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Ein Storch wird kommen
Der Standard

Burgenland trifft Japan: Letzten Samstag wurde in Raiding Terunobu Fujimoris „Storchenhaus“ eröffnet. Ode an eine kleine Ikone.

3. November 2012 - Wojciech Czaja
In den letzten Monaten, so erzählt man sich, schlich immer wieder ein älterer asiatischer Herr durch die Gärten und ließ sich beim Obstpflücken ertappen. Die Dorfbewohner nahmen die Sache gelassen. Der Japaner ist wieder da! „Ich weiß jetzt, wo die besten Äpfel und Trauben wachsen“, sagt der Tokioter Architekt Terunobu Fujimori, „vielleicht schreibe ich ja mal ein Handbuch für Obstjäger in Raiding.“ Doch nicht die Erforschung der mittelburgenländischen Genussflora war seine Mission auf den vielen Reisen nach Österreich, sondern die Errichtung eines sogenannten Storchenhauses.

Das Gebäude, das per Definition für ein Menschen- und ein Storchenpaar konfiguriert ist, weist für beiderlei Lebensgattungen einen kommoden, wenn auch für österreichische Verhältnisse ungewohnt asketischen Komfort auf: Während die Storche auf das bewährte Fundament eines gemauerten Kamins werden verzichten müssen, dürfen sich die Menschen mit den reduzierten Wohn- und Lebensgepflogenheiten aus Nippon vertraut machen. Und das heißt: keine Zentralheizung, keine Treppen, keine Couch und keine Pelargonien vorm Fenster, dafür aber, wie Projektinitiator Roland Hagenberg meint, „die wohl modernste Toilette Burgenlands“ mitsamt Föhn und Dusche für den Allerwertesten.

Das Storchenhaus mit japanischer Handschrift ist das Resultat eines seit einigen Jahren schon reifenden Völkerverständigungsprojekts. Hagenberg, seines Zeichens Künstler und Kulturjournalist sowie seit 20 Jahren Wahljapaner und seit derer drei Wahlraidinger mit einem alten Bauernhof am Ortsrand, setzte sich in den Kopf, den fernen Osten der Welt mit dem fernen Osten Österreichs zu verbinden und anlässlich des Franz-Liszt-Jahres 2011 zehn Unterkünfte für weit herbeigereiste Künstler, Dirigenten und Interpreten zu schaffen.

Nun denn, das Jubiläumsjahr des 1811 in Raiding geborenen Komponisten ist vorüber, doch die Idee einer transkulturellen, innovativen Behausungsgruppe für die mit Gästebetten dünn gesäte Gemeinde überdauerte den letztjährigen Festivalstress und wurde bei ehestmöglicher Gelegenheit nachgeholt. Letzten Samstag fand in Beisein des japanischen Botschafters Shigeo Iwatani und der halben Dorfbevölkerung die feierliche Eröffnung statt.

Es wurde posaunt und trompetet, und nach einer Folge an emotionalen Reden, die sich allesamt um eine mal politische, mal künstlerische, mal musikalische Erklärung der nationalen Zusammenführung bemühten, schritt man gehobenen Glases und gegessenen Leberkäsbrötchens zum umfeierten Hause.

Wo bis vor kurzem eine G'stätten war, schlängelt sich nun ein hübscher, unregelmäßig betonierter Weg durch den noch in letzter Minute verlegten Rollrasen. „Umwege erweitern die Ortskenntnis“, hatte Kurt Tucholsky einmal gesagt, und so gelangt man mit japanischer Erleuchtung nach wenigen Metern an jenen Punkt, an dem es einem ob der zurückhaltenden, mit viel Lebensweisheit komponierten Architektur die Sprache verschlägt und man beim Betreten der Terrasse dem Gebauten unverzüglich allen nötigen Respekt erweist, indem man sich sofort die Schuhe von den Füßen streift. Diejenigen, die bereits in der Debatte um die Sinnhaftigkeit der kirschblütenländlichen Bloßfüßigkeit weilen, gemahnt ein mit letzter Verzweiflung improvisiertes Hinweisschild auf dem Boden: „Absolut keine Schuhe!“

Geht doch. Fujimoris Storchenhaus, das auf einer Grundfläche von fünf mal fünf Metern errichtet wurde, ist ein unaufgeregtes Gebilde, das den geradezu selbstverständlichen Eindruck vermittelt, Vogel und Mensch seien gleichberechtigte Bewohner mit wohlgemerkt etwas unterschiedlich gelagerten Wohnansprüchen. Das Storchennest balanciert in 13 Meter Höhe auf einem leicht gekrümmten Eichenstamm, der zugleich das gestalterische Rückgrat des Gebäudes ist. Steil fällt von seiner an den Rand gedrückten Mitte ein dickes, fest gebundenes Schilfdach ab. Die Schilfbauweise ist schon fast in Vergessenheit geraten. Hier wird der Verlust auf höchstem Niveau kompensiert.

„Da ist ja gar kein Lack!“

„Ich gebe zu, dass bei uns ein gewisser Umdenkprozess stattgefunden hat“, erinnert sich Bauingenieur Richard Woschitz. „Mit dem österreichischen Bauen sind wir bestens vertraut, doch in Japan geht man an die Sache anders heran. Das Bewusstsein für Materialien und Details ist stärker ausgeprägt als bei uns.“ Genau und nicht mehr und nicht weniger als drei ganze Eichenbäume wurden in diesem Haus verarbeitet. Einige dienen als Stütze, einige als nur 1,30 Meter hohe und 40 Zentimeter breite Alternativtüre für verbeugungslustige Besucher, einige als angekohlte, schwarze Fassade. Innen wurden damit Boden, Galerie und Möbel gefertigt - schön schief und mit abenteuerlich unregelmäßigen Fugen. Das Burgenland aus dem Off: „Ist das schon fertig? Da ist ja gar kein Lack.“

Terunobu Fujimori, und das ist ein Glück, ist des Deutschen nicht mächtig. „Meine Arbeit folgt der Natur“, sagt er, „es ist ja nicht so, dass ich den Baumstamm ausgesucht habe. Nein, der Baum hat zu mir gesprochen, und ich bin im Wald instinktiv auf ihn zugegangen.“ Im Sägewerk hätten die Handwerker den Kopf geschüttelt: „Wie kann man nur solche Bäume aussuchen! Das gehört verheizt.“ Am Ende siegte die interkulturelle Kommunikation mit einer Tendenz zum Japanischen.

Der Etappensieg gewährt Freude bei jedem Detail: beim gemauerten Ofen, der sich wie ein Ameisenhaufen aus der Fassade beult, bei den kleinen Kohleklötzchen, die bis zur Decke hochmarschieren, bei den vielen Oberflächen und Texturen, die das Charmante dem Perfekten vorziehen. Da verzeiht man auch die Thermofenster mit aufgeklebten Sprossen.

Rund 150.000 Euro hat das Storchenhaus gekostet. Der Großteil des Budgets wurde durch Materialsponsoring finanziert, die Gemeinde beteiligte sich mit Wasser, Strom und Kanalisation. „Das war jetzt mal der erste Streich“, erklärt Bürgermeister Markus Landauer. „Nächstes Jahr wollen wir weitermachen, da ist dann Architekt Hiroshi Hara dran.“ Binnen vier, fünf Jahren, so lautet der ambitionierte Plan, wolle man die noch fehlenden neun Japan-Häuser nachholen. Mit von der Partie: Toyo Ito, Kengo Kuma und die beiden Pritzker-Preisträger Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa.

Fehlt nur noch der Futon. Ab Dezember wird das Storchenhaus die burgenländische Hotellerie um ein ungewöhnliches Zimmer bereichern. Und was ist mit dem Storch? „Ach, die Störche sind bereits letzten Sommer auf dem Rohbau gesessen“, sagt Architekt Terunobu Fujimori, „das ist ein gutes Zeichen, nächstes Jahr werden sie sicher wiederkommen.“

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