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Der Standard

Architektur als Marketingfaktor: Ein internationaler Trend prägt zunehmend hiesige Skylines. Mit „5.000.000 m³ Wien. Die neuen Großprojekte“ wagt das Architekturzentrum Wien einen Blick in die Zukunft. Eine Schau, die Fragen aufwirft, ohne sie zu beantworten.

2. August 2003 - Isabella Marboe
Baukräne drehen sich in luftiger Höhe, Tieflader kurven durch die künftige Garage, wie Ameisen wimmeln behelmte Arbeiter über den Rohbau, es lärmt und staubt: Das T-Center in St. Marx ist heftig „under construction“. Dynamisch knickt die „Rennwegkante“, der Sockel besticht mit einem Netz aus Unterzügen, Betonrippen und schrägen Gabelstützen. Schon jetzt ist die Durchlässigkeit spürbar, die der Architektur Consult (Domenig-Eisenköck-Peyker) bei ihrer „liegenden Skulptur“ vorschwebte. Bald wird sich mit großer Geste Domenigs „Flügel“ am Rennweg aufschwingen, um überm Schlachthofareal abzuheben, wo niedrigere „drei Finger“ kleinteilige Höfe bilden. Die räumlich differenzierten Baukörper mit Luftgeschoßen, Blickverbindungen, durchgängigen Ebenen und Wegen könnten im 470.000-m³-Megaprojekt lebendigen „urbanen Raum“ (Eisenköck) werden lassen.

Über kleinteilige, flexible Strukturen zur Neunutzung der alten Rinderhalle St. Marx zerbrechen sich die Niederländer MVRDV (Winy Maas), Architektur Consult, Hoffmann & Janz den Kopf, Manfred Wehdorn wacht über die Denkmalpflege. Sind Vorverwertung und Investor gesichert, wird die Umsetzung entschieden.

St. Marx ist nur ein Areal, wo neue Projekte Wachstumsschübe initiieren sollen, in der Fülle akuter Planungen verliert sich der Überblick. Das Architekturzentrum Wien bemüht sich um Abhilfe und füllt das Sommerloch mit der Schau 5.000.000 m³ Wien. Die neuen Großprojekte. Gezeigt werden 16 Bauvorhaben mit massiver städtebaulicher Auswirkung.

Ein runder, zylinderförmiger Bürorumpf mit abgetreppter Dachzone, bekrönt von zartem Stahlgeflecht mit leuchtender Spitze: Unverkennbar stammt der neue Messeturm im Prater aus Gustav Peichls Feder. Die Zeit drängte, Ende August werden ca. 25.000 Gäste hier zum Kardiologenkongress stürmen, in freier Vergabe wurden Generalplaner Fritsch, Chiari & Partner die Architekten Peichl & Partner zugestellt. Die alten Hallen sind saniert, zügig schreitet der Ausbau von Mall und Foyer West voran. Der Termin hält, der Kongress kann kommen, 2004 läuft die „Messe Wien Neu“ im Vollbetrieb. Um den Sinkflug Wiens als Messestandort zu stoppen, herrschte akut Handlungsbedarf, der Kratzer in der Vergabeoptik bleibt.

Nach jahrzehntelanger Skepsis macht sich Höhe breit: Neue Skylines formieren sich am Horizont. Die Türme, die unter Bedachtnahme aufs Weltkulturerbe in Wien-Mitte nicht ungehindert wachsen dürfen, wuchern üppig anderswo. „Monte Laa“ (Albert Wimmer, Hans Hollein) harrt des Spatenstichs, der „Saturn Tower“ auf der Donau-City (Hans Hollein, Heinz Neumann) ist in Bau, Ende 2004 werden die verschränkten Türme mit Spiegelglasfassade, Flugdach, Skylobbies fast 90 m gen Himmel ragen. Von Dominique Perrault ist der neue „Masterplan ViennaDC“. Auf einer horizontalen Ebene entwickelt er mit schlanker singulärer Vertikale urbanes Inselszenario. Von Stararchitekten geplant, zeigen sich die Großprojekte auf Schaubildern im visualisierten Glanzlicht: Architektur als Eckstein im Marketing.

Gigantische Bauvorhaben pflastern den Weg vom Zentrum zum Flughafen, eine Stadtentwicklungszone, die vor grenzüberschreitenden Perspektiven „Vienna Region“ getauft wurde. Norman Foster erstellte den Masterplan, der die Aspanggründe ins „Eurogate“ zum Arbeiten, Shoppen, Wohnen, Relaxen verwandeln soll.

Kurz vorm Baustart ist das „Gate 2“, ein markanter Bürokomplex von Hans Hollein, Neumann & Partner, Hermann & Valentiny als repräsentatives Entree der Gasometer. In Erdberg wächst die „Town Town“ (Coop Himmelb(l)au, Peichl & Partner), in Schwechat ein Office Park (Wilhelm Holzbauer) und ein futuristischer Flugsicherungskontrollturm (Zechner & Zechner-Lorenz). Die städtebauliche Umstrukturierung zur Airport-Erweiterung mit sichelförmigem Zubau (Arge Itten+Brechbühl AG/ Baumschlager-Eberle GmbH) soll im Jahre 2008 fertig sein.

Auf Wiens Geleisen kommt die ÖBB-Bahnhofsoffensive jetzt ins Rollen. Noch ist Wien-Nord in der faszinierenden Mischung aus Verwahrlosung, Kleinhändlertum und Menschengewimmel die temporäre Heimat diverser Randexistenzen, im Zuge der U2-Verlängerung wird der Bahnhof erneuert. Das Atelier Albert Wimmer versieht ihn mit einer großen, transparenten Dachstruktur, die komfortabel vor Witterung schützt. Klare Wegführung garantiert gute Orientierung, neue, saubere Geschäfte dürften die Rentabilität sichern. Die Platzgestaltung übernimmt Boris Podrecca. Seine Kuppel aus pneumatischen Folien überm Praterstern kam zu Architekturbiennale-Ehren, aber nicht zum Bau. Dem Westbahnhof wird das Team Neumann & Steiner ein neues Outfit und Hinterland verpassen. „Wir müssen betriebswirtschaftlich agieren. Der Bahnhof als öffentlicher Ort hat sich stark verändert. Die ÖBB ist nicht dazu da, soziale Probleme zu lösen. Wir sind vor allem Fahrgästen verpflichtet“, so Pressesprecher Gary Pippan. Die Problematik wird sich verlagern, verschwunden ist sie damit nicht.

Masse ist nicht gleich Klasse. Die architektonischen Filetstücke unter den „5.000.000 m³“ fußen fest im Stadtgebiet, wo sie subtil auf ihr Umfeld reagieren. Denkbar schwierig waren die Rahmenbedingungen zur Erweiterung von Roland Rainers Stadthalle. Als Ersatz der Kurhalle Oberlaa und um Kapazitäten besser zu nutzen, war ein Zubau nötig, der zwölf Meter Höhe nicht überragen durfte. Der elegante Baukörper der Architekten Dietrich/Untertrifaller schwebt überm Boden, nimmt gemeinsame Kartenbüros, die neue, multifunktionale Halle mit Balkon, Foyer, Probebühne, Lager, Technik, Gastronomie etc. ebenso auf wie die Formensprache Rainers, ohne seiner Stadthalle Konkurrenz zu machen. Mit einem Vorplatz zum Gürtel schafft die Planung Mehrwert fürs Umfeld.

Neue Lebensqualität bringt auch das von BUSarchitektur geplante „Forum Schönbrunn“ ins dicht verbaute Gebiet. Als Stadtbalkon für alle bietet eine urbane Platte Aussicht aufs Schloss, durchgängige Passagen, Grünräume, Höfe auf verschiedenen Ebenen lassen Viersternehotel, Business-Center und Stadtvillen zur vielfältigen städtischen Landschaft werden. „Urbanität entsteht nicht nur durch Konsum“, sagt Architektin Laura Spinadel. „Es soll keine monofunktionale Indoor-City werden.“ Im stetigen Dialog mit Projektentwickler BAI, Stadt und Anrainern leistet sie Überzeugungsarbeit für den Mehrwert durchlässiger Räume, die aufs Grätzel positiv wirken. Nutzungsszenarien werden erstellt, Kompromisse gesucht.

Viele Projekte initiierten die Developer zur Hochkonjunktur mit Blick auf die EU-Osterweiterung, um internationale Konzerne nach Wien zu locken. Bei weltweiter Rezession, Leerständen in bestehenden Büroflächen und gedrosseltem Zuzug scheinen fünf Millionen Kubikmeter krass überdimensioniert. Bei der Podiumsrunde am 23. Juli korrigierte Wiens Planungsstadtrat Rudolf Schicker die sagenhafte Zahl hinauf und rechnet mit der Realisierung von 70-80 Prozent. „Umgerechnet halten wir eine Stadt wie Salzburg in Reserve. Wir sind gerüstet, 100.000 Arbeitsplätze zu schaffen, die Projekte sind in Teilen gestaltbar“, reagiert er auf die ungewissen Entwicklungsszenarien einer globalisierten Welt. Ob das richtig war, wird sich erst zeigen.


[5.000.000 m³ Wien. Die neuen Großprojekte.
Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1 im MQ, tägl. 10-19 Uhr, Mi 10-21 Uhr, Bis 1. 9.

„sommer tours“ zum Thema: So, 3. 8., 14 Uhr,
So 13. 8., 14 Uhr: Im Nordosten: Praterstern, Vienna DC, Messe Wien Neu. So, 10. 8., 14 Uhr, So 20. 8.,
14 Uhr: An der Tangente: Monte Laa, Eurogate, T-Center, Town Town.]

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