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Ein Knaller aus alten Steinen
Der Standard

Vorletztes Wochenende wurde das Kunstmuseum Ravensburg eröffnet. So viel Qualität kann Investorenarchitektur haben

23. März 2013 - Wojciech Czaja
Fachwerkhäuser, gotische Prachtbauten und mittelalterliche Stuben. Ravensburg, den meisten als Heimat von Brettspielen und enervierenden Puzzles bekannt, ist ein entzückendes Städtchen, nur wenige Kilometer vom Bodensee entfernt. Doch so manch belgische Ordensfrau könnte hier, sollte sie jemals ihren Weg hierherfinden, ein großes Déjà-vu erleben.

Beim Anblick des kürzlich eröffneten Ravensburger Kunstmuseums könnte sie dann irritiert in den Himmel rufen: „Mais c'est pas possible! Ces briques me semblent sacrément connues.“ (Das gibt's doch nicht! Diese Ziegel kommen mir verdammt bekannt vor.) Kein Wunder, könnte man dann antworten, stammen sie doch alle von einer unlängst abgerissenen Klosteranlage in Wallonien. Hier, in den mittelalterlich nachempfundenen Mauern der Kunst, fristen sie ihr zweites Dasein als Recycling-Baustein. Und das tun sie mit Sinn und Würde.

„Wieso produzieren wir Baustoffe am laufenden Band, obwohl wir sie eigentlich auch wiederverwenden können?“, fragt Arno Lederer. Gemeinsam mit seinen beiden Partnern Marc Oei und Jórunn Ragnarsóttir ist der Stuttgarter Architekt für die Planung des ungewöhnlichen Museums verantwortlich. „Die Kosten für Neubau und Recycling sind in etwa gleich, doch was das Bauen betrifft, haben wir offenbar jegliches Bewusstsein für Kreislaufprozesse verloren. Dabei hat das Recycling von Baumaterialien gerade in Mitteleuropa immer schon Tradition gehabt. Daran möchten wir mit unserem Museum anknüpfen.“

Lederers Vorliebe für das Alte, für das Gebrauchte ist kein Selbstzweck, sondern hat mit Stadtkultur zu tun. „Wir verstehen Architektur als Baustein der Stadt, als Puzzlestück in einem gebauten Kontinuum. Gerade in einem so sensiblen Bereich wie der historischen Innenstadt von Ravensburg hat ein lautes, schreiendes Gebäude nichts verloren. Da geht es um Integration und Respekt.“
Puzzlestück in der Stadt

Dass viele Leute ahnungslos an diesem vor zwei Wochen fertiggestellten Bauwerk vorbeilaufen und es womöglich nicht einmal als Neubau wahrnehmen, stört Lederer, der dem gebrannten Lehm von jeher zugetan ist, nicht im Geringsten. „Ach, wenn Architektur nicht schon beim ersten Hinsehen ins Auge springt, sondern sich unaufgeregt in die Stadt fügt und vielleicht erst auf den zweiten oder dritten Blick auffällt, dann ist das durchaus ein Kompliment für uns. Das ist ein Knaller!“

In beinahe romanischer Manier stemmt sich das Haus gegen den Ravensburger Hausberg, Mehlsack genannt, und präsentiert sich all jenen, die nicht die Mühe gescheut haben, den steilen Weg nach oben zu erklimmen, mit einer hübschen, buckeligen Dachlandschaft aus mal schmalen, mal breiten Tonnengewölben. Preußische Kappe, Platzlgewölbe nennt sich diese seit Jahrhunderten praktizierte Bauweise, die bis zur Gründerzeit üblicherweise über Kellern und Erdgeschoßen errichtet wurde. In diesem Fall wurde die ingenieurmäßige Konstruktion ins Dachgeschoß gehoben.

Schmankerln wie diese bietet das Haus noch und noch. Da gibt es zum Beispiel die steinernen Regenrinnen, die wie auf die Urfunktion reduzierte Wasserspeier aus der Fassade ragen - die vielen kleinen Details, die sich wie neu interpretierte Versatzstücke aus Bauhaus und Moderne durchs Gebäude ziehen. Und die unzähligen kupfernen Spenglerarbeiten, die immer wieder aus der ziegelbraunen Masse aufblitzen. Noch glänzt das Material. Doch plötzlich: „Sehen Sie diese grüne Verfärbung da unten?“, fragt der Architekt, mit dem Zeigefinger auf eine Bodenleiste deutend, „da hat bereits ein Hund hingepinkelt - oder vielleicht war's ein Bauarbeiter.“

In Ravensburg selbst wird das neue Kunstmuseum mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Opposition und Steuerzahlerbund wittern schon seit Jahren gegen das fünf Jahre lang geplante Bauvorhaben: zu groß, zu teuer, zu unnötig. Dabei ist die Stadt nur Mieterin. Eigentümerin und Errichterin ist die Baufirma Reisch, die das Haus (Gesamtinvestition rund sechs Millionen Euro) für die Dauer von 30 Jahren an die Stadt vermietet - klassisches Public Private Partnership.

„Ich bin mit dieser Lösung sehr zufrieden“, meint der Ravensburger Oberbürgermeister Daniel Rapp (CDU), „einen Neubau dieser Art hätten wir uns niemals leisten können. So allerdings war es möglich, dieses Projekt zu realisieren und der Bevölkerung nach langer Zeit ein Haus für Kunst zur Verfügung zu stellen. Das ist ein wichtiger Bildungsaspekt.“

Glücklich ist auch Gudrun Selinka. Die Witwe des verstorbenen Kunstsammlers Paul Selinka und nunmehrige Leiterin der Peter und Gudrun Selinka Stiftung freut sich, endlich ein Heim für ihre mehr als 200 Werke umfassende Sammlung gefunden zu haben: Gruppe Cobra, Gruppe Spur und diverse andere expressionistische Maler, die nun unter ebenso ausdrucksstark geflecktem Ziegelgewölbe öffentlich zugänglich sind. Die Symbiose aus Kunst und Architektur ist perfekt. Leider war der Fotograf schneller als die Ausstellungsmacher.
Erstes Passivhaus-Museum

Bedeutung für die internationale Architekturdebatte hat das Kunstmuseum Ravensburg jedoch in ganz anderer Hinsicht: Es gilt offiziell als das erste Passivhaus-Museum der Welt. Geheizt und gekühlt wird das Haus über Geothermie. 180 Meter in die Tiefe reichen die Bodenbohrungen unter dem Fundament. Der jährliche Heizwärmebedarf liegt bei 13,4 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Die Berechnungen stammen vom Energieinstitut Vorarlberg. Eine Zertifizierung nach DGNB liegt bereits auf dem Tisch.

Doch wozu der ganze Aufwand? „Wenn wir schon als Investor ein Museum errichten, dann wollen wir auch zeigen, wie Baukultur in Zukunft aussehen könnte“, sagt Andreas Reisch, Geschäftsführer des Bauunternehmens Reisch. Mit den heute so modernen Glaskisten, die man aufwändig temperieren und reinigen müsse, werde man nicht weit kommen. „ Dieses Haus jedoch ist ein Exempel für Materialrecycling, für schadstoffarmes Bauen, für die Förderung regionaler Ressourcen, für die Erhaltung einer lokalen Wertschöpfungskette sowie für niedrigen Energiebedarf. Ich denke, hier ist uns ein Prototyp gelungen.“

Nicht alles ist in Hinsicht auf Energieverbrauch clever geplant. „Diese riesige Drehtrommeltür! Und noch dazu komplett aus Kupfer! Ganz ehrlich, das hat uns und den Bauphysiker den letzten Nerv gekostet, denn da geht ein unglaublicher Wärmeertrag verloren“, meint Reisch, „aber so sind sie nun einmal, die Architekten. Über weite Strecken logisch argumentierend, im Detail dann aber Sturschädel.“

Arno Lederer streicht mit der Hand über den nackten Ziegelstein. Jahrhundertealte Baugeschichte kribbelt unter seinen Fingerspitzen. Auf seinem Gesicht macht sich ein wunderbares Grinsen breit. „Das passt schon so. Normalerweise sind es die Architekten, die über die Investoren lästern, und das zu Recht, denn die Qualität lässt oft zu wünschen übrig“ , sagt er, „doch dieses Projekt ist der Gegenbeweis. Da hat der Investor eine hohe Qualität an den Tag gelegt. Da darf er ruhig einmal über den Architekten schimpfen.“
[Die Eröffnungsausstellung „Appassionata. Die Sammlung Selinka im Dialog“ ist bis 16. Juni 2013 zu sehen.]

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