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Ach, Baukultur, wo willst du hin?
Spectrum

Architekturtage in ganz Österreich, ein Baukulturreport im Parlament. Und doch: Es ist noch immer nicht genug.

9. Juni 2012 - Christian Kühn
Anders als gewohnt, so lautete das Motto der Architekturtage 2012, die am ersten Juni-Wochenende in ganz Österreich stattfanden. Zwei Tage Architektur mit einem Programm, das für ein paar Wochen gereicht hätte: Selbst der leidenschaftlichste Architekturfan konnte nur einen Bruchteil der Führungen, Vorträge und Feste genießen, wie sie auf der Homepage der Architekturtage – übersichtlich nach Bundesländern geordnet – zu finden sind. Der leidenschaftliche Fan, für den ja eh jeder Tag ein Architekturtag ist, ist aber gar nicht die vorrangige Zielgruppe der Architekturtage. Sie richten sich an die lokale Bevölkerung, die aufgefordert ist, ihre alltägliche Umgebung einmal anders wahrzunehmen, besser informiert, mit Einblicken, die sonst nicht einfach zu erhalten sind. Der große Zustrom zu den Architekturtagen hat bewiesen, dass die Neugier und das Interesse, sich mit Fragen der Architektur und des Wohnens auseinanderzusetzen, nicht nur vorhanden sind, sondern zunehmen.

Die Rahmenbedingungen haben sich freilich geändert. Die ersten Architekturtage 2002 standen unter dem Motto „Jetzt ist alles offen!“, womit nicht nur die schlichte Tatsache gemeint war, dass Gebäude und Architekturateliers offen standen, sondern auch die Zukunft. Das kräftige Rufzeichen am Ende des Slogans kündet in dieser Hinsicht von beachtlichem Optimismus. Zehn Jahre später hat sich die Offenheit bestätigt, allerdings nicht in die Richtung, die man erhofft hatte. Heute werden Veranstaltungen wie die Architekturtage als Luxus gesehen, dessen Finanzierung nur mit Mühe aus immer knapper werdenden Quellen gelingt. Angesichts angeblich leerer Kassen und Auftragsbücher ist Baukultur ein schönes Extra, aber niemandes Kerngeschäft.

Es sollte allerdings zu denken geben, dass an der Wurzel der Finanzkrisen der vergangenen Jahre in der Regel das Bauen stand, nicht als Ursache, aber gewissermaßen als Medium des Bankrotts. Die US-amerikanischen Subprime-Krise nahm ihren Ausgang bei Krediten für Eigenheime an Kunden mit geringer Bonität und der darauf folgenden Spekulationsblase; die spanische Bankenkrise hat ihren Ursprung in einem Bauboom, dessen hemmungslos in die Landschaft gesetzte Produkte irgendwann keine Abnehmer mehr finden konnten.

Beide Phänomene konnten sich nur in einem Umfeld entwickeln, in dem die Baukultur niedrig ist. Natürlich gibt es auch in den USA ambitionierte Architektur, und Spanien hat eine der interessantesten Architekturszenen Europas hervorgebracht. Aber Baukultur ist keine Frage der Eliten, sondern ein Breitenphänomen. Sie setzt voraus, dass Bürger das Bewusstsein und das Vertrauen haben, mitgestalten zu dürfen, nicht so sehr, indem sie basisdemokratisch über Fassadenfarben abstimmen, sondern indem sie ihre Anforderungen an die gebaute Umwelt artikulieren können und wissen, dass ihre Interessen in einer fairen Weise mit anderen Interessen abgeglichen werden.

Bauen ist voller Zielkonflikte, zwischen Investoren und der öffentlichen Hand, zwischen alten und jungen Menschen, zwischen Bewahrern des kulturellen Erbes und Innovatoren, die auch einmal schöpferische Zerstörung zulassen wollen. Baukultur ist daher zu großen Teilen Gesprächs- und Konfliktkultur, also die Fähigkeit, fremde Interessen anzuerkennen und in geregelten Prozessen mit den eigenen abzustimmen.

Was die Sache bei der Baukultur so vertrackt macht, ist der Zeithorizont. Die Häuser und Städte, deren Errichtung und Entwicklung wir heute zu verantworten haben, sind eine wichtige Lebensgrundlage der nächsten Generationen, die aber heute keine eigene Stimme haben. Entscheidungsträger bei dieser Entwicklung sind wir alle, und wir alle laufen Gefahr, rücksichtslos zu agieren. Wer sein harmloses, vielleicht sogar energetisch optimiertes Häuschen im Speckgürtel einer Großstadt baut und dann als Pendler den Ausbau der Autobahn um ein paar weitere Spuren verlangt, ist genauso verantwortlich wie der Bürgermeister einer Landgemeinde, der noch ein paar Äcker in Bauland umwidmet, damit sich der Supermarkt in seiner Gemeinde ansiedelt und nicht in der nächsten.

Ein Bericht zum Stand der Baukultur wird in Österreich alle fünf Jahre in einem Baukulturreport vorgelegt, den die Bundesregierung in Auftrag gibt. Verstand sich der erste Report aus dem Jahr 2006 noch als umfassende Bestandsaufnahme zu allen relevanten Themen, so ist der jüngste, die Jahre bis 2011 betreffende Bericht auf drei Themenbereiche fokussiert: zukunftsfähiges Bauen, bürgernahe Verfahren auf Gemeindeebene sowie Bildung und Vermittlung, wobei unter letzterem Punkt sowohl der Bau von Bildungseinrichtungen als auch die Architekturvermittlung für junge Menschen in Schulen behandelt wird. Statt mehr als 500 Seiten beim letzten Mal hat der aktuelle Report nur 160 Seiten und wurde in einer Auflage von 6000 Stück gedruckt, was vom Optimismus zeugt, dass mit dem Report ein gut lesbares und nützliches Dokument vorliegt, von dem nicht nur Politiker und Beamte profitieren können.

Der Bericht stellt der österreichischen Situation ein durchaus kritisches Zeugnis aus, weist aber in vielen Praxisbeispielen darauf hin, dass es auch hier ausreichend Initiativen mit Vorbildwirkung gibt, auf denen man aufbauen kann. Dazu gehören nicht nur Vorzeigebauten, sondern auch strategische Konzepte zur Gemeindeentwicklung. Die im vergangenen Jahr im Nationalrat beschlossene Erleichterung für Gemeindekooperationen könnte ein wichtiger Impuls sein, Architektur- und Raumplanungspolitik auf dieser Ebene zu verbessern.

Die 45 Empfehlungen, die der Report zu den behandelten Bereichen benennt, sind eine Aufforderung an die Politiker, ihren Wählern und sich selbst etwas zuzumuten. Als Querschnittsmaterie verhakt sich das Thema Baukultur zwangsläufig an neuralgischen Punkten der Republik: beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, bei der Raumplanung als Landessache, der unterstützende Komponenten auf Bundesebene fehlen, oder beim Balanceakt, Wirtschaftsförderung mit langfristiger ökologischer Politik zu verbinden. Eines ist klar: Niemand gewinnt mit den Themen Architektur und Stadtplanung die nächsten Wahlen, bestenfalls die übernächsten.

Kommende Woche wird der Baukulturreport im Plenum des Parlaments behandelt. Wenn dessen Mitglieder ihn gelesen haben, sollten sie merken, dass die Politik auf allen Ebenen kontinuierlich, und nicht nur alle fünf Jahre, mit Baukultur befasst ist. Vielleicht wäre es ja Zeit, die Empfehlung Nummer 18 aufzugreifen: eine Baukulturdeklaration des Bundes, wie andere Länder sie sich schon längst gegeben haben.

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