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Wie hoch ist der Preis der Nachhaltigkeit?
Der Standard

Das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW) errichtete zusammen mit dem Architekten Adolf Krischanitz ein Wohnhaus auf den Aspanggründen in Wien. Das vielbeachtete Passivhaus regt zum Nachdenken an.

6. Juni 2012 - Wojciech Czaja
DER STANDARD hat gemeinnützigen und privaten Bauträgern aus ganz Österreich die gleiche Frage gestellt: Was ist Ihr bester Wohnbaubeitrag zum Thema Nachhaltigkeit? Die Antworten sind sehr unterschiedlich.

Am 22. Februar wurde das beige-braun-gestreifte Ildefonso-Haus in Wien-Landstraße an seine Mieter übergeben. Bei der offiziellen Begehung mitsamt Bauträger-Chef und Architekt fand man an einer der insgesamt 110 Wohnungstüren eine fassungslose, etwas erboste Mängelliste mit Klebeband befestigt: „Keine Heizung! Wo ist die Heizung?“

Michael Pech, Vorstand des Österreichischen Siedlungswerks (ÖSW); sieht die Sache gelassen: „Scheinbar wissen noch nicht alle Bewohner, dass sie jetzt in einem Passivhaus wohnen“, sagt er zum STANDARD. „Tatsache ist, dass man in einem Passivhaus keine Heizung benötigt, weil die im Sommer gekühlte und im Winter erwärmte Frischluft über eine kontrollierte Wohnraumbelüftung direkt in die Wohnung strömt. Im Großen und Ganzen sind die Bewohner von dieser Technologie ziemlich begeistert.“

Im Sommer drei Grad kühler

Für Pech ist das Passivhaus auf dem Areal des ehemaligen Aspangbahnhofs ein Meilenstein in puncto ökologischer Nachhaltigkeit. Das gesamte Haus steht auf einer Gummidichtung, die einerseits die Schwingungen der vorbeifahrenden Schnellbahn abfedert, andererseits auch als thermische Abschottung gegen das Erdreich fungiert. Die Fensterflächen sind bewusst klein gehalten, um die Heizkosten zu minimieren. Und die Decke über dem letzten Geschoß wird bei Bedarf mittels Betonkernaktivierung gekühlt. So können selbst die Wohnungen im letzten Stock, die im Sommer üblicherweise stark überhitzen, um zwei bis drei Grad Celsius abgekühlt werden.

Architekt Adolf Krischanitz betont mit Stolz die deutlich abgerundeten Ecken seiner Ildefonso-Würfel: „Das ist nicht nur eine ästhetische Maßnahme, sondern hat in erster Linie bauphysikalische Gründe.“ Eine eckig ausgeführte Ecke sei sehr exponiert und daher die kälteste Stelle der Fassade. An einer runden Ecke sei die Differenz geringer. „Aber auch im Innenraum ist das Eck rund ausgeführt“, so Krischanitz. „Und das ist besser für die Luftverwirbelung im Raum.“

Doch das Vorzeigehaus im neuen Stadtteil Eurogate, der größten Passivhaussiedlung Europas, bietet nicht nur Grund zum Jubeln, sondern auch zum Nachdenken. „Die jährliche Heizkostenersparnis in einer 80-Quadratmeter-Wohnung gegenüber einem herkömmlichen Niedrigenergiehaus beträgt rund 240 Euro“, rechnet ÖSW-Chef Pech mit einer gehörigen Portion Selbstkritik vor. „Klar, das ist viel Geld, aber es fragt sich à la longue, ob dieser Betrag gesamtheitlich betrachtet tatsächlich ins Gewicht fällt.“

Höhere Betriebskosten

Denn: Die Betriebs- und Wartungskosten in einem Passivhaus sind deutlich höher als in jedem anderen Wohnhaus. „Die Energiekosten für Ventilatoren, diverse Filterwechsel, die regelmäßigen Kontrollen und so weiter ... All diese Faktoren werden üblicherweise gerne außer Acht gelassen.“ Das ÖSW will es jedoch genau wissen. Demnächst, versichert Pech, werde man das Projekt, das mit rund 1300 Nettobaukosten pro Quadratmeter zu Buche geschlagen hat, evaluieren.

Auch der Architekt sieht die Errichtung von Passivhäusern im geförderten Segment nicht nur positiv. „Es gibt für Passivhäuser zwar eine kleine Erhöhung der Fördermittel, aber diese reicht bei weitem nicht aus, um die tatsächlichen Mehrkosten eines technisch so aufwändigen Projekts abzufedern“, meint Krischanitz. „Und so bleibt uns letztendlich nichts anderes übrig, als auch an der Architektur zu sparen.“

Kleine Fenster, kompakte Baukubatur, wenig finanzieller Spielraum - das Österreichische Siedlungswerk wirft mit diesem hochwertig geplanten und ausgeführten Wohnbau zu Recht eine Frage aufs Parkett, die viele Bauträger schuldig bleiben: Wie hoch ist der Preis der Nachhaltigkeit?

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