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Im Stilkleid der Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Das Bauhaus zwischen Weltbild und Architekturstil

4. August 2003 - Jürgen Tietz
Walter Gropius' Urteil war eindeutig: «Ziel des Bauhauses ist eben kein Stil, kein System, Dogma oder Kanon.» Doch seine Feststellung gleicht eher einem frommen Wunsch, an dessen Demontage sich sein Urheber eifrig selbst beteiligte. Begann Gropius doch schon früh mit seinen Publikationen zur internationalen Architektur, die von ihm entscheidend geprägte Bauhausmoderne zu kanonisieren, um sie marktgerecht zu vertreiben. Grund genug für die Stiftung Bauhaus Dessau, mit der Ausstellung «Bauhausstil - zwischen International Style und Lifestyle» (Kuratorin Regina Bittner) dem Stilbegriff des Bauhauses auf den Zahn zu fühlen. Die zehn Ausstellungsstationen, die neben einigen Klassikern des Möbeldesigns sowie Architekturmodellen vor allem viel «Flachware» zeigen, fordern dabei vom Besucher konzentrierte Lesearbeit. Von der allzu kleinteiligen Ausstellungsarchitektur wird er dabei allerdings nicht gerade unterstützt.


Stil oder nicht Stil

Hinter den Gedanken über Stil oder nicht Stil des Bauhauses steht letztlich die Frage nach Massenproduktion oder Kunstcharakter der Bauhausprodukte. Sie beschäftigte 2002 sogar ein bundesdeutsches Gericht am Beispiel des Stahlrohrhockers B 9 von Marcel Breuer, der auch den aktuellen Auftakt der Ausstellung bildet. Die Anrufung der Richter, die zugunsten des Kunstobjektes entschieden, war allerdings nicht intellektuell motiviert. Sie erfolgte aus handfesten wirtschaftlichen Gründen - dem Streit um die Vertriebsrechte der Bauhausmöbel. Dabei hatten bereits in den achtziger Jahren die Billigproduzenten von Möbeln für eine Popularisierung des Bauhauses gesorgt, indem sie die Wohnzimmer mit ihren Freischwinger-Imitaten überschwemmten. Im Ergebnis war das Bauhaus damals so präsent in der Alltagskultur wie nie zu vor.

Das war eigentlich das Traumziel von Gropius, dessen Arbeit in Weimar und Dessau von seinen Erfahrungen mit dem Werkbund und dessen Bestrebungen geprägt war, Kunst und Industrie in ein effektives Wechselspiel zu bringen. So sollten die Dinge des Alltags endlich von ihrem historistischen Stilkleid befreit werden und eine ihrer Funktion angemessene Form erhalten. Wie schwer Gropius selbst allerdings die Befreiung von den stilbildenden Strömungen seiner Zeit fiel, zeigen seine expressionistisch gefärbten Arbeiten der frühen zwanziger Jahre. Erst mit den Dessauer Bauten, dem Bauhaus selbst, aber auch den Meisterhäusern fand er endgültig das typische Instrumentarium des Bauhauses: weisse Kuben mit flachen Dächern und Fensterbändern oder grossen Glasflächen, die schnell zum Markenzeichen wurden - und damit stilprägend.

Die jedoch bereits in den zwanziger Jahren diskutierte Widersprüchlichkeit des Bauhauses führt die Ausstellung auch am Beispiel des Wohnungsbaus vor: Einerseits beteiligten sich Bauhausprotagonisten 1927 an der Werkbundausstellung in Stuttgart Weissenhof, die von Ludwig Mies van der Rohe geleitet wurde: Ihre Bauten mit grosszügigen Wohnungsgrundrissen wandten sich an ein gehobenes bürgerliches Publikum. Andererseits setzte man sich für die Siedlungen des Massenwohnungsbaus ein. Etwa beim CIAM-Kongress 1929, der die Wohnung für das Existenzminimum thematisierte. Die Stahlrohrmöbel des Bauhauses konnte sich aber nur leisten, wer genug verdiente. Und selbst in der Weissenhofsiedlung wurden sie nach der Musterpräsentation zumeist wieder ausgeräumt und durch traditionelle Möbel ersetzt.

Das Bauhaus war trotz seinen politischen Implikationen letztlich Ausdruck eines spezifischen Lebensgefühls der zwanziger Jahre, der Sehnsucht nach einem neuen Menschen, nach Grossstadt und Modernität - aber der angestrebte Sprung zum Allgemeingut blieb aus. Die «IKEAisierung» des Bauhauses scheiterte - zunächst. Dass es schliesslich doch zum «Sieg des Neuen Baustils» kam, so ein Buchtitel des erfolgreichen Architekturpublizisten Walter Curt Behrendt, und der Bauhausstil zu dem bestimmenden Architekturkonzept des 20. Jahrhunderts aufstieg, verdankt er neben Gropius' Architekturmarketing vor allem Alfred Barr, Phillip Johnson und Henry-Russell Hitchcock. Mit ihrer legendären Ausstellung «International Style» von 1932 im Museum of Modern Art wischten sie die europäischen Empfindlichkeiten ob Stil oder nicht Stil beiseite. Indem sie den Architekturdiskurs von seinen politischen Konnotationen befreiten und ihn auf eine rein ästhetische Ebene reduzierten, vereinfachten sie ihn radikal. Folgerichtig bilden die New Yorker Ausstellung und der noch weit folgenreichere Katalog, der die Bilder des Neuen Bauens in Amerika verbreitete, einen der Schwerpunkte der Dessauer Ausstellung.


Deutsche Bauhausdebatte

Nach 1945 kehrte die inzwischen in Amerika erfolgreiche Bauhausmoderne nach Deutschland zurück. Doch während die Berliner «Inter Bau 1957» dem neuen architektonischen und städtebaulichen Leitbild verpflichtet war, stiessen die einstigen Hauptprotagonisten des Bauhauses, Gropius und Mies, in Deutschland auf Zurückhaltung oder gar offene Ablehnung. Das dokumentiert die von Rudolf Schwarz losgetretene Bauhausdebatte der fünfziger Jahre. Am Ende freilich stand die unausweichliche Kanonisierung des Bauhauses, wie sie bereits Sigfried Giedion mit seinem Standardwerk «Time, space and architecture» seit 1941 betrieb. Sie gipfelte 1968 in der Stuttgarter Ausstellung «50 Jahre Bauhaus», die auch den Schlusspunkt der Dessauer Ausstellung bildet. Was 1932 im MoMa begonnen hatte, war 1968 vollendet: Das Bauhaus war endgültig museumsreif. Doch da war die Demontage der Bauhausideale durch die Postmoderne bereits in vollem Gange, die in Tom Wolfes scharfzüngiger Abrechnung «Leben mit dem Bauhaus» gipfelte. Kaum auf dem Sockel eines Klassikers angekommen, hatte im Architekturalltag schon wieder der Abstieg begonnen.


[Bauhaus Dessau: «Bauhausstil - zwischen International Style und Lifestyle», bis 16. November 2003. Katalog Euro 28.90.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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