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Will das der Markt?
Spectrum

Hauptsache Rendite: wie man Wohnungen verkauft, in die der Käufer nie einziehen würde. Ein Beispiel aus Wien.

11. Mai 2013 - Christian Kühn
Wohnen ist, so sagt es die UN-Menschenrechtskonvention in Artikel 25, ein Grundrecht: „Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der ihm und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.“ Wohnen ist zugleich ein Wirtschaftsfaktor. Im Schnitt wird in Österreich knapp ein Drittel des Haushaltseinkommens für Wohnen, Energie und Wohnungsausstattung aufgewendet.

Wohnen ist daher auch ein Geschäft. Allerdings eines, in das der Staat – zumindest in Österreich – massiv eingreift, durch die Regulierung bestimmter Segmente des Mietwohnungsmarktes, aber auch durch Förderungen. Die Wohnbauförderung erlaubt es, Bauträgern Qualitätsstandards vorzuschreiben, etwa in Bezug auf den Energieeinsatz und die Wohnungsqualität, und zugleich die Baukosten zu begrenzen. Gemeinnützige Bauträger stöhnen zwar gerne über diese Schere. Sie hat aber zumindest in Wien per Wettbewerb zu hoher Qualität und vielen Innovationen geführt: raffinierte Grundrisse mit hoher Flexibilität, großzügige Erschließungs- und Gemeinschaftsbereiche, die das Leben trotz hoher Dichte angenehm machen, begrünte Freibereiche vor den Wohnungen und nicht zuletzt bautechnische Innovationen, die Baukosten reduzieren helfen.

Dass der geförderte Wohnbau in Wien einen höheren Standard hat als der frei finanzierte, ist daher nichts Neues. In meinem jüngsten Beitrag an dieser Stelle des „Spectrums“ („Licht von unten“, 13. April 2013) über einen geförderten Wohnbau in der Raxstraße im zehnten Bezirk habe ich behauptet, dass sich private Wohnungskäufer überlegen sollten, warum sie „für deutlich weniger Qualität das Drei- bis Vierfache jener rund 1400 Euro bezahlen sollen, die eine geförderte Wohnung in der Errichtung kostet“. Die Reaktion folgte prompt: Ich würde hier Äpfel mit Birnen vergleichen, und außerdem sei ein Wohnungspreis von über 4000 Euro im frei finanzierten Bereich in ähnlicher Lage niemals zu erzielen.

Das hat mich neugierig gemacht. Ich bin überzeugt davon, dass man Äpfel sehr wohl mit Birnen vergleichen kann: Einem frischen Apfel wird man den Vorzug vor einer faulen Birne geben. Und was die Wohnungspreise betrifft, hilft ein Blick in den Inseratenteil: „Neubau-Eigentum, Wien 10. Erlachplatz, 45 m², Kaufpreis 180.000 Euro“. Welche Besonderheit hat diese Wohnung, wenn ich für sie trotz der alles anderen als guten Lage 4000 Euro pro Quadratmeter hinblättern muss?

Die Neugier steigt, wenn man vom Makler eine Werbebroschüre zum Projekt zugesandt bekommt. Erstens wird in dieser Broschüre der Standort als „sehr zentral“ dargestellt: „In nächster Nähe befinden sich der Hauptbahnhof und das Schloss Belvedere.“ Sicher, alles ist relativ, und der neue Hauptbahnhof wird auch den zehnten Bezirk aufwerten. Aber bis ins Belvedere ist man doch eine halbe Stunde unterwegs und hat dabei einige nicht unerhebliche Hindernisse wie den Gürtel, Wiens meistbefahrene Straße, zu überwinden. Zweitens springt einem auf dem Grundriss die Erschließung des Hauses ins Auge, ein mehrfach geknickter Mittelgang ohne natürliche Belichtung. Ein Effekt davon ist, dass keine einzige der Wohnungen über Querlüftung verfügt. In einem energietechnisch optimierten Haus mit mechanischer Raumlüftung zur Wärmerückgewinnung wäre das kein Problem. Hier ist es ein echter Mangel an Wohnkomfort. Ein zweiter Effekt ist der Weg zur eigenen Wohnung: Für die oben beschriebene Wohnung (im Plan ganz links hinten) beträgt er vom Lift aus gemessen 25 Meter, zwei 90-Grad-Drehungen inklusive.

Die Wohnung selbst hat einen brauchbaren Zuschnitt und eine ausreichend dimensionierte Loggia. Was auf dem Plan nicht zu erkennen ist: Sie orientiert sich nicht zum begrünten Erlachplatz, sondern zu einem eher tristen Hinterhof, den die Sonne bestenfalls im Hochsommer für ein paar Stunden erreicht. Weniger glücklich dürfen sich die zukünftigen Mieter anderer Wohnungen schätzen: Mehrfach geknickte Erschließungsgänge und dunkle Kochnischen waren für den Planer offenbar kein Problem.
Die nordseitig orientierten Wohnungen, in die mit Sicherheit nie ein Lichtstrahl fallen wird, haben zum Ausgleich einen Balkon, von dem aus sie den Blick ins drei Meter entfernte Schlafgemach ihrer Nachbarn genießen können. Auch für diese Wohnungen werden noch Preise von über 3000 Euro pro Quadratmeter verlangt – im Dachgeschoß bis zu 5000 Euro. Ausführung: Stahlbeton, Polystyroldämmung, Kunststofffenster.

Wie geht das? Eine Rückfrage beim Projektentwickler bringt Aufklärung: Selbst er würde – „Samma uns ehrlich“ – nie in einer solchen Wohnung wohnen wollen. Seine Käufer aber auch nicht. Es handelt sich nämlich um das Modell „Anlegerwohnung“ oder „Vorsorgewohnung“. Der Käufer wird die Wohnung, die er als „Beimischung zu seinem Vermögensportfolio“ gekauft hat, wahrscheinlich nie betreten. Er bezahlt auch nicht die oben genannten Bruttopreise, sondern Nettopreise, da die Wohnung ja gewinnbringend vermietet wird, in der Regel wieder vom Projektentwickler im Auftrag des Käufers. Das Modell funktioniert, solange Wohnungen knapp sind. In Städten wie Wien und Graz mit steigender Bevölkerungszahl wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit so bleiben. Daher ist der Projektentwickler vor allem dort aktiv, mit derzeit 2500 Wohnungen in Planung und Bau.

Soll man solche Wohnungen kaufen? Wem es gleichgültig ist, wie seine Mieter wohnen, wird da keine Skrupel haben. Er sollte den Projektentwickler aber auffordern, seine Kalkulation offenzulegen: Wenn, wie in diesem Fall, der Netto-Durchschnittspreis der Wohnungen bei 3300 Euro pro Quadratmeter liegt und die Errichtungskosten bei bestenfalls 1700, bleibt selbst nach Abzug des Grundstücksanteils ein mehr als satter Gewinn übrig. Hoffnung auf eine Wertsteigerung sollte man bei diesem Preis in dieser Lage jedenfalls nicht haben.

Dass privates Kapital in Wohnungen dieser Kategorie fließt, ist trotzdem zu begrüßen. Aber gibt es nicht irgendeine Möglichkeit, den freien Markt so zu justieren, dass die Wohnqualität dabei ein zentraler Faktor wird? Ich weiß es nicht. Anregungen sind willkommen.

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