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Wie näht man eine Moschee?
Der Standard

Zur Zukunft islamischer Architektur: Am Freitag hält Azra Aksamija, Professorin am MIT, einen Vortrag in Wien. Wojciech Czaja traf sie zum Gespräch.

14. Januar 2012 - Wojciech Czaja
Sie näht Moscheen und forscht auf dem Gebiet religiösen Bauens. Azra Aksamija, 36-jährige Professorin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), beschäftigt sich seit Jahren mit dem religiösen Raum von Gebetshäusern. In ihrer Dissertation Our Mosques are Us: Rewriting the National History of Bosnia-Herzegovina through Religious Architecture untersucht sie, wie sich die Wahrnehmung und Bedeutung von Moscheen in ihrer Heimat durch den Krieg 1992 bis 1995 verändert hat. Die Zerstörung der Gebetshäuser, so lautet ihre These, sei ein integraler Bestandteil des Genozids und der ethnischen Säuberung gewesen. Kommenden Freitag hält Aksamija auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) einen Vortrag in Wien.

STANDARD: 2006 haben Sie eine sogenannte Dirndlmoschee genäht. Was kann man sich darunter vorstellen?

Aksamija: Das ist ein traditionelles österreichisches Dirndlkleid, dessen Kittel sich in einen Gebetsteppich für drei Personen entfalten und aufklappen lässt. Das Projekt reagiert einerseits auf meine Kultur und meine Ursprünge, andererseits aber auch auf die kulturellen Gegebenheiten im Salzkammergut. Ich war damals eingeladen, an einem internationalen Künstlersymposium in Strobl am Wolfgangsee teilzunehmen. Ich habe mich von dem Ort inspirieren lassen und habe schließlich eine Dirndlmoschee entworfen.

STANDARD: Wie waren die Reaktionen der Leute?

Aksamija: Sehr gut. Viele Leute waren sehr daran interessiert, was dieses Dirndl alles kann. Und einige haben sogar gelacht. Das ist genau das, was ich bezwecken will. Ich benütze meine Projekte, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Humor, Augenzwinkern und eine freundliche Provokation sind dabei sehr hilfreich. Außerdem zeigt das Projekt, wie wenige Dinge man braucht, um per Definition eine Moschee zu kreieren.

STANDARD: Was sind die Grundelemente einer Moschee?

Aksamija: Die genaue Architektur einer Moschee ist weder im Koran noch in den Überlieferungen definiert. Theoretisch kann man den Gebetsteppich im Islam als den kleinsten architektonischen Raum verstehen. Er vereint alles, was man zum Beten braucht: ein Symbol zur Kommunikation und Zusammenkunft, eine klare Ausrichtung nach Mekka und einen sauberen Ort, an dem man auch seinen Kopf ablegen kann. Mehr braucht man zum Beten nicht. Man sieht in der Architekturgeschichte islamischer Bauten sehr deutlich, dass sich die eigentliche Form der Moscheen abhängig von Ort und Zeit immer wieder verändert hat. Die Moscheearchitektur hat sich eigentlich erst durch die Assimilation von Elementen verschiedenster Kulturkreise weiterentwickelt.

STANDARD: Das ist eine klare Definition. Warum sind die Diskussionen über islamische Architektur in den westlichen Ländern dann so festgefahren?

Aksamija: Der primäre Konfliktpunkt ist heute die Repräsentation, also die Sichtbarkeit der Muslime im öffentlichen Raum. Manche Formen wie etwa Kuppel und Minarett, die für gewisse ethnische Gruppen identitätsstiftend sind, haben sich in der Geschichte stärker etabliert als andere. Viele Migranten hängen sich heute genau an diesen Symbolen auf, weil sie ihre religiöse und kulturelle Identität in ihrem neuen Umfeld aufrechterhalten wollen. Dabei wird die Architektur meist auf ein paar leicht erkennbare Symbole reduziert. Und das ist schade, denn das Formenrepertoire der islamischen Architektur ist viel umfangreicher als nur Kuppel und Minarett.

STANDARD: Ohne diese baulichen Elemente sind Moscheen als solche aber kaum noch erkennbar.

Aksamija: In Westeuropa und in den USA machen Muslime von ihren demokratischen Rechten zunehmend Gebrauch, indem sie die Moscheen in der Öffentlichkeit sichtbar machen. In den dominanten Gesellschaften jedoch werden ihre Symbole meist verworfen. Initiativen wie etwa „Cities against Islamisation“ („Städte gegen Islamisierung“) sowie diverse Demonstrationen gegen den Bau von Moscheen, wie wir das in einigen europäischen Städten gesehen haben, beweisen, wie sehr man sich in Europa mit den Prozessen der Globalisierung schwertut.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Architekturdiskussion in Österreich ein?

Aksamija: Ein Politikum! Wie überall sonst, ja vielleicht sogar ein bisschen stärker als in anderen Ländern. Wenn ich mir etwa die Moschee in Telfs oder die Moschee in Bad Vöslau ansehe, dann kann ich nur mit Bedauern feststellen, dass es sich dabei um politische Kompromisse handelt, die in beiden Fällen zu architektonisch ziemlich schwachen Lösungen geführt haben. In meinen Augen verbirgt sich hinter der Architekturdiskussion in Österreich oft eine versteckte und getarnte Ausländerfeindlichkeit. Was man mit dem Argument „Moscheen passen nicht ins lokale Umfeld“ eigentlich sagen will, ist: Wir wollen euch nicht!

STANDARD: Was hilft?

Aksamija: Mehr Bildung, und zwar bei allen Beteiligten.

STANDARD: Gibt es auch positive Beispiele in Österreich?

Aksamija: In Altach baut der Vorarlberger Architekt Bernardo Bader zurzeit einen islamischen Friedhof. Er ist zuständig für die Architektur, und ich mache eine künstlerische Gestaltung im Innenraum der Kapelle, also vor allem die Qibla-Wand und den Mihrab. Die Teppiche werden in Bosnien von Kriegsopfern gewebt. Die Eröffnung ist für Sommer geplant. In meinen Augen ist das ein gutes Beispiel für eine entpolitisierte Diskussion. Die Architekturqualität ist hoch. Sowohl die Bevölkerung vor Ort als auch die islamische Glaubensgemeinschaft wurden in den Planungsprozess intensiv miteinbezogen. Die Projektstelle für Zuwanderung und Integration „okay. zusammen leben“ hat in diesem Prozess eine tolle Mediationsarbeit geleistet.

STANDARD: Diese Kommunikation scheint in vielen anderen Projekten zu fehlen. Ich denke da nur an das Cordoba House im Süden Manhattans. Vor allem die Angehörigen der 9/11-Opfer fühlen sich durch dieses Projekt zu wenig respektiert.

Aksamija: Viele Muslime waren vor den Kopf gestoßen, wie die New Yorker auf den Entwurf dieser sogenannten Ground-Zero-Moschee reagiert haben. Es schockiert mich nach wie vor, dass so eine Debatte ausgerechnet in den USA stattfindet. Auch Muslime waren Opfer des Terrorismus von 9/11, und diese Debatte impliziert, dass Muslime, die diese Moschee bauen wollen, nun als Bedrohung gesehen werden. Es gibt sehr viele neue Moscheen in den USA, aber noch nie zuvor wurde ein Moscheebau so groß aufgeblasen wie in diesem Fall. Solche medialen Kampagnen sind gefährlich, weil sie die Gesellschaft polarisieren und Islamophobie salonfähig machen. Manche großen Ereignisse wie 9/11 können die Wahrnehmung und den kulturellen Stellenwert von Architektur nachhaltig verändern. Das ist auch das Thema meiner Dissertation Our Mosques are Us.

STANDARD: Sie beschäftigen sich darin mit der Auswirkung des Bosnienkrieges auf die Bedeutung von Moscheen. Was hat sich in den Jahren zwischen 1992 und 1995 verändert?

Aksamija: Früher waren Gebetshäuser primär ein Ort der Glaubensausübung. Im Krieg wurden diese Gebäude - und zwar Kirchen, Synagogen und Moscheen - von den nationalistischen Extremisten jedoch instrumentalisiert. Sie wollten die kulturelle und religiöse Koexistenz in Bosnien-Herzegowina, die bis dahin Jahrhunderte lang mehr oder weniger ganz gut geklappt hat, auseinanderbrechen und für immer zerstören. Allein in Bosnien-Herzegowina wurden 1200 Moscheen stark beschädigt oder sogar komplett zerstört. Die Art und Weise, wie das gemacht wurde, war ein integraler Bestandteil des Genozids und der ethnischen Säuberung. Durch die symbolische Kriegsführung wurden diese Gebetshäuser zum ethnischen Körper der Nation.

STANDARD: Wie ist die Situation in Bosnien heute?

Aksamija: Das kulturelle Erbe der Bosniaken wurde zerstört. Jetzt geht es darum, diese Identität wiederaufzubauen.

STANDARD: Wie sieht dieser Aufbau konkret aus?

Aksamija: Es gibt in Bosnien derzeit zwei ganz gegensätzliche Tendenzen. Auf der einen Seite wird der Krieg auf ziviler Ebene fortgesetzt, indem man die Kirchen und Moscheen in den Wettbewerb gegeneinander stellt. Es geht um Sichtbarkeit und territoriale Markierung. Die Gebäude müssen immer größer, immer höher, immer auffälliger sein. Auf der anderen Seite kann man allerdings beobachten, dass die Moschee zu einem Symbol für den Wiederaufbau sozialer Netzwerke wird.

STANDARD: Welche Rolle spielt dabei die Architektur?

Aksamija: Die religiöse Architektur ist paradoxerweise nicht nur ein Symbol für mentalen Krieg, sondern fungiert auch als pädagogisches Mittel. Die Probleme in Bosnien lassen sich zwar nicht mit hübschen Gebäuden lösen, aber die Architektur kann ein Medium sein, um Geschichte zu lernen und die kulturellen Codes der anderen zu begreifen.

Azra Aksamija, geboren 1976 in Sarajevo, lebt in Cambridge in den USA. Sie ist Assistenzprofessorin am MIT und unterrichtet an der Princeton University und an der Universität Graz.

Am Freitag, den 20. Jänner, hält sie auf Einladung der ÖGFA den Vortrag „National purification through religious architecture“ (Englisch), IG Architektur, Gumpendorfer Straße 63b, 1060 Wien, 19 Uhr.

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