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Die Begrünerin
Der Standard

Letzten Samstag gingen in Alpbach die Baukultur- Gespräche zu Ende. Ein grüner Lichtblick war die niederländische Stadtplanerin Helga Fassbinder. Ein Gespräch.

8. September 2012 - Wojciech Czaja
Grün ist viel zu billig. Deshalb gibt es auch keine Lobby. Wäre Grün so teuer wie etwa Ziegel oder Beton, na was glauben Sie, wie rasch sich die Industrie dahinterklemmen würde!

STANDARD: Haben Sie einen Garten?

Fassbinder: Ja, ich wohne in Amsterdam an einer Gracht, und hinter dem Haus habe ich einen Garten. Der ist zwar nur so groß wie ein Wohnzimmer, aber ich habe regelmäßig Besuch von Möwen, Reihern, Blässhühnern und Bussarden. Ein wunderbarer Ort!

STANDARD: Als eine von wenigen Stadtplanerinnen in Europa kreiden Sie der heutigen Stadtplanung viele Fehler an. Unter anderem, meinen Sie, sind unsere Städte zu wenig grün.

Fassbinder: Die Städte in Europa sind Betonwüsten. Und das, obwohl wir in unserem Kulturkreis auf eine jahrhundertelange Garten- und Landschaftskultur zurückblicken, von der Antike über den Barock bis hin zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Ich beobachte allerdings, wie sich bei den Bürgern und Bewohnern langsam etwas tut. Sie entwickeln Interesse, und viele von ihnen sehnen sich nach mehr Grün in ihrem Lebensumfeld. Auch die Politik ist sensibler geworden. Und es sind nicht nur die Grünen, die von Grün sprechen.

STANDARD: Und was ist mit den Architekten und Stadtplanern?

Fassbinder: Da sehe ich eine ziemliche Stagnation. Es gibt ein paar künstlerische Ausnahmeerscheinungen wie etwa Patrick Blanc in Paris oder Martha Schwartz in London, generell wird das Grün in der Großstadt aber sehr stiefmütterlich behandelt. Architekten interessieren sich nicht dafür, bei den Stadtplanern ist es kein Thema, und die Landschaftsplaner sind als Gruppe noch nicht stark genug, um sich gegen diesen Umstand vereint zur Wehr zu setzen.

STANDARD: Warum ist die Stadt noch nicht so weit?

Fassbinder: Ich sage immer: Das sind die Nachwehen der Moderne. Die Moderne war ein unglaublicher Bruch in der Stadtplanung. Viele europäische Städte wurden damals komplett verändert, das Grün oft in Parks eingeschlossen oder an den Stadtrand verdrängt. Diese Fehler wieder rückgängig zu machen ist viel Arbeit. Aber das wäre eine eigene Diskussion wert.

STANDARD: Was sind die größten Kritikpunkte an ungrünen Städten?

Fassbinder: In der Stadt herrscht im Sommer der sogenannte Backofen-Effekt. Studien haben ergeben, dass man mit zehn Prozent mehr Grün - und das ist gar nicht so viel - die sommerliche Temperatur in den Städten um drei Grad Celsius senken kann. In einigen Stadtvierteln in Tokio hat man sogar herausgefunden, dass man mit einer massiven Nachbegrünung die lokale Temperatur um bis zu 13 Grad reduzieren kann. Das muss man sich einmal vorstellen! Außerdem ist Flora ein guter CO2-Speicher, ein Regenwasserspeicher und ein Feinstaub-Absorber. Grüne Hecken entlang der Straße können den Feinstaub in der Stadt um ein gutes Drittel reduzieren.

STANDARD: Handfeste Argumente! Wieso macht man das nicht öfter?

Fassbinder: Wegen der Paragrafen! In den meisten Fällen stehen dem Grün Bauvorschriften und Haftungsfragen im Weg. Da heißt es dann: Ja, aber was passiert, wenn jemand über das Grün stolpert? In Amsterdam gibt es seit einigen Jahren eine Verordnung, die Bewohnern erlaubt, auf dem Gehsteig vor ihrem Haus einen Streifen mit 30 Zentimeter Breite zu begrünen. Und siehe da, es gibt keine Unfälle, und alle sind happy. Wie will man sich das erklären? Vielleicht sind die niederländischen Bürger ja intelligenter und lernfähiger als die Österreicher. Doch das allergrößte Problem ist die fehlende Lobby.

STANDARD: Weil?

Fassbinder: Begrünung ist eine billige Sache. Ein Rasen, eine Hecke, ein Baum - mit diesen kleinen grünen Injektionen lässt sich kein Geld machen. Und deshalb gibt es auch keine Lobby, die Druck ausübt. Wäre Grün so teuer wie etwa Ziegel, Beton oder Stahl, was glauben Sie, wie rasch sich die Industrie dahinterklemmen würde! Die Wahrheit ist: ohne Lobby keine Chance.

STANDARD: Das klingt frustrierend.

Fassbinder: Ja, aber dafür gibt es ab und zu einen Politiker, der sich traut, aufzustehen und etwas in Bewegung zu setzen. Der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë zum Beispiel hat vor ein paar Jahren ein Amt für Fassadenbegrünung eingeführt - das sogenannte „Service du Paysage et de l'Environnement“. Mieter und Hauseigentümer können sich dort melden und eine Begrünung ihrer Hausfassade beantragen. Das Tolle dabei ist, dass sie nicht nur behördliche Hilfe bekommen, sondern auch die nötigen Pflanzen und Samen. Und noch besser: Die Stadt Paris kümmert sich sogar um die Pflege und um den jährlichen Schnitt. Und das alles ist kostenlos! Das Interesse ist enorm. Bis jetzt wurden ein paar hundert Fassaden auf diese Weise begrünt. Das ist doch ein Anfang!

STANDARD: Und wenn es keinen Delanoë gibt?

Fassbinder: Dann muss die Bevölkerung die Sache selbst in die Hand nehmen. Platz für Grün gibt es genug. Auch in den dichtesten Städten.

STANDARD: In Chicago, Detroit, Paris, Berlin und Leipzig floriert heute das Urban Farming. Menschen pflegen ihr eigenes Stückchen Land und pflanzen Obst und Gemüse an. Ist die Reaktion auf die Krise eine langfristige Maßnahme oder nur eine Modeerscheinung?

Fassbinder: Beides. Die einen betreiben Urban Gardening, weil sie tatsächlich Geld sparen müssen und sich wieder nach mehr sozialen Kontakten sehnen. Die anderen machen es, weil es in den Magazinen steht und en vogue ist. Letztendlich aber ist die Motivation zweitrangig. Das Wichtigste ist, dass die Menschen aktiv werden und mitten in der Stadt ein Stück Autonomie zurückgewinnen.

STANDARD: Ist Urban Farming die Zukunft?

Fassbinder: Das hoffe ich doch! Das erste Mal seit der Stadterneuerung gibt es wieder ein Thema, das sich durch alle sozialen Schichten durchzieht. Und manchmal werden die Hierarchien sogar auf den Kopf gestellt, weil die Bäuerin aus Anatolien mehr Ahnung vom Melanzanizüchten hat als der Angestellte von nebenan. Hier findet ein Wissenstransfer von den gesellschaftlich Benachteiligten zu den Privilegierten statt. Plötzlich haben auch einmal die Underdogs und Outsider das Sagen! Wir machen uns immer Sorgen um die Integration - das ist Integration live.

STANDARD: 2004 haben Sie die Stiftung Biotope City gegründet. Welche Erfolge konnten Sie bisher erzielen?

Fassbinder: Wir schärfen das Bewusstsein für Grün in der Stadt, wir machen Medienarbeit, und wir halten zum Beispiel Vorträge und Workshops an Schulen und Universitäten. Meine Beobachtung ist, dass das Studium diesen Bereich viel zu wenig behandelt.

STANDARD: Wie lautet Ihre Forderung an die Politik?

Fassbinder: Ich wünsche mir mehr Offenheit und Weitsicht.

STANDARD: Das klingt aber nicht sehr feurig.

Fassbinder: Ich hab's nicht so mit dem Feuer. Ich hab's mehr mit der Erde. Die Stadtplanung ist heute fast zur Gänze in öffentlicher Hand. Und das Problem dieser öffentlichen Hand ist, dass das System träge ist. Ich wünsche mir daher Personen an der Spitze, die den Mut haben, auf den Tisch zu hauen und verkrustete Strukturen zu durchbrechen. Ich wünsche mir Politiker mit Visionen.

STANDARD: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?

Fassbinder: Grün muss ein selbstverständlicher Baustein der Architektur werden. Ich träume von einem grünen Großstadtdschungel, von einer Stadt, in der es mehr Bäume als Autoabstellplätze gibt.
[ Helga Fassbinder, geboren 1941, studierte Architektur, Städtebau, Kunstgeschichte und Politologie. Sie lebt heute in Amsterdam und ist Professorin für Stadtplanung an der TU Eindhoven und an der TU Hamburg-Harburg. 2004 gründete sie die Stiftung Biotope City, die sich mit Konzepten für Stadtbegrünung beschäftigt. ]

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