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Und ein Schuss Anomalie
Der Standard

Im Parlament haben sich heuer die Ereignisse überschlagen. Es wurde geklagt, angefochten und neu ausgeschrieben. Ob das ein gutes Licht auf die Republik und ihr Verhältnis zu Wettbewerben wirft?

29. Dezember 2012 - Wojciech Czaja
Manche Bauteile sind morsch und durchgerostet. Aufzüge und Stiegenhäuser sind zum Teil schon gesperrt. Und im Sommer letzten Jahres war der Nationalratssaal bereits eingerüstet, um das Dach nach unerwartetem Regensouvenir wieder dicht zu kriegen. Die Opposition ist außer sich.

Die einen sprechen von einer Bude, die bald nur noch für Denkmalschützer und Höhlenforscher zu begehen sei (Werner Kogler, Grüne), die anderen erklären vor laufender Kamera, dass es mitunter gefährlich sei, sich in diesen Räumlichkeiten zu bewegen (Stefan Petzner, BZÖ). Fest steht jedenfalls: 2015 laufen Betriebsgenehmigungen aus. Sollte der Zustand des Parlaments bis dahin nicht deutlich verbessert werden, droht dem Hohen Haus die Sperre durch die Baupolizei.

Der desolate Zustand von Österreichs wohl wichtigstem Gebäude ist Grund dafür, dass der 2008 entschiedene Architekturwettbewerb zur Sanierung des Nationalratssaals in der Zwischenzeit für null und nichtig erklärt wurde. Als vor vier Jahren in seinem Linzer Büro die Sektkorken knallten, ahnte der Wettbewerbssieger Andreas Heidl noch nichts davon, dass ihn die Republik eines Tages schassen würde.

Jahrelang wurden Vorarbeiten geleistet, jahrelang wurde gezeichnet und getüftelt, und nachdem klarwurde, dass im Parlament mehr im Argen liegt als nur der Zustand des Sitzungssaals, wurde Heidl in einem sogenannten „Memorandum of Understanding“ im Februar 2012 zugesichert, dass sein Siegerprojekt in einen großen, weitaus umfassenderen und neu auszuschreibenden Parlamentsumbau selbstverständlich integriert werde. Das Schreiben trägt den Stempel der Republik Österreich und die Unterschrift der Parlamentsdirektion.

„Das wird nicht funktionieren“

Doch daraus wird nun nichts. In einer offiziellen Stellungnahme des Parlaments heißt es plötzlich, dass „geteilte Zuständigkeiten für die Gesamtsanierung und die Teilsanierung des Nationalratssitzungssaales gravierende Schnittstellenprobleme mit hohen Qualitäts- und Kostenrisiken nach sich gezogen hätten“. Im ORF-Report am 30. Oktober erklärte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer: „Ich habe lange versucht, das Projekt aufrechtzuerhalten. Doch mir liegt eine ganze Reihe von Rechtsgutachten vor, die mir alle sagen, dass das nicht funktionieren wird.“

Heidl hat die Entscheidung des Parlaments, ein neues Verfahren auszuschreiben und seinen Entwurf nun komplett fallenzulassen, zwar angefochten. Allerdings vergeblich. Am 7. Dezember hat das Bundesvergabeamt seinen Einspruch gegen den Widerruf des Auftrags abgewiesen. Da helfen auch die 675 kürzlich gesammelten Unterschriften der sich solidarisch zeigenden Architekturkollegen nicht weiter. Das einst von der Jury als „sensibel, freundlich und zurückhaltend“ gepriesene Projekt des Linzer Architekten ist tot.

„Das Vorgehen der Republik ist juristisch betrachtet zwar korrekt“, sagt die auf Wettbewerbsausschreibungen und Verfahrensorganisation spezialisierte Wiener Architektin Lisa Zentner. „Allerdings wirft die ganze Parlamentsgeschichte nicht gerade ein gutes Licht auf die Wettbewerbskultur in diesem Land. Wenn das ein Spiegel dessen ist, wie es in Österreich generell abläuft, dann werfen die Geschehnisse der letzten Monate viele, viele Fragen auf.“

Mit offenen, EU-weiten Architekturwettbewerben hat man sich im Parlament schon einmal die Finger verbrannt. Ein Enfant terrible wie dereinst Andreas Heidl als Planungs- und Gesprächspartner? Nicht nochmal! Statt eines anonymen Wettbewerbs soll nun ein nonymes Verhandlungsverfahren mit wettbewerbsähnlichem Charakter - so der offizielle Duktus - ausgeschrieben werden. Ende Jänner soll die Ausschreibung publik gemacht werden.

„Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden“, so Zentner. „Ein solches Verfahren ist durchaus legitim und wird bei großen, komplexen Bauvorhaben oft angewandt. Allerdings frage ich mich, warum man das nicht schon von Anfang an gemacht hat, ohne erst einen EU-weiten, offenen Architekturwettbewerb und die jahrelange Arbeitsleistung eines Architekten zu verprassen.“

Alexis Wintoniak, Parlamentsvizedirektor und Leiter des Projektteams Sanierung, erklärt auf Anfrage des STANDARD: „Zum Zeitpunkt des Architekturwettbewerbs wussten wir über den Gesamtzustand des Gebäudes noch nicht Bescheid. Man kannte zwar punktuelle Zonen, es gab jedoch noch keinen umfassenden Scan. Erst 2010 wurde eine systematische Analyse vom Keller bis zum Dach gemacht. Da kam das ganze Ausmaß zum Tragen.“

Zuerst ein Wettbewerb mit allem Brimborium und danach erst die Auftragserteilung für eine Studie über den baulichen Zustand des gegenständlichen Objekts? Experten halten die Chronologie für wenig nachvollziehbar. „So etwas hätte das Parlament als Auslober natürlich schon von Beginn an wissen müssen“, meint der ehemalige Juryvorsitzende Boris Podrecca, der nun als Fachrichter abermals in der Jury sitzt. „Alles in allem ist in der Reihenfolge der Geschehnisse ein Schuss Anomalie drin.“

Auch das Bundesdenkmal beobachtet schon seit Ewigkeiten die Reparaturarbeiten am Hohen Haus. „Der bauliche Zustand ist schon seit langer Zeit bekannt“, sagt Friedrich Dahm, Landeskonservator für Wien. „Ich bin schon seit 15 Jahren in die laufende Instandsetzung des Parlaments involviert. Seit damals ist schon viel passiert.“

Und Manfred Essletzbichler, Equity Partner und Leiter des Bereichs Vergaberecht bei Wolf Theiss Rechtsanwälte, meint, dass auf dem Projekt ein Riesendruck laste. Die längst überfällige Sanierung sei jahrelang hinausgezögert worden. „Das Neuaufrollen des gesamten Wettbewerbs verstehe ich dahingehend, dass man offenbar eine Höllenangst vor der Opposition hat und nun bemüht ist, die Kosten für die Sanierung des gesamten Hauses niedrig zu halten. Das geht mit einem versierten und abgebrühten Generalplaner, den man im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens findet, viel einfacher als in Form eines baukünstlerisch fokussierten Architekturwettbewerbs.“

Kein Segen der Kammer

Am unglücklichsten mit dem Prozedere der Republik ist jedoch die Architektenkammer. Wurde Kammerpräsident Georg Pendl im ersten Wettbewerb 2008 noch mit offenen Armen in die Jury eingeladen, verzichtet das Parlament beim bevorstehenden Verhandlungsverfahren nun lieber auf die Dienste des Standesvertreters.

„Letztendlich haben wir uns mit dem Parlament auf verhältnismäßig gute Teilnahmebedingungen ohne allzu große Präqualifikationshürden einigen können“, so Pendl. „Aber dennoch fürchte ich, dass nicht sehr viele österreichische Büros in der Lage sein werden, bei diesem Wettbewerb mitzumachen.“ Untergrenze für die Teilnahme am Verfahren: zwei Millionen Euro Jahresumsatz.

Wenige Tage vor Weihnachten wurde eine Rochade gemacht. In einer konstituierenden Sitzung am 20. Dezember wurde beschlossen, dass man den Großteil der Juroren „im Sinne der Kontinuität“ (O-Ton Parlament) zwar aus dem ersten Architekturwettbewerbsverfahren übernehmen, den Juryvorsitz aus Gründen der Voreingenommenheit und Bekanntheit der bisherigen Siegerprojekte allerdings tauschen werde. Statt Boris Podrecca wird nun Ernst Beneder an der Juryspitze sitzen.

„In den letzten Monaten ist es uns gelungen, den Schwerpunkt des Verhandlungsverfahrens von einem technokratischen zu einem baukünstlerischen zu verschieben“, so Beneder. „Nach einer ersten nonymen Bewerbungsrunde werden wir zehn Teilnehmer auswählen, die dann anonym ihren Entwurfsvorschlag zur Sanierung des Parlaments ausarbeiten werden. Ohne Hearing und ohne Gesichtsbad. Ich bin zuversichtlich, dass das zu einer ganzen Reihe von hochwertigen Projekten führen wird.“

Zurück an den Start

Ende Jänner startet das Verfahren. Die Auswahlrunde soll im Frühjahr 2013 stattfinden, die Entscheidungsrunde ist für Ende des Jahres anberaumt. 311 Millionen Euro Nettobaukosten gilt es nach heutigem Stand der Dinge einzuhalten.

Am Ende nimmt die Provinzposse um die Sanierung des Hohen Hauses doch noch ein gutes Ende. Durch das Verhalten des Parlaments tun sich jedoch einige ernst zu nehmende Fragen auf:

1. Wie kann es sein, dass ein Auslober erst einen Wettbewerb ausschreibt, um dann im Nachhinein festzustellen, dass alles umsonst war, weil doch mehr zu tun ist als anfänglich gedacht? Das ist nicht nur eine Verschleuderung von kreativen Ressourcen, sondern auch von Steuergeldern.

2. Wie kann die Republik verantworten, dass ein Architekturbüro, das jahrelang Vorarbeiten im Dienste der Öffentlichkeit gemacht hat, nun kurz vor dem finanziellen Ruin steht?

3. Wie will man Bürgermeister und kleine Gemeinden davon überzeugen, in Architekturwettbewerbe zu investieren und auch den Jungen und Unbekannten eine Chance zu geben, wenn selbst Vater Staat vor einem solchen Verfahren ob qualitativer und organisatorischer Bedenken zurückschreckt?

4. Welches Licht wirft es auf Österreich, wenn das wichtigste Bauwerk der Republik, Symbol der Demokratie schlechthin, in der Wettbewerbsabwicklung derartige Brösel macht? Kein anderes Gebäude hätte so sehr eine einwandfreie, saubere und transparente Abwicklung verdient.

5. Die Antikorruptionsorganisation Transparency International ist ab sofort mit an Bord. Und erstmals in der Geschichte der Republik kontrolliert der Rechnungshof nicht rückblickend, sondern begleitend. Eine derartige Armada an Monitoring ist ein Novum. Ist das die Zukunft österreichischer Baukultur?

Tatsache ist: Am Ende des Jahres 2012 ist die Wettbewerbsethik der öffentlichen Hand in Österreich stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Reparatur dieses Bildes wird viel Zeit und Sensibilität in Anspruch nehmen.

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