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Kein Geruch von Stadel
Spectrum

In Schweden hat sich der Grazer Architekt Hubert Rieß mit der Kultur des Holzbaus vertraut gemacht. In Bayern hat er nun den unterschätzten Werkstoff bei der Errichtung von Fertigteilhäusern eingesetzt.

23. September 1995 - Christian Kühn
Nichts fürchten Fertighaushersteller mehr, als daß man ihre Erzeugnisse als das erkennen könnte, was sie sind: erstens Industrieprodukte und zweitens meist aus Holz. Die Mehrheit der Bauherren wünscht sich Individualität und bleibende Werte, und beides wird hierzulande eher einem massiven Ziegelbau zugetraut. Holz darf zwar gewisse rustikale Assoziationen wecken, etwa als Blockhaus, aber ansonsten bleibt da immer ein Geruch von Stadel oder gar Baracke. Als städtisches Material ist Holz bei uns so gut wie undenkbar. Fertighäuser verstecken ihre wahre Natur daher meist hinter einer Putzschicht, und die meisten österreichischen Bauordnungen sorgten bis vor kurzem dafür, daß Holz im Wohnbau nur für kleine, maximal zweigeschoßige Bauten zum Einsatz kam.

Die Gründe dafür liegen nicht im technischen, sondern im kulturellen Bereich. In den USA ist der überwiegende Teil des Wohnbaus in Holz konstruiert, auch wenn das auf den ersten Blick oft nicht sichtbar ist; selbst fünfgeschoßige Holzbauten sind dort nichts Ungewöhnliches, da der Brandschutz durch eine Sprinkleranlage nachgewiesen werden darf. Skandinavien hat eine von Holzkonstruktionen geprägte Baukultur, wobei Holz auch in manchen Städten als vorherrschendes Baumaterial zu finden ist. Daß man sich seit einigen Jahren allgemein wieder mehr für Holz als Baustoff mehrgeschoßiger Gebäude zu interessieren beginnt, hat zwei Gründe: Erstens zeigen vor allem die amerikanischen Beispiele, daß man mit Holz unter bestimmten Bedingungen sehr billig bauen kann. Zweitens wird Holz immer mehr als ein technologisch avantgardistisches Material erkannt. Das war es im Schiffsbau schon immer, und auch eines der größten Flugzeuge, das je gebaut wurde, die „Spruce Goose“ des amerikanischen Millionärs Howard Hughes, hatte Rumpf und Tragflächen aus Holz.

Heute sind es in erster Linie neue Produktionsmethoden, die Holz für den Geschoßbau interessant machen. Vorfertigung erlaubt die Verlagerung des Bauens von der Baustelle in die Fabrikshalle – bis hin zu computergesteuerten Fertigungsstraßen. Das klingt nicht gerade neu, im Vergleich zu Betontafelbauten ist die Vorfertigung in Holz aber flexibler und kann auch von kleineren Betrieben geleistet werden. Dazu kommen ökologische Argumente: gute Wärmedämmung, wenig Probleme mit Bauschutt, geringer Energieverbrauch in der Produktion.

Die Steiermärkische Landesregierung hat schon vor zehn Jahren für ein Grundstück in Zeltweg einen Wettbewerb unter dem Titel „Holz im Wohnbau“ ausgeschrieben. Gewonnen hat damals Hubert Rieß, der keine reinen Holzbauten, sondern eine gemischte Bauweise mit massiven Wänden, aber Decken und Wintergärten aus Holz vorsah.

Rieß hatte sich in Schweden, wo er mehrere Jahre lang bei Ralph Erskine arbeitete, mit der Kultur des Holzbaus vertraut gemacht. Erskine, ein gebürtiger Engländer, der sein Büro bezeichnenderweise in einem Schiff eingerichtet hatte, hat seit Ende der vierziger Jahre sehr eigenständige Beiträge zu dieser Kultur geleistet. Bekannt wurde er durch Vorschläge für Städte in der Arktis und vor allem durch ein Schihotel in Lappland aus dem Jahr 1949, ein fröhliches Bauwerk mit befahrbarem Dach und schrägen Stützen, das aus der Doktrin des „internationalen Stils“ ausbrach, ohne an traditionelle Formen anzuknüpfen.

Hubert Rieß kehrte nach dem gewonnenen Wettbewerb aus Erskines Atelier nach Graz zurück. Was schließlich in Zeltweg realisiert wurde, war eher enttäuschend – nicht zuletzt, weil die Bauordnung sogar für dieses gar nicht so radikale Konzept zu wenig Spielraum bot und auch das Interesse der Industrie an den Vorfertigungsmöglichkeiten gering war. Immerhin hatte Rieß sich auf diesem Sektor einen Namen gemacht, und 1992 lud ihn die bayrische oberste Baubehörde zusammen mit anderen Architekten ein, Vorschläge für Prototypen von „Mietwohnungen in Holzsystembauweise“ zu erarbeiten. Man war dabei vor allem am kostengünstigen Bauen interessiert: Aussiedlerunterkünfte, die Ende der achtziger Jahre in Holztafelbauweise errichtet worden waren, hatten gezeigt, daß sich die reinen Baukosten von den üblichen rund 16.000 auf unter 10.500 Schilling pro Quadratmeter senken ließen – allerdings unter beachtlichen qualitativen Einbußen, und auch ästhetisch war der Eindruck gestapelter Baracken kaum zu leugnen. Um diese Bauweise auf den sozialen Wohnbau übertragen zu können, wurden Kosten von umgerechnet rund 13.000 Schilling als Ziel festgelegt; über das Gutachterverfahren suchte man nach ästhetisch befriedigenden Lösungen und begann zugleich eine Reform der Bauordnung im Hinblick auf mehr „Holzgerechtigkeit“.

Hubert Rieß schlug eine südorientierte, dreigeschoßige Zeilenbebauung vor, nordseitig Laubengänge zur Erschließung, südseitig Balkone. Küche und Eßplatz liegen am Laubengang, alle anderen Räume öffnen sich nach Süden. In Schwabach bei Nürnberg wurde nach diesem Konzept ein Pilotprojekt mit 56 Wohnungen errichtet. Integriert wurden 16 Altenwohnungen und sechs Wohnungen für Alleinerziehende. Die Montage für eine Rohbaueinheit mit 14 Wohnungen erfolgte durch fünf Monteure in neun Tagen, die Vorfertigung dauerte etwa einen Monat.

Die Baukosten blieben mit knapp 12.000 Schilling pro Quadratmeter noch unter dem angestrebten Limit. Problemlos war das ganze Unternehmen dennoch nicht. Das Grundstück liegt zentrumsnah in einer vergleichsweise teuren Wohngegend, und die Ablehnung der Bewohner der umgebenden Einfamilienhäuser gegen den Sozialbau, den man ihnen vor die Nase gesetzt hatte, wurde durch die Holzbauweise nicht gerade vermindert. Die blau gestrichenen Sperrholzhäuser mit den orangeroten Säulen wurden als Kaninchenställe apostrophiert, und daß alle Fenster nach außen aufgingen, wurde als Beweis dafür betrachtet, daß es sich nur um bessere Baracken handeln konnte.

Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Die Bewohner sind großteils zufrieden, und auch die Nachbarschaft muß anerkennen, daß die Häuser mit ihren Grasdächern und Regenzisternen vielleicht wirklich ökologischer sind als ihre eigenen und daß vor allem die Mischung mit Seniorenwohnungen eine bessere Bewohnerstruktur herstellt, als sie sonst im sozialen Wohnbau zu finden ist. Auch die technischen Probleme waren, wie bei einem Pilotprojekt nicht anders zu erwarten, beachtlich. Durch die Vorfertigung ergeben sich für den Ausbau ungewohnte Koordinationsprobleme, und so wurde an der Baustelle einiges vom Einsparungspotential wieder verschenkt. Auch das verwendete Verkleidungsmaterial, amerikanisches Sperrholz, erwies sich als weniger witterungsfest als angenommen.

Die Erfahrungen aus Schwabach und den anderen Projekten des Modellvorhabens werden von der Industrie und den öffentlichen Auftraggebern systematisch ausgewertet und in neue Entwicklungen umgesetzt. Hubert Rieß hat für Wald-Kraiburg am Inn ein neues Projekt entwickelt, das nächstes Jahr realisiert wird. Das Grundstück liegt auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik mit der angeschlossenen Außenstelle eines KZs. Wald-Kraiburg wurde nach dem Krieg großteils von Sudetendeutschen neu errichtet, und auch das Gelände des Lagers wurde parzelliert und mit Einfamilienhäusern bebaut.

In der Mitte, in unmittelbarer Nachbarschaft des Bauplatzes, stehen noch ein monumentales Wachgebäude und eine U-förmige Wohnanlage der SS. Assoziationen zu Baracken wären hier doppelt untragbar gewesen. Rieß hat sich daher bemüht, den Bauten des tausendjährigen Reichs einen urbanen Holzbau entgegenzusetzen, der seine technologischen Qualitäten deutlich nach außen darstellt. Das Konzept entspricht im Prinzip jenem von Schwabach: hintereinandergestellte, südorientierte Zeilen ohne Keller, teilweise vom Boden abgehoben.

Aus den Loggien wurden Wintergärten, für die Verkleidung wurden statt Sperrholz Lärchenschindeln verwendet. Die Fenster öffnen sich immer noch nach außen, aber der Reinigung wegen mit einer technisch aufwendigeren Konstruktion. Wo die Zwischenwände an die Fassade stoßen, erlauben kleine Innenflügel eine Sichtverbindung zwischen den Räumen und erweitern den Blick nach außen. Die Kosten sollen sich durch verbesserte Produktionsplanung im angestrebten Bereich halten lassen.

Das Ergebnis sieht im Modell fast zu perfekt aus. Um den Raum zwischen Gefühl und Technologie auszuloten, wird es auch im Holzbau noch viele Experimente brauchen. Hubert Rieß hat jedenfalls gezeigt, wie man diese Experimente auch durchführen kann, wenn es vordergründig nur ums Sparen geht.

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