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Eine Stadt sieht rot
Spectrum

Ein Betonmonster in der Altstadt? Oder vielleicht doch ein ganz normales Bauprojekt, das manchen einfach unbequem ist? Bericht aus dem Herzen Salzburgs.

7. Juli 2012 - Christian Kühn
Für das deutsche Feuilleton ist die Stadt Salzburg üblicherweise nur zweimal im Jahr von Interesse: im Sommer und zu Ostern, zur Festspielsaison. Im Jahr 1986 veröffentlichte die Hamburger „Zeit“ allerdings einen euphorischen Artikel zu einem Thema, das nichts mit den Festspielen zu tun hatte: „Einzigartig in Europa: Politik mit guter Architektur. Der Erfolg des Stadtrats Johannes Voggenhuber.“ Es ging um das „Salzburg Projekt“, den Versuch des 1982 ins Amt gekommenen grünen Stadtrats, die verkommene Architekturlandschaft Salzburgs zu reformieren. Voggenhuber hatte aus dem Himmelfahrtskommando, in dem ihn die Mehrheitsparteien verheizen wollten, einen Erfolg gemacht, der weit über die Grenzen Österreichs ausstrahlte.

Damals haben die Salzburger erkannt, dass gute neue Architektur auch im historischen Umfeld möglich ist, und sich mit dem Gestaltungsbeirat eine Institution Qualitätssicherung geschaffen, die international zum Vorbild wurde. Voggenhubers Ära währte freilich nur kurz. Nach fünf Jahren wählten ihn die Salzburger ab, nicht zuletzt wegen seiner vehementen Unterstützung für ein Projekt des späteren Pritzker-Preisträgers Alvaro Siza Vieira, den Umbau des Casino Winkler auf dem Mönchsberg, zu dem ein außen an der Felswand geführter Panoramaaufzug gehörte. Das war des Neuen denn doch zu viel. Die Grünen verloren die Gemeinderatswahlen, Voggenhuber verließ Salzburg Richtung Wien und Brüssel.

Sein Projekt hat dennoch überlebt, nicht zuletzt durch den Einsatz seines Nachfolgers Johann Padutsch, der nun schon seit 20 Jahren die politische Verantwortung für die Stadtentwicklung Salzburgs trägt. Nach fünf Jahren in der Opposition konnte er die Grünen 1992 wieder in die Stadtregierung bringen, und seither steht er für einen pragmatischen Kurs, bei dem architektonische und stadtplanerische Qualität aber immer im Mittelpunkt steht. Das gelang manchmal leicht und unter allgemeinem Applaus, wie etwas beim Makart-Steg, manchmal nur gegen heftige Proteste, wie beim Heizkraftwerk Mitte. Manches ist wenig spektakulär, aber für die Entwicklung der Stadt umso bedeutsamer, wie etwa die „Deklaration Geschütztes Grünland“ oder die Stadtentwicklungsprojekte für die Science City Itzling und die Neue Mitte Lehen. Manche Projekte, denen Padutsch sich zu widersetzen versuchte, konnte er nicht verhindern, wie das Haus für Mozart nach dem Entwurf von Wilhelm Holzbauer und das Kongresshaus. Zuletzt hat er mit verkehrsplanerischen Maßnahmen wie der Altstadtsperre für den motorisierten Verkehr ein klares Signal für den Vorrang des öffentlichen Verkehrs gesetzt, mit dem man sich naturgemäß nicht nur Freunde macht.

Auf den Prüfstand kommt das „Salzburg Projekt“ der vorsichtigen Erneuerung derzeit auf dem Dr.-Franz-Rehrl-Platz am Fuß des Kapuzinerbergs. Entsteht hier, wie Salzburger Zeitungen unisono berichten, tatsächlich ein Betonmonster, bei dem die Prinzipien der Bürgerbeteiligung mit Füßen getreten werden? Fällt die Stadt in die Zeit vor 1982 zurück, wie Johannes Voggenhuber in unerwarteter Allianz mit Bischof Laun und ausgerechnet jenen Wutbürgern, die ihn 1987 aus dem Amt gejagt haben, verlauten lässt? Eine emotionslose Betrachtung fördert im Projekt selbst wenig zutage, das diese Aufregung rechtfertigt. Der Bauplatz ist charakterisiert durch eine sehr heterogene Umgebung: einen massiven, teilweise achtgeschoßigen Krankenhausbau, Stadtvillen an der Salzach und kleine Häuser, die sich in den ansteigenden Hang des Kapuzinerbergs schmiegen. Im Wettbewerb, der im Dezember 2011 entschieden wurde, reagierten manche Projekte – wie etwa die beiden mit Ankäufen ausgezeichneten von Max Rieder und Flöckner/Schnöll – auf diese Situation mit markanten, eigenständigen Baukörperfiguren. Die Jury war sich offenbar bewusst, dass am selben Ort bereits 1995 ein Projekt von Dominique Perrault mit dieser Strategie an Bürgerprotesten gescheitert ist. Den ersten Preis erhielt daher ein Entwurf des deutschen Büros SEP-Architekten, das mit dem Uni-Park Nonntal, einem Erweiterungsbau für die Universität, ein respektables Projekt in Salzburg vorzuweisen hat. Das Projekt gliedert die beachtliche Baumasse kleinteilig und lässt Querblicke auf das Nachbargrundstück zu – kein genialer, aber ein guter Entwurf mit gut vermarktbaren Wohnungen und Geschäftslokalen.

Der von den Zeitungen angefachte Proteststurm dürfte denselben Hintergrund haben wie 1995. Die unmittelbaren Nachbarn haben verständlicherweise wenig Freude damit, dass in ihren Privatpark in Zukunft erst ab Mittag Sonne fällt und die neuen Nachbarn aus dem fünften Stock in ihren Garten blicken. Das ist legitim, aber durch die Bauordnung geregelt, die immer Interessen gegeneinander abwägen muss.

Die im Stadtplan als Rehrl-Platz bezeichnete Stelle ist heute eine Asphaltfläche mit abgestellten Nutzbauten, einer Tankstelle und einem kleinen pilzartigen Rundbau. Niemand, der Salzburg liebt, wird daran zweifeln, dass dieser Platz Besseres verdient. Wenn es gelingt, hier einen privaten Investor zu finden, der Geschäftsflächen schafft und den öffentlichen Raum verbessert, ist das kein Ausverkauf der Stadt ans Kapital, sondern normale Stadtentwicklung. Dass der Bebauungsplan erst aufgrund eines in einem Wettbewerb bestimmten Projekts erfolgt, hat nichts mit Korruption zu tun – das ist heute unter dem Schlagwort Vertragsraumplanung etabliert. Das Salzburg Projekt war in dieser Hinsicht Pionier: Von Johannes Voggenhuber wird der Satz kolportiert, für ihn sei der schlechteste Bebauungsplan der beste, weil so der Bauherr mit der Stadt in Verhandlung treten muss, wodurch sich neue Spielräume eröffnen.

Wenn die Aufregung um den Rehrl-Platz wieder auf ein normales Niveau heruntergekocht ist, sollten sich die Salzburger fragen, ob ihre Architekturentwicklung nicht doch wieder „einzigartig in Europa“ sein könnte. Vergleichbare Städte wie Innsbruck nutzen das Potenzial zeitgenössischer Architektur jedenfalls deutlich stärker, auch in der historischen Altstadt.

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