltungsprinzip gemacht.

Dabei bewies Prouvé immer Improvisationstalent, etwa wenn er die blechernen Wandelemente der Maison du Peuple in Clichy kurz entschlossen mit Bettfedern nachbesserte, um das störende Knacken bei Temperaturunterschieden zu dämpfen. Ein weiteres seiner Meisterstücke ist die 1957 entstandene Trinkhalle von Évian, die ihre faszinierende optische Schwerelosigkeit aus dem Ersetzen von Druck- durch Zugkräfte erhält. Ein anderes Chef-d'?uvre ist die 1953 realisierte Fassade eines Appartementhauses am Pariser Square Mozart. Das Gebäude mit den beweglichen Blechpaneelen bekommt durch die Aktivitäten der Bewohner und die daraus resultierenden Verschiebungen der Fassadenelemente immer ein anderes Gesicht.

Bei aller materialtechnisch bedingten Formgebung war Prouvé in seinem Bestreben, die inneren Kräfteverläufe sichtbar zu machen, klug genug, das ästhetische Potenzial der Konstruktion immer mitzudenken. Ersetzte es schlussendlich so virtuos wie kaum ein anderer in Szene. Mit Le Corbusier und dessen Mitarbeiterin Charlotte Perriand arbeitete er immer wieder zusammen. Im Gegensatz zu den Stahlrohr-Ikonen von Le Corbusier, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe vermag man sich aber Möbelstücke wie Prouvés „Antony“-Sessel schwerlich in Anwaltskanzleien und Bankzentralen vorzustellen. Prouvé – wie seine jüngste Tochter Catherine berichtet, ein passionierter Stuhlkippler – gab seinen Sitzmöbeln zur Sicherheit eine Tragfähigkeit von 400 Kilogramm. Was man ihnen durchaus ansieht. Vielleicht ist es gerade der herbe Charme ihrer Nüchternheit, der Prouvé-Objekten eine hohe Credibility bei Design-Fans sichert.

Das rigide durchgehaltene Prinzip des Rationellen wirkt rührend bei Prouvés eigenem Haus, das er aus übrig gebliebenen Teilen aus dem Lager seines eigenen Betriebes zusammenschweißte – kurz zuvor hatten ihn die Mehrheitsaktionäre endgültig aus der Firma gedrängt. Seine demontierbaren Schulen, Obdachlosen-Baracken und Aluminium-Fertighäuser hatten aber, zumindest als Prototypen oder in Kleinserien, durchaus Gelegenheit zu zeigen, was sie konnten.

Anders als viele seiner Kollegen ging Prouvé während des Zweiten Weltkriegs keinerlei Kompromisse mit dem Vichy-Regime ein und war in der Résistance aktiv. Nach Kriegsende brachte ihm diese aufrechte politische Haltung kurzfristig das Amt des Bürgermeisters von Nancy ein. Wie es sich für einen Modernen gehörte, engagierte er sich bei den internationalen Vereinigungen „Union des Artistes Modernes“ (UAM) und „Congrès Internationaux d'Architecture Moderne“ (CIAM). Selbst kein ausgebildeter Architekt, war er bei größeren Realisierungen aber meist zur Zusammenarbeit mit anderen gezwungen. Prouvé begründete keine Schule und gehörte auch nicht zu den PR-Genies wie Le Corbusier und Walter Gropius, die lange vor dem eigentlichen Bauen mit theoretischen Traktaten klarstellten, wo es langgehen sollte. Vielleicht erreichte sein Werk deshalb bisher nicht annähernd deren Popularität. Seine verdiente Wiederentdeckung hat aber, so scheint es, bereits begonnen.

11. August 2007 Spectrum

In der Höhle des Bären

Stadtplanung unbekannt, Goldgräberstimmung statt Grundbuch. Und doch: Österreichische Architekten bauen erfolgreich in Russland und Bulgarien.

Einen guten und einen schlechten Russentisch konnte Thomas Manns Held Hans Castorp seinerzeit im Speisesaal des Sanatoriums Berghof ausmachen. Wie der Protagonist des „Zauberberg“, der alsbald den Reizen einer ebendort Platzierten verfiel, sind in den letzten Jahren mehrere Wiener Architekturbüros in die Gesellschaft des „guten Russentischs“ aufgestiegen und realisieren erfolgreich architektonische und städtebauliche Projekte in Osteuropa.

Der Moskau-Kontakt des Büros hochholdinger knauer engl (hke), dessen Website neben Deutsch und Englisch auch die Sprachoptionen Russisch und Japanisch offeriert, ergab sich vor mittlerweile acht Jahren über Geschäftspartner eines Wiener Auftraggebers. Das erste Projekt war ein Autohaus mit der schönen Adresse „Chaussee der Enthusiasten“. Folgeaufträge kamen von einem anderen Moskauer Unternehmer, der nach einer militärischen Laufbahn sein Glück ebenfalls in der KFZ-Branche suchte. Der „saubere“ Aufstieg des zu großemWohlstand gelangten Businessman vollzog sich ortsuntypischerweise unter strikter Ablehnung von Schmiergeldzahlungen.

Als Projektentwickler liefert der Geschäftsmann westlichen Autofirmen fertige Mikrokosmen mit Autohandel, Werkstatt, teilweise auch Gebrauchtwagenabteilung, Verwaltungs- und Seminarräumlichkeiten sowie Infrastruktur wie Betriebskantinen für die jeweils circa 350 Beschäftigten. So realisierten hke 2005 mit einem ortsansässigen Partnerbüro die Moskauer Hyundai-Zentrale, einen mit Aluminiumplatten verkleideten, zeitgemäße Dynamik vermittelnden Baukörper mit abgeschrägten Wand- und Fensterflächen. Mittlerweile entstehen nach Entwürfenvon hke auch in St.Petersburg großzügige „Autoparks“, in denen sich mitunter zwei bis drei Franchise-Partner zusammenschließen.

Perfektionismus schminkt man sich bei der Arbeit in Russland schnell ab, wie die Architekten erzählen. Toleranz und Pragmatismus sind gefragt, der die heimische Architektur gewöhnlich prägende hohe Anspruch gerade bei der Detailausführung wird hier obsolet. Vielmehr gilt es, in einem Land, das keine Bebauungspläne und keine Grundbücher kennt, wo Grundstücke nur gepachtet sind und Versorgungsleitungen gerne kreuz und quer unter den Parzellen hindurch verlaufen, verträgliche Architektur auf einem soliden Niveau zu liefern, das auch planerischen Modifizierungen und den strengen Corporate-Identity-Vorgaben mancher Konzerne standhält.

Vom selben Auftraggeber wurde das Wiener Büro auch mit dem Bau von dessen eigenem 1700-Quadratmeter-Stadthaus betraut. Auf dem innerstädtischen Grundstück in der Granatnyi-Straße stand die – später abgerissene – Ruine eines abgebrannten Holzhauses aus der Zeit um 1820, das nach den Auflagen des Ensembleschutzes in seiner äußeren Form wiederherzustellen war. Prinzipielle Bedenken gegen die Rekonstruktion eines Jahre zuvor zerstörten, nicht denkmalgeschützten Gebäudes galt es abzulegen. An die Gartenseite der klassizistischen Villa dockten die Architekten einen verglasten Quader mit ähnlicher Kubatur an, der sich auf den Altbau bezieht, ohne von einer zeitgenössischen Architektursprache abzugehen.

Während seit kommunistischen Zeiten bestehende russische Großbüros mit oft mehr als 1000 Mitarbeitern rein kommerzielle Massenwohnbauten, gerne mit zurzeit sehr beliebten barocken Dekorationen, entwerfen, genießen österreichische Planer denRuf von Zuverlässigkeit und umfassender Kompetenz. „Handschlagqualität“, konkurrenzlos gute Zahlungsmoral und unbedingteLoyalität der Auftraggeber gegenüber ihren Architekten loben, neben dem internationalen „Österreicher-Bonus“, auch Regina und Michael Miksche vom Büro miksche roth, das derzeit mehrere städtebauliche Projekte in Bulgarien realisiert. Der Ost-Kontakt des Büros kam vor einigen Jahren über einen Investor zustande. „Architektonischen Mehrwert unauffällig verpacken“, definiert Michael Miksche die Strategie, robuste Konzepte einer befriedigenden Realisierung zuzuführen. Ziel vom miksche roths städtebaulichenLeitplänen für Stadtviertel von Sofia und Varna ist es, Investoren für alle Seiten akzeptable Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei ist „missionarisches“ Vorgehen gefragt, mit dem Ziel, die gewünschten hohen Bebauungsdichten zu reduzieren und auf ein vernünftiges Mittelmaß zu bringen. Hat manPech, werden die festgelegten Bebauungshöhen und -dichten freilich in späteren Planungsstadien unter Umgehung des Leitplanswieder willkürlich in die Höhe getrieben.

Auch in Bulgarien sind Begriffe wie Stadtplanung und Grundbuch eher unbekannt, ebenso wie die Idee einer Koordination unter den Developern. So kann es passieren, dass autonom nebeneinander her geplant wird und niemand einen Überblick darüber hat, wie viele Shopping Malls in ein und derselben Straße zur gleichen Zeit projektiert werden. Oder auch, dass über Nacht alle Bäume eines öffentlichen Parks gefällt werden, der dann zu Bauland umgewidmet wird.

Im Wiener Büro trägt man solche Vorkommnisse mit Fassung. Immerhin schaffte man es beim 30 Hektar großen Entwicklungsgebiet „Gara.City“ hinter dem Bahnhof von Sofia, aus einem rein kommerziell konzipierten Businesspark-Plan ein Entwicklungsgebiet mit gemischter Nutzung inklusive Hochschulen und kulturellen Einrichtungen zu machen. Bei guten Konzepten ist die Realisierungschance hoch, wie die Architekten berichten. Finanzielle Rahmenbedingungen werden dabei ohne Diskussion akzeptiert.

Die niedrigen Baukosten, etwa ein Sechstel des hierzulande Üblichen, gehen allerdings auch mit einer entsprechenden Ausführung einher. Qualifizierte Arbeiter gibt es praktisch nicht, eher abenteuerliche Bautrupps werken wild drauflos. Zu ertragen haben die österreichischen Planer gelegentlich auch eigenmächtige Überarbeitungen ihrer Projekte durch lokale Architekten, etwa in Bansko im südbulgarischen Pirin-Gebirge, das zurzeit von einer enthemmten Goldgräberstimmung heimgesucht wird. miksche roth haben hier die Leitpläne der Ski- und Golfresorts „Bojurland“ und „Razlog“ entworfen. Nach dem Weiterverkauf an Kleinanleger wird ohne Einflussmöglichkeit der Architekten in willkürlicher Art und Weise weiter ausgebaut. Ein dickes Fell ist beim Arbeiten in osteuropäischen Ländern wohl nicht nur wegen der härteren Witterung durchaus von Vorteil. Entsprechend gewappnet, kann man sich aber durchaus direkt in die Höhle des Bären begeben: Über die Eröffnung eines eigenen Büros in Moskau denkt man bei hochholdinger knauer engl bereits nach.

15. Oktober 2005 Judith Eiblmayr
Spectrum

Die moderate Moderne

Oft als banal verfemt, in der Forschung kaum beachtet: das Werk Erich Boltensterns. Dabei hat er das erste echte Hochhaus Wiens gebaut. Und den Wiederaufbau der Stadt entscheidend geprägt.

Lässt man den Blick über die Hausberge von Wien schweifen und sieht den flachen Riegel des Kahlenberg-Restaurants, das im Dezember 1935, also vor genau 70 Jahren, eröffnet wurde, so schaut man auf Erich Boltensterns ersten großen Wiener Bau. Nach einem gemeinsam mit dem Architekten Leopold Ponzen gewonnenen Wettbewerb realisierte Boltenstern 1935 den elegant in die Topografie geschmiegten Komplex, der, als Krönung der Höhenstraße, zu einem neuen Wahrzeichen Wiens wurde. Im Sonnenlicht oder in nächtlicher Festbeleuchtung zierte er Schulbuchumschläge, Filmplakate und unzählige Ansichtskarten.

Boltensterns Werk ist mehr Wienern bekannt, als ihnen bewusst ist. Schon in der Innenstadt hat man mehrere seiner wichtigsten Bauten im Blickfeld, die alle an der Ringstraße oder in ihrer Nähe liegen: die Staatsoper, deren Innenräume unter Boltensterns Leitung von ihren Kriegswunden geheilt und gestalterisch erneuert wurden, das „Felderhaus“ - ein Bürogebäude der Wiener Städtischen Versicherung neben dem Rathaus -, die umgebaute Universitätsbibliothek, zwei Gebäude für die Nationalbank am Otto-Wagner-Platz, die nach einem Brand wiederaufgebaute Börse, den Gartenbau-Komplex vis-à-vis dem Stadtpark und als markanten Eckpfeiler - nicht nur der Ringstraße, sondern auch seines Werkes - den Ringturm.

Zwei dieser Bauten feiern im Gedenkjahr 2005 ihr 50-jähriges Jubiläum: Staatsoper und Ringturm. Die Oper wurde am 5. November 1955 nach fast zehnjähriger Bauzeit wiedereröffnet - ein für die Identifikation der Zweiten Republik ganz wesentlicher Akt. Es war wohl der größte Erfolg in Boltensterns Karriere, als er 1948 den Wettbewerb zum Wiederaufbau des Zuschauerraums gewann. Es sei seine schwierigste Arbeit gewesen, urteilte er später. Gleichzeitig schien sich für ihn mit diesem Projekt ein biografischer Kreis zu schließen: Der ausgebildete Sänger und Sohn einer Opernsängerin, der sich nicht für die Bühnenkarriere, sondern für die Architektur entschieden hatte, konnte Musikern wieder ein würdiges Ambiente planen. Für Boltenstern war die Theaterwelt von zentraler Bedeutung. Er hatte in den Zwanzigerjahren eine Dissertation zum Thema Theaterbau begonnen und war Assistent beim Architekten Oskar Strnad gewesen, der auch Bühnenbilder für große Inszenierungen der Theater-Avantgarde entworfen hatte. Nach Abschluss der Arbeiten an der Wiener Staatsoper weihte Boltenstern (inoffiziell) den Raum selbst ein, indem er vor seinen Mitarbeitern eine Arie vortrug.

Der Ringturm hingegen, das erste echte Hochhaus Wiens, galt als Symbol für die Modernisierung der Stadt. Die Idee dazu stammte vom Direktor der Wiener Städtischen Versicherung, Norbert Liebermann, der aus dem Exil in den USA zurückgeholt wurde und den eher zögerlichen Boltenstern, der bereits seit einiger Zeit für die Wiener Städtische tätig war, sozusagen dazu verpflichtete, sich mit der Bauaufgabe Hochhaus auseinander zu setzen. Der 1955 eröffnete Ringturm wurde schnell zum Symbol eines aus Ruinen erstandenen neuen Wien. So wie 20 Jahre zuvor das Kahlenberg-Restaurant zierte nun der Ringturm Fremdenverkehrs- und Wahlplakate, und Boltensterns anfängliche Bedenken gegen die Bauaufgabe Hochhaus zerstreuten sich in der allgemeinen Bewunderung für das zeitgemäß schlanke neue Wahrzeichen am Schottenring.

Als einer der wenigen modernen Wiener Architekten, die nicht emigriert waren und sich dennoch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht kompromittiert hatten, führte Boltenstern die Vorkriegstradition der Wiener Moderne und internationale Strömungen der Gegenwart (vor allem aus Schweden und der Schweiz) zu einer Synthese, die das offizielle Österreich des Wiederaufbaus adäquat repräsentierte. - Was Erich Boltenstern trotz seines hohen Ansehens in Österreich verwehrt blieb, waren internationale Reputation und Aufträge im Ausland. Die meisten seiner Bauten entstanden in Wien und Umgebung; Ausnahmen waren das Grazer Krematorium von 1930 und der umfassende Umbau des Tiroler Landestheaters in Innsbruck (1964 bis 1967). Häufig nahm er an internationalen Wettbewerben teil - besonders dann, wenn es sich um Opern und Theater handelte, etwa für die Opernhäuser in Hamburg, La Valletta, Sydney und Belgrad.

Wesentlich für seinen Karriereverlauf wäre wahrscheinlich in den späten Fünfzigerjahren die Errichtung von fünf Rundfunkhäusern in der Türkei gewesen; der Auftrag wurde jedoch von den Errichtern nach Vertragsunterzeichnung wieder zurückgezogen. Hier hätte ihm vielleicht - auf den Spuren Clemens Holzmeisters - der internationale Durchbruch gelingen können. Aber Boltenstern drängte es nicht zur Expansion. In seiner bescheidenen Grundhaltung war er offensichtlich zufrieden mit dem, was er erreicht hatte - und das war nicht wenig.

Ohne konservativ zu sein, wollte er ein „Diener seiner Zeit“ sein und hat den Wiederaufbau Wiens entscheidend geprägt. Der Architekturtheoretiker Georg Schöllhammer schrieb in einem Nachruf anlässlich des Todes von Erich Boltenstern am 2. Juni 1991, dass dessen „ästhetischer Reduktionismus, der dank seiner noblen Detailkultur nie ins Ärmliche umkippt, nichts von den wahren Zeitverhältnissen verschweigt.“

Seine uneitle, konsensorientierte Haltung in schwierigen Zeiten brachte dem vielbeschäftigten Architekten und Professor zahlreiche Sympathien, wenngleich sich die junge Architektengeneration charismatischere Idole suchen musste, um Neues entstehen lassen zu können. Boltenstern war sich seiner Stellung in der Architekturszene bewusst; dennoch ist seine Herangehensweise als wesentlicher Beitrag einer „moderaten Moderne“ in die österreichische Baugeschichte eingegangen. „Wir sollten nobel und zurückhaltend bauen, nicht brutal aufdringlich und nach dem Nachbarn schielend, ob wir ihn übertrumpfen. Der Architekt ist Diener der Allgemeinheit“, schrieb Boltenstern in einem Artikel zur Architektenausbildung.

Diese unaufgeregte Architektur wird oft als banal abqualifiziert und fand auch in der Forschung bislang wenig Beachtung. Viele Gebäude wurden in ihrem Erscheinungsbild stark verändert oder überhaupt abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Wahrscheinlich brauchte es ein halbes Jahrhundert Abstand, um im Wertekanon der österreichischen Architekturgeschichte die spezifischen Qualitäten dieser Bauten zu erkennen und diese auch zu publizieren. Im Zuge der jüngsten Querelen um das vom Abriss bedrohte Kahlenberg-Restaurant, das in letzter Minute gerettet werden konnte, traten weitverbreitete Meinungen zutage, die auf eine völlige Negierung jeglicher Qualitäten sowohl dieses Baus wie auch des Ringturms hinausliefen.

[ Judith Eiblmayr und Iris Meder sind Kuratorinnen der Ausstellung „Moderat Modern - Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945“, die ab 22. Oktober im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen ist. ]

Presseschau

6. November 2018 Wojciech Czaja
Der Standard

Architekturhistorikerin Iris Meder gestorben

Meder Rettete mehrere bedeutende Baudenkmäler der Wiener Moderne vor dem Abriss

Sie war eine der wichtigsten und tatkräftigsten Initiatorinnen bei der Rettung bedeutender Baudenkmäler der Wiener Moderne. Ihrem Kampf ist es zu verdanken, dass das von Erich Boltenstern geplante, 1935 errichtete Kahlenberg-Restaurant nicht abgerissen, sondern unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nun ist Iris Meder nach schwerer Krankheit am 5. November gestorben. Meder, 1965 in Pforzheim geboren, studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft und zog Anfang der 1990er-Jahre nach Wien, wo sie sich der Wiener Architekturgeschichte widmete. Zu ihren Themen zählten Josef Frank, Oskar Strnad, Otto Wagner, das Hochhaus in der Herrengasse sowie die europäische Badekultur, der sie ein Buch widmete. Meder war Mitglied des Kunstkollektivs H.A.P.P.Y. und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur und kuratierte Ausstellungen für das Wien-Museum sowie für das Jüdische Museum Wien.

Publikationen

2017

Architekturlandschaft Niederösterreich
1848 bis 1918

Der neue, insgesamt fünfte der vom ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich herausgegebenen Führer durch die Architekturlandschaft Niederösterreichs versammelt typologisch geordnet Bauwerke aus den Jahren 1848 bis 1918. Dieser Zeitraum, von der österreichischen Revolution und der Thronbesteigung Kaiser
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, Kunstbank Ferrum - Kulturwerkstätte
Autor: Iris Meder, Theresia Hauenfels, Andrea Nussbaum
Verlag: Park Books

2009

Architekturplan Wien
Architektur und Landschaftsarchitektur von 1900 bis heute

Wien bietet nicht nur eine Fülle historischer Bauwerke und erstrangige Zeugnisse der klassischen Moderne, sondern hat sich in den letzten Jahren auch als Ort zeitgenössischer Architekturproduktion einen Platz im europäischen Kontext erarbeitet. „Architekturplan Wien“ ist ein handliches, übersichtliches
Hrsg: Architectural Tours Vienna
Autor: Iris Meder, Felicitas Konecny, Alexander G. Williams
Verlag: Falter

2008

Josef Frank
Eine Moderne der Unordnung

Josef Frank war einer der bedeutendsten Köpfe der Wiener Moderne. 1885 in Baden bei Wien geboren, entstammte er dem liberalen, assimilierten jüdischen Bürgertum. In deutlicher Opposition zum über-ästhetisierten Gesamtkunstwerks-Denken der Wiener Werkstätte etablierte Frank seit den 1910er-Jahren gemeinsam
Hrsg: Iris Meder
Verlag: Verlag Anton Pustet

2007

Oskar Strnad 1879-1935

Oskar Strnad (1879 – 1935) war einer der wichtigsten Architekten, Bühnenbildner und Theoretiker der Wiener Frühmoderne: Er begründete gemeinsam mit Josef Frank eine »Wiener Schule«, die sich vom Ästhetizismus der Wiener Werkstätte distanzierte und in ihrer undogmatischen Grundhaltung Adolf Loos nahestand.
Hrsg: Iris Meder, Evi Fuks
Verlag: Verlag Anton Pustet

2005

Moderat Modern
Erich Boltenstein und die Baukultur nach 1945

Erich Boltenstern (1896-1991) war eine der zentralen Figuren der Wiener Architektur im 20. Jahrhundert. Einer der Schule von Oskar Strnad entstammenden spezifisch wienerischen Moderne verpflichtet, profilierte er sich erstmals 1930 mit dem Grazer Krematorium für den „Wiener Verein“, dessen Geschichte
Autor: Iris Meder, Judith Eiblmayr
Verlag: Verlag Anton Pustet