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Einstürzende Parkplätze
Der Standard

Wir parken unsere Städte mit Autos voll. Nicht gut. Forscher und Investoren sinnieren bereits - die Lösungsvorschläge sind sehr unterschiedlich.

25. August 2012 - Wojciech Czaja
„Im Anfang waren das Benzin und der Vergaser. Dann schuf Gott den Motor und die Karosserie, die Hu-pe und das Verkehrslicht. Dann betrachtete er sein Werk und sah, dass es nicht genug war. Darum schuf er noch das Halteverbot und den Verkehrspolizisten, und als dies alles geschaffen war, stieg Satan aus der Hölle empor und schuf die Parkplätze.“

Keine andere technische Errungenschaft beeinflusste die Stadt des 20. Jahrhunderts nachhaltiger und dramatischer als das Automobil. Der israelische Schriftsteller und Satiriker Ephraim Kishon hatte mit seiner Aussage schon recht: Rund 20 Prozent der versiegelten Straßenfläche Wiens, um nur ein Beispiel zu nennen, sind dem parkenden Auto gewidmet. In einigen Gassen und Straßen, erklärt Helmut Hiess, Verkehrsplaner bei Rosinak & Partner, macht der Parkraum sogar 62 Prozent aus.

Und Bettina Urbanek, Referentin für urbane Mobilität beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ), rechnet vor: „Die Autos mit Wiener Kennzeichen nehmen eine Parkfläche von rund 8,4 Quadratkilometern ein. Das entspricht der Gesamtfläche der Bezirke vier bis acht. Zählt man die täglich einpendelnden Autos hinzu, dann könnte man den neunten Bezirk auch noch komplett zuparken.“

Verkehrsplaner, Forscher und Investoren wollen der Verparkung der Stadt vehement entgegenwirken. Und jeder tut's auf seine Weise. Das Berliner Unternehmen CarLoft ließ sich vor einigen Jahren ein Modell patentieren, mit dem das Auto per Lastenlift direkt vor die Wohnungstür gehoben werden kann. Was sich anhört wie eine Sci-Fi-Vision aus Blade Runner-Zeiten, ist bereits Realität. Das erste Exempel gebauter Utopie steht in Berlin-Kreuzberg und hört auf den Namen Paul-Lincke-Hof. Anrainer brachten ihren Widerstand zum Ausdruck und begegneten dem Wohnhaus mit Farbbeuteln und Steinschleudern.

„Alle Metropolen leiden unter demselben Problem“, meint Manfred Dick vom Berliner Büro United Architects. „Millionen von Autos verstopfen unsere Städte. Es herrscht Parkplatznot. Warum also nicht das Auto einfach mit nach Hause nehmen?“ Dabei, versichert der Architekt, sei der Lift für den motorisierten Liebling nicht einmal teurer als der Bau einer Tiefgarage - schon gar nicht, wenn man mit Grundwasser oder gar mit schwierigen Fundamentierungsarbeiten zu kämpfen habe. Rund 30.000 Euro kostet die Errichtung eines Stellplatzes auf der sogenannten „Car-Loggia“.

Im Detail: Man fährt mit dem Auto direkt in den Lastenlift, 20 bis 25 Sekunden später ist man im, sagen wir, fünften Stock angekommen und kann von dort direkt vors Wohnzimmer rollen. Der gesamte Parkvorgang dauert drei Minuten. Und es gibt sogar eine Mobilitätsgarantie: Im Fall eines Komplettausfalls des Lifts werden Taxi oder Leihwagen zur Verfügung gestellt.

„Natürlich fühlen sich auch die Autoliebhaber von diesem Projekt angezogen“, erläutert CarLoft-Geschäftsführer Johannes Kauka auf Anfrage des STANDARD. „Aber das ist nur ein kleiner Teil des Zielpublikums.“ In erster Linie richte sich CarLoft nämlich an kinderreiche, Hunde besitzende und Mineralwasserkisten schleppende Familien beziehungsweise an betagte und gebrechliche Personen, die bequem und barrierefrei in die Wohnung gelangen wollen. Das erklärt auch, warum auf den Marketingfotos 400-PS-Maseratis zu sehen sind.

Berlin war nur der erste Streich. Ein CarLoft-Wohnhaus in Karlsruhe ist bereits in Bau, und in Düsseldorf-Heerdt bemüht man sich derzeit, das Wohnbauprojekt „Papillon“ zu vermarkten. Dabei mutiert ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg durch Umbau und Aufstockung - wie der Website der 741 Projektentwicklung GmbH zu entnehmen ist - von einer unauffälligen grauen Raupe zu einem hübschen, filigranen Schmetterling. Mittels Diamantseilsäge werden in die bis zu 2,30 Meter dicken Wände Löcher für Lift und Loggia geschnitten.

„Mit einem Autolift kann man zehn bis 20 Prozent höhere Verkaufspreise erzielen als mit einem Wohnhaus gleicher Qualität ohne Autolift, denn die Menschen sehnen sich nach Einzigartigkeit“, meint CarLoft-Chef Kauka, der in den kommenden Jahren auch in Wien ein solches Projekt realisieren will. Positiver Nebeneffekt: „Langfristig kann man mit dem CarLoft den ruhenden Verkehr reduzieren. Ganz wegkriegen wird man ihn nie, denn eines ist sicher: Die individuelle Mobilität wird immer ein Thema bleiben.“

Doch genau das ist Forschern und Fachplanern ein Gräuel. „Die Mobilität hat sich in den vergangenen 100 Jahren stark verändert, aber die Art und Weise, wie wir unsere Autos parken, ist immer noch die gleiche“, sagt Rachel Smith. Erst unlängst hielt die Stadtplanerin aus Queensland, Australien, am BMW Guggenheim Lab in Berlin einen Workshop zum Thema ab: Wie kann man das Auto aus der Stadt verbannen? Und welche neuen Möglichkeiten würden sich dadurch ergeben?

Vom Parkplatz zum Park-Platz

Prompt erklärte sie den 28. Juni zum „Parking Day“. Dieser frönte allerdings nicht dem parkenden Auto, sondern der durch seinen Verbleib frei werdenden Straßenfläche. Gemeinsam mit den Teilnehmern wurde rund um das Lab Gemüse angebaut, Kaffee geröstet, gepicknickt, gespielt und lebensgroß Vier gewinnt gespielt. Damit wurde der Parkplatz zum Park-Platz. Smith: „Wir sprechen die ganze Zeit von Elektromobilität und Carsharing. Doch um das zu ermöglichen, müssen wir erstens die nötige Infrastruktur schaffen und zweitens die Vorschriften und Gesetze verschärfen. Ansonsten passiert gar nichts.“

Ein möglicher Schritt in diese Richtung könnte schon demnächst in Hongkong, San Francisco, Barcelona und im schwedischen Malmö gesetzt werden. In diesen Städten nämlich führten Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Machbarkeitsstudien für die Implementierung von „Mobility on demand“ durch. Das Carsharing-System aus dem Forschungslabor hat zwei Besonderheiten:

Zum einen soll die Preisgestaltung dynamisch erfolgen. Das heißt, die Mietpreise richten sich nach Angebot und Nachfrage an der jeweiligen Abhol- und Abgabestation. Dadurch soll die gleichmäßige Verteilung der Autos besser gesteuert werden. Zum anderen wurde dafür eigens ein klappbares Mini-Auto entwickelt, das im geparkten Zustand nur eineinhalb Meter lang ist.

Sackgasse: das Produkt Auto

„Die meisten Menschen denken an das Auto als Produkt und nicht als Service“, sagt Ryan C. C. Chin, Forschungsleiter am MIT Media Lab, Department „Changing Places“. Diesen Schalter im Kopf gilt es umzulegen: „Nachhaltig werden wir das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung nur dann ändern können, wenn wir den Eigentumsgedanken unattraktiver und die Dienstleistung gleichzeitig attraktiver machen. Und was ist attraktiver als ein kleines Auto, das wenig Platz braucht, wendig durch die Stadt fährt und noch dazu billig zu mieten ist?“

Der erste Prototyp ist bereits gebaut. Das spanische Unternehmen Hiriko führt mit seinem ersten, wenige Monate alten Klappwinzling derzeit Fahrtests durch. Die Passantenblicke in der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz - zu sehen auf Youtube - lassen auf eine schwungvolle Zukunft schließen. Auf eine Zukunft, in der der Großteil des öffentlichen Freiraums nicht dem Auto, sondern womöglich wieder dem Menschen zur Verfügung gestellt werden kann. Geht es nach Kent Larson, MIT-Forschungsleiter von „Changing Places“, könnte Hiriko in drei bis fünf Jahren in Serie gehen.

Bis es so weit ist, kann man politisch nachhelfen. Berlin hat die Pkw-Stellplatzregelung bei Neubauten vor einigen Jahren abgeschafft und stattdessen eine Fahrrad-Stellplatzregelung eingeführt. Demnach müssen Wohn- und Bürobauten in der deutschen Bundeshauptstadt über eine bestimmte Anzahl von Drahtesel-Parkplätzen verfügen. Und in Kopenhagen hat die Stadtregierung begonnen, pro Jahr 300 Pkw-Parkplätze zu eliminieren und durch Gehsteige und Fußgängerzonen zu ersetzen. Die Zukunft der Städte sollte man nicht allein die Investoren schreiben lassen.

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