Artikel

Bahnhof. Verstehen?
Der Standard

Kommenden Mittwoch wird in Wien der neue, alte Westbahnhof eröffnet. Eisenbahnkultur war gestern. Der Zug ist abgefahren. Zu schnell.

19. November 2011 - Wojciech Czaja
„Ich kann mich erinnern“, sagt Architekt Eric Steiner. „Als Kind bin ich damals zum Westbahnhof gefahren und habe mich in diese helle, strahlende Kathedrale des Lichts gestellt. Das war ein leuchtendes Symbol für den Wiederaufbau Wiens nach dem Weltkrieg.“

Heute, 60 Jahre später, ist alles anders. Die Kathedrale des Lichts ist zwar immer noch da, doch aus dem Leuchten des Himmels wurde ein Blinkspiel von Neonreklamen, und aus dem Symbol für den Wiederaufbau wurde ein Symbol für die unstillbare Gier der Immobilienwirtschaft. Wie eine Schraubzwinge klemmen die beiden Blechkonserven die alte Halle zwischen sich ein und quetschen ihr das letzte Stück Reiseabenteuer und Grandezza aus. Flächenmaximierung nennt sich diese Form der Adipositas. Melancholie! „Wir hätten uns links und rechts mehr Spielraum rund um die alte Bahnhofshalle gewünscht“, sagt Steiner, Projektverantwortlicher im zuständigen Büro Neumann & Steiner. „Auch für meinen Geschmack rücken die beiden Neubauten etwas zu nahe an den Bestand.“

Kein Wunder. Die neue BahnhofCity Wien West hat einen Flächenumfang von mehr als 73.000 Quadratmetern, aufgeteilt auf Büroflächen, Shoppingcenter und Hotel. In den Ausschreibungsunterlagen waren es noch mehr. Steiner: „Ursprünglich war das Gesamtprojekt noch größer dimensioniert. Wir haben das Bauvolumen gegenüber den Wünschen der ÖBB bereits um 25 Prozent verkleinert. Die Argumentation war nicht einfach, doch ich bin froh, dass es uns letztendlich gelungen ist, diese stadtverträgliche Größe zu erreichen.“

Das sehen nicht alle so. „Die äußere Erscheinung des Westbahnhofs finde ich in seinem Gesamtkontext nicht zuträglich“, meint etwa Richard Wittasek-Dieckmann vom Bundesdenkmalamt, Abteilung für technische Denkmale. „Die Halle als denkmalgeschütztes Objekt wird von den Neubauten stark in Beschlag genommen.“ Robert Kniefacz, Oberstadtbaurat der Stadt Wien, Magistratsabteilung für Architektur und Stadtgestaltung (MA19), ortet eine „generelle Wiener Schwierigkeit, Bahnhöfe richtig zu zelebrieren“ und nennt als Grund: „Die Stadt Wien hat einen enormen Druck der ÖBB, das macht großzügige Lösungen zunichte. Der Bahnkunde ist nur noch ein Mittel zum kommerziellen Gewinn.“

Der Wiener Stadtplaner Reinhard Seiß erklärt auf Anfrage: „Die Neubauten zeigen deutlich, worum es geht. Das ist nichts weiter als ein banales Immobilienprojekt mit Gleisanschluss. Man wird sehen, wie sich der Standort weiter entwickelt, wenn 2015 der Hauptbahnhof in Vollbetrieb genommen und der Westbahnhof nur noch von Regionalzügen angefahren wird. Das wird die erste große Nagelprobe sein.“ Wenn in den Medien im Zusammenhang mit dem neuen, alten Westbahnhof also die Rede von „mutwilliger Zerstörung“ und „Stadtungeheuer“ ist, dann mag das zwar auch an der Qualität der Architektur liegen, in erste Linie jedoch an den unverträglichen und uneinsichtigen Wünschen der Bauherrschaft.

Es hätte noch schlimmer kommen können. Die Ausschreibung der ÖBB war eine Einladung, den Westbahnhof mit Hochhäusern einzukesseln. Einige der 54 Wettbewerbsteilnehmer nahmen das unmoralische Angebot auch an. „Das kam für uns nicht infrage“, erinnert sich Architekt Eric Steiner. „Vorne am Eck zur Mariahilfer Straße, wo so ein Symbol am ehesten Sinn ergeben hätte, war die Errichtung eines Hochhauses aufgrund der Statik nicht möglich. Das gesamte Grundstück ist von der U-Bahn unterhöhlt. Hinten an der Felberstraße wäre eine derartige städtebauliche Geste völlig übertrieben gewesen. Ich stehe zu unserer Lösung.“

Acht Geschoße links, acht Geschoße rechts. Eingehüllt sind die beiden Neubauten in ein Kleid aus Aluminiumblech. Mal natur, mal dunkel eloxiert, mal gelocht und als Schattenspender dienend. Das Resultat ist eine leicht verspielte und überaus clever konstruierte Fassade, die jedes Gewerbegebiet zwischen Kagran und Stadlau immens aufwerten würde. So eine Architektur wäre in den Fachmarktzentren und Büroclustern am Stadtrand mehr als wünschenswert. An einem neuralgischen Punkt wie hier scheint die Geste billig und misslungen. Von der Qualität als Hintergrund für die Architektur der Fünfzigerjahre gar nicht erst zu sprechen.

Im letzten Stockwerk zischt zudem eine Art fliegende Eckbank aus dem Gebäude und verleiht der BahnhofCity ihr unverwechselbares Äußeres. Die einen sprechen von „Wolkenbügel“ (in Anlehnung an den visionären Entwurf des russischen Konstruktivisten El Lissitzky, O-Ton Neumann & Steiner), die anderen von „Provinzmini-Rem“ (in Anlehnung an die kantigen Gebäude des niederländischen Architekten Rem Koolhaas, O-Ton Wolf Prix). In jedem Fall handelt es sich um einen auffälligen Sockel für den zweckdienlichen Schriftzug „BahnhofCity Wien West“, denn vom eigentlichen Hauptprotagonisten ist, von der Mariahilfer Straße kommend, kaum noch was zu sehen.

Weitaus geglückter als der Neubau ist die behutsame und historisch angemessene Sanierung der historischen Halle, dereinst geplant von Robert Hartinger, Sepp Wöhnhart und Franz Xaver Schlarbaum. Hier stellten Neumann & Steiner ihre Fähigkeiten unter Beweis: Akribie, Detailverliebtheit und technische Konstruktion. In einem aufwändigen Verfahren wurde die gesamte Halle untergraben und neu fundamentiert. Nicht die geringste Setzung, nicht der geringste Riss im Mauerwerk, keine einzige Scheibe in der mehr als elf Meter hohen Glasfassade kam während der ganzen Bauarbeiten zu Schaden.

Die neuen bauphysikalischen und haustechnischen Maßnahmen treten in den Hintergrund. Bis auf die leuchtenden Schriftzüge der Kebab-Stände und Proviantstationen ist kaum eine Änderung zu sehen. Um die schadhaften oder zerstörten Platten an den Säulen zu ersetzen, wurde eigens der längst schon stillgelegte Salzburger Steinbruch in Adnet wieder in Betrieb genommen. Mit einem Wort: Hier regiert jene Subtilität, die man sich auch für die Ausschreibung und Planung der Neubauten gewünscht hätte.

„Der Denkmalschutz ist bei diesem Projekt vorbildlich angewandt worden, und die historische Halle hat einen neuen Rahmen erhalten“, verteidigt Claus Stadler, Geschäftsführer der ÖBB Immobilienmanagement GmbH das 200-Millionen-Euro-Projekt. Und fügt stolz hinzu: „Die BahnhofCity Wien West ist das allererste Bauvorhaben im Portfolio der ÖBB, bei dem es uns gelungen ist, ein Infrastrukturprojekt zur Gänze mit einem Immobilienprojekt zu finanzieren.“ So versteht man den Bahnhof der Zukunft. Klare Bilanz.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: