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Home, Sweet Dome
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Projekt „Land schaf(f)t Zaun“: Die Aufgabe der Architekten lautete, einen Garten in Hanglage über dem Ufer des Traunsees zu akzentuieren. Heraus kam eine Loge mit größtmöglicher Naturnähe.

7. April 2012 - Judith Eiblmayr
Ein hoch gelegener Blickpunkt, der den Betrachter die Landschaft überschauen lässt, war immer schon ein besonderer Ort. Sobald der Fremdenverkehr im frühen 19. Jahrhundert als solcher proklamiert worden war und die Landschaft per se als Highlight definiert wurde, delektierte man sich am Überblick, den man sich solcherart verschaffen konnte. Auch bei der Hotelarchitektur war man bemüht, den Reisenden den Reiz der unberührten Natur zu vermitteln und über Balkone oder Loggias den Außenraum ins Raumerlebnis beim Aufenthalt als unvergesslich zu integrieren. In einer demnächst erscheinenden Publikation über den Traunsee ist nachzulesen, wie in einem Reiseführer von 1832 auf die diesbezüglichen Vorzüge des Hotels „Goldenes Schiff“ in Gmunden verwiesen wird. Entzückend sei es, vom Balkon des Hotels aus den größten Teil der schönsten Umgebung von Gmunden zu überblicken und sich durch das Glühen der Hochgebirge in die Gefilde der Schweiz oder an den Comer See versetzt zu fühlen. Tatsächlich ist auch heute die erste Assoziation, die sich beim Blick auf das Nord- und Westufer des Traunsees aufdrängt, jene von Urbanität. Altmünster und Gmunden bieten ein Bild von urbaner Dichte, welche mit der schönen Landschaft als Hintergrundmotiv verschmilzt, eine Situation, die an anderen österreichischen Seen nicht zu finden ist. Dieses Spannungsfeld bietet für Architekten multiple Interpretationsmöglichkeiten, denn von ruralen Details bis städtischer Architektur ist hier alles „erlaubt“, und entsprechend vielfältig stellt sich das Gebaute auch dar.

Dieserart ist das seit dem Jahr 2004 in Wien tätige Architektenduo „Heri&Salli“, Heribert Wolfmayr und Josef Saller, an die an sie gestellte Bauaufgabe einer groß dimensionierten Lodge bei einem bestehenden Einfamilienhaus am Traunsee herangegangen. Die Bauherren wollten ihren Garten in Hanglage über dem Ufer des Sees mit bereits vorhandenem Swimmingpool räumlich akzentuieren. Ihre ursprüngliche Idee, dies durch Bepflanzung zu bewerkstelligen, ließen sie fallen, als sie ein fertiggestelltes Objekt, den Hausplatz J. von „Heri&Salli“, in einer Zeitschrift publiziert sahen. Auch hier wurde eine segmentierte Loggia dem Pool beigestellt, um Schatten und Geborgenheit im Außenraum zu gewährleisten. Die Architekten machten sich daran, die Frage, ob eine ähnliche Lösung bei ihrem Grundstück realisierbar wäre, formal zu beantworten. In ihrer Denkweise gingen sie dabei weder gezielt architektonisch noch künstlerisch an die Bauaufgabe heran, meinen die Architekten Wolfmayr und Saller in einem Interview, sondern es interessiere sie vielmehr, was mit dem Raum passiere, wie der Raum hinkünftig für die Nutzer funktionieren könne. Es gehe um das Formulieren einer These für die Raumgestaltung, die allerdings im Zusammenspiel mit den Menschen „halten“ muss. Dadurch erhält die planerische Herangehensweise experimentellen Charakter, was durch eine künstlerisch konstruktive Handschrift noch unterstrichen wird.
Die Gestaltungsidee kommt denn auch harmloser daher, als sie ist: Vordergründig beschreibt der Projektname „Land schaf(f)t Zaun“ als Ausgangspunkt der architektonischen Denkarbeit ein Stück rurales Design, nämlich den in der Gegend üblichen Jägerzaun, der sphärisch gekrümmt zu einem kokonartigen Gebilde umgeformt wird. Hintergründig steckt allerdings viel künstlerisches Potenzial in der Idee, denn metaphorisch gesehen bildet die Form der semitransparenten Halbschale eine schützende Hand aus. Der „Handrücken“ ist der Stützmauer am Hang und zum Nachbargrundstück hin zugewandt, während das Tragewerk wie gekrümmte Finger über den Sitz- und Liegeplatz am Pool ausgebildet ist. So kann der Blick des Betrachters über den Pool und den See hinweg ungehindert in die Ferne schweifen.
Abgesehen von dieser metaphorischen Qualität werden in der zart dimensionierten Gitterstruktur aus Stahl, die partiell mit rhombenförmigen, unterschiedlich geneigten Lamellen aus MAX-Exterior-Platten belegt ist, auch wesentliche Werke der Geschichte der architektonischen Konstruktion konnotiert: Richard Buckminster Fullers geodätische Kuppeln oder Frei Ottos leichte Flächentragwerke, die eine stützenfreie Überspannung durch zeltartige Dächer möglich machten. Sowohl Fuller als auch Otto fühlten sich in ihrer konstruktiven Kreativität einer „Strategie der Natur“ verpflichtet, und genau diese Qualität spürt man auch in der Lodge hoch über dem Traunsee: Man fühlt sich unter den Lamellen, die einen gegenüber Wind und Regenwasser durchlässigen Dome bilden, wie unter einem Blätterdach. Dies gewährleistet ein Spiel fürs Auge mit Licht und Schatten, mit Innen- und Außenraum.

Die Raumwahrnehmung wird nicht nur durch diese optischen Phänomene einer Dynamisierung unterworfen, auch die Ausbildung der fixen Einbauten, wie einer aus dem Boden rampenartig ansteigenden Liege oder eines „Bankbandes“, das sich ebenso aus der Bodenfläche löst und in den Raum zu einem Tisch hin erhebt, lässt alles in Bewegung geraten. Indem alle Flächen im gleichen Material wie die Lamellen ausgeführt sind, wird der Raum dem Anspruch als Kokon gerecht: im Inneren ein Ort des Rückzugs und der Kontemplation, nach außen eine Skulptur am Hang. Dieses Wechselspiel zwischen realem Raumerlebnis, der Möglichkeit, ein Bild von Urbanität hereinzuholen und das Gebaute selbst als stimmiges Objekt in der Landschaft zu implementieren, zeugt von der Kunstfertigkeit von „Heri&Salli“ mitzudenken. Und mitgedacht ist eben auch die Funktion: Heutzutage können die Bauherren von ihrer hoch gelegenen Loge nicht nur den Reiz der Natur visuell genießen, sondern gleichzeitig in den Pool hüpfen und sich selbst erfrischen.

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